Die Krux von Kritik ist die Referenz.
- Nach welcher Referenz darf, kann und soll sich Kritik richten ?
- Wie gerade darf oder muss die 5, das Dorf klein oder die Kirche groß sein, um etwaige Dinge sachlich begründen oder vielmehr lösend berücksichtigen zu müssen ?
Aber gehen mal medias res, denn ich bin ja auch schon ein paar Tage hier und durfte mit euch- und ihr mit mir, schon so einige Dinge "durchmachen":
Es fällt mit auf, dass Besetzungen oft wie in einem Supermarkt besetzt/gecasted werden: Jemand hat einen Bedarf, alle schmeissen ihre "Ware" (Spreche) unterschiedlich schön verpackt in ein Regal und die Bestellenden kommen am Regal vorbei, packen etwas in den Wagen und gehen.
Der Eindruck rührt möglicherweise daher, weil man den Gedanken hier gerade nicht weiter denkt.
Ich fasse dies daher aus meinem subjektiven Tun&Handeln in einen Rahmen zusammen, der sicherlich aber auch auf andere Projektchefs/und Chefinnen zutrifft.
Castings
Bewerber spezifisch die Beweggründe einer Ablehnung darzulegen, kostet Zeit und Kraft.
Nach einem Casting beginnt unmittelbar das Projektmanagement und ist in den erstem Wochen mit Organisationsaufwand, Aufmerksamkeit und Pflege verbunden, den Cast mit allen nötigen wie vielen Informationen zu versorgen und ganz nebenbei, noch in vielen vielen vielen Stunden Arbeit, das Projekt in Retakes, Anweisungen etc. umzusetzen.
Selbst bei kleineren Projekten, kann dieser Aufwand schon enorm sein... bei größeren Projekten, ist er relativ kräftezehrend, da oftmals nur
ein (in Zahl 1) Cutter, auf vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen muss.
Die Zuwendung mit Hauptaugenmerk an Zeit & Energie investiere ich daher natürlich in den Cast und das Projekt.
Außerhalb eines aufrichtig herzlichen Dankeschöns und einer allgemeinen Begründung zu meiner Entscheidung im Casting, fehle mir kräftetechnisch die Energie, mich mit vlt. noch 20 abgelehnten Bewerbern ganz im Detail auseinanderzusetzen... das ist eine pragmatische Frage der Gewichtung, wie ich meine Zeit und Energie einteile, weil ich mich natürlich primär um die 25 Leute kümmere, die nun im Projekt involviert sind.
Warum werden Bewerber abgelehnt ?
Weil auf eine Rolle nur ein Bewerber passt !
(Ggfls. zwei, wenn man sich für einen unvorhergesehenen Fall ein Backup im Hinterkopf behält).
Warum entscheidet man sich nun aber für die eine Stimme und eben nicht für andere ?
Oft ist es so, dass sich viele mit- und untereinander recht ähnlich klingende Stimmen auf Rollen bewerben.
Als Caster sucht man sich in seinem Ensemble aus mitwirkenden Sprecher/innen, einen möglichst großen und plausiblen Kontrast an unterscheidbar und zueinander gut klingenden Stimmen aus.
Eine Stimme, die vlt. sogar besser zu einer expliziten Rolle passt, kann auch wieder rausfallen, weil sie im Kontext einfach zu ähnlich zu einer anderen Rolle klingt.
Es kann sogar passieren, dass ein sehr später Bewerber sogar die beiden eben erwähnten Bewerber aus dem Rennen kickt und das ganze Ensemble auf den Kopf stellt und anders zusammengestellt werden muss.
Ich denke, dass wir Caster uns unsere Entscheidungen wirklich alles andere als leicht machen.
Weitere wesentliche Gründe sind,
wenn es z.B. drei passend wie markant klingende Bewerber auf eine explizite Rolle gibt, dass technische/künstlerische Belange ein Entscheidungskriterium sind.
- Wie ist die Qualität und Güte der Aufnahmen ?
- Gibt es z.B. Raumhall, bzw. mit welchem Aufwand lassen sich die Aufnahmen post-edit bereinigen ?
- Wie ist die darstellende Performance insgesamt ?
Der eine Bewerber hat vlt. das etwas tragendere Timbre im normalen Sprechmode, kann aber z.B. nicht lautstark energisch (genug) sein, wenn die Rolle Adrenalin erfordert.
Schlussendlich entscheiden über die Frage des Geschmacks der Stimme hinausgehend, Performance UND Aufnahmequalität !
Mankos in Sprechproben/Qualität/Performance
Qualität
Wir haben mit Blick und mehr Beachtung der darstellenden Performance, die technischen Qualitätsstandards im Hoertalk ein wenig heruntergeschraubt, so dass die letzten fehlenden 5% an noch ausstehend bester Studioqualität höchster Güte nicht mehr
das gewichtigste Kriterium sind, damit sich talentierte Newcomer auch auf die "anspruchsvolleren" Produktionen bewerben können.
Trotzdem reichen die mit Hinblick auf leider übermäßig vorhandenen Raumhall, Lüfterbrummen/surren, sowie auch teils Mikrofon/Sprachqualitäten, oftmals dennoch nicht an Mindestanforderungen heran, um in einem Casting erfolgreich berücksichtigt zu werden.
Natürlich liegt es ganz allein beim Projektchef/Cutter, ob er jemanden trotz Mankos berücksichtigt oder nicht, doch werden im Vergleichsfall Bewerber mit besserer Aufnahmequalität bevorzugt.
Ich habe hier mitunter Meinungen zu Sprechproben mit der Einschätzung von "Furztrocken" gehört, die nach vollgefliesten Badezimmer oder Treppenaufgang klingen.
Daher mein Anraten, nicht nur seine Aufnahmeumgebung weiterhin gen "möglichst Trocken" zu optimieren, sondern auch in einen vernünftigen Studiokopfhörer mit linearen Frequenzband zu investieren.
Ja, unsere trainierten Tontüten-Ohren hören i.d.R. Kleinstereignisse lauter und intensiver, als Otto-Normalo... aber das könnt auch ihr lernen/trainieren... und das fängt u.a. mit einem guten Studiokopfhörer an, der nicht Kinoerlebnis schön färbt und tief rrrummst oder Brillanten funkelnd Hi-Fi schleift, sondern einfach nur
simpel ehrlich klingt.
Bedenkt, dass in einem möglichst trockenen Raum ein Mikrofon auch so ganz anders funktioniert, werkelt und auflöst und eure Performance gewinnt, bzw. auch kleine Fehler schonungsloser aufgezeigt werden.
Performance
An dieser Stelle sei nun offen und ehrlich erwähnt, dass "überzeugend energisch und lautstark sein können", doch ein relativ häufig anzutreffendes Manko in Sprechproben ist, bzw. insofern ein für mich ausschlaggebendes Bewerberkriterium bei der Wahl meiner Rollenentscheidungen ist.
(Wobei ich hier natürlich nur für mich und meine Casting-Suchkriterien sprechen möchte).
Aber auch unter objektiveren Blickpunkten betrachtet, wenn über einer Sprechprobe "wütend/energisch" steht- und man in etwa eine Art "löwenbändigen Feldwebel" erwartet, plötzlich ein "griesgrämiges Suppenhuhn" zu hören bekommt, dann ist das nicht förderlich, wenn man sich damit auf die Rolle eines cholerischen Generals, Krieger, Mutant o.ä. bewirbt.
Aber okay, es muss ja auch nicht jeder ein "Brüller" sein... das ist völlig in Ordnung... ich selbst wäre auch nie ein "Erzähler".
Natürliches Sprechen, Intonationssingsang und in Kommas Sprechen
"Natürliches Sprechen" wird von den meisten Castern bevorzugt.
Da stellt sich die Frage, was denn "natürliches Sprechen" überhaupt ist ?
Ist es ein Jargon, Dialekt(frei), klarverständliches Nuscheln, schnell/langsam Sprechen ?
Nun, für mich ist "natürliches Sprechen" ein insbesondere nicht übertrieben überzeichnetes Sprechen, es sei denn, das Genre, die Rolle oder die Szene bringt das ganz explizit mit sich.
Jede Stimme hat ja eine gewisse ganz natürliche Melodieführung, die eine etwas ausgeprägter (insbesondere bei Damen), die andere etwas monotoner (insbesondere bei den Herren).
Sofern wir nicht gerade in der Märchenstunde mit Onkel Erklärbar und Tante Feenstaub sind, finde ich, dass so manche Sprecher/innen aber zu sehr in einen Genre-ungünstigen "säuselnden Märchenstil" verfallen, welcher sich insbesondere dadurch bemerkbar macht, seinen Text vielmehr tonhöhenmoduliert durch alle Terzen eines Intervalls durch etwaige Silben betont intoniert zu "besingen", als zu sprechen.
Besonders ärgerlich, wenn man im Skript/Regie ganz unmissverständlich eine bedrohliche Situation mit viel Adrenalinausschüttung angewiesen bekommt und dann in etwa so klingt, als würde man gerade eine bunten Regenbogen aus Zuckerwatte bestaunen.
Mitunter frage ich mich, ob man dann die Regieanweisungen nicht wirklich liest oder es jemanden wirklich so schwer fällt, sich in die Szene hineinversetzen zu können ? (Stichwort: Spaziergang übers Minenfeld).
Ich finde, man macht sich auch zu sehr den Kopf darum, wann und wie intoniert wird... und übertreibt es mit der Häufigkeit von Betonungen.
Auch mir passiert das leider noch viel zu häufig.
Wenn ich den Profis wie z.B. Ernst Meincke im Atelier oder bei uns am Gartentisch lauschen darf (und ich mir stets wünschte, es via Schnips genau so drauf zu haben), fallen gleich ganz wesentliche Dinge zu uns Amateuren in Bezug auf "natürliches Sprechen" ins Gewicht.
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Die Rhythmik. Es wird oftmals ein schnelleres Tempo gesprochen (trotz allem klar verständlich).
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Keine Kommas/Pausen. Gelesene Kommas (dienen allein der Lesbarkeit) werden nicht gesprochen, was zu einem schnelleren und flüssigeren Tempo ohne unnatürlich klingende Pausen führt... und es trotzdem nicht nach "Runterrattern" klingt.
So, an dieser Stelle beende ich aber zunächst den Roman und stelle ihn zum Ergänzen und Kritisieren frei.