• Blut-Tetralogie   Dark Space
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Menelaos

Da ich ja sonst nicht so der Geschichtenschreiber bin, aber nun heute eine Art Eingebung hatte, dachte ich mir, bringe ich das, was ich so dachte mal zu Papier. Lasst mich ruhig wissen, wie es euch gefällt :eek:;-)






Das Rufen der See



Sie erwischt dich. Kalt. Immer dann, wenn du gerade etwas anderes tust. Du spürst es, leise, in der hintersten Ecke deines Herzens ist es. Dieses Ziehen, dieses kleine Pulsieren und Flüstern. Du weisst schon, was es ist, bevor du es richtig wahrgenommen hast. Sie ruft dich. Wieder.
Sie hat dich schon lange nicht gerufen, und doch ist ihr leises Flüstern so laut, als würde eine Blaskapelle in deinem Ohr klingeln. Du drückst es zurück, du musst arbeiten, einkaufen, deinen Alltag erledigen, du musst schlafen, essen, dich an-und ausziehen, duschen, Zähne putzen und Auto fahren.

Trotzdem ruft sie dich. Eindringlich. Auf dem Weg zur Arbeit, auf dem Fahrrad, wenn du gerade Kaffee kochst, wenn du darauf wartest an der Kasse bezahlen zu können und wenn dein Toaster gerade dein Brötchen halb verbrennt. Du drückst es wieder bei Seite, bis du eines Morgens aufwachst und weisst, jetzt, ja jetzt, kannst du es nicht mehr ignorieren. Deine Sehsucht hat sich aufgestaut und dein gesamter Körper weis, dass du dich aufmachen musst, um an dein Ziel zu kommen, welches er kennt und welches du schon oft gesehen hast. Du packst deine Sachen, du nimmst das Nötigste mit und du weisst, was das Nötigste ist. Du ziehst dich an, du wäscht dich und packst alles ein und es ist so intensiv in deiner Wahrnehmung, weil du weisst, dass du unterwegs bist. Dass du ihrem Ruf folgst, den du schon lange hörst, aber bisher nicht ernst nehmen konntest.
Du setzt dich also in deine Auto, auf dein Fahrrad oder in den Zug. Du fährst allein oder nimmst jemanden mit, der sie auch hört oder der sie schonmal gehört hat und erreichst bald dein Ziel. Du eilst ihr entgegen, du bewegst dich so schnell wie du kannst, und du genießt die Spannung. Wie wird sie heute wohl aussehen, wie wird sie sich dir präsentieren? Wird sie dich mit offenen Armen empfangen oder wird sie rau und unbarmherzig zu dir sein? Wird sie dich ruhig anlächeln, oder dir ihre wilde Seite zeigen, die sich hart und aufgewühlt dir entgegen wirft?
Du hast sie schon oft rau und wild, wie es ihre Natur ist, erlebt. Sie hat dich auch schon oft mit ihrer samtigen Stille und betörenden Schönheit eingefangen. Gerade in den Momenten wo die Nacht geht und der Tag sich anschickt zu beginnen, ja, da war sie stets am schönsten.
Und dann bist du da, du bewegst dich die letzten Meter zu ihr hin....
Und dann siehst du sie. Und sie ist immer noch genau so, als wäret ihr eben erst auseinander gegangen. Sie hat, deinem Gefühl nach, dich gerufen und du möchtest ihr entgegen brüllen „Hier bin ich, hier steh ich nun!“. Und in diesem Augenblick verschwindet dieses Ziehen in deinem Herzen, dieses kleine Pulsieren und Flüstern. Deine Sehnsucht findet Frieden in dem Anblick der sich dir bietet. Du hast sie erreicht und du stehst ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Du weisst, dass sie dich erwartet hat und du sie sehen musstest. Du weisst plötzlich auch, dass sie eigentlich nur deine Erinnerung wach gerufen hat, an etwas was du schon fast vergessen hattest. Etwas was du im Alltag immer mehr vernachlässigt hast und was sie dir, wie eine nicht enden wollende Marter, hat vor Augen führen wollen. Dass DU dich lange nicht mehr hast fallen lassen. Lang nicht mehr einfach nur die Augen geschlossen hast und dem Wind und ihr zugehört hast. Das ihr leiser und manchmal lauter Gesang dir die Ruhe und Ausgeglichenheit schenkt, die in deinem gestressten Alltag aus einkaufen, arbeiten, schlafen, essen und warten fehlt!

Du bist voll! Rand voll!
Deine Kapazität ist erreicht, du hast kein Ventil um loszulassen, deine Gedanken auf Leerlauf zu schalten, einfach nur in ihr Antlitz zu blicken und NICHTS zu denken. Dein Alltag ist vollgestopft mit Fragen und Gedanken, mit Antworten und Vermutungen, die dich nicht glücklich machen, sondern nur deinen Arbeitsspeicher zu müllen.
Und als du nun einfach da stehst und in ihr Gesicht blickst und an ihrem Saum entlang wanderst, da merkst du es.
Alles fällt von dir ab. Es ist wie ein Vorhang der sich legt, wie eine alte Lackschicht die leise abplatzt und wie einen Panzer streifst du deine alten Gedanken und Vermutungen ab und machst Platz für Leere in deinem Kopf. Du hörst nur sie, das Rauschen und Pfeifen des Windes, das Rascheln des Strandhafers und deine Atem. Und es gibt nur dies eine, was du spürst.


Zwei Leute. Das Meer. Eintracht. Stille.
 
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Boris

<Benutzertitel>
AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

Ja, Julia. Genau so ist dieses Gefühl. Genau so.
 

SeGreeeen

Kaaaaarakaluuuuuuuhhhh!!!!
Teammitglied
AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

Ich kenn das auch, aber nicht von der Nordsee sondern vom Mittelmeer :D... Seh ich auch viel zu selten :(
 

Mr B.

Tassenmörder
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AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

Hach ja irgendwie habe ich damit gerechnet :D Es ist ein wunderschöner Text, der zu gut manche meiner Tage beschreibt und mal wieder zeigt, dass wir auf einer Wellenlänge liegen. :friends:
 
G

Gelöschtes Mitglied 3998

AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

Einer der Texte, in die man sich fallen lassen kann. DANKE!
 
M

Menelaos

AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

Und da überkams mich so und dann gab´s nen zweiten Teil :)

Auf gehts...



Seelenverwandte



Die junge Frau wischte sich hastig die Tränen von der Wange und lief mit schnellen Schritten zum heimatlichen Haus. Sie schloss die Türe auf und hörte nur den alten Bodo, den fast tauben Retriever der Familie, auf sie zu tapsen. Sie ließ ihn im Flur stehen und ging langsam ins große Wohnzimmer, in dem die alte Ecklampe brannte, in dem ihre Großmutter Anneliese saß und las.
Die junge Frau kam zögernd näher und die Großmutter sprach, ohne aufzusehen, „Nun, er ist wieder fort, nicht wahr ?“ und Britta nickte langsam, biss sich auf die Lippen, um nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen. „Weisst du, wann er wiederkommen wird?“ fragte sie weiter, und Britta schüttelte den Kopf, unfähig ihre Tränen zurückzuhalten und mit einem leisen Schluchtzer warf sie sich auf den rockbesäumten Schoß der Großmutter und weinte fürchterlich. Diese legte den Roman bei Seite, nahm ihre Brille ab und legte sie auf ihrem kleinen Beistelltisch ab.“Weisst du,Liebes, ich liebte auch mal einen Seemann, Liebes“ und Britta fuhr hoch „Wirklich Oma?“ sie wischte sich mit ihrem völlig zerfledderten Taschentuch das Gesicht und das Kinn ab.
„Ja, Kind“ und die alte Frau sprach" Ich habe ihn geliebt, wie eine Frau nur einen Seemann lieben kann....jede andere, die er liebte, hasste ich, weil sie ihm niemals ebenbürtig sein könnte, in meinen Augen. Doch ich, ich hatte nur noch meine Seele noch zu verschenken, doch die hielt ihn nachts nicht warm.". Britta war mit einem Mal hellwach „Oma, davon hast du noch nie erzählt!“ und die Großmutter sagte wehmütig „Weil es keine schöne Geschichte ist, Liebes. Ich liebte ihn, aber ich war gebunden, und doch wäre er einer derjenigen gewesen, für die ich fast alles getan hätte. Er war wie ich und doch ganz anders. Er liebte die See, und ich glaube, ja, ein bisschen vielleicht auch mich“. Britta blinzelte in die Ecklampe „Hast du ihn wiedergesehen, als er von See kam?“ fragte Britta und die Großmutter sah aus dem Fenster „Ja, Liebes, fast jedes Mal, wenn er von See kam, war ich da und habe ihn in Empfang genommen. Doch dann eines Tages stand noch eine andere Frau dort und auch sie wartete auf ihn. Da wusste ich, dass er mich nicht mehr brauchte, seit dem war ich nie wieder dort.“ Britta sah ihre Großmutter durchdringend an, ja, einen Augenblick glaubte sie in der Augen der alten Dame sogar Tränen schimmern zu sehen.
„Hatte er dich einfach vergessen, Oma?“ und Britta setzte einen grimmigen Gesichtsausdruck auf. „Nein, Liebes, er hat mir jedes Jahr Lilien zu meinem Geburtstag geschickt und mir vielfach geschrieben, aber ich habe alle seine Briefe ungelesen verbrannt“. „Aber Oma, warum denn?“ entrüstete sich Britta. Die Stimme der Großmutter zitterte als sie sagte „Weil ich es nicht ertragen konnte, dass eine andere ihm mehr bedeutet als ich. Ich hatte einen Seelenverwandten in ihm, und danach hatte ich nur noch einen leeren Fleck in meiner Brust.“.
Britta sah ihre Großmutter bedauernd an und sagte leise „Weisst du, ob er glücklich geworden ist?“ „Ich weis, dass sie ihn oft betrogen hat, und dass er vor einigen Jahren einen Herzinfarkt hatte und starb“ sagte die Großmutter hart „aber ich konnte nicht hingehen.“ die Großmutter seufzte leise. „Verständlich Oma, er hat dich einfach ausgetauscht gegen eine, die ihm nicht treu war, so wie du...“ sagte Britta, und versuchte ein schiefes lächeln und als sie aufsah zur Großmutter, erschrak sie, denn sie weinte. „Nein“, sagte die Großmutter tonlos „Nein, er starb mit meiner Taschenuhr, die ich ihm einst schenkte, in der Hand. Und ich war nicht da, um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten.“.
Britta spürte wieder den Klos im Hals, weil auch ihr Liebster nun auf See war, und sie ihm vielleicht auch nicht mehr würde sagen können, wie wichtig er für sie sei, wenn das schlimmste eintreten würde. Britta stand auf, und blieb noch einen Moment, um die Großmutter zu umarmen. „Das tut mir Leid, Oma, ich will versuchen, es besser zu machen und dem meinen gleich schreiben, was er mir bedeutet, damit er es nicht vergisst.“. „Ja, Liebes“ schniefte die Oma „das tu nur rasch, damit sich diese Tragödie nicht wiederholt“ und lächelte. Britta rannte nach oben, in ihre Wohnung und suchte ihr Handy.
 
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Lupin Wolf

Klaus S. - The Evil Master of Deasaster
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AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

@Julia
Kann es sein, das da noch etwas Absatzformatierung fehlt? 1:1 Copy&Paste aus Textverarbeitungen in Forenbeitrag funktioniert leider nie wirklich sauber. Und so liest es sich etwas schwer :)

Aber mal abgesehn davon, netter zweiter Teil. Auch den ersten fand ich nicht schlecht.
 

theM

Lebendige Worte
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AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

Ich finde es unglaublich. Unglaublich im positiven Sinne. Wie Mr. B schon schrieb: es kommt mir fast so vor als würde ich in den Spiegel zu meinem Sein schauen und in den Texten so unfassbar viel wieder erkennen. Vielen Dank dafür und das Du es mit uns geteilt hast.
 
M

Menelaos

AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

@ Klaus: Für dich hab ich mal versucht ein paar Absätze einzubauen :)

Und danke Martin, wie immer überschüttest du mich mit Lob, ich werd ja ganz rot :eek:
 

theM

Lebendige Worte
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AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

Ähm..wie immer?!? Vielleicht solltest Du einfach mal etwas richtig vergeigen ;), dann habe ich auch einen Grund zu meckern :cool:
 
M

Menelaos

AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

Weil ich in den letzten Monaten zwar kreativ war, und heute auch noch kreativ sein werde, muss ich zunächst die drei Teile, die ich schon geschrieben habe, anfügen :eek:

Danach.......kommt dann aber was brandneues, und wie immer: Ich freue mich auf eure Kritiken :wink:;-)



"Das Rufen der See"- Cantus Teil III

Gezeitenstrom


Es gibt Zeiten im Leben, das ist es, als sei Ebbe.
Nichts bewegt sich, alles ist trocken und grau.
Alles liegt bloß und unter den teils sengenden Strahlen der Sonne, windet sich, was du mit dir trägst. Alles verkriecht sich, buddelt sich ein, versucht so tief wie möglich vor der Unbarmherzigkeit des Lebens und seiner Hitze zu fliehen. Alles bleibt stehen, einiges verwelkt, verliert seine Brillianz und wird trüb.

Teils sammelt sich in kleinen Tümpel noch das wenige, verbliebene Wasser, doch es spendet kein Leben mehr, es wird faul, modrig, trägt den Tod schon in sich. Algen und brackige Holzteile von Pocken übersät, wie Grabsteine auf einem alten Friedhof, verkünden die Unbarmherzigkeit des Meeres, seine Gewalt Dinge fort zu reißen, sie zu zerstören und ihnen einen neuen Platz zuzuweisen.
Das Meer legt neue Spuren in den Sand und tilgt die alten, die du bewusst, wie unbewusst, auf dem Boden hinterlassen hast. Und dann fühlst du es.
Leise, ganz sanft kommt es, das Wasser. Das Meer kommt zurück, es nimmt sich, was sein ist, und du stehst dort und weisst, dass du dieses sanfte plätschern erwartet hast. In deinem Leben beginnt die Flut, das Meer mit seinen Tieren und Planzen, mit seinen Fischen und Farben kommt zurück. Alles, auch du, atmet auf!

Du warst fast wie der Boden, ausgetrocknet, hattest deine Gedanken schon in einem kleinen, schmutzigen Priel ins feuchte Grab legen wollen, als es dich rettet. Es nimmt dich bei der Hand, es benetzt deine Sinne mit Wasser, kalt und feucht, fast ein wenig zu salzig. Das Wasser spendet dir Kühle, welche so notwenig ist, um sich zu besinnen, diesen feuchten, warmen Dunst der Sonne abzuwaschen und einen frischen Gedanken zu fassen. Wo ist dein Weg, wie geht es weiter, was ist dein nächstes Ziel, wer wird dich begleiten und was wird sein, wenn du in die falsche Richtung gehst? Deine Sinne überschlagen sich nun, das Wasser trägt dir neue Gedanken und Gefühle zu, was vorher an Armut an dir nagte, spürst du nun als Reichtum und Vielfältigkeit.

Du bist erwacht aus einem Fiebertraum, das Meer hat dich von der Klippe, an der du standest, zurückgezerrt ins Leben. Das Meer hat dich gerettet, wieder einmal hat es dich im letzten Augenblick geweckt, bevor du aufgeben wolltest. Das Meer hat dir Auftrieb gegeben, hat dich angehoben, von dem Flecken, an dem du saßt und nun schwimmst du. Jede Richtung steht dir offen, es trägt dich dahin, wo du hin willst und es setzt dich dort ab, wo es deinen nächsten Bestimmungsort sieht. Denn das Meer weis, wohin die Dinge gehören, wohin die Dinge zu ziehen haben und manchmal auch, woher die die Dinge kommen.
 
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Menelaos

AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

"Das Rufen der See“-Cantus Teil IV



Klare Sicht

Wenn man, wie ich, zur See fährt oder zumindest es schonmal länger als ein paar Tage auf See verbracht hat, und segelt, so gibt es meist auf der Reise einen Punkt, an dem alles perfekt ist. Und dieser Zustand beschreibt nicht das Wetter oder die körperliche Empfindung sondern einen Gefühlszustand, bei dem alles egal und alles eins ist. Man bewegt sich vom Wind angetrieben dahin und das Rauschen der Wogen, der am Bug sanft abgedrückte Wellen, klingt wie die Suiten von Bach für den Klassik-Liebhaber und das Gitarrensolo für den Altrocker. Es ist wie ein stilles Einvernehmen mit sich und dem Schiff. Dabei ist es egal, ob es regnet, ob man nasse Füße hat, ob die Sonne scheint, ob alle Leinen an Deck nass sind oder ob man einen wärmenden Tee trinkt. Man sitzt wie in einer Seifenblase, sieht wie alles sich um einen herum bewegt und man selbst bleibt als Zuschauer stehen und lässt die Zeit vergehen.
Diese Momente kann man ehesten vergleich mit Momenten, die man mit einem geliebten Menschen verbringt. Man spricht oder schweigt zu allem und nichts, sieht die Welt vorüber eilen und bleibt sitzen, mit dem Wissen, dass man sich selbst nicht bewegen muss, dass man sich dem Fluss gerade jetzt nicht anschließen muss und zusehen kann, weil man in einem Pool aus Ruhe sitzt. So ist es beim Segeln auch. Der Moment, wo dein Handy aus ist, weil du eh kein Empfang hast, deine Socken nass sind und du im Sonnenschein an Deck liegst oder abends mit deinem Bootsmann ein Bier zum anlegen trinkst. Das sind diese Momente der Ruhe, des einfachen dahin Lebens.
Man stellt fest, dass man nichts anderes braucht, dass manchmal das Wenigste das Größte ist und man genügsam den nächsten Tag angeht, wenn er da ist. Man lebt den Augenblick, man hat keine Eile und man hat scheinbar ein Überangebot an Geduld. Man möchte, dass der Moment ewig währt und gleichzeitig wird er kostbar durch seine Vergänglichkeit. Man schließt diesen Moment ein, wie ein Foto, eine Empfindung oder ein Gefühl und behält sie, wie eine seltene Postkarte oder ein Andenken und holt es hervor, wenn der Tag trüb, der Alltag grau und die Stimmung schwer ist. Man ruft sich diese Erinnerung ins Gedächtnis, kann mit dem schließen der Augen wieder genau dort sein, an dem Ort, an dem Zeit und Raum eins waren und man einfach nur glücklich war.
 
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Menelaos

AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

"Das Rufen der See"- Cantus Teil V



Lux Eternia – Das ewige Licht


Ich stehe am Fenster. Ich blicke auf ein Meer aus Lichtern, teilweise blinken sie im Gleichtakt, teilweise leuchten sie wirr durcheinander und scheinen ineinander zu verschwimmen, bilden Herden aus blinkenden Funken, die sich dann schnell wieder auflösen und in alle Richtungen davon wabern.
An mein Ohr dringt das gleichmäßige Brummen und Stampfen eines großen Schiffes, welches sich scheinbar mit Mühe einen Weg durch die badenwannengroßen Becken bahnt, während an Land sich einen Horde hungriger Lichter am Beckenrand sammelt, um mit hektischem Flackern seine Anwesenheit kund zu tun. Es sind zumeist gelbe Lichter, die sich der Fracht des Schiffes bemächtigen und im Hintergrund der gegenüberliegenden Uferseite verschwinden und mit leeren Händen wieder zu kommen scheinen.

Während ich so dem hektischen Treiben auf der anderen Uferseite zusehe, gleitet ein weiteres Schiff durch mein Blickfeld, reiht sich ein in das Meer aus Lichtern, welches sich vor meinen Augen tummelt und taucht darin unter, verschwimmt mit dem Hintergrund und wird Eins mit dem Uhrwerk aus Kommen und Gehen, welches ich staunend betrachte.
Die heutige Nacht ist dunkel und milchig, kein Stern lässt sich blicken und der Himmel scheint dunstig zu sein, vom Nebel, der sich in diesen Nächten noch übers Land legt, wie der letzte Schleier des Winters, bevor der Frühling Einzug hält.
Plötzlich spüre ich deinen Atem auf meiner Haut, er kitzelt mich im Nacken, wie auch der Saum deines Pullovers mich streift. Sanft legt sich dein Arm um mich und so blicken wir gemeinsam im die Nacht hinaus, aus dem Fenster auf das Lichtermeer hinter der Glasscheibe.
Wir blicken auf das bunte Treiben aus Farben und jeder sinniert so vor sich hin. Dieser Moment, in dem wir dort stehen, scheint ewig zu sein. Ich nehme deinen Atem nicht mehr wahr, ich spüre nur noch die Wärme deiner Hände und dein Gesicht auf meiner Schulter.
Ich frage mich, was du wohl denkst, was dir durch den Sinn geht, während das große Schiff langsam an uns vorbei gen Meer stampft und seinem nächsten Bestimmungsort entgegen gleitet.
Deine Hand sucht die meinige und dann weis ich es, was du denkst.
Ich weis, was dich umtreibt und ich lächele still in mich hinein.
Dann ist es fort und wir sehen nur wieder die Lichter. Ich ziehe deinen Arm noch enger um mich und mein Kopf neigt sich langsam dem deinen zu. Und so stehen wir da, und es scheint so, als würden für diese Nacht alle Lichter nur für uns leuchten.
 

PeBu34

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AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

Hallo Julia,

ich hab mir gerade erstmal den ersten Teil durchgelesen und der war so intensiv, dass ich jetzt eine Pause brauche. Du hast mich schon mit dem ersten Satz komplett in deine "Geschichte" hineingezogen! (Eine Geschichte ist es ja nicht wirklich, eher die Beschreibung einer Sehnsucht und der Kampf darum, ihr wieder nachgeben zu können.)

Ich finde, dass der Text nur an der Stelle etwas von seiner Spannung verliert, an der du sagst, dass man auch mit anderen Leuten oder eben alleine "dorthin" gehen kann. (Worum es geht, ist ja an dieser Stelle -abgesehen von der Überschrift - noch nicht klar. Es könnte auch um die Sehnsucht nach einem geliebten Menschen gehen.) Ein bis zwei Sätze nach dieser Stelle, hast du die Spannung wieder komplett aufgebaut und bis zum Schluss gehalten.

Herzlichen Dank für einen tollen Text!

Alles Gute und liebe Grüße von

Peter :)
 
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Menelaos

AW: [Sonstiges] Das Rufen der See

Und nun das heutige Werk. Ich hoffe es gefällt :rolleyes:


„Das Rufen der See“- Cantus Teil VI


(Ohr)Muschelrauschen


Ich liege wach. Ich schaue verschlafen auf die Uhr, und sie flüstert mir mit leisem Ticken zu, dass es halb zwei ist. In meinem Kopf summt eine Stimme immer noch die gleich Melodie, mit der ich eingeschlafen bin. Ich höre einen Rhythmus, der weder außergewöhnlich noch speziell ist, ich höre eine Stimme, von der ihr Besitzer nur selten in der Form gebrauch macht, und ich höre Klänge eines Instrumentes, welche sich unerkannt aber eindringlich in mein Hirn gebrannt haben.
Ich lausche, wie zur Ablenkung, zum offenen Fenster, in der Hoffnung von anderen Geräuschen, die meinen Ohrwurm vertreiben, eingenommen zu werden, aber die Nacht bietet mir keinen Laut an, der mich meiner Endlosschleife entkommen lässt.
Trübsinnig starre ich ins Dunkel und ein Rascheln kündigt an, dass sich einer meiner flauschigen Mitbewohner gerade auf meiner Bettdecke zur Ruhe gebettet hat und auch dieser in der nächsten halben Stunde in das gleichmäßige, von mir inzwischen dauerhaft vernachlässigte Schnarchen innerhalb meines Schlafzimmers einstimmen wird.
Ich stehe auf, trete auf den Balkon und schaue in die Nacht. Ich stelle fest, dass es nicht mehr ganz Nacht ist, sondern der Tag sich ganz langsam am Horizont schon anschickt das tiefe Dunkelblau der Nacht zu vertreiben. Die Nachbarschaft ist still, nicht ein einziges Auto ist auf der Straße und auch keine Menschenseele streift über die Bordsteine einer sicheren Behausung entgegen. Da keiner mich hören wird, geselle ich mich zur summenden Stimme in meinem Kopf und folge ihr den Noten im meinem Kopf entlang, der Melodie die sich in meinem Kopf festgesetzt hat,
mehrmals.
Es fühlt sich an, als striche ich über ein altes Holzgeländer, welches von zahlreichen Händen im laufe seines langen Lebens glattgeschmirgelt wurde. Es fühlt sich nicht mehr an wie Holz, obwohl man sofort spürt, dass es Holz IST. Die Hände vermitteln einem die organische Wärme des Holzes und die unwirkliche Ebenheit des Geländers, und man stutzt.
Dieses Gefühl lässt mich nicht los!
Während ich da so auf meinem Balkon stehe und summe, und mich frage, welches Gefühl mich da besetzt hält, fühle ich etwas weiches an meinen Beinen entlangstreichen. Ein leises Mauen verrät mir, dass auch mein kleiner Kater festgestellt hat, dass ich nicht mehr im Bett liege und nun der Meinung ist, dass ich ihm jetzt sofort eine Kuscheleinheit zukommen lassen sollte. Mit einem feinen Lächeln füge ich mich in mein Schicksal. Ich warte auf das Kaninchen, welches gleich mit einer Uhr in der Pfote aus einem der Maulwurfshügel springen wird, oder darauf, dass mein Kater mich genervt auffordert, ihn an anderer Stelle weiter zu kraulen, so wie man es zu solchen Nachtzeiten erwartet. Man erwartet das Übersinnliche, das Unglaubliche und ich warte noch eine Weile, doch es geschieht nichts. Während zu meinen Füßen mein Kater nun schnurrend sich wieder dem Traumland nähert, knie ich immer noch mit der Melodie in meinem Kopf auf meinem Balkon. Inzwischen ist es sicher nach zwei Uhr und ich danke mir innerlich, dass ich am nächsten Morgen nicht zum Frühdienst zur Arbeit muss. Dennoch kehre ich zum Ausgangspunkt meiner Frage zurück.....was für ein Gefühl hatte mich da befallen?
Ich komme zu keinem Ergebnis, ich mache mir kurz Sorgen, dass es gefährlich werden kann, aber dann schüttele ich den Kopf. Nein, sicher nicht. Musik kann einem nur in der Hinsicht gefährlich werden, als das sie einem den Spiegel vorhält, für Dinge, die wir nicht selbst anerkennen wollen.....ich seufze. Ich hebe meinen schlafenden Kater auf, trage ihn zu meinem Bett und lege mich dann wieder hin. Die Melodie spielt immer noch in meinem Kopf, wie eine Spieluhr die ich nicht ständig wieder aufziehen muss, was meiner Meinung auch was Gutes hat. Das war mein letzter klarer Gedanke, bevor auch ich mich wieder dem Traumland nähere. Mein vorletzter war, dass ich Geduld brauchen würde, was die Melodie mir wohl würde preisgeben wollte.....ich würde mit Spannung darauf warten.
 
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