pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
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AW: "Kassettenkinder"

...es gibt viele Schattierungen zwischen Schund und „anspruchsvoller„ Literatur. Ein (Bewertungs) Ansatz wäre doch ein Buch, Hörspiel oder was auch immer nach seiner Intention (bzw. der des Verfassers) zu bewerten.
Das hat Herr Reich-Ranicki bis heute nicht gelernt. Was macht ein Mensch, der Tolstoi nicht versteht? Darf der nichts lesen? Oder sind die Alle nur Doof?

Wir lernen Schwimmen in seichten Gewässern und wagen uns dann aufs Meer hinaus....
 

Civok

Drück mein Bäuchlein!
AW: "Kassettenkinder"

@pandialo
Also das mit den Büchern und "Randmedium" würde ich nochmal überdenken. Lesen ist sehr oft ein nicht öffentlicher Vorgang, also kann man nur schwer einschätzen, wie viele Menschen tatsächlich lesen. Die Tatsache, dass ich heute im Thalia beinahe wieder mal totgetrampelt wurde und das der Büchermarkt im vergangenen Jahr knapp 10 Milliarden Euro umgesetzt hat, sprechen in meinen Augen doch ziemlich drastisch gegen die These des "Randmediums".
Noch etwas zum Thema Markt und Hörer. Wer, wenn nicht die Hörer, bilden denn den Markt? Allein die "Industrie" und Labels machen noch keinen Markt, denn wo keine Nachfrage ist, existiert schlicht und ergreifend kein Markt, weder grausam noch sonstwie.

Wenn es aber darum geht, die Hörerschaft (sprich: den Markt) zu erweitern, sitzen doch alle in einem Boot, egal ob öffentlich-rechtliches Radio, kommerzielle Labels und nicht-kommerzielle Projekte wie wir. Der einzige, aber wichtigste, Unterschied: Einige wollen/müssen Geld damit verdienen, andere nicht. Letztendlich geht es uns allen aber darum, ein möglichst großes Publikum mit unseren Hörspielen zu erreichen, egal welche Intention dahinter steckt.

Klar, wir könnten uns zurück lehnen und sagen: "Hey, die ganzen Kommerznasen gehen sowieso unter, was juckt es mich!? Die meisten Labels verlieren Geld mit ihren Hörspielen und erreichen mit Glück 1.000 Hörer. Ich investiere gar kein Geld in mein nicht-kommerzielles Projekt, erreiche eine 10mal größere Hörerschaft, also warum sollte mich die Lage des Hörspielmarktes scheren?"
Dennoch schert es mich, weil ich in das Medium Hörspiel, mit all seinen Facetten, vernarrt bin und es liegt an allen Marktteilnehmern (zu denen auch WIR gehören), etwas zu tun, um das Publikum nach Möglichkeit zu erweitern, denn wir sind genauso ein Teil der Hörspiellandschaft, wie die kleinen und großen Labels da draußen.

Die kommerziellen Labels müssen den Kurs ändern, wenn nicht noch mehr Labels umfallen sollen. Mehr Qualität, bessere Geschichten und vor allen Dingen: Alleinstellungsmerkmale!
Gerade in der heutigen Zeit, in welcher Leute wie wir, mit absolut bescheidenen Mitteln, gleichwertige Produkte zu Hause herstellen können, die sich teilweise in punkto Qualität vor keiner kommerziellen Produktion zu verstecken brauchen. Da kann man nicht die gleichen Hörspiele produzieren, wie noch vor einigen Jahren, da heißt es neue Wege gehen, denn das was die machen, können Menschen wie wir auch. Leider scheint das bei den meisten Labels noch nicht wirklich angekommen zu sein. Dazu gehören vor allen Dingen die Labels, denen wir lieblose Produktionen vorwerfen.
 

Pandialo

P. Zweimann / Paul Conrad
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AW: "Kassettenkinder"

ahh, ich glaube, ich schreib mich grad um Kopf und Kragen. ;)

Was ich nur sagen wollte, ist, dass es schon seit Jahren die gleiche Debatte in der Buchbranche gibt. Mensch versucht, wieder mehr Leute zum Lesen zu bringen. Ich hab vor ner Weile einen ziemlich guten Artikel drüber gelesen (den ich leider nicht mehr finde), der sich gerade mit Thalia befasst. Der Manager ist auch für Douglas und einige andere Vertriebe verantwortlich und fährt überall die gleiche Verkaufsstrategie. Daher der Kartoffelvergleich. Aber egal.

Meine These war nur, dass sich der Hörspielangebotsmarkt, der vollkommen überschwemmt ist, "gesundschrumpft". Die andere Richtung wäre, den Absatzmarkt auf Teufel komm raus zu vergrößern. Beides ist unangenehm.
Natürlich vertrete ich keine Ranicki-Thesen. Der ist eben ein alter, bitterer Mann.
Letztendlich bin ich da auch ein wenig leidenschaftslos. Ich freue mich, wenn Menschen den gleichen Hörgenuss haben, wie ich.
 

Watchman

Christian Loges
AW: "Kassettenkinder"

Ich möchte mich auch noch einmal in die Debatte einschalten.

Im Interview hat Günter Merlau zwei Mal darauf verwiesen, dass es heute schwer sei, den Hörer dazu zu bewegen "eine Stunde lang die Schnauze zu halten" und sich ein Hörspiel anzuhören. Ich glaube, dass er irrt. Die Leute gehen trotz der Konkurrenzangebote weiterhin zahlreich ins Kino und halten da sogar zwei Stunden die Schnauze, weil sie interessiert, was auf der Leinwand passiert. Sie lesen auch stundenlang Bücher und halten dabei die Schnauze. Und sie hören über viele Stunden zu: Bei Hörbüchern! Die haben in der Regel sogar viel mehr Laufzeit als die meisten Hörspiele.

Ein großes Problem der Hörspiellabels liegt darin, dass sie sich von den Hörbüchern in die Ecke haben drängen lassen. Ich habe vorgestern ein kostenloses Hörbuchmagazin aus unserer örtlichen Großbuchhandlung mitgenommen. Im Anhang findet sich ein Verzeichnis lieferbarer Hörbücher, mit sage und schreibe 1408 Einträgen! Es ist noch gar nicht so lange her, als Hörbücher in Deutschland keine große Nummer waren, auch wenn man sich das angesichts der Tatsache, dass sie heute fester Bestandteil jeder Buchhandlung sind, gar nicht mehr vorstellen kann. Zwar ist der Boom der letzten Jahre vorerst vorbei, doch die Bereitschaft der Kunden, sich Geschichten anzuhören, ist unzweifelhaft weiterhin groß.

Was den Hörspielen zum Beispiel fehlt und womit die Hörbücher punkten können, sind große bzw. bekannte Namen und Titel als Eyecatcher. Ein bekannter Schauspieler liest den Bestseller eines Romanautors, dessen Name man aus den Medien kennt. Da ist der Verkaufserfolg dieses Hörbuchs zumindest recht wahrscheinlich. Die Lizenzrechte und die Gage für den Sprecher sind zwar kostspielig, aber die Produktionskosten einer reinen Lesung recht überschaubar.
Bei Hörspielen ist es häufig anders herum, denn der technische Aufwand ist hoch und damit teuer. Man braucht mehr Sprecher/-innen, was ebenfalls zu Buche schlägt, hat aber keinen verkaufsfördernden Aufhänger in Form eines bekannten Romantitels, der dem Hörer gleich vertraut ist.

Man stelle sich vor, der nächste Roman von Frank Schätzing würde zeitgleich als Hörspiel veröffentlicht, gesprochen von bekannten Schauspielern. Das Ding würde sich verkaufen. Ist es wahrscheinlich, dass es eine solche Produktion geben wird? Nein! Statt dessen erscheint das Hörbuch und der Kunde gibt sein Geld dafür aus. Dies wäre Geld für den Hörspielmarkt gewesen, doch es fließt in die Hörbücher.

Ich will hier keine Feindschaft Hörspiel vs. Hörbuch beschwören, doch es ist offensichtlich, dass die Klientel für Audio-Produktionen da ist. Nur geht sie an den Hörspielen vorbei, weil der Aufhänger fehlt. Auf meinen "Fünf Freunde"-Kassetten stand immer: Mit den Originalsprechern aus der Fernsehserie! DDF würde man heute als Cross-Marketing bezeichnen: die Bücher bei Frankh, die Hörspiele bei Europa.
Lausch hatte mit Hellboy die richtige Idee, hat jedoch auf die Comicfans als erweiterte Zielgruppe gesetzt, deren Zahl aber zu klein ist, um die Absatzzahlen der Hörspielserie massiv steigern zu können. Das ändert jedoch nichts daran, dass man solche Aufhänger braucht, um den Kunden anzulocken.

Vielen mag der Gedanke vielleicht nicht gefallen, sich irgendwie zum Anhängsel anderer Franchises zu machen, doch mit solchen Hörspielen als "Brot und Butter" Produktionen, kann man es sich auch wieder leisten, Hörspiele zu bringen, mit denen man nicht viel oder vielleicht kein Geld verdient.
 
Zuletzt bearbeitet:

pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
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AW: "Kassettenkinder"

Der Gedanke ist gar nicht so verkehrt. Ein Act verkauft tatsächlich, das ist bekannt....
 

Nightblack

Meinhard Schulte
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AW: "Kassettenkinder"

Wäre es möglich, den Titel dieses Threads "deutlicher" zum Thema zu machen?
Das Thema "Hörspielvermarktung" bzw "Bessere Verbreitung des Mediums Hörspiel" finde ich durchaus interessant und wichtig.
Wer jedoch den Titel des Threads liest ...mmhhhh...weiß nicht.

Vielleicht könnte man auch einen neuen Thread aufmachen, bei dem man gezielt nach Möglichkeiten sucht.
Es ist eine Bitte an die Admins in diesem Sinne zu handeln.
Ich würde mir dann gezielt Gedanken zum Thema Öffentlichkeitsarbeit machen.
 

joe adder

Karsten Sommer
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AW: "Kassettenkinder"

Ich glaube, Watchman hat es schlicht und ergreifend auf den Punkt gebracht. Der Verbraucher konsumiert lieber etwas, das einen Namen traegt, anstatt die Wieder-Wiederauflage einer Bibi Blocksberg-Folge, die sich ganz gezielt nur an eine Zielgruppe richtet. Insofern hat das Hoerbuch sicherlich dem Hoerspiel den Rang abgelaufen. Es ist also an den Hoerspielern, kundenbezogen zu agieren. Fuer ein non-kommerzielles Angebot wie das vom Hoerspielprojekt ist es allein aus Kostengruenden nicht moeglich, daran etwas zu aendern. Wie kann man also die Hoerspielbranche motivieren, diesen Schritt nach vorne zu machen, und das "Risiko" auf sich zu nehmen? Oder ist die Branche nur darauf aus, das "schnelle Geld" zu machen und gut is'?!
breakfast-1290315092.gif
Produktionen wie "Gruselkabinett" und "Mark Brandis" sind da wohl eher die Ausnahme der Regel.
 

Dirk Hardegen

www.Ohrenkneifer.info
AW: "Kassettenkinder"

Ich glaube nicht, dass das Hörspiel auf dem absteigenden Ast ist. Es gibt nur immer mehr Produzierende, die darüber jammern können, dass sie nichts verkaufen. Natürlich ist das Hörspiel ein Randmedium. Aber das sind Bücher auch. .
Hierzu ist schon alles gesagt worden, was zu sagen ist.


Es gibt keine zusätzliche Art-Hörspiel-Szene wie beim Film. .
Ich könnte Dir klasse experimentelles Hörspiele vorspielen, da würdest Du diese Äußerung sofort zurückziehen. Fakt ist: es gibt eine Szene und sogar feste Sendeplätze im Kulturradio dafür und auch entsprechende CD-VÖs. Bitte erstmal informieren.

@ pio Dafür, dass Du über Hörspiele FORSCHST. bin ich überrascht, wie sehr Dich die Watchman-Vorschläge über Trittbrett-Marketing zu überraschen scheinen - so lese ich es jedenfalls aus deinen Postings heraus. Nichts für ungut, ich will hier keinen Zoff mit Dir vom Zaun brechen... Aber lass uns doch mal ein paar fundierte Ergebnisse aus Deiner Bachelor-Arbeit hier lesen..

Civok hat den Schlüsselbrgriff des "unsexy" ins Spiel gebracht, der mir sehr genau beobachtet zu sein scheint. Hier lohnt sich m E weitere Debatte.

Watchman möchte ich mit dem Beispiel "Schätzings Franky" widersprechen - gerade Schätzing bringt ja sein Zeugs selbst als Hörspiel raus (und gibt sich stümpernde nebenrollen dabei - der "Schwarm" zählt zu den Hörspielen, dich ich ab der Hälfte ausgemacht habe - es ist m E zu schlecht gemacht, obwohl die Packung den Inbegriff-des-Hörspielmachens verheisst). Und da sind wir wieder beim Punkt: Massenprodukt - aber mies gemacht (man höre sämtliche Frauenrollen in dem Ding an). So läßt sich selbst der "ich-probiers-mal-aus-Käufer" nicht dauerhaft fürs Randmedium begeistern.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: "Kassettenkinder"

Unsexy = Schnittmenge aus erfolgreichen Hsp. Bloß keine Experimente im Storyverlauf, Inhalt und Produktion. Alles erscheint uniform. Man hat den Eindruck eine “Schablone” zu hören die dem Anschein nach einer kommerziellen Aufmachung gleicht ohne wirklich eigenständig zu sein.
Cover und Marketing gleich, Inhalt gleich, Sprecher gleich, Musik gleich, Sound FX gleich, eben alles was irgendwie nicht Independent ist. Wenn man den “Standart” der oben genannten Schablone noch nicht mal erreicht, ist es dann nicht nur langweilig, sonder auch befremdlich…
 

Frederic Brake

Berufspessimist
AW: "Kassettenkinder"

Ich klinke mich an diesem Punkt mal mit folgendem Aspekt ein:

Mein Sohn ( 8 Jahre) ist begeisterter Hörspielgenießer. Genießer, wohlgemerkt, nicht als im Hintergrund Berieselter. Klassisch angefangen als "Kasettenkind" mit Kleinkinderhörspielen, dann Benjamin Blümchen, Bibi etc, jetzt ??? (Kids und normal), Teufelskicker etc. Hörbücher findet er "ganz nett". Viele meiner Freunde (in meinem Alter, 40) hören lieber Hörbücher und finden Hörspiele "ganz nett". Und hier liegt -denke ich- die Crux. Je älter die Menschen werden, um so mehr verschiebt sich in den meisten Fällen der Hörfokus. Das "Kopfkino" eins Hörspieles scheint dem "Gehirnpopcorn" eines Hörbuches unterlegen zu sein. Wenn ich ein Hörspiel höre, werde ich automatisch zum Produzenten, da ich einen Teil der Handlung, des Ambientes, der Charaktere in meinem Kopf entstehen lassen muss, sonst geht mir der halbe Hörgenuss flöten. Bei einem Hörbuch nimmt mir der Autor der Vorlage einen großen Teil dieser "Arbeit" ab, da er ja ein Buch geschrieben hat, kein Hörspielskript.
Man beachte: Ein großer Teil der heutigen Hörbuchhörer ist eben die "Kassettenkinder"-Generation (ich habe übrigens auch mit Schallplatten angefangen. Robin Hood von Europa war meine erste). Ich will um Gottes willen Hörbücher nicht verteufeln, aber für mich sind sie ein Indiz dafür, dass sich die Fantasiebereitschaft der Menschen nach und nach abbaut. Man kann dies auch auf dem Büchermarkt verfolgen. Besonders erfolgreich sind idR die Bücher, die dem Leser ein Minimum an Fantasie abverlangen, ihn gewissermaßen mit plakativen Situations- und Chrakterbeschreibungen zuschütten. Ein solcher Film heißt "Popcornkino", darum für mich "Gehirnpopcorn". Oder fällt einem von euch -außer Sachbüchern- ein Bestseller der letzten 10 Jahre ein, der nicht Trivial(im wahren Wortsinn)lieteratur war?
Eine Ausnahme stellen hier allerdings gelesene Kurzgeschichten dar. Kurzgeschichten haben naturgemäß weniger Platz für ausführliche Beschreibungen von Plätzen, Charakteren etc. Bei Kurzgeschichten hat der Vorleser also deutlich mehr Möglichekiten, bei einer inszenierten Lesung aus der Vorlage mehr zu machen. Ich hatte hier im Forum das Glück, solche "Mehrwert"-Lesungen zu hören, nicht nur bei meinen Geschichten. :)

Fazit:
Hörspiele sind qualitativ deutlicher höher angesiedelt als Hörbücher. Das stellt natürlich auch deutlich höhere Anforderungen an die Ausführung. Den meisten Nichthörspieler ist dies aber wohl nicht bewusst. Oder sie scheuen die "Anstrengung" des intensiven Zuhörerns, das ein Hörspiel immer erfordert. Man kann uas meiner Sicht daher nur immer wieder Menschen ermuntern, vielleicht auch in Gemeinschaft (Hörspielparties), Hörspiele einmal bewusst zu hören, um diese Abstimmung mit den Ohren umzudrehen.
 

Masterofclay

Marco Rosenberg
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AW: "Kassettenkinder"

@Watchman: Und genau dieser Vergleich mit Kino und Buch ist nicht so leicht. Was Günter Merlau meinte, ist das völlige Einlassen auf das Medium, das Versinken in der Geschichte. Wenn ich ein Buch lese, dann lese ich nur ein Buch. Wenn ich im Kino sitze, schaue ich nur den Film. Hörbücher und Hörspiele sind aber, soweit ich weiss, für viele ein "Nebenbei-Medium". Sie werden beim Autofahren gehört, beim Bügeln, Kochen, beim Sport, etc. Niemand würde auf die Idee kommen, ein gedrucktes Buch beim Bügeln zu lesen. Auch Filme werden zunehmend, zumindest zuhause, leider auch bei einigen Leuten zum Nebenbei-Medium. Da läuft dann der Fernseher, während man im Internet surft oder andere Dinge erledigt. Man hat den Ton zwar im Ohr, guckt aber nur ab und zu hin und es macht auch nix aus, wenn man mal ein bisschen verpasst.

Und genau das bemängelt Günter beim Konsumenten, denn auf diese Weise nimmt der Hörer einfach nicht alle Facetten eines Hörspiels auf. Bei simplen geradlinigen Stories ist es vielleicht kein Problem, wenn man mal 2-3 Sätze überhört hat. Wenn man aber ein komplexes Story-Konstrukt wie z.B. in "Die schwarze Sonne" hat, können gerade diese verpassten 2-3 Sätze das Verstehen der restlichen Story behindern. Für manche Hörer ist dann das Hörspiel Schuld, weil sie es durch diese Fastfood-Rezeption nicht verstehen, und sie greifen (wenn überhaupt) nur noch zu simpel gestrickten Produktionen.
 

Watchman

Christian Loges
AW: "Kassettenkinder"

Ich gebe zu, dass das Beispiel "Frank Schätzing" unglücklich gewählt ist. Als ich es anbrachte, war mir gar nicht bekannt, dass es diese Hörspiele bereits gegeben hat. Ich denke, mein Argument ist aber dennoch deutlich geworden: Der Hörbuchmarkt macht mit Produktionen Kasse, die mit großen und bekannten Namen verbunden sind. Sie schaffen diese Namen dabei nicht selbst, sondern bedienen sich der Vorleistungen des Buchmarktes. Den Hörspielen gelingt das meist nicht.

@ Dave Nocturn:

Oder fällt einem von euch -außer Sachbüchern- ein Bestseller der letzten 10 Jahre ein, der nicht Trivial(im wahren Wortsinn)lieteratur war?
Nur so viel zum wahren Wortsinn: m Mittelalter wurden die sieben freien Künste unterteilt in die Dreiergruppe Rethorik, Grammatik und Dialektik und in die Vierergruppe Astronomie, Musik, Geometrie und Arithmetik. Alles in der Gruppe der DREI WEGE (Tri-via-l) gehörte dem Trivium an und war somit trivial. Nicht trivial waren die Themengebiete der Gruppe der Vier Wege = Quadrivium.

Nach dem wahren Wortsinn ist Belletristik zwangsläufig trivial. Ich weiß natürlich, worauf Du hinauswillst. Die Bestseller der letzten Jahre haben eine breite Schicht von Käufern angesprochen. Ob diese Käufer in der Mehrzahl fantasielose Zeitgenossen auf der Suche nach seichter Unterhaltung sind, darüber maße ich mir kein Urteil an und ich denke, niemand sollte dies einfach so tun.

Ich will um Gottes willen Hörbücher nicht verteufeln, aber für mich sind sie ein Indiz dafür, dass sich die Fantasiebereitschaft der Menschen nach und nach abbaut.
Ich respektiere ausdrücklich deine Meinung, doch du machst den gleichen Fehler, den Günter Merlau schon im Interview mit Sven gemacht hat: Kunden-Bashing! Angeblich lässt die Fantasiebereitschaft nach, es mangelt an Konzentrationsfähigkeit oder der Bereitschaft, für eine Stunde die Schnauze zu halten.
Der berühmte Regisseur Francois Truffaut hat einmal gesagt: Wenn sich das Publikum von einem meiner Filme nicht angesprochen fühlt, dann ist nicht der Zuschauer schuld, sondern ich habe meinen Job nicht richtig gemacht. Viele Kreative wollen diese Erkenntnis nicht wahrhaben, aber sie stimmt. Wer etwas zu verkaufen hat, muss sich nach dem Geschmack der Leute richten, oder damit leben, ein selbstbestimmtes Schattendasein zu führen. Auch dies ist völlig okay, solange man sich nicht darüber beschwert, von der breiten Masse nicht beachtet zu werden.

Was den Aspekt "unsexy" angeht: Jeder von uns ist bestimmt schon einmal dafür belächelt worden, dass er als Erwachsener noch Hörspiele hört. Das ist zwar schade, aber verständlich, denn für viele Menschen sind Hörspiele etwas, was man als Kind hört, aber nicht mehr als Teenager oder Erwachsener. Man hört es ja auch in den Interviews: "Als Kind habe ich Hörspiele gehört, dann wurde ich älter und andere Dinge (Freund/Freundin, Partys, Kinos usw.) wurden interessanter. Später bin ich dann wieder auf Hörspiele gekommen." Ich gebe zu, bei mir war es ähnlich.

Hörspiele sind m. E. in den Augen vieler Kunden "unsexy", weil ihnen der Nimbus des Kindlichen anhaftet. Das Wort "Hörspiele" weckt Erinnerungen an unbeschwerte Kindertage und der Begriff "Kassettenkinder" verstärkt dies wahrscheinlich noch. Leider scheint dies irgendwie zu verhindern, dass das Hörspiel als zeitgemäße Form der Unterhaltung wahrgenommen wird. Da ist es natürlich auch nicht hilfreich, dass die erfolgreichste Hörspielserie unseres Landes eigentlich eine Serie für Kinder und Jugendliche ist. Da braucht es viel Überzeugungsarbeit, um deutlich zu machen, dass Hörspiele mehr sein können, als DDF. Viele Kunden glauben nämlich wirklich (ich habe es getestet), dass Hörspiele hauptsächlich für Kinder und Jugendliche produziert werden. Als ich Freunden einige meiner Hörspiele geliehen habe, damit sie sich mal ein Bild von aktuellen Produktionen machen können, waren sie wirklich überrascht, was da heute so geboten wird.
 

Civok

Drück mein Bäuchlein!
AW: "Kassettenkinder"

Thema Cross-Marketing: Wichtiger Punkt! Natürlich greift man hier auch mal ins Klo, siehe Hellboy, aber andererseits kann das auch prima funktionieren, siehe "Drizzt", wo man eine komplett andere Fanbase an das Hörspiel herangeführt hat. Wobei man in diesen Punkt nicht seine ausschließlichen Hoffnungen setzen sollte, denn das deutsche Hörspiel sollte mehr sein, als reine Lizenzverwurstung. Klar, ich warte seit Jahren auf eine James Bond-Hörspielreihe, die sicherlich auch abgehen könnte wie Schnitzel, aber es muss auch genügend Platz für Originalstoffe geben.

Thema "unsexy": Ich möchte mal die "unsexyness" an einem Beispiel fest machen und zwar an der Hörspiel 2010. Die kleine Branche feiert sich selbst und ihre eigenen Stars, was allein schon die Verleihung des Hörspielers bewies. Pastewka, Körting, Halver haben ihre Auszeichnung, in der ein oder anderen Form, natürlich auch verdient, aber mir fehlt da der Blick nach vorne.
Auf der kleinen Bühne saß (ich glaube am Vormittag irgendwann) ziemlich verloren dieses Mädel von der Band Quensberry in einem Talk rum (Leo?). Da hat man jemanden zu Gast, der recht erfolgreich Popmusik macht und mit seiner Arbeit Kunden anspricht, die nicht zu den "typischen" Hörspielhörern gehören. Aber machen wir uns das zu nutze? Nein. Wir feiern die "alten" Helden und schwelgen in Nostalgie, anstatt uns da einen positiven Synergieeffekt nutzbar zu machen. Wenn man sich die Berichterstattung zur Hörspiel ansieht, wurde die junge Dame mit kaum einer Silbe erwähnt. Warum? Sie ist jung, sie ist erfolgreich in ihrem Bereich und liebt Hörspiele! Trotzdem wirkte sie auf der Veranstaltung wie ein Fremdkörper.
Und warum wirkt sie so verloren? Weil Hörspiele (noch) total unsexy sind und sich auch so präsentieren. Bzw. Hörspiele sind extrem sexy, leider wissen das nur die wenigsten und wir tun nichts, um das der breiten Masse deutlich zu machen.
 

pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
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AW: "Kassettenkinder"

@ pio Dafür, dass Du über Hörspiele FORSCHST. bin ich überrascht, wie sehr Dich die Watchman-Vorschläge über Trittbrett-Marketing zu überraschen scheinen - so lese ich es jedenfalls aus deinen Postings heraus. Nichts für ungut, ich will hier keinen Zoff mit Dir vom Zaun brechen... Aber lass uns doch mal ein paar fundierte Ergebnisse aus Deiner Bachelor-Arbeit hier lesen..
.

wieso überraschen mich diese Vorschläge? Wo ließt Du das den heraus?
Sogenanntes Cross Marketing funktioniert schon seit geraumer Zeit, nun also auch beim Hörspiel.

Darüber hinaus steht es Dir sicherlich nicht zu meine Arbeit zu diesem Thema unterschwellig in Frage zu stellen.
 

Mr_Kubi

Der auf den Bus wartet
Teammitglied
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AW: "Kassettenkinder"

Hallo,

hier mal meine Meinung

Wenn ich die Aussage hier richtig interpretiere, ist Deutschland das Land wo die meisten Hörspiele verkauft werden.
In so fern, würde ich nicht gleich eine Krise heraufbeschwören.
Hörspiele produzieren ist sehr aufwendig, Hörbücher produzieren ist im Vergleich dazu einfach und vor allem billig.

Der angebliche Hörspielboom war meiner Meinung nach eher ein Hörbuchboom. Und auch die jetzt einsetzende ökonomische Ernüchterung. Ich vermute mal, für ein kleines Label -was beides macht - schlägt das aber auch sehr zu Buche.

Wer macht denn überhaupt Hörspiele?

Meiner Meinung nach, gibt es vier Gruppen von Hörspielproduzenten.

Rundfunkanstalten
Hier werden viele Hörspiele produziert und der Vertriebsweg ist mehr oder weniger gleich mit eingebaut.
Durch den Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hat man hier auch viele Kunsthörspiele ars acoustica. Das Spektrum reicht also von einem Radio Tatortkrimi bis hin zu Kunsthörspiele. Man hat also eigentlich eine große Genreauswahl. Die aber auch nicht immer jedermanns Geschmack ist.

Ein Innovationspotenzial in Bezug auf Hörspiel ist meiner Meinung nach vorhanden, aber durch Senderstrukturen (Stoffauswahl usw.) und die Finanzierung aus der öffentlichen Hand, würde ich da für die Zukunft nicht zuviel erwarten.
Beispiel Radiotatort. Diese Hörspiele klingen technisch gut, betreten aber in Bezug auf - wie animiere ich den Hörer zum Kopfkino- selten innovative Wege. Geht mir zumindest so.

In Bezug auf Vertriebswege finde ich, machen die Rundfunkanstalten zur Zeit einen interessanten Spagat. Sie haben den Vorteil das doch viele Leute Radio über Internetstreams hören. Auf den Webseiten findet man dementsprechend regelmäßig Werbung für Hörspiel X und Y. Manchmal darf man es auch downloaden. Aber immer nur für einen kurzen Zeitraum.

Übrigends wo die Rundfunkanstalten m.M. bisher ungeschlagen sind, sind die dem Hörspiel verwandten Features. Hier scheint es bei Labeln keinen Bedarf zu geben oder sie sehen den nicht bei den Käufern. Im Film Bereich gibt es im Gegensatz dazu doch eher viele Dokumentationen zu kaufen.

Große Labels
Dann gibt es die großen Hörspiellabels (z.B. Europa=Sony Music, Lübbe Audio, etc. pp) . Hier steht oft ein großer Verlag dahinter, der entsprechend Geld bereitstellt aber auch Einnahmen will.
Hier wird nach einer gut laufenden Serien gesucht und dann produziert. Bei Nichterfolg wird die Serie eingestellt. Pech für die Fans. Meiner Meinung nach, wird hier selten von der Schablone "Das war schon Erfolgreich" abgewichen. Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass hier auch eher ein Hörbücher produziert werden als Hörspiele. Damit ist halt mehr Geld, bei weniger Aufwand zu machen.
Das Innovationspotenzial in Bezug auf Hörspiel würde ich eher gering einschätzen. Die Stoffauswahl ist auf das was man schon kennt beschränkt.

kleine Labels
Die kleinen Hörspiellabels haben es meiner Meinung nach am schwersten. Um hier wirtschaftlich zu arbeiten, braucht man eine sehr gut laufende Serie. Dass das selbst im Falle von Lausch nicht gegeben ist, kann man ja dem Interview entnehmen.

Das Innovationpotential sehe ich hier als hoch an. Vor allem in Bezug auf wie setze ich die Szene am besten um - Kopfkino. Da entwickeln sich teilweise andere Hörinterpretationen.
Aber es besteht auch die Pleitegefahr der Labels. Die Stoffauswahl weicht in einigen Fällen vom Mainstream ab, allerdings wird in anderen Fällen auch versucht auf den Mainstream aufzuspringen (z.B. Hellboy VÖ zeitgleich mit Film).

freie Szene
Die vierte Gruppe sind die unabhängigen Hörspielmacher. Zu der ich auch an das Hörspielprojekt zählen würde.

Meiner Meinung nach besteht hier die größte Chance Hörspiele zu produzieren, weil man frei von den Produktionszwängen eines Labels oder einer Rundfunkanstalt ist. Andererseits existiert aber auch kein Kapital um die Rechte an einem Stoff einzukaufen.

In einem anderen Thread wurde ja schon darüber diskutiert was für Genres hier produziert werden. Vorsichtig ausgedrückt haben wir auch eine Art Mainstream in unseren Hörspielen. Wir machen halt das, was wir selber gerne hören würden. Das gilt wohl für die ganze freie Szene. Es gibt ja neben HSP auch viele Fanarthörspiele.

Also Scifi, Fantasy, usw. sind halt die Themen die die Mehrzahl der Autoren interessiert. Aber das ist aus meiner Sicht vollkommen ok, denn jeder der etwas Genremässig vermisst, kann sich ja auch einbringen. Sehr schönes Beispiel dafür ist das Shakesspeare Projekt von Dagmar.

Vertieb, Aufmerksamkeit usw..

In Bezug auf Vertriebswege kann ich nur sagen Crossover Marketing. Haut Eure Hörspiele in die sozialen Netzwerke. Macht Angebote. Zum Beispiel bei Darkside Park konnte man sich die erste Staffel online anhören. Nur deswegen habe ich mir die zweite Staffel überhaupt gekauft ;)

Aber ob sich der Aufwand lohnt und sich die Hörspielbegeisterten dadurch signifikant steigern lassen? Ich weiß es nicht. Meine Befürchtung ist eher nicht.

Aber der Vertriebsweg von Medien (Film, Audio, Gaming) wird für die nächsten Jahre das Internet sein. Ihr merkt, ich halte die CD als Datenträger relativ überholt.

Dann ist da noch die Sache mit der Aufmerksamkeitsspanne, die auch eine Rolle spielt. 1 Stunde zuhören! Und dann sich vielleicht noch auf eine epische Erzählweise einstellen. Boooah - das ist momentan leider nicht der Zeitgeist.

Betrachtet man sich das Medium Film kann man es sogar sehen. Die ersten 3 Starwars Filme kommen zum Beispiel sehr geruhsam her. Die letzten drei haben einen viel schnelleren Look. Ähnliches höre ich auch bei Hörspielen. Von der technischen teilweise auch dramaturgischen Umsetzung liegen Welten zwischen einem alten Prof. van Dusen und z.B. einer modernen Hörspiel-Produktion.
Was jetzt aber keine Wertung sein soll. Ich liebe PvD.
Diese Änderung der Hörgewohnheiten fiel mir besonders auf, als ich mir neulich die Neu auflage "Odysseus" von großen Label Kiddinx gekauft habe. Das ist aber keine Neuproduktion sondern ursprünglich ein altes SFB Hörspiel aus den achtziger Jahren. Ich hatte es irgendwann als Kind im Radio begeistert gehört. Heute muss ich sagen, Geschichte ist ok, aber die soundtechnische Umsetzung kommt teilweise eher sparsam rüber. Da würde heute viel mehr passieren.

Wir sind es gewöhnt, dass mehr passiert in kürzerer Zeit. Mehr Infos in gleicher Zeit.
Da kommt das was Dave schrieb mit rein. Vorgekautes ist dann einfach leichter verdaulich.
Muss ich es mir selber im Kopf zusammenbauen...naja entweder ich finde das Thema toll und mache es. Dann habe ich ein Aha Erlebnis. Oder ich schalte ab, weil ich genervt bin. Geht mir übrigends mit dem Ars Acoustica Zeug regelmäßig so.

Also die Bereitschaft Aufmerksamkeit einer Sache zu schenken wird weniger.

Vielleicht ist deshalb ein gangbarer Weg neben dem Langhörspiel auch Kurzhörspiele zu fördern.
Lang-Hörspiele könnten auch in kleineren downloadbaren Hörspielhäppchen serviert werden. Es gibt ja durchaus Versuche Hörspiele als Podcastfolgen zu haben. Ich kann mich da an eine Störtebecker Reihe ( ich glaub NDR) erinnern...

Evtl. lässt sich dadurch ein neues evtl. auch altes Vertriebsmodell generieren was mehr Hörer erreicht. Zum Beispiel Du wirst auf den freien Download der ersten Folge im Internet hingewiesen. Und die Geschichte ist so packend, das Du auch die Fortsetzungen auf Dein Mobiles Endgerät lädst.

Die größte Umstellung besteht in diesem Fall aber wohl für die Autoren. Eine Serie mit Cliffhangern am Ende einer Kurz-Folge zu schreiben ist etwas anderes, als eine in sich abgeschlossene Geschichte.

Den Begriff Kassettenkind finde ich in Bezug als Label und Verkaufsargument auch eher Kategoriebeladen. Stichwort Ü 30. Allerdings ist das auch der gesamte Begriff Hörspiel für mich ;). Das ist halt eine Medienform die eine sehr lange Geschichte hat und für mich mit Kindheit assoziert ist. Wäre interressant ob die heutigen Kinder das in 20 Jahren auch so sehen.
Hörspiel klingt aber auch nicht hip.

Marketingstrategen würden den Begriff Hörspiel vielleicht ins Englische zerren, um ihn Moderner klingen zu lassen. Obwohl in "Radio Play" hast Du das olle Radio mitdrin.

Vielleicht wird die Zukunft so aussehen:
Ich kann mir eine Mobile Audio Story Apps (MASA)downloaden , die ich dann direkt auf mein Brain Operation System (B-OS) spiele. In der MASA kann ich aus der Story heraus via Google Street View Irgendwo ins Nirgendwo zappen und mir die Umgebung wo die Story spielt direkt ansehen.

Also ich glaube, das zukünftige technische Hörspielformate bei Bedarf auch mehr Sinne als nur das Hören ansprechen werden. Der Sehsinn dominiert im Vergleich nun mal alle anderen Sinne des Menschen.
Andererseits glaube ich auch, dass das reine Zuhören immer ein Bestandteil der menschlichen Kultur bleiben wird. Solange wir Ohren haben.

Dit war mal meine Meinung. :wink:
 

Janne

Sprecherin
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AW: "Kassettenkinder"

Das "Kopfkino" eins Hörspieles scheint dem "Gehirnpopcorn" eines Hörbuches unterlegen zu sein. Wenn ich ein Hörspiel höre, werde ich automatisch zum Produzenten, da ich einen Teil der Handlung, des Ambientes, der Charaktere in meinem Kopf entstehen lassen muss, sonst geht mir der halbe Hörgenuss flöten. Bei einem Hörbuch nimmt mir der Autor der Vorlage einen großen Teil dieser "Arbeit" ab, da er ja ein Buch geschrieben hat, kein Hörspielskript.
...
Ich will um Gottes willen Hörbücher nicht verteufeln, aber für mich sind sie ein Indiz dafür, dass sich die Fantasiebereitschaft der Menschen nach und nach abbaut. Man kann dies auch auf dem Büchermarkt verfolgen. Besonders erfolgreich sind idR die Bücher, die dem Leser ein Minimum an Fantasie abverlangen, ihn gewissermaßen mit plakativen Situations- und Chrakterbeschreibungen zuschütten.

Komisch. Ich empfinde es genau anders herum. Bei einem Hörbuch (wobei ich Hörspiele lieber höre), muss ich meine eigene Fantasie viel mehr bemühen. Was dort nur vorgelesen wird, muss ich in mir zum Leben erwecken. Erst dann wird es rund. Bei einem Hörspiel ist jeder Charakter durch die Stimme und Diktion des Sprechers viel stärker festgelegt, Geräusche muss ich mir nicht vorstellen, sie werden mitgeliefert usw. Ich finde, Hörspiel ähnelt eher einem Film und Hörbuch eben einem Buch. Umso erstaunlicher, dass letztere eine breitere Masse erreichen als die Hörspiele... :confused: Ich kann es mir nur damit erklären, dass viele Leute das Medium Hörspiel eben mit "für Kinder" assoziieren.
 

pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
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AW: "Kassettenkinder"

Hörspiele sollen dem Kunden gefallen. ODER, der selbst verliebte Hörspielmacher macht Hörspiele wie es ihm gefällt und lebt damit dass nur Wenige diese hören wollen.
Wenn Dirk hier das Beispiel „Der Schwarm„ als schlecht gemachtes Hörspiel anführt frage ich mich was denn ein gutes ist? Franz Mons „das gras wies wächst„?
Das Hörspiel beginnt doch schon fantastisch mit der einmaligen Stimme von Mechtild Grossmann (siehe die Gedichtlesungen von Jim Morisson).
Wir Deutschen neigen dazu alles was Erfolg hat irgendwann klein zu reden.
Warum neiden wir anderen den Erfolg? Es ist nichts böses daran kommerziell Erfolg zu haben. Außer man macht aus „Scheiße„ Geld, das macht auch mich böse.

Wenn viele Hörspiele aus reinen „Soundorgien„ bestehen ist es doch kein Wunden, wenn Hörspielhörer als Sonderlinge abgetan werden.
Die Hörspielreihe Sternenozean (die ich sehr liebe) ist über Lautsprecher kaum hörbar. Warum, weil die Effekte (die an sich toll sind) so laut und bombastisch gemixt sind,
dass man die Stimmen (und auf die kommt es ja wohl an) nicht verstehen kann.
Die meisten Hörspielhörer sind älter als 26. Warum werden so viele Hörspiele produziert als wären die Kunden 16? Den gleichen Fehler macht seit Jahren die Musikindustrie.
Ich als Kunde will keinen Song eines Eintageswunders von ITunes kaufen. Ich will eine CD von einer echten Band. Keine Kiddymusik und keine Kiddy Hörspiele.
 

pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
Sprechprobe
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AW: "Kassettenkinder"

@Mr_Kubi

Die Genres sind hier im Hörtalk sogar etwas anders gelagert als da "draußen"

12,5% der Produktionen (im Downloadbereich) sind Dramen. Das ist Platz vier im Genre Ranking. Toller Wert!
 

Frederic Brake

Berufspessimist
AW: "Kassettenkinder"

@ Watchman:
Natürlich respektiere ich deine Meinung, möchte aber dazu Folgendes ausführen:
Ich habe trivial durchaus in dem -von dir so schön kompakt erklärten- wahren Wortsinn benutzt. Zwar folgen Bestseller idR den Grundregeln von Grammatik und Syntax, die Rhetorik jedoch bleibt auf der Strecke. Die Rhetorik ist die Kunst der Überzeugung durch Beredsamkeit. Doch in den Bestseller werde ich als Leser ja nicht überzeugt, sondern muss dem Willen des Autors folgen.

Deine Argumentationskette zum "Fehler des Kunden-Bashings" belegt eigentlich nur meine Aussage der mangelnden Fantasiebereitschaft. Sonst wäre dein Truffault-Argument hinfällig, der ja nun nicht wirklich massenhype taugliche Filme geschaffen hat. Allerdings qualitativ hochwertig, im Sinne von Anspruch. Der Mainstream ist nun einmal darauf ausgelegt, Tiefgang und eine Denkanstrengung des Konsumenten zu umgehen. Und das ist nicht nur dem Wirken der Marketingindustrie geschuldet. Der Markt selber, die Kundenentscheidung, ist ebenso ausschlaggebend. Ein bisschen kann man dies daran erkennen, welche Verkaufszahlen von Literaturnobelpreisträgern erzielt vor und nach der Preisverleihung. Dein zweites Argument in der Kette, entweder selbst bestimmt oder Mainstream, finde ich im Hinblick auf eine Qualitätsdebatte interessant. Bedeutet es doch, dass nicht die Qualität sondern das Befriedigen Massengeschmacks den Erfolg ausmacht. Ich befürchte das stimmt sogar.

@Janne: Vielleicht sehe ich das Ganze auch zu sehr aus der Autorenperspektive. Als Autor von Geschichten und Büchern, weil mir die audioaktiven Elemente fehlen, werde ich dem Leser "zeigen" müssen, was ich ihm vermitteln will. Zwar habe ich im Hörspiel bereits durch die Stimmfärbung, Musik und Effekte eine vorgefertigten Eindruck, der aber deutlich stärker durch den Hörer interpretierbar ist, als ein Szene in einem Hörbuchtext. Selbst, wenn ich stringend "show, don´t tell" anwende, wird der vermittelte Eindruck stets der Gleiche bleiben. Lies mal einen Psychothriller im Dunkeln und z.B. am Strand. Der Eindruck wird nur mehr oder weniger stark, aber immer derselbe beleiben. Hör mal ein Psychothriller-Hörspiel im Dunklen oder am Strand. Der Eindruck wird sich verschieben. Durch die größere "Datenmenge" des Hörspiels verändert sich auch die Interpretation der Daten, also deine Fantasieleistung. Ich höre auch Hörbücher, mal davon ab, aber meine Erfahrung ist halt, dass Hörspiele mein "Kopfkino" deutlich mehr befeuern. Mag ein subjektiver Eindruck sein. Ich erhebe ja nicht den Anspruch, eine universelle Wahrheit zu verkünden. :D
 

Dirk Hardegen

www.Ohrenkneifer.info
AW: "Kassettenkinder"

Zitat pio: "wieso überraschen mich diese Vorschläge? Wo ließt Du das den heraus?
Sogenanntes Cross Marketing funktioniert schon seit geraumer Zeit, nun also auch beim Hörspiel.

Darüber hinaus steht es Dir sicherlich nicht zu meine Arbeit zu diesem Thema unterschwellig in Frage zu stellen."

Ich habe nichts unterschwellig in Frage gestellt. Ich fand nur Deine Äu´ßerungen zum Thema bis zu diesem Posting etwas beliebig, für jemanden der in Fakten und Zahlen sprechen könnte.
Deine Bemekerung "nun also auch beim Hörspiel" stimmt mich dagegen wirklich skeptisch-. Crossmarketing ist im Hörspielbereich schon zu Schallplattenzeiten - ein bewährtes Konzept (Vermarktung vann Asterix, Wickie, Popey, Yps..." - "jetzt also auch beim Hörspiel".... ist unglücklich.
 
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