Ich glaube kaum, dass es eine Hemmschwelle ist, sondern eher etwas wie: Och, nö. Du kannst das schon, da habe ich vollstes Vertrauen in dich und deine Arbeit.Zum einen scheint heute kaum jemand mehr die Zeit zu haben, sich auf so etwas einzulassen. Und zum zweiten bemerke ich auch bei den Produktionen, wo wir mit gecasteten Sprechern arbeiten - wo es also am Ende genau ein Ergebnis gibt - dass die Bitte ans (ganze!) Team, sich doch z.B. die Dialogschnitte (oder Mischung) einer Szene kritisch anzuhören und Feedback dazu zu geben, regelmäßig auf so minimale Resonanz (einiger weniger) stößt, dass ich inzwischen schon fast gar nicht mehr fragen möchte. Da wir dabei ja alle an einem Strang ziehen, sollte man meinen, dass auch alle Beteiligten ein lebhaftes Interesse hätten, sich bei so einer Möglichkeit einzubringen. Es scheint aber eine enorme Hemmschwelle zu geben; eine Art ungeschriebenes Gesetz, dass man sich gegenseitig "kein Auge aushackt" (um das Bild mit den Krähen zu gebrauchen). Und damit fehlt dann möglicher Input, der (gerade in so einem Stadium) das Stück natürlich u.U. verbessern könnte. Aber ich weiß auch nicht, was ich anderes tun kann als die Leute immer wieder zu ermutigen...
Es gibt vielleicht manchmal mehr Interesse daran eine Rolle zu spielen, als am gesamten Endprodukt. Und wenn dann nur zum Hören, aber nicht zum Arbeiten. Denn dann muss man genau ZUHÖREN und sich womöglich Notizen machen, mit Zeitangaben, was einem bei Sekunde soundso aufgefallen ist. Dann muss man den Thread hochladen, es dort reinschreiben und schon könnte der Aufwand mehr sein, als der kleine Fehler, den man vielleicht anmerken könnte.
Es ist ja ein Unterschied, ob jemand sagt: Kannst du da mal drüberlesen /-hören und mir Feedback geben oder ob jemand echte wertvolle Kritik haben möchte, mit der man weiterarbeiten kann, um sich zu verbessern.
Der Unterschied besteht darin, mit was man am Ende rausgeht. Mit einer einzigen Kritik wie eine Rezension, die dasteht und fertig oder mit jemanden an seiner Seite, der bereit ist eine Zusammenarbeit zu leisten, um den Kritisierten zu einer Verbesserung zu bringen.
Das geht uns Lektoren doch immer so. Wir sind die ersten, die ein wertvolles Gedankengut anvertraut bekommen und damit arbeiten, es kritisieren, aber auch Lösungswege aufzeigen sollen. Wenn es für Sprecher, die eine Rolle eingesprochen haben (die nicht aus deren eigener Phantasie entstanden ist, die nicht deren geistiges Eigentum ist) und dafür Kritik bekommen, weil deren Spiel nicht dem entspricht, was der Kritiker hören wollte, dann trifft es die schon hart. Aber wie sehr kann es jemanden treffen, der Kritik erhält für seine eigene selbst ausgedachte Geschichte - sein Baby.
Ich hatte es mir lange überlegt, ob ich Lektorat anbieten sollte oder lieber nicht. Ich weiß, dass ich oft nicht sehr klug mit "guten" Worten bin, bin eher Typ Klare Kante, aber ich weiß auch aus eigener Erfahrung, wie sehr man sich verletzt fühlen kann, wenn Kritik aufkommt (sei sie noch so berechtigt). Es hat bei mir auch viel mit dem Älterwerden zu tun. Bin heute anders empfindlich als mit 20. An manchen Stellen durchaus abgestumpfter, an anderer empfindlicher. Aber ich muss beim Lektorat immer wieder ein bis zwei Nächte Pause einlegen, um den Kopf rattern zu lassen, um nicht nur ein Stück in seiner Gesamtheit zu verstehen, die Charaktere in meinem Kopf spielen zu lassen, den Stil nicht mit meinem auf einen Nenner zu bringen (!!!), um so einen Weg zu finden, der hoffentlich als Kritik gut verstanden wird und Wege aufzeigt, wie man was ändern könnte, ohne zu große Eingriffe ins wertvolle Gedankengut eines anderen zu machen. Damit bin ich mehrere Tage und Nächte beschäftigt, habe zig Zettel mit Notizen, gezeichneten Schemas, Tabellen, mache sozusagen einen Plot rückwärts und brauche Zeit und Muße, die ich gerne dafür gebe, um mich mit Sinnvollem zu beschäftigen.
Würde man aber diese Form der Kritik umsetzen für einem Sprecher, wäre es keine Kritik mehr, sondern ein Coaching. Denn das ist es ja, was eigentlich gewünscht wird, wenn es heißt: Ich möchte Kritik haben, um mich zu verbessern.
Aber wie @Spirit328 auch meinte: Wir sollten erstmal anfangen, uns ausprobieren, und vor allem Spaß haben. So können wir auch Erwartungshaltungen klären, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Ich wäre gern dabei, wenn @knilch so ein Treffen organisieren mag, denn Orga ist nicht meine Kernkompetenz.