- #1
Themenstarter/in
Und noch eine, allerdings viel kürzere Geschichte, die ich heute verfasst habe.
Lore
Lore war oft allein. Und da, wo sie meistens war, da war es auch nicht so wahrscheinlich,
einen anderen Menschen zu treffen. Still krabbelte sie in ihre Ecke und schaute zur Sternschnuppe hinauf, die sie giftgrün anleuchtete. Erst gestern hatte sie diese wieder mit ihrer Taschenlampe bestrahlt,
damit sie Lore in diesem alten Schrank Orientierung bieten konnte.
„Kajuri“, rief sie eilig. „Komm heraus!“. Sie lauschte halbherzig, denn noch nie war er sofort erschienen.
Und schon gar nicht, nach dem man ihn nur einmal gerufen hatte.
„Kajuri, ich bin jetzt da!“ Immer noch herrschte um Lore die typische, gespannte Stille.
Welch weiten Weg er wohl gehen musste, um hierher zu kommen, fragte
sie sich und packte ein Stück Nougat aus ihrem Reiseköfferchen, das sie immer
bei sich trug. Schliesslich war sie eine Reisende und Kajuri auch.
„Ich hab auch was für Dich. Das ist Schokolade.“
Es verging eine Weile, ehe Lore müde wurde. „Kajuri, bitte, komm zu mir!
Ich habe eine wichtige Frage an Dich!“
Eine Frage. Immer hast Du eine Frage, Kind.
Lore erwachte. „Na endlich, lieber Kajuri“, kicherte Lore und kletterte
auf seinen pelzigen Rücken.
Halte Dich gut fest, kleine Lore! Und jetzt sag mir: kennst Du noch die Antworten
auf die letzten Fragen, die ich Dir stellte?
Lore grübelte eilig. „Aber klar, ähm ...“
Denk ruhig nochmal nach, Kind.
So fest, wie Lore sich an den Kajuri krallte, so fest umfasste er auch den
Fotu-Baum. Mit wenigen Sprüngen war er bereits dem Boden weit entkommen und die
Pumfo-Vogel-Fliegen, die in der Baumkrone lebten, flatterten in Scharen
aufgescheucht um sie herum. „Also Du. Du bist schon seit einer Ewigkeit hier, stimmts?“
Kajuri lachte. Ja , haha. Das bin ich. Richtig. „Und Du frisst keine Kinder, sondern nur Früchte.“
Auch das ist richtig. Gut gemacht, Lore. „Ich brauche also keine Angst vor Dir haben.“
Na sonst hättest Du mich auch nie gerufen. Kajuri machte einen letzten Satz auf einen der freistehenden Zweige und
liess sich sanft an ihm herab hängen. Mit allen Vieren baumelnd, schaukelte er Lore, die nun auf seinem pelzigen Bauch saß.
Also was ist Deine Frage, kleine Lore?
Zunächst schwieg sie und nur die Pumfo-Vogel-Fliegen surrten unter ihnen.
Na sag schon. Ist sicher nichts Schlimmes.
„Kajuri, ich habe gehört, dass man träumen kann, als Mensch.“
Wenn man schläft, ja. Aber auch, wenn man wach ist und im Matheunterricht sitzt.
Es schüttelte Lore, denn der Kajuri hatte begonnen zu lachen.
„Ich träume in letzter Zeit viel, weißt Du?“, stammelte sie.
Der Kajuri wurde ernst. Heisst das etwa, dass Du mitten am Tag Träume hast?
„Und auch in der Nacht, Kajuri. Und die Tagträume, sie ...“ Längst hatte Lore begonnen zu flüstern.
„Sie werden wahr.“
Deine Tagträume werden wahr? Das ist doch wundervoll, kicherte der Kajuri.
Lore schwieg. „Und … es sind nicht nur die Tagträume, die wahr werden. Auch die ... in der Nacht!“
Lore, Kleines. Was ist Deine Frage?, schnaufte der Kajuri sanft.
Sich die Hände vor das Gesicht haltend, sprach sie langsam: „Vorletzte Nacht, da. Du weisst doch, dass ich immer mit Mama streite.“
Der Kajuri schaute Lore weise an. Ich weiß, was sie Dir angetan hat, Lore.
„Also vorletzte Nacht, da. Ich konnte nicht schlafen.“
Daran war sie Schuld, nicht wahr, Lore?
„Ich kann nicht schlafen, ganz oft.“
Und stattdessen träumst Du eben am Tag.
Leise begann Lore zu schluchzen. „Es war ja nur ein Gedanke, weißt Du?
Ich habe eine Frage an Dich, kleine Lore. Wieso hast Du mich damals gerufen?
„Weil. Weil Du Teil eines Tagtraumes warst.“
Ich habe Dich das erste Mal dort gesehen, Lore. Dort im Schrank. Auf dem alten Dachboden.
Und immer wieder warst Du dort. Und sag mir, wieso? Weisst Du, wieso?
Immer lauter schluchzte Lore. Aber sie konnte einfach nicht antworten. Es ging nicht.
Du kennst die Antwort und ich … ich kenne sie auch, Lore. Niemandem sollte so etwas passieren,
nur weil man als Kind die Dinge anders sieht, als wenn man erwachsen ist.
„Aber … Mama, sie macht es doch, damit ich mich bessere.“ Plötzlich erschrak Lore, sehr heftig,
denn der Kajuri begann böse zu knurren.
Du bist so, wie Du bist und sie hat es nicht verstanden, hörst Du?
„Kajuri, bitte. Bring mich zurück!
Sie wird es niemals verstehen, sie wird Dich niemals respektieren!
„Kajuri! Nein!“ Lore schrie und fiel in einen tiefen Schlaf, den sie einfach nicht
abschütteln konnte.
Sie träumte von Dunkelheit. Ein unscharfes Licht, grün. Eine winzige Sternschnuppe.
Langsam drückte Lore die Tür auf und Mondlicht schien auf sie, als sie eilig
über die Dielen des Dachbodens huschte. Nach stillen Stufen herab, stemmte sie die
Einganstür auf und lief wie mechanisch auf den Bogen in der Dunkelheit zu.
Sie kannte diese Wohnung natürlich; sie brauchte kein Licht, um zu wissen, wo Mama schlief.
Oft genug war sie nachts schon zu ihr gelaufen, um in ihr Bett zu wollen. Nur, dass Mama
das niemals zuliess. (Sie hatte andere Ideen gehabt, Lore die komischen Gedanken auszutreiben.)
Die Tür knarrrte schon bei der leichten Berührung der Fingerspitzen, ehe es still wurde. Lore konnte
ihren eigenen Atem hören. Langsam schritt sie auf das weiße Bettzeug zu, das im blauen Licht zu flimmern schien.
„Mama?“
Es war nur ein Traum, dachte sich Lore. Und auch ein Albtraum ist nur ein Traum.
Ihr Körper erstarrt, ratterte ihr Herz und tausend Gedanken und doch keine kamen ihr.
Mama schlief, direkt vor ihr, tiefe Wunden von Hals bis zur Stirn, nebeneinender herlaufend,
schmückten sie.
"Kajuri, nein!" Lore rannte weg, einfach weg und Mama, sie träumte Lores Traum für immer.
ENDE
Lore
Lore war oft allein. Und da, wo sie meistens war, da war es auch nicht so wahrscheinlich,
einen anderen Menschen zu treffen. Still krabbelte sie in ihre Ecke und schaute zur Sternschnuppe hinauf, die sie giftgrün anleuchtete. Erst gestern hatte sie diese wieder mit ihrer Taschenlampe bestrahlt,
damit sie Lore in diesem alten Schrank Orientierung bieten konnte.
„Kajuri“, rief sie eilig. „Komm heraus!“. Sie lauschte halbherzig, denn noch nie war er sofort erschienen.
Und schon gar nicht, nach dem man ihn nur einmal gerufen hatte.
„Kajuri, ich bin jetzt da!“ Immer noch herrschte um Lore die typische, gespannte Stille.
Welch weiten Weg er wohl gehen musste, um hierher zu kommen, fragte
sie sich und packte ein Stück Nougat aus ihrem Reiseköfferchen, das sie immer
bei sich trug. Schliesslich war sie eine Reisende und Kajuri auch.
„Ich hab auch was für Dich. Das ist Schokolade.“
Es verging eine Weile, ehe Lore müde wurde. „Kajuri, bitte, komm zu mir!
Ich habe eine wichtige Frage an Dich!“
Eine Frage. Immer hast Du eine Frage, Kind.
Lore erwachte. „Na endlich, lieber Kajuri“, kicherte Lore und kletterte
auf seinen pelzigen Rücken.
Halte Dich gut fest, kleine Lore! Und jetzt sag mir: kennst Du noch die Antworten
auf die letzten Fragen, die ich Dir stellte?
Lore grübelte eilig. „Aber klar, ähm ...“
Denk ruhig nochmal nach, Kind.
So fest, wie Lore sich an den Kajuri krallte, so fest umfasste er auch den
Fotu-Baum. Mit wenigen Sprüngen war er bereits dem Boden weit entkommen und die
Pumfo-Vogel-Fliegen, die in der Baumkrone lebten, flatterten in Scharen
aufgescheucht um sie herum. „Also Du. Du bist schon seit einer Ewigkeit hier, stimmts?“
Kajuri lachte. Ja , haha. Das bin ich. Richtig. „Und Du frisst keine Kinder, sondern nur Früchte.“
Auch das ist richtig. Gut gemacht, Lore. „Ich brauche also keine Angst vor Dir haben.“
Na sonst hättest Du mich auch nie gerufen. Kajuri machte einen letzten Satz auf einen der freistehenden Zweige und
liess sich sanft an ihm herab hängen. Mit allen Vieren baumelnd, schaukelte er Lore, die nun auf seinem pelzigen Bauch saß.
Also was ist Deine Frage, kleine Lore?
Zunächst schwieg sie und nur die Pumfo-Vogel-Fliegen surrten unter ihnen.
Na sag schon. Ist sicher nichts Schlimmes.
„Kajuri, ich habe gehört, dass man träumen kann, als Mensch.“
Wenn man schläft, ja. Aber auch, wenn man wach ist und im Matheunterricht sitzt.
Es schüttelte Lore, denn der Kajuri hatte begonnen zu lachen.
„Ich träume in letzter Zeit viel, weißt Du?“, stammelte sie.
Der Kajuri wurde ernst. Heisst das etwa, dass Du mitten am Tag Träume hast?
„Und auch in der Nacht, Kajuri. Und die Tagträume, sie ...“ Längst hatte Lore begonnen zu flüstern.
„Sie werden wahr.“
Deine Tagträume werden wahr? Das ist doch wundervoll, kicherte der Kajuri.
Lore schwieg. „Und … es sind nicht nur die Tagträume, die wahr werden. Auch die ... in der Nacht!“
Lore, Kleines. Was ist Deine Frage?, schnaufte der Kajuri sanft.
Sich die Hände vor das Gesicht haltend, sprach sie langsam: „Vorletzte Nacht, da. Du weisst doch, dass ich immer mit Mama streite.“
Der Kajuri schaute Lore weise an. Ich weiß, was sie Dir angetan hat, Lore.
„Also vorletzte Nacht, da. Ich konnte nicht schlafen.“
Daran war sie Schuld, nicht wahr, Lore?
„Ich kann nicht schlafen, ganz oft.“
Und stattdessen träumst Du eben am Tag.
Leise begann Lore zu schluchzen. „Es war ja nur ein Gedanke, weißt Du?
Ich habe eine Frage an Dich, kleine Lore. Wieso hast Du mich damals gerufen?
„Weil. Weil Du Teil eines Tagtraumes warst.“
Ich habe Dich das erste Mal dort gesehen, Lore. Dort im Schrank. Auf dem alten Dachboden.
Und immer wieder warst Du dort. Und sag mir, wieso? Weisst Du, wieso?
Immer lauter schluchzte Lore. Aber sie konnte einfach nicht antworten. Es ging nicht.
Du kennst die Antwort und ich … ich kenne sie auch, Lore. Niemandem sollte so etwas passieren,
nur weil man als Kind die Dinge anders sieht, als wenn man erwachsen ist.
„Aber … Mama, sie macht es doch, damit ich mich bessere.“ Plötzlich erschrak Lore, sehr heftig,
denn der Kajuri begann böse zu knurren.
Du bist so, wie Du bist und sie hat es nicht verstanden, hörst Du?
„Kajuri, bitte. Bring mich zurück!
Sie wird es niemals verstehen, sie wird Dich niemals respektieren!
„Kajuri! Nein!“ Lore schrie und fiel in einen tiefen Schlaf, den sie einfach nicht
abschütteln konnte.
Sie träumte von Dunkelheit. Ein unscharfes Licht, grün. Eine winzige Sternschnuppe.
Langsam drückte Lore die Tür auf und Mondlicht schien auf sie, als sie eilig
über die Dielen des Dachbodens huschte. Nach stillen Stufen herab, stemmte sie die
Einganstür auf und lief wie mechanisch auf den Bogen in der Dunkelheit zu.
Sie kannte diese Wohnung natürlich; sie brauchte kein Licht, um zu wissen, wo Mama schlief.
Oft genug war sie nachts schon zu ihr gelaufen, um in ihr Bett zu wollen. Nur, dass Mama
das niemals zuliess. (Sie hatte andere Ideen gehabt, Lore die komischen Gedanken auszutreiben.)
Die Tür knarrrte schon bei der leichten Berührung der Fingerspitzen, ehe es still wurde. Lore konnte
ihren eigenen Atem hören. Langsam schritt sie auf das weiße Bettzeug zu, das im blauen Licht zu flimmern schien.
„Mama?“
Es war nur ein Traum, dachte sich Lore. Und auch ein Albtraum ist nur ein Traum.
Ihr Körper erstarrt, ratterte ihr Herz und tausend Gedanken und doch keine kamen ihr.
Mama schlief, direkt vor ihr, tiefe Wunden von Hals bis zur Stirn, nebeneinender herlaufend,
schmückten sie.
"Kajuri, nein!" Lore rannte weg, einfach weg und Mama, sie träumte Lores Traum für immer.
ENDE
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