AW: Re: Stumme Gedankensplitter
Das Hörspiel hat schon einige Tage auf dem Buckel, aber ich hab's vor ein paar Wochen zum ersten Mal gehört und dann heute noch einmal. Für mich ein gelungenes Kurzhörspiel, das nicht Genreregeln folgt, sondern sich auf experimentelle Weise bemüht, der Wirklichkeit so nahe wie möglich zu kommen.
Ein Paar hat sich auseinandergelebt. Der gemeinsame Alltag verkommt zu einer Serie von problematischen, unangenehmen Momenten, die die Unzufriedenheit nur stetig noch verstärken. Immer wieder wird beiden deutlich, wie stark man einander missversteht und aneinander vorbeilebt. Im Kopf macht sich jeder der beiden Gedanken, macht mal sich selber, mal dem Partner Vorwürfe, ergibt sich innerer Leere, Selbstmitleid oder Ratlosigkeit. Für ein klärendes Gespräch oder einen anderen ernstgemeinten Versuch, aufeinander zuzugehen, ist die Entfremdung entweder bereits zu weit fortgeschritten, oder es fehlt eine Idee, wie man das anstellen soll, oder der Mut dazu.
Umgesetzt ist dies so, dass wir als Hörer zunächst eine Alltagssituation miterleben, in dem "Er" und "Sie" aufeinander treffen, danach befinden wir uns jeweils im Kopf von "Ihm" und "Ihr" und hören die jeweiligen Gedanken, die diese Situation reflektieren.
Hier kommen wir zu der aus meiner Sicht größten Stärke des Hörspiels, nämlich die sehr gelungene Ausgestaltung der beiden ganz unterschiedlichen Gedanken- und Gefühlswelten: Während "Sie" sehr direkt, emotional, körperlich empfindet ("Wenn er mich nur in den Arm nehmen würde ...", "Warum ist er so kalt?", "Ich habe solche Angst, dich zu verlieren."), ist "Er" sehr abstrakt, rational, distanziert ("Wenn jetzt etwas passieren würde, dann möchte ich das Beste für beide Seiten.", "Aber ich hoffe doch, dass sich die Situation für beide Seiten positiv entwickelt.") Diese beiden ganz unterschiedlichen Innenwelten machen die Missverständnisse sehr glaubwürdig und nachvollziehbar. Man hat als Hörer das Gefühl, es tatsächlich mit echten Menschen zu tun haben, und nicht bloß mit Kopfgeburten.
Dazu tragen auch die überzeugenden Leistungen der Sprecher bei. Hier im Thread wurde zu Recht mehrfach Odas Spiel gelobt, aber auch wie Markus an der Oberfläche häufig unverbindlich liebenswürdig, im Inneren dann aber sehr niedergeschlagen und zergrübelt ist, fand ich glaubwürdig und hat mich beeindruckt.
Ein wenig genervt hat mich die immer wiederkehrende Musik, die den Gedankenpassagen hinterlegt war. Auch hätte ich mir gewünscht, dass die Alltagssituationen ein wenig länger ausgearbeitet gewesen wären - und damit ungefähr ein Gleichgewicht zu den Gedankenpassagen gebildet hätten. Stattdessen liegt das Gewicht sehr stark auf den Gedanken. Aber das sind bloß Kleinigkeiten.
Insgesamt hat das Hörspiel bei mir einen sehr positiven Gesamteindruck hinterlassen, und ist auch 3 Jahre nach seiner Produktion immer noch empfehlenswert!