• Blut-Tetralogie   Dark Space

soundjob

Tontüte & Hörspielfrisör
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Ein kleiner Sound-Leitfaden für lebendigere Atmosphäre in Innenräumen.
Von Markus H./Soundjob

Jeder kennt es, jeder macht es... Umgebungsgeräusche wie z.B. zwitschernde Vögel, Wind, Regen, Verkehrslärm, nächtlich zirpende Grillen und Waldkäuze usw. in Szenarien einzubauen, wenn die Szenerie DRAUßEN spielt.
Das hinterfragen wir ja auch erst gar nicht, denn natürlich gehen wir davon aus, das Draußen auch entsprechende Umgebungsgeräusche vorliegen, um eine solche Simulation durch lebendige Atmosphäre im Hintergrund auch authentischer wirken zu lassen.

Wie sieht es aber mit einem authentischen DRINNEN aus ?
Wenn wir uns nicht gerade in einem Raumschiffszenario mit allerlei Computergepiepse und tief grummelndes Dröhnen von Antriebsaggregaten, sondern in einem z.B. stinknormalem Wohnzimmer, Arbeitszimmer etc. befinden ?
In so einem z.B. Wohnzimmer, bzw. ähnlichen Räumen, geht ja eigentlich relativ kaum bis gar nichts an Umgebungsgeräuschen vor sich und es ist vielleicht auch nicht immer die beste Idee, den Fernseher, das Radio oder andere lautstarke Geräusche im Hintergrund als "Raumsimulation" laufen zu haben, wenn es dem Dialog die Sprachverständlichkeit nimmt... oder das Hintergrundgedüdel einfach nur unpassend nervt.

Sehr gern behilft man sich natürlich mit Effekten wie z.B. einem sehr kurzen Hall/Echo etc. um eine explizite Räumlichkeit authentischer zu simulieren, aber das ist auch eigentlich nur die Hälfte der Miete... denn was ist eigentlich mit dem Raum zwischen den Sprechpausen ?

Eigentlich trifft man eher kaum in einer natürlichen Raumumgebung auf eine quasi schalltote Akustik und selbst in einer z.B. Schall optimierten Sprecherkabine o.ä. gibt es natürlich Nebengeräusche... und zwar jene, die man selbst verursacht !
Das sind z.B. Bewegungsgeräusche, ein kleiner Schritt, das Knarzen oder Zurechtrücken eines Stuhls, das Kruscheln von Kleidungsstücken, das Abstellen des Wasserglas auf einem Schreibtisch, das Blättern von Papier mit dem zu sprechenden Text und und und.

Und genau darum geht es in diesem kleinen Leitfaden... nämlich auch zu berücksichtigen, dass man sich trotz aller Akustikoptimierung und Schweigen im Walde, äh Raum, doch noch irgendwie bewegt und Geräusche verursacht. Der Raum erhält somit Lebendigkeit, ist authentisch, ist ganz natürlich !

Ich persönlich finde es in Hörspielen immer etwas schade, wenn explizit in (sehr stillen) Räumen auf die ganz natürlichen Bewegungsgeräusche keine Rücksicht genommen wird und während einer Dialogszene die Protagonisten wie zur Salzsäule angewurzelt erstarren und keinen anderen Laut als nur Sprache von sich geben.
Das wirkt dann alsbald steril.
Stünde man im wahren Leben auch völlig stocksteif im Raum und verharrt völlig bewegungslos auf der Stelle, ohne auch nur z.B. einmal mit seiner Hand zu gestikulieren oder ggfls. sich im Sessel/Stuhl etc. zu bewegen ?
Sicherlich gibt es auch solche Situationen, aber zumeist bewegt man sich doch ab und zu oder interagiert mit irgendetwas im Raum... und sei es nur das abgestellte Wasserglas oder das Handy, welches auf den Tisch gelegt wird.

Daher meine ich- abgesehen von Erzähler-Takes, um für etwas lebendigere Atmosphäre in Innenräumen zu sorgen, nicht nur einfach das Wort in den Raum zu stellen und mit einem Effekt zu tränken, sondern auch ein wenig leises Hintegrundambiente auf einer extra Spur mit einzubinden, wie z.B. gelegentliches Umherlaufen im Raum, das Kruscheln eines Kleidungsstück etc. und somit etwas Interaktion mit dem Raum zu betreiben, der dadurch nicht nur während des Dialogs für ein natürliches Ambiente sorgt, sondern insbesondere auch in den Sprechpausen... und der Raum, ganz natürlich, vorhanden bleibt.

Probiert diesen Tipp ruhig einmal aus und selbst die leisesten Geräusche können zu mächtig viel Atmosphäre beitragen und einen Raum Lebendigkeit verleihen.
Ihr werdet es dann nicht mehr missen wollen.

Euer Markus
 

pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
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tja, volle Zustimmung, mein Lieber. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil meiner Bearbeitungszeit eines Hörspiels geht tatsächlich für genau diesen Aspekt drauf. in einer Szene des nächsten Dark Space 2046, teils schmeißt Ehrenberg zum Beispiel eine Kaffeetasse vom Tisch. Während er weiter spricht, geht er zur Spüle, öffnet den Unterspülenschrank, entnimmt einen Handfeger und ein Kehrblech, fegt die Scherben auf, befördert diese dann in einem Mülleimer. Diesen ganzen Vorgang habe ich ganz einfach in real aufgenommen und dann unter die Szene gelegt. Klingt absolut authentisch, ist es ja auch. abschließend habe ich dann noch die Sprach Lautstärke, die Schritte und den Raumanteil animiert. Im Ergebnis habe ich so eine absolut authentische Szene geschaffen. Dies ist nur ein Beispiel, wie man alltägliche Ereignisse in eine Hörspielszene einbauen kann. Das ganze kostet natürlich ein wenig Zeit, im Endeffekt macht es aber ein Riesenspaß so etwas zu erschaffen. Ach so, die am Boden zerspringende Tasse habe ich allerdings aus einer Sound Library genommen.
 

uburoi

Mitglied
Mir ist das besonders krass aufgefallen bei "Der letzte Tag der Schöpfung" von den Ohrenkneifern. Das ist so ziemlich jede Innenraum-Szene mit einer mannigfaltigen Atmo hinterlegt und das macht es tatsächlich deutlich realistischer (sogar in einer Szene wo zwei Personen in einer Kapsel auf den Grund des Mittelmeers abgelassen werden hört man die Bewegungen im Raum). Aber leider ist es eben auch so, dass das eine Heidenarbeit macht und die Zeit habe ich nicht immer. Darum bin ich ganz froh, dass ich bei meiner Raumschiff-Comedy die entsprechende elektronische Atmo einmal vorab bauen konnte und die nun in jeder Folge unterlegen kann, so dass ich da weniger Arbeit habe.
 

Phollux

Robert Kerick
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100% Zustimmung! 😉
Ein sehr spannendes Thema, da ich denke, dass solche "nebensächlichen" Geräusche nicht nur die Authentzität erhöhen, sondern sich auch so eine ganze erzählerische Subebene aufziehen lässt.
 

soundjob

Tontüte & Hörspielfrisör
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Oh ja, das macht natürlich alles `n Haufen Arbeit, denn man ist ja nicht nur Regiewaldmeister und Cutter, sondern auch Tontüte. :giggle:

Angefangen mit dem Aufbereiten der Aufnahmen vom Audio-Cleaning, den aus einem Guss tönenden Soundspiegel der soundtechnisch unterschiedlich klingen Vocal-Aufnahmen anzupassen, den Dialogschnitt und entsprechende Dramaturgie zu arrangieren, synchrone Eventsounds&interagierende Ketten einzubinden, ggfls. selbst als Foley-Artist den Sound selbst zu recorden und zu designen, ggfls. die Musik selbst zu komponieren, Effektburgen bauen und und und last but not least, alles auch noch im ausgewogenen Mix zu mastern.
Ja, das ist schon eine Menge Arbeit.... ABER, seien wir ehrlich... keiner von uns würde die machen, wenn sie nicht ebenso viel Spaß machen würde ;).

Ich denke, für uns hier erfahrene Tontüten ist es allerdings auch noch etwas "einfacher" zu händeln, weil wir neben feste Handgriffe und Erfahrung, technische Möglichkeiten, sowie auf einen Fundus einer zumeist schon eigenen vorhandenen Library zurückgreifen können, als das für z.B. neu-cuttende Einsteiger der Fall ist... und da ziehe ich gern meinen Hut, weil sie mit ihren Mitteln es dennoch geschafft haben, ein sehr anhörliches Ergebnis abzuliefern.

Letztlich ist es ja eine Frage der Fantasie, wieviel wir davon tontechnisch gleich auf den Weg mitgebend vermitteln oder dem Zuhörer vlt. auch selbst mehr Freiheiten lassen, sich seine eigenen Vorstellungen machen zu dürfen.
Nun ja, ich persönlich finde es halt als Zuhörer schöner, wenn ich in meiner Erwartungshaltung dann auch die dazu stimmigen Sounds im Hintergrund geliefert bekomme und mir denke, ja, das matched richtig geil und fühle mich dann auch in die Atmo mit reingezogen (y)
 

pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
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mein Tipp an Neueinsteiger ist, hört euch eine entsprechende Szene in der realen Welt einmal genau an. Wenn möglich nimmt solche Szenen in der realen Welt mit einem Stereo Recorder auf. Wenn ihr euch diese Aufnahmen dann in Ruhe und vielleicht auch das eine oder andere Mal öfter anhört werden euch immer mehr Einzelheiten in so einer Szene auffallen. So habt ihr einen recht guten Anhaltspunkt wie Dinge in der realen Welt klingen. Ich selbst nehme regelmäßig Geräusche mit meinem iPhone auf, wenn ich unterwegs bin. Manchmal baue ich dann sogar genau diese Aufnahmen in meine Hörspiele ein. Da diese Geräusche meist im Hintergrund ablaufen, ist die Qualität völlig ausreichend.
 

MonacoSteve

Dipl.-Lachfalter - und nicht ganz Dichter
Teammitglied
Da die allermeisten meiner Hörspiele dialog-zentrierte "Kammerstücke" sind und ich Szenenunterlegung mit Dauermusik schon immer als höchst ablenkend empfunden habe, habe ich bei meinen Eigenproduktionen ziemlich schnell gelernt, exakt das zu tun, was @soundjob im Erstbeitrag dargelegt hat. Daher kann ich zum Gesagten eigentlich nur kräftig zustimmend nicken :) . Zu den menschlichen "Nahgeräuschen" wie Kleidung und Schritte kann man natürlich, wo es passt, durchaus noch anderes mischen, wie z.B. eine tickende Uhr, das Summen eines Ventilators, Regentropfen am Fenster, oder gedämpfte Verkehrsgeräusche einer Stadt. Außerdem verwende ich fast immer im Hintergrund eine "leerer Raum-Atmo", die man sich entweder selber machen oder aus freien Libraries beziehen kann. Bei letzterer könnte man zwar denken, dass man da ja gar nichts hört, aber das stimmt so eben nicht. Auch ein stiller leerer Raum hat einen Sound ;).
 

Spirit328

Everything - STOP!
Teammitglied
Bei den Filmers nennen sie das "room tone" und es wird eigentlich ganz einfach gemacht: Alle raus aus dem Raum und dann wird für ein paar Minuten einfach aufgenommen, was so passiert.

Ich finde das sehr viel "plausibler", wenn in einem Raum noch etwas anderes zu hören ist, als "nur" der Dialog.
In diesem YT Video wird gezeigt, wie man es ganz einfach und schnell in Reaper macht. Das gilt sicherlich so oder so ähnlich für viele andere DAWs. :)

Mein ganz persönlicher Geschmack sind "Room Tones" oder "Presence" und wenn die Stimme etwas "nachschwingt". Also wenn man meint, dass der "Nachhall" der Stimme verklungen ist, dann noch zwei Herzschläge länger laufen lassen und dann erst stoppen. Das klingt VIEL natürlicher hinterher beim Schnitt, wenn, ja wenn die Cuttenden da nicht zu früh die virtuelle Schere ansetzen :D
 

soundjob

Tontüte & Hörspielfrisör
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Ja, wenn wir das genauer unterteilen wollen- und im Film sind wir mit dem Hörspiel ja relativ artvewandt, dann wäre die Soundstage eigentlich auch zu unterteilen in:
Geräusche/Foley, Atmo, SFX, FX, Sprache, Musik.

Mein ganz persönlicher Geschmack sind "Room Tones" oder "Presence" und wenn die Stimme etwas "nachschwingt". Also wenn man meint, dass der "Nachhall" der Stimme verklungen ist, dann noch zwei Herzschläge länger laufen lassen und dann erst stoppen. Das klingt VIEL natürlicher hinterher beim Schnitt, wenn, ja wenn die Cuttenden da nicht zu früh die virtuelle Schere ansetzen :D
Ja, "Release" ist auch noch ein sehr wichtiger Aspekt, denn manchmal setzt man die Schere zu schnell an und erwartet eigentlich noch einen Nachklang.
Bei "Schritten" ist das ja relativ häufig... da kommt also jemand in den Raum gelaufen und bleibt dann aber ganz abrupt stehen- und man vermisst halt noch den einen Schritt, bzw. "Schleifer", wenn die Sohle über den Boden gleitet und abbremst und das "wrritsch" eigentlich erst vermittelt, so jetzt bin ich stehen geblieben.
Auch kann man z.B. während des Gehens mit dem Text anfangen und muss nicht erst auf die grüne (oder rote) Ampel warten, erst sprechen zu dürfen, wenn man wirklich stehen geblieben ist.

Das sind mitunter so kleine Feinheiten, manchmal auch nur im Bereich von Milisekunden, die aber zu einem weicheren, natürlicheren Ergebnis führen können.

Außerdem verwende ich fast immer im Hintergrund eine "leerer Raum-Atmo", die man sich entweder selber machen oder aus freien Libraries beziehen kann.
"Raunen" und "HIntergrundrauschen" sind ein sehr probates Mittel im leeren/stillen Raum, um ebenfalls eine lebendige Atmosphäre zu schaffen. Kaum hörbar, aber doch sehr gefühlt da.
Benutze ich auch sehr gern. (y)
 

Spirit328

Everything - STOP!
Teammitglied
Der einzige mir bekannte "Ort", wo wirklich (aber auch da, wenn man es physikalisch GANZ genau nimmt auch nicht) Ruhe herrscht, ist das Weltall. ;)

Ich erinnere noch die JBL anechoic chamber, wo die Lautsprecher getestet wurden und wahrscheinlich auch noch werden. Das war der ruhigste Ort, den ich bislang "gehört" habe. Und so ähnlich klingen viele Hörspiele, die ich so kenne. Nicht nur hier auf HT, sondern auch sonst so.
Selbst beim altehrwürdigen WDR wird auf eine "plausible" Atmo kaum bis gar kein Wert mehr gelegt. Kosten ist das Zauberwort.

Mir egal. Ich mache Room-Tones bzw. gestalte sie. Das ist auch gar nicht schwierig. Einfach in einem menschenleerem Raum für ein paar Minuten den Rekorder laufen lassen. Fertig. :)

Ich denke schon den ganzen Tag darüber nach wie man das wieder einführen kann, zumindest in die HT Hörspiele. Vielleicht braucht es eine Bibliothek?
Aber vielleicht kennt Ihr schon so eine oder mehrere Bibliotheken? Immer her mit den Informationen :D
 

soundjob

Tontüte & Hörspielfrisör
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Ein mir bekannter Ort, wo absolute Ruhe herrscht und es sogar noch deutlich stiller ist als im Weltraum... ist das Berliner Bürgeramt, wenn man dort versucht, einen Termin zu ergattern. ;)
 
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