Ein sooooo epischer, radikaler Text braucht eine Rückmeldung. Und ich habe mir die Ehre zuteilwerden lassen.

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Wie beginnt ein guter Roman? Und wie ein schlechter? Bei der Frage geht es weniger um den ersten Satz, der regelmäßig bei
Die Welt oder
Brigitte abgefeiert wird. Es geht um den heiklen Lektürebeginn, wenn der Leser das noch unbekannte Textterritorium betritt und die Grundkoordinaten der Romangeographie für sich entdeckt.
Ein Aufbruch ohne Ziel, der erstmal wenig mehr ist als ein Zurücklassen des Bisherigen. Ein fulminant ruhiger Aufbruch zu Beginn des Romans. Und noch aus einem anderen Grund ist dieser Romananfang so wichtig.
Keine Ent-, sondern Begrenzung des Settings und des Personals.
Diese karge Unaufgeregtheit und dieses weltanschauliche Understatement setzt SeGreeeen stilistisch bis in das Vokabular hinein um.
Das letzte Zitat zeigt beispielhaft: Es gibt wenig Konjunktionen in diesem Roman, wenige Und-So’s, Deshalbs, Weils oder Dahers. Irgendeine Welt dreht sich, irgendwelche Menschen reden miteinander, und ab und zu sagt wer auch ein paar Wörter.
Wenn die Protagonisten sich durch wenig mehr auszeichnen als durch ihr Vorhanden-Sein, dann werden Nebensächlichkeiten zu einer geradezu aufsehenerregenden (und aufschreibwürdigen) Angelegenheit
So geht das in einem fort. Parallel zum Fort- und Leerlauf des inhaltlich und stilistisch Belanglosen steigt die Erwartung, dass dieser bräsige Deskriptionsstil doch in irgendetwas münden muss, dass SeGreeeen alles in einer kühnen Volte zusammenstürzen lässt und einen narrativen Coup offenbart. Aber nein.
Womöglich ist gerade das radikal konsequent. Schließlich muss bei solchen lümmeligen und lethargischen Protagonisten der erzählerische Coup ausbleiben. In dieser Fiktion hat nun einmal niemand jemand zu schlagen, weder das Trückel noch sein Autor und schon gar nicht der Leser.
Wagen wir eine These:
Wieder kassieren die postmodernen Schreiberlinge eine Absage. Keine ironischen oder semi-faktischen Verdrehungen à la Christian Kracht, die die Souveränität des Autors beweisen, kein pseudo-biographisches Abdriften ins Fiktive, wie es Felicitas Hoppe in
Hoppe kürzlich vorgemacht hat, keine hyperbiographische Detailderbheit, wie sie uns Karl Ove Knausgărd vorgelegt hat. Das Trückel ist SeGreeeen ist Trückel.
Es wird ohne jegliche Kühnheit erzählt.
2013 versuchte Jan Brandt in seinem Romanerstling
Gegen die Welt die deutsche Provinzjugend noch durch allerlei Schreib-Gimmicks aufzupeppen: durch den sog. „epischen Atem“ des Romans (927 Seiten), durch eine Simultanstory, die parallel zum Hauptplot über 150 Seiten im unteren Seitendrittel verläuft sowie durch typographisch abgesetzte Einschübe.
SeGreeeen will nichts dergleichen, und bis zuletzt stellt sich mir die Frage, ob der Roman deswegen wenig mehr ist als ein stilistisch bewundernswert präziser Betrug, der nichts will, der einem nichts gibt, für den man irrigerweise aber Zeit und Geld opfert. Oder er ist in seiner Poetik symptomatisch für die Jetzt-Zeit und bildet auf hervorragende Weise das Gegenwärtige ab, für das wir, die wir mittendrin stehen, bereits blind geworden sind.
Nehmen wir letzteres an: Dann hat SeGreeeen mit
„Ein zöckiges Trückel“ die feuilletonistischen Vorwürfe, die den deutschen Jungautoren gelten, zu einem literarischen Entwurf umgestülpt. Maxim Biller warf der jungen Literatur in einem Text mit dem Titel „
Letzte Ausfahrt Uckermarck“ vor, „so unglaublich langweilig“ zu sein, Enno Stahl sprach davon, dass es sich um eine Literatur handele, die „
sehr langweilig ist, da sie zu großen Teilen von Autorinnen und Autoren verfasst wird, die nichts erlebt und nichts zu erzählen haben.“ Und Florian Kessler antwortete auf die selbstgestellte Frage, „warum [..] die deutsche Gegenwartsliteratur so brav und konformistisch“ geworden sei, mit der
Polemik, dass sie lediglich von anpassungswilligen Arzt- und Richtersöhnen verfasst werde.
Seien wir also gespannt, welche literarischen Leckerbissen wir noch von SeGreeeen erwarten können.