Dr. Armitage

Mitglied
Ich arbeite ja gerade an meinem ersten Hörspielskript. Beim Lesen der ersten paar Seiten ist mir aufgefallen, dass meine Dialoge nicht so klingen, wie ich sie gerne hätte (das klingt alles sehr nach "Schriftsprache, wenn ihr versteht, was ich meine). Hättet ihr vielleicht irgendwelche Tipps, wie man Dialoge natürlicher hinbekommt? Wäre für jede Hilfe dankbar.
 
Y

Yüksel

AW: Natürliche Dialoge

Interessante Frage, die mich auch beschäftigt, wenn auch eher vom Klang her.
Meiner Meinung nach gibts da mehrere Faktoren, damit das natürlich klingt:
- Räspern
- Satzbau muß zur Person passen, "schlichtere" Menschen sprechen nicht mit geschachtelten Nebensätzen
- überhaupt wird in einem Dialog m.E. nicht soooo extrem komplexer Satzbau genutzt
- in echten Gesprächen kommen Fehler vor
- Sätze werden evtl. nicht zuende gesprochen
- es kann vorkommen, daß man einen Satz anfängt, abbricht, neu anfängt

also kurz und gut: Ich bin der Meinung, daß gerade kleine Fehler einen Dialog natürlich machen. An zweiter Stelle finde ich es wichtig, daß Satzbau und Sprache zur Person passen, und die Gesprächspartner eben nicht identisch sprechen.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

Kolibri

Hannah
Sprechprobe
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AW: Natürliche Dialoge

Also ich kann da nur aus persönlicher Sicht sprechen und dir schreiben was mir geholfen hat:
Zum einen Mal sprich die Dialoge laut nach, vielleicht auch mit einer anderen Person mit verteilten Rollen.
Chaos und ich haben ein Hörspiel zusammen geschrieben und eigentlich immer versucht das nach dem Schreiben immer die Szene am Ende nochmal durchzuspielen und zu schauen wo das ganze unecht klingt.

Denk nicht zu viel darüber nach wie du schreibst, und "spiele" sozusagen hier schon. Wie würdest du im Alltag reagieren? Was wäre deine spontane Reaktion? Denk und schreib als wärst du die einzelnen Personen.

Ich weiß nicht ob das dir so viel weiterhilft.. :eek: aber ich glaube das sind so die Tipps die ich dir geben kann :)

EDIT: Also Jan und ich haben irgendwie verschiedene Lösungsansätze, aber schau einfach was DIR persönlich am besten liegt. :)
 
Y

Yüksel

AW: Natürliche Dialoge

Klar sind die Ansätz verschieden, aber sie schließen sich nicht aus, im Gegenteil. Ich würde eher sagen, daß sie sich Kolibris und mein Ansatz ergänzen.
Was m.E. auch hilft, ist, die Dialoge laut zu lesen, also wirklich eine Stimme zu hören, auch wenns die eigene ist.
 

Marco

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Teammitglied
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AW: Natürliche Dialoge

Nun.....schreibe so wie Du sprichst. Gib möglichst schon an, wie der Satz gesprochen werden soll.

Bsp.:
(leise am Ohr flüsternd) "(kurzes stilles Auflachen) Haben wir Dich jetzt endlich, du Verräter!)

oder: (sehr laut,triumphirend mit einem lauten Lachen am Anfang) "Haben wir dich endlich, du Verräter"

Und dann schreibe so, wie man natürlich spricht. Versetze Dich in die Rolle und überlege, wie Du in dieser Situation sprechen würdest.
Dann lege Dein Skript weg und lese es in ein paar Tagen noch einmal. Wenn es dann stimmig ist, lass es, ansonsten fallen dir schon die Stolpersteine auf, die du jetzt korrigieren kannst.
Du wirst Dein Skriot noch öfter korrigieren müssen *lächel*.
 

Nee

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AW: Natürliche Dialoge

Gute Tipps. :)
Eins möchte ich noch ergänzen:
Perfekt statt Imperfekt. Perfekt klingt natürlich.

Beispiel:
"Du Elvira, ich saß neulich beim Fred auf der Veranda, da ..."
"Du Elvira, ich hab da neulich beim Fred auf der Veranda gesessen, da ..."
 

Dagmar

I'm not weird, I'm gifted
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AW: Natürliche Dialoge

* sprich deine Dialoge laut, überleg dir wie du sie sagen würdest und schreib sie dann so hin.
* Normale Menschen in normalen Alltagssituationen bauen selten Sätze mit mehr als einem Nebensatz.
* Mut zur Umgangssprache. "Hab statt habe, nix statt nichts, Komm ma runter statt beruhige dich etc.
* Auch wenn es für manche Dinge ein exakt passendes Wort gibt: der Bettler vorm Dom kennt das Fremdwort höchstwahrscheinlich nicht ;) Der Wissenschaftler hingegen u.U. schon.
* Oft beinhalten "echte" Dialoge auch Infos, die überflüssig sind. Leute necken sich zwischendrin, reden nicht nur über das was grad wichtig ist, etc. (A: "Wir gehen jetzt die Mutter des Opfers nochmal ausquetschen" B (murmelt in seinen Bart): "Ausquetschen... warum nur nehm ich das bei dir wörtlich?" A: "wie bitte?" B: "oooch, nix..."
* Je brenzliger die SItuation, desto kürzer die Sätze.
Charakter 1: "Ich glaube die Bombe ist mit zwei unterschiedlich farbig markierten Drähten an den Torso gekoppelt, dessen Zünder unter Umständen aktiviert wird, wenn wir den falschen Draht aus der Verankerung lösen"
Charakter 2: "das habe ich nicht ganz verstanden"
Charakter 1: "Da sind 2 Kabel, wenn ich das falsche ziehe explodiert die Bombe. Also, welches soll ich rausziehen?"
Charakter 2: "Ich habe echt keine Ahnung von Bomben, mich darfst du nicht fragen... vielleicht das rote? oder doch das blaue? Kannst du das nicht entscheiden? Ohje, wir haben nur noch 5 Sekunden übrig..."
würde also vermutlich natürlich eher so aussehen:
Charakter 1 (hysterisch): "rot oder blau?"
Charakter 2: "was?"
Charakter 1: "ROT ODER BLAU????
Charakter 2: "fuck...ich... FUCK!"
Charakter 1: "scheiß drauf..." (man hört wie ein Kabel gezogen wird)

Nicht zuletzt entsteht Natürlichkeit auch durch den Sprecher - durch verschieben von Satzpausen, Atmen an "seltsamen" Stellen, Schniefen, Räuspern, Verzögern usw.
 

Woundwort

Aaron Cutter
AW: Natürliche Dialoge

Achte darauf, dass der Sprachstil der Charaktere zu ihnen passt. Normalerweise entwirft man seine Charaktere, bevor man anfängt zu schreiben, dabei kannst du dir auch einen passenden Sprachstil ausdenken. Z.B. kann jemand immer nur sehr kurz Antworten oder immer die gleichen Phrasen verwenden. Außerdem solltest du darauf achten, ob es z.B. ein Machtgefälle gibt zwischen den Dialogführenden (z.B. Chef und Angestellter). Auch wichtig ist, wie die Charaktere zueinander stehen. Kennen sie sich kaum, mögen oder hassen sie sich.
 
Y

Yüksel

AW: Natürliche Dialoge

Stimmt, Woundwort spricht eines meiner Liblingsthemen an: Status! Personen haben in Gesprächen einen bestimmten Status oder eine Hierarchie zueinander. Dieser Status muß sich je nach Situation mehr oder weniger deutlich im Dialog niederschlagen. Und ganz wichtig: Er darf normalerweise nicht wechseln! Eine berufliche Hierarchie wird sich im Laufe des Gesprächs sehr wahrscheinlich nicht ändern, noch stärker kann so eine Hierarchie z.B. innerhalb einer Gang sein. Auch hier wird sich die Hierarchie innerhalb eines Gespräches nicht ändern.
 

OldNick

Mitglied
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AW: Natürliche Dialoge

Wenn ich merke, dass Dialoge nicht funktionieren, hölzern klingen, etc. dann liegt diesem Problem in der Regel eher mein mangelndes Verständnis für die Dynamik der Szene bzw. vielleicht sogar des ganzen Plots zugrunde. Deshalb werfe ich hier mal ein paar Gedanken dazu ein, die nicht unmittelbar mit Deiner Frage zusammenhängen.

Die meisten Dialoge und Dialogsituationen sind unnatürlich. Ein gewöhnliches, natürliches Gespräch hat in aller Regel wenig innere Dynamik.
Schau´ Dir z.B. die erste Szene der Serie «The Newsroom» an. Unsere Hauptfigur Will McAvoy hält hier im Rahmen einer politischen Talkshow einen langen Monolog darüber, weshalb er nicht glaubt, dass die USA die großartigste Nation auf der Welt seien, dass sie es aber sein könnten, wenn man tiefgreifende Veränderungen vornimmt. Dieser Monolog - in all seinem Pathos - entspricht dem, wofür der Schöpfer der Serie, Aaron Sorkin, bekannt ist. In realiter wäre der bekannte Talkshowhopper Arnulf Baring in einer Sendung wie Maischberger wohl kaum dazu gekommen, einen solchen Monolog auszuführen, wenn er ihn denn überhaupt aus dem Kopf heraus hätte stricken können.
Was Will McAvoy, der in dieser Szene einen Hinweis von seiner Exfrau aus dem Publikum bekommt, aber eigentlich mit seinem Monolog tut, ist, seinen Wunsch nach eigener innerer Veränderung zu beschreiben. So hält er in diesem Moment seine Exfrau im Publikum, die er immer noch liebt, für eine Illusion, aus der heraus er sich wünscht, wieder «der Alte» zu sein. Namentlich ein investigativer, bissiger Journalist, der eigene Ideale und das Bestreben hat, «richtige» Nachrichten zu machen, und nicht den zynischen Boulevarddreck, für den ihn zur Zeit die Sponsoren lieben. Diese Veränderung wird sich auch im Laufe der ersten Folge vollziehen.
Der «Monolog» illustriert die Ansichten und Wertungen des Protagonisten, macht von Anfang an deutlich, wo er steht und welche Konflikte in ihm selbst arbeiten. Ganz subtil, denn eigentlich redet er ja nur über Amerika. Er ist ganz und gar nicht natürlich, aber das stört kein bißchen, denn wir schauen uns schließlich ein Drama an. Jede fiktionale Geschichte ist in erster Linie ein Drama - Natürlichkeit hat da in meinen Augen nicht viel verloren.
(Hier ein Link zu der angesprochenen Szene: http://www.youtube.com/watch?v=1zqOYBabXmA ).

Wenn Du weißt, wer Deine Hauptfigur ist, was sie will oder glaubt zu wollen, dann bist Du in einer Szene auf dem richtigen Weg. Normale Alltagsgespräche leben nicht vom Konflikt - aber Konflikte sind das Hauptthema in einem Drama. In Deutschland scheint man Dramen nicht wirklich zu mögen, jedenfalls sind die Dialoge in einschlägigen Krimiserien (Soko Bösensell oder so) furchtbar tatsachenorientiert. Da ist der Tote, da ist die Tatwaffe - dann ist er der Mörder. Das sind keine wirklichen Dramen, wohingegen alle amerikanischen Krimiserien mittlerweile genau solche Elemente haben.
Einer der wichtigsten Grundpfeiler des Schreibens überhaupt - «zeigen, nicht erzählen» - spielt gerade im Dialog eine große Rolle.
Hier ein eher ungutes Beispiel (wegen der Formatierung als Bilddateien eingefügt):
falsch-1.jpg falsch-2.jpg



In diesem Beispiel erzählen uns die Figuren etwas über ihr Innenleben, breiten sich also in aller Ausführlichkeit aus. Aus ursprünglichen Emotionen werden wiedergegebene Fakten - wie in den bekannten Krimis («schau´ ma, Pedder, das is´ die Leiche» - «oh, wow, dann is´ dett die Tatwaffe, wa?» - «joa, und dann is´ der da der Mörder!»). Das Resultat ist ein absoluter Leerlauf. An dem Punkt, da alles ausgebreitet ist, ist die Luft `raus. Man kann sich jetzt noch ein bißchen über das Scheißleben ergehen, aber sofern kein anderer Konflikt zugrunde liegt, kann man die Szene in die Tonne kloppen. Hier mal ein weiterer etwas (!) komplexerer Versuch:

Besser-1.jpg Besser-2.jpg


Während der Herr, den ich hier «Gerd» genannt habe, immer noch relativ straight forward ängstlich und torschußpanisch drauf ist, und selbst die Kritik ob des Blumengestecks auf sich selbst bezieht, ist «Irene» dadurch um einiges komplexer geworden. Die Angst, die sie vorher nur beschrieben (von der sie erzählt hat) kann nun zu einer Furcht vor der Welt als solche gedeutet werden. Einer Welt, in der man allen Leuten nur vor den Kopf guckt, außer natürlich dem eigenen Gatten, der einen vor den betrunkenen Halunken, die Böses im Schilde führen, beschützt hat. Wenn Gerd in seiner Situation ganz deutlich irgendeine Form von partnerschaftlicher Bestätigung sucht, dann ist sie auf der Suche nach genau diesem abhanden gekommenen Schutz vor der bösartigen Welt.
Aus diesen auseinandergehenden Interessen entsteht schon auf Anhieb ein gewisser Konflikt, den man ab hier relativ mühelos fortsetzen könnte. Und zumindest in Irene hat man bereits jetzt eine recht komplexe Protagonistin, deren Aktionen unberechenbar sind.
Wir haben die ursprüngliche Charakterbeschreibung nicht geändert, sondern nur die Perspektive gewechselt, indem wir innere Stimmungen erlebbar machen, sie nicht mehr nur beschreiben. Das ist gerade in einem Hörspiel sehr wichtig, da der Dialog das einzige Medium ist. Nur spielt es hier eine untergeordnete Rolle, ob und inwieweit der Dialog natürlichen Maßstäben entspricht, sondern ob er die Komplexität eines Charakters erfaßt.


Manchmal hilft es auch, sich einfach in einer Geschichte treiben zu lassen. Du kannst z.B. nicht erwarten, dass Dir diverse (und sicherlich auch zum Teil sehr gute) Fragebögen und Steckbriefe helfen, mit einem abgerundeten Charakter aus dem Gebüsch zu kommen. Die erste Frage, die ich mir bei meinen Charakteren immer stelle (und danach kommen erst die Fragebögen), ist, was ihn am tiefsten und nachhaltigsten verletzen und in seinen Grundfesten erschüttern würde. Wenn man diese Frage beantworten kann, ist man bereits so tief vorgedrungen, dass es etwas leichter wird, ein genaueres Bild von dem Charakter zu formen.

Je deutlicher Dir der dramatische Konflikt in einer Szene selbst bewußt ist, desto besser fließt sie Dir auch von der Hand. Darauf solltest Du dann Dein Augenmerk legen, und alle überflüssigen Dialogteile später `rausstreichen. Ein «natürlicher» Dialog wäre voll von Ballaststoffen, und die sind nur ein wichtiger Baustein für die gesunde Ernährung, aber nicht fürs Drama. Gib´ Deinen Kopfkindern die Gelegenheit, sich zu positionieren und bringe gleichzeitig ihre ganzen inneren und äußeren Konflikte ans Licht, die entweder ein Thema des gesamten Hörspiels oder nur dieser Szene sind. Dann bist Du m.E. auf einem guten Weg.

Auch, wenn´s kein gutes Dialogbeispiel ist, fällt mir spontan die wunderbare Szene aus «Breaking Bad» ein, in der Walter White eine Fliege jagt, die sein Labor kontaminiert. Das ist ein wunderbares Motiv, das im Prinzip stellvertretend für die gesamte Persönlichkeit steht. Die Kontamination von außen nach innen (Krebs und Konkurrenten, die ihn vereinnahmen) und sein Kampf darum, die Kontrolle zu behalten. Eine solche Szene entsteht, wenn man weiß, mit wem man es zu tun hat, welcher Art die Konflikte sind - und dann erschließt sich auch ein Dialog, der zumindest für die Person selbst «natürlich» ist.

Kurzum: Wenn Du Dir im Klaren darüber bist, wer 1.) Dein Charakter ist (dafür kannst Du auch ruhig erst mal eine Fassung schreiben oder ein paar erste Szenen, damit es Dir selbst deutlicher wird), 2.) worum es in der Szene geht, d.h., was der dramatische Konflikt ist, und Dir dabei 3.) das «große Bild» des allgemeinen Plots bewußt ist, dann kannst Du Dir m.E. immer noch über die Richtigkeit einzelner Formulierungen Gedanken machen. Ich glaube, das Wichtigste ist, sicherzustellen, dass Du so präzise wie möglich weißt, was Du schreiben willst, welche und wessen Geschichte Du erzählen möchtest. Manchmal dauert es bei mir sogar mehrere Fassungen und Plotüberarbeitungen, bis ich auch nur eine Ahnung davon habe, deshalb solltest Du den Mut nicht verlieren, sondern Dich einfach von Deinen Charakteren treiben lassen und sie näher kennenlernen, um ihnen dann zusammen mit ihrer eigenen Komplexität auch einen individuellen Ausdruck zu verleihen. Hoffe, dass das als Ergänzung auch noch etwas hilft. Viel Spaß und Erfolg beim Schreiben!
 

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pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
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AW: Natürliche Dialoge

Kurzum: Wenn Du Dir im Klaren darüber bist, wer 1.) Dein Charakter ist (dafür kannst Du auch ruhig erst mal eine Fassung schreiben oder ein paar erste Szenen, damit es Dir selbst deutlicher wird), 2.) worum es in der Szene geht, d.h., was der dramatische Konflikt ist, und Dir dabei 3.) das «große Bild» des allgemeinen Plots bewußt ist, dann kannst Du Dir m.E. immer noch über die Richtigkeit einzelner Formulierungen Gedanken machen. Ich glaube, das Wichtigste ist, sicherzustellen, dass Du so präzise wie möglich weißt, was Du schreiben willst, welche und wessen Geschichte Du erzählen möchtest. Manchmal dauert es bei mir sogar mehrere Fassungen und Plotüberarbeitungen, bis ich auch nur eine Ahnung davon habe, deshalb solltest Du den Mut nicht verlieren, sondern Dich einfach von Deinen Charakteren treiben lassen und sie näher kennenlernen, um ihnen dann zusammen mit ihrer eigenen Komplexität auch einen individuellen Ausdruck zu verleihen.

DAS bringt es auf den Punkt.....:thumbsup:
 

Paul

Wertentwender
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AW: Natürliche Dialoge

Dazu habe ich auch etwas in den Spript FAQ geschrieben. Auch das "Haus-Modell" dürfte in diesem Rahmen für dich interessant sein. :laechel:
 

Frederic Brake

Berufspessimist
AW: Natürliche Dialoge

OldNicks Ausführungen ist nichts hinzuzufügen. D.H.: Du musst dich möglichst intensiv mit deinen Charakteren beschäftigen. Nur dann sind die Dialoge auch "lebendig". Handwerklicher Tipp: Wenn du einen Satz unterbrechen lässt, also Person A redet PErson B dazwischen, dann beachte bitte, dass solche Unterbrechungen immer im fortlaufenden Satz sind.
Beispiel:
A: Ich sage ja nicht, dass wir nicht ins ...
B: Haus wollen, genau.
B führt den Satz für A zuende. Das ist aber nicht, was im echten Dialog passiert. Dort ist es eher so:

A: Ich sage ja nicht, dass wir nicht ins Hau...
B: Haus wollen, genau.

Oder so ähnlich. Ist jetzt ein schnell gestricktes Beispiel.

In dem von Paul angesprochenen Hausmodell stehen Fragen zur Charakterentwicklung. Denen möchte ich noch ein paar hinzufügen, die den Charakter dir als Autor noch näher bringen:
-Wie riecht der Charakter?
-Isst er mit offenem Mund?
-Würde er einer Oma über die Strasse helfen?
-Einem Kind den Lutscher wegnehmen?
-Welche politische Überzeugung hat er?
-Würdest du einen Abend mit ihm verbringen wollen?
-Eine Nacht?
-...
 

Masterofclay

Marco Rosenberg
Sprechprobe
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AW: Natürliche Dialoge

Ich habe mal in einem Autoreninterview gelesen, dass ein Dialog eigentlich aus zwei parallelen Monologen besteht. Beide Personen haben eine eigene "Agenda", wollen ihre Sicht zu einem Thema erläutern (oder reden sogar über zwei unterschiedliche Themen), werden dabei aber vom Gegenüber unterbrochen. Ich glaube das ist es auch, was gut geschriebene Dialoge natürlich erscheinen lässt.

Dazu kommt noch, dass durch jede Bemerkung des Gegenüber Assoziationen in meinem Kopf entstehen. Das kann sogar so weit gehen, dass mir ein Gedanke zu einem komplett anderen Thema kommt. Je nach Charakter und Situation lässt man diesen Gedanken dann dem Hauptgesprächsthema zuliebe sausen, behält ihn im Hinterkopf und versucht ihn später im Gespräch an passender Stelle einzubauen, oder - das passiert z.B. bei unorganisierten, chaotischen Menschen - erwähnt diesen neuen Gedanken mitten im Gespräch, obwohl er gerade überhaupt nicht zum Thema passt (aus Angst, ihn sonst wieder zu vergessen). Piet Klocke schafft das ja sogar im Monolog. ;)
 

OldNick

Mitglied
Sprechprobe
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AW: Natürliche Dialoge

Das Hausmodell gefällt mir auch sehr gut, das habt Ihr prima erarbeitet!
Laßt mich nur eines dazu ergänzen (und darauf wollte ich hinaus mit meiner Anmerkung zu Fragebögen) - ich würde aufpassen, dass ich nicht zu stark in Richtung einer akademischen Sozialstudie tendiere, in deren Rahmen ich äußere Umstände gruppiere und die dann viel zu stark auf innere Zusammenhänge beziehe. Anders ausgedrückt: Ich bin nicht in erster Linie das geformte Produkt der Zeit, in der ich geboren wurde, meines sozialen Umfelds oder meiner schulischen Laufbahn. Diese äußeren Informationen allein sagen noch sehr wenig über innere Vorgänge. Auch prägende Erlebnisse sind äußere Vorgänge, die nicht zwingend zu einer Erklärung meiner Reaktion darauf führen. Wenn meine Eltern ermordet worden sind, so kann ich dies auf ganz unterschiedliche Weise aufnehmen. (Falls Ihr «Léon - der Profi» kennt, erinnert Euch an die ausgeruhte Reaktion von Mathilda auf die Mitteilung, dass ihre Eltern erschossen wurden).
Ein Kind, das bsplw. wenig emotionale Zuwendung erhalten hat, und nie wirklich geliebt wurde, kann eine Rangelei auf dem Feld mit einem anderen Jungen als tiefgreifende Ablehnung empfinden. Nahezu als ein Symbol dafür, nicht gewollt zu sein. Dieselbe Person kann, um es mal ganz zu überspitzen, später im College aufgrund des Körperbaus versuchen, als Defensive Tackle Football zu spielen, und plötzlich das Herumgeschubstwerden des Gegners als Akt der persönlichen Abwertung erleben.

Kinder sind mit den lapidarsten Dingen zu verletzen. Bedauerlicherweise hat das einen großen Einfluß auf unsere Persönlichkeit. Viel mehr noch als die Frage nach dem sozialen Umfeld. Wenn man geliebt wird, ist die Statusfrage nämlich in aller Regel hinfällig.
Die Frage ist also m.E. weniger, «welche» Kontakte und Begegnungen (auch mit Objekten!) Eindrücke hinterlassen, sondern was diese Eindrücke hervorruft und zu welchem Selbstbild sie führen.

Für mich persönlich funktioniert der Weg von innen nach außen besser, als es umgekehrt anzugehen. Wenn ich z.B. weiß, dass mein Charakter größte Furcht vor dem Verlust des Augenlichts hat, dann kann ich immer noch Erklärungen dafür finden, die sowohl auf äußeren wie inneren Mechanismen beruhen. Für mich steht - gerade am Anfang einer Charakterentwicklung - die eigene emotionale Realität im Vordergrund.
Z.B. kann eine Entscheidung aus Sicht des Umfeldes vollkommen falsch, für den Charakter selbst aber goldrichtig sein. Die Bewertung durch andere Charaktere steht bei mir an letzter Stelle einer solchen Entwicklung. Vielmehr erarbeite ich mir erstmal ein Gefühl für die emotionalen Verstrickungen des Protagonisten.

Frederics ergänzende Fragen führen auch schon auf einen guten Weg, wenn man an den Plot denkt. Die Beantwortung der Frage, ob sich der Charakter auch gegenüber eines Kindes einen Vorteil erschleichen würde, zeigt letztlich auch, wie er sich in Extremsituationen entscheidet. Ob er z.B. gefährdete Menschen rettet, oder sich lieber selbst als erstes in Sicherheit bringt.

Unabhängig davon, womit Du arbeitest - es sollte Dich emotional mit Deinem Charakter verbinden. Wir sind keine Ärzte und führen hier auch keine soziologische Studie durch - wir sollen unsere Figuren nicht sezieren, sondern eine Verständnisebene für sie entwickeln. Deswegen mein Vorschlag, das im Hinterkopf zu behalten, wenn man mit Fragebögen arbeitet.
 
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