Neulich in einer Hörspieldiskussion mit der Fragestellung, inwieweit man Neben/Statistenrollen Substanz mitgeben müsse ?
Sollte der Faden der Geschichte im Fundament nicht auch im wesentlichen durch die Hauptrollen gesponnen werden ?
Ich denke, wieviel Hintergrundgeschichte man einem Nebencharakter mitgeben kann, ist durch das Medium Hörspiel stark begrenzt, wenn man es zum Beispiel mit einem Buch vergleicht. Hier werden meistens mehrere Handlungsstränge miteinander verwoben. Da hat man dann auch 'Platz' um den Nebenrollen einen eigenen Handlungsstrang zu geben.
Machst du aus dem einen Hörspiel eine Serie, sieht's wieder anders aus. Dann kann man häppchenweise auch den Handlungsstrang der Nebenfigur einbauen. Oder auch eine Serie mit wechselnden Hauptrollen. Wenn eine Nebenrolle in der nächsten Geschichte zur Hauptrolle wird, kann sie als Nebenrolle auch ein bisschen mehr angerissen werden. Lässt sich auch als Spannungselement einsetzen.
Die Hauptrolle oder die Hauptrollen begleitet man dann trotzdem durch die Geschichte. Sie zeigen den roten Faden auf.
Mit Hinblick auf etwaige Vorhersehbarkeiten einer Geschichte: Degradiert man die Hauptrollen (als "schwache Helden"), wenn (zu viele) Nebenrollen oder Statisten klammheimlich die Aufgaben und Problemlösungen der "Helden" übernehmen ? (Wozu dann eigentlich "Helden" ?)
Es ist auch seltsam, wenn eine Hauptfigur alles kann. Na klar ist eine Figur eine neurochirurgische Koryphäe, hat einen schwarzen Gürtel in mindestens 7 Kampfsportarten, spricht fließend 31 Sprachen und ist außerdem noch Sprengstoffexperte... und hatte ich schon erwähnt, dass sie erst 22 ist?
Mit zu starken Figuren wird die Geschichte mE uninteressant. Wo ist die Spannung, der Konflikt, die Charentwicklung, wenn er/sie alles mal eben so nebenbei lösen kann?
Zu schwache Figuren oder zu blasse Figuren können allerdings auch der Geschichte schaden. Welche Fallhöhe bietet die Figur? Hat sie Stärken und Schwächen? Welchen Einfluss hat sie auf die Geschichte?
Ich finde hier hängt das Maß, ab wann Nebenrollen den Hauptfiguren zu viel abnehmen, stark von der Geschichte ab. Verfolgt man zum Beispiel eine Charakterentwicklung, bei der eine Figur lernen muss, Hilfe anzunehmen, kann man sich mit ihr freuen, wenn sie die Hilfe bekommt und annimmt. Vielleicht ist es hier auch interessant zu erfahren, warum die Nebenrolle eine helfende Hand reicht. Ihr ein bisschen Raum zu geben, kann diese Geschichte bereichern.
Und natürlich kannst du immer mehr über deine Figuren wissen, als du darstellst. Fürs Hörspiel mag irrelevant sein, warum der Theaterticketverkäufer so verdammt miese Laune hat. Um den Dialog lebhafter zu gestalten, kann es helfen zu wissen, wieso diese Nebenfigur mies drauf ist.
Muss es "den" Held oder "den" Antagonisten" geben... können denn nicht alle Helden/Antagonisten sein ?
(Wann sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr ?)
... und was ist mit Antihelden? Sie vereinen protagonistische und antagonistische Kräfte in sich. Ich find es auch spannend, wenn Figuren nicht nur gut oder böse sind, sondern irgendwas dazwischen. Eine Schwäche macht sie nahbarer
Nur Hauptfiguren auftauchen zu lassen und Nebenrollen zu streichen, ist wohl eher Shortys vorbehalten. Wenn alle Figuren Hauptfiguren werden, egal ob nun pro- oder antagonistisch, brauchen sie auch ähnlich viel Sprechzeit. Dann sprengt man schnell den Zeitrahmen.
Gehen wir von einem Hörspiel aus, das länger ist als ein Shorty: Laufen die Hauptfiguren dann nicht auch Gefahr wie ausgeschnitten zu wirken? Wie fügen sie sich in die Welt ein, wenn sie nicht oder kaum mit ihr interagieren? Ausnahmen bestätigen hier natürlich die Regel.

Ab wann es zu viele Hauptfiguren werden, ist vermutlich Geschmackssache und auch genreabhängig. Bei Krimis begleitet man häufiger mal ein Ermittlerduo, im Fantasybereich geht gerne mal ein kleines Grüppchen auf Reisen.
Muss wirklich jeder aufgehobene Faden immer zum "großen ganzen Wollknäuel" führen ?
Darf z.B. eine Nebenrolle/Statist nicht auch einfach nur plakativ "Mittel zum Zweck" sein, ohne ihn gleich eine fundamentale Vita und gewichtigen Eingriff in die Geschichte mit auf den Weg geben zu müssen ?
Darf er nicht einfach mal nur so aus "Aspekten der Stimmung/Ambiente" auftauchen/verschwinden ?
Ein ganzes Wollknäuel verorte ich eher in einem anderen Medium: Bücher. Wenn man allerdings immer wieder Andeutungen einstreut, sollte es auch eine Relevanz für die Geschichte oder die Hauptfiguren haben. Und sei es nur, dass die Hauptfigur die Katze vom Baum rettet. Dann ist egal, wieso die Katze dort oben ist, wo die Katze wohnt, ob sie eine Menschenfamilie hat, welche Farbe ihr Fell oder ihre Augen haben… Wichtig ist, dass uns die Hauptfigur sympathischer wird, weil sie die Katze gerettet hat. Vielleicht erfahren wir auch, warum. Das hätte dann aber wieder mit der Hauptfigur und ihrer Motivation oder der Geschichte als solches zu tun, nicht mehr mit dieser speziellen Katze. Diese Katze wäre dann einfach nur ein Stimmungs- und Ambienteelement.
Wie seht ihr das denn so ?
Darf manches nicht auch einfach mal nur plakativ bleiben oder muss alles (und jeder) möglichst durch und durch einen substantiell griffigen Faden haben ?
Ich finde es bereichert ein Hörspiel, wenn auch Nebenfiguren ein gewisses Maß an Hintergrund haben. Wie alt ist sie? Hat sie ein Lieblingsfüllwort? Spricht sie eher schnell oder langsam? Neigt sie zu Fremdwörtern oder Anglizismen? Bevorzugt sie eine einfache Satzstruktur oder spricht sie in Schachtelsätzen? Die Hintergrundgeschichte kann darüber Aufschluss geben, aber sie gehört nur thematisiert, wenn sie auch einen Mehrwert bietet. Sonst wird’s verwirrend oder sehr lang.
Würde ich in einem Fantasyhörspiel z.B. durch die Hauptfiguren immer wieder andeuten, dass Orks dumm und aggressiv sind, dann sollte das entweder eintreten (ok, sie sind die Handlanger der Bösen) oder widerlegt werden. Wenn ein auftauchender Ork dann plötzlich eloquent, friedfertig und kompromissbereit ist, sollte das auch eine Relevanz für die Geschichte haben. Wir brauchen einen Grund warum dieser Ork im Speziellen oder als exemplarischer Vertreter seines Volkes, anders ist als erwartet. Waren die Informationen, die die Hauptfiguren erhalten haben, falsch? Wenn ja, warum? Oder sollten die Hauptfiguren ihre Einstellung hinterfragen und Vorurteile abbauen? Oder ist dieser Ork ein schräger Einzellfall? Wird er ihnen helfen oder ist es eine Falle? Der Nebenhandlungsstrang des Orks würde in diesem Fall die Geschichte um eine Facette bereichern.
TL, DR:
Nein, nicht jede Nebenrolle muss ihren eigenen Handlungsstrang in einem Hörspiel erhalten. Ihre Motivation und Hintergrundgeschichte sollten thematisiert werden, wenn sie die Haupthandlung vorantreibt oder beiträgt.
Mehr über die Figur und ihre Motivation zu wissen als man direkt als Handlungsstrang einbaut, kann dennoch hilfreich sein, um ihr eine eigene Stimme und ihren eigenen Ausdruck zu verleihen.