AW: "Kassettenkinder"
Hallo,
hier mal meine Meinung
Wenn ich die Aussage
hier richtig interpretiere, ist Deutschland das Land wo die meisten Hörspiele verkauft werden.
In so fern, würde ich nicht gleich eine Krise heraufbeschwören.
Hörspiele produzieren ist sehr aufwendig, Hörbücher produzieren ist im Vergleich dazu einfach und vor allem billig.
Der angebliche Hörspielboom war meiner Meinung nach eher ein Hörbuchboom. Und auch die jetzt einsetzende ökonomische Ernüchterung. Ich vermute mal, für ein kleines Label -was beides macht - schlägt das aber auch sehr zu Buche.
Wer macht denn überhaupt Hörspiele?
Meiner Meinung nach, gibt es vier Gruppen von Hörspielproduzenten.
Rundfunkanstalten
Hier werden viele Hörspiele produziert und der Vertriebsweg ist mehr oder weniger gleich mit eingebaut.
Durch den Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hat man hier auch viele Kunsthörspiele ars acoustica. Das Spektrum reicht also von einem Radio Tatortkrimi bis hin zu Kunsthörspiele. Man hat also eigentlich eine große Genreauswahl. Die aber auch nicht immer jedermanns Geschmack ist.
Ein Innovationspotenzial in Bezug auf Hörspiel ist meiner Meinung nach vorhanden, aber durch Senderstrukturen (Stoffauswahl usw.) und die Finanzierung aus der öffentlichen Hand, würde ich da für die Zukunft nicht zuviel erwarten.
Beispiel
Radiotatort. Diese Hörspiele klingen technisch gut, betreten aber in Bezug auf - wie animiere ich den Hörer zum Kopfkino- selten innovative Wege. Geht mir zumindest so.
In Bezug auf Vertriebswege finde ich, machen die Rundfunkanstalten zur Zeit einen interessanten Spagat. Sie haben den Vorteil das doch viele Leute Radio über Internetstreams hören. Auf den Webseiten findet man dementsprechend regelmäßig Werbung für Hörspiel X und Y. Manchmal darf man es auch downloaden. Aber immer nur für einen kurzen Zeitraum.
Übrigends wo die Rundfunkanstalten m.M. bisher ungeschlagen sind, sind die dem Hörspiel verwandten Features. Hier scheint es bei Labeln keinen Bedarf zu geben oder sie sehen den nicht bei den Käufern. Im Film Bereich gibt es im Gegensatz dazu doch eher viele Dokumentationen zu kaufen.
Große Labels
Dann gibt es die großen Hörspiellabels (z.B. Europa=Sony Music, Lübbe Audio, etc. pp) . Hier steht oft ein großer Verlag dahinter, der entsprechend Geld bereitstellt aber auch Einnahmen will.
Hier wird nach einer gut laufenden Serien gesucht und dann produziert. Bei Nichterfolg wird die Serie eingestellt. Pech für die Fans. Meiner Meinung nach, wird hier selten von der Schablone "Das war schon Erfolgreich" abgewichen. Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass hier auch eher ein Hörbücher produziert werden als Hörspiele. Damit ist halt mehr Geld, bei weniger Aufwand zu machen.
Das Innovationspotenzial in Bezug auf Hörspiel würde ich eher gering einschätzen. Die Stoffauswahl ist auf das was man schon kennt beschränkt.
kleine Labels
Die kleinen Hörspiellabels haben es meiner Meinung nach am schwersten. Um hier wirtschaftlich zu arbeiten, braucht man eine sehr gut laufende Serie. Dass das selbst im Falle von Lausch nicht gegeben ist, kann man ja dem Interview entnehmen.
Das Innovationpotential sehe ich hier als hoch an. Vor allem in Bezug auf wie setze ich die Szene am besten um - Kopfkino. Da entwickeln sich teilweise andere Hörinterpretationen.
Aber es besteht auch die Pleitegefahr der Labels. Die Stoffauswahl weicht in einigen Fällen vom Mainstream ab, allerdings wird in anderen Fällen auch versucht auf den Mainstream aufzuspringen (z.B. Hellboy VÖ zeitgleich mit Film).
freie Szene
Die vierte Gruppe sind die unabhängigen Hörspielmacher. Zu der ich auch an das Hörspielprojekt zählen würde.
Meiner Meinung nach besteht hier die größte Chance Hörspiele zu produzieren, weil man frei von den Produktionszwängen eines Labels oder einer Rundfunkanstalt ist. Andererseits existiert aber auch kein Kapital um die Rechte an einem Stoff einzukaufen.
In einem anderen Thread wurde ja schon darüber diskutiert was für Genres hier produziert werden. Vorsichtig ausgedrückt haben wir auch eine Art Mainstream in unseren Hörspielen. Wir machen halt das, was wir selber gerne hören würden. Das gilt wohl für die ganze freie Szene. Es gibt ja neben HSP auch viele Fanarthörspiele.
Also Scifi, Fantasy, usw. sind halt die Themen die die Mehrzahl der Autoren interessiert. Aber das ist aus meiner Sicht vollkommen ok, denn jeder der etwas Genremässig vermisst, kann sich ja auch einbringen. Sehr schönes Beispiel dafür ist das Shakesspeare Projekt von Dagmar.
Vertieb, Aufmerksamkeit usw..
In Bezug auf Vertriebswege kann ich nur sagen Crossover Marketing. Haut Eure Hörspiele in die sozialen Netzwerke. Macht Angebote. Zum Beispiel bei Darkside Park konnte man sich die erste Staffel online anhören. Nur deswegen habe ich mir die zweite Staffel überhaupt gekauft
Aber ob sich der Aufwand lohnt und sich die Hörspielbegeisterten dadurch signifikant steigern lassen? Ich weiß es nicht. Meine Befürchtung ist eher nicht.
Aber der Vertriebsweg von Medien (Film, Audio, Gaming) wird für die nächsten Jahre das Internet sein. Ihr merkt, ich halte die CD als Datenträger relativ überholt.
Dann ist da noch die Sache mit der Aufmerksamkeitsspanne, die auch eine Rolle spielt. 1 Stunde zuhören! Und dann sich vielleicht noch auf eine epische Erzählweise einstellen. Boooah - das ist momentan leider nicht der Zeitgeist.
Betrachtet man sich das Medium Film kann man es sogar sehen. Die ersten 3 Starwars Filme kommen zum Beispiel sehr geruhsam her. Die letzten drei haben einen viel schnelleren Look. Ähnliches höre ich auch bei Hörspielen. Von der technischen teilweise auch dramaturgischen Umsetzung liegen Welten zwischen einem alten Prof. van Dusen und z.B. einer modernen Hörspiel-Produktion.
Was jetzt aber keine Wertung sein soll. Ich liebe PvD.
Diese Änderung der Hörgewohnheiten fiel mir besonders auf, als ich mir neulich die Neu auflage "Odysseus" von großen Label Kiddinx gekauft habe. Das ist aber keine Neuproduktion sondern ursprünglich ein altes SFB Hörspiel aus den achtziger Jahren. Ich hatte es irgendwann als Kind im Radio begeistert gehört. Heute muss ich sagen, Geschichte ist ok, aber die soundtechnische Umsetzung kommt teilweise eher sparsam rüber. Da würde heute viel mehr passieren.
Wir sind es gewöhnt, dass mehr passiert in kürzerer Zeit. Mehr Infos in gleicher Zeit.
Da kommt das was Dave schrieb mit rein. Vorgekautes ist dann einfach leichter verdaulich.
Muss ich es mir selber im Kopf zusammenbauen...naja entweder ich finde das Thema toll und mache es. Dann habe ich ein Aha Erlebnis. Oder ich schalte ab, weil ich genervt bin. Geht mir übrigends mit dem Ars Acoustica Zeug regelmäßig so.
Also die Bereitschaft Aufmerksamkeit einer Sache zu schenken wird weniger.
Vielleicht ist deshalb ein gangbarer Weg neben dem Langhörspiel auch Kurzhörspiele zu fördern.
Lang-Hörspiele könnten auch in kleineren downloadbaren Hörspielhäppchen serviert werden. Es gibt ja durchaus Versuche Hörspiele als Podcastfolgen zu haben. Ich kann mich da an eine Störtebecker Reihe ( ich glaub NDR) erinnern...
Evtl. lässt sich dadurch ein neues evtl. auch altes Vertriebsmodell generieren was mehr Hörer erreicht. Zum Beispiel Du wirst auf den freien Download der ersten Folge im Internet hingewiesen. Und die Geschichte ist so packend, das Du auch die Fortsetzungen auf Dein Mobiles Endgerät lädst.
Die größte Umstellung besteht in diesem Fall aber wohl für die Autoren. Eine Serie mit Cliffhangern am Ende einer Kurz-Folge zu schreiben ist etwas anderes, als eine in sich abgeschlossene Geschichte.
Den Begriff Kassettenkind finde ich in Bezug als Label und Verkaufsargument auch eher Kategoriebeladen. Stichwort Ü 30. Allerdings ist das auch der gesamte Begriff Hörspiel für mich
. Das ist halt eine Medienform die eine sehr lange Geschichte hat und für mich mit Kindheit assoziert ist. Wäre interressant ob die heutigen Kinder das in 20 Jahren auch so sehen.
Hörspiel klingt aber auch nicht hip.
Marketingstrategen würden den Begriff Hörspiel vielleicht ins Englische zerren, um ihn Moderner klingen zu lassen. Obwohl in "Radio Play" hast Du das olle Radio mitdrin.
Vielleicht wird die Zukunft so aussehen:
Ich kann mir eine
Mobile Audio Story Apps (MASA)downloaden , die ich dann direkt auf mein
Brain Operation System (B-OS) spiele. In der MASA kann ich aus der Story heraus via Google Street View
Irgendwo ins Nirgendwo zappen und mir die Umgebung wo die Story spielt direkt ansehen.
Also ich glaube, das zukünftige technische Hörspielformate bei Bedarf auch mehr Sinne als nur das Hören ansprechen werden. Der Sehsinn dominiert im Vergleich nun mal alle anderen Sinne des Menschen.
Andererseits glaube ich auch, dass das reine Zuhören immer ein Bestandteil der menschlichen Kultur bleiben wird. Solange wir Ohren haben.
Dit war mal meine Meinung. :wink: