AW: Fight Club (Buch) Vorwort
Vorsicht mit diesen sicher gut gemeinten Ratschlägen. Es grassiert nach wie vor das Missverständnis, es handle sich beim "Spielen" um die Imitation, also quasi das gekonnte nachäffen dessen, was man so als Klangpalette den jeweiligen Emotionen zuordnet. Grundsätzlich ist es auch immer richtig, daß kenntnisreiche "Gaukler", ob im Schauspiel oder beim Sprechen durchaus geübt sind im Chargieren. Zur Charge steht in Wikipedia nicht dumm:"
Von dieser negativen Bedeutung abgeleitet ist der Begriff „Chargieren“, der eine übertriebene, unnatürliche, unrealistische, effekthascherische Spielweise bezeichnet. Beim naturalistischen Theater wird hingegen angenommen, dass die Figuren real existieren könnten. Durch Vermeidung des Chargierens versucht sich das professionelle Schauspiel oft vom unprofessionellen zu unterscheiden. Chargen werden allerdings auch als Kunstmittel eingesetzt, ähnlich wie Masken. Zum Beispiel können „Verfremdungseffekte“ durch stellenweise typisiertes oder übertriebenes Spiel erzielt werden."
Es ist wirklich wichtig, sich ganz persönlich und individuell im klaren zu sein über die eigene Herangehensweise, einen emotionalen Ausdruck zu finden - der sich vor allem beim Hörspiel auf das einzige Mittel, nämlich die eigene Stimme verlassen muß.
Seid also beides beim Umgang mit der Stimme:
1. trainierende Imitatoren, um bewußt mit diesem Stilmittel arbeiten zu können
und
2. treu Eurer Persönlichkeit, tja was kann ich da anderes schreiben als... authentisch. Das klingt vielleicht für viele mittlerweile abgedroschen - aber darum geht es.
Viel zu oft höre ich bei den Stimmproben allzu klischierte Auffassungen einzelner Emotionen....
Das ist vielleicht schön, um die Wandelbarkeit im stimmlichen Ausdruck zu demonstrieren, um aber jenseits davon auch etwas von sich selbst zeigen und hörbar machen zu können, reicht das eigentlich nicht......finde ich.
Trotzdem gestehe ich zu, daß gerade das Hörspiel eine Kammer voller Fallen sein kann und es ist immer wichtig, sich früh mit der Regie zu verständigen, was sie eigentlich sucht.
In Ergänzung zu Jamie gebe ich also den Rat, vor allem nach Lebendigkeit zu suchen, und die kann jede und jeder naturgemäß am besten in sich selbst finden.
Wenn du also einen Text vorbereitest, dann mach Dir, wie Jamie empfiehlt ruhig Gedanken über die Gestaltung, manchmal vielleicht sogar das Atmen etc.
aber dann mußt du das wieder vergessen und intuitiv vorgehen, so wie du es eigentlich sprechenderweise tagtäglich von morgens bis abends tust (Lauf mal einen Tag lang so ein wenig neben Dir mit und staune darüber, wie gekonnt Du spontan und fliessend wechselst vom höflichen zum direkten Ton, vom Nervsack und der Stinkmorchel zum Süssholzraspler oder Gekränkten etc., denn nichts anderes tun wir - stimmlich eindrucksvoll perfekt - ständig eine andere Rolle einnehmen, je nach Anliegen. Fahr mal einen Tag im Bus durch die Stadt und beobachte, wie Menschen mit verschiedenen Menschen auch verschieden sprechen - Es ist ein Zirkus. Großartig ! )
denn kein Mensch will der Gestaltung des Textes eines anderen zuhören - schon garnicht im Hörspiel - sondern er möchte verstehen, was den Sprecher oder die Sprecherin beschäftigt. Was sich hinter dem Inhalt für eine Haltung verbirgt, egal wie sie dargebracht wird. Das ist das, was einen Zuhörer neugierig macht: Was ist das für jemand ? Was hat der gerade vor ? oder hui, Ich glaube, der lügt - höflich wie der sein kann ! oder "Mensch, was für ein Demagoge - wahnsinn wie er andere manipuliert, ich möchte ihm auch am liebsten auf den Leim gehen." oder "sie versucht sachlich zu bleiben aber ich höre die Erschütterung, da ist also mehr im Spiel "
Die Botschaften, die wir als lebendige Wesen mit unserer Stimme transportieren sind viel komplexer ( und deshalb auch meist komplizierter ) als wir bewußt wahrnehmen.
Deshalb ist alle Gestaltung schön, aber auch nur so schön, wie ein hohler Krug, der mit gutem Wein gefüllt werden muß.
Nehmt also zunächst Texte, mit denen ihr persönlich so viel anfangen könnt, dass es Euch nicht schwer fiele, den Inhalt in eigenen Worten wiederzugeben.
Erst dann lernst du peu à peu mit Fight Club oder irgendwann Shakespear oder Lyrik auch so zu klingen, als käme das, was du zu sagen hast von Dir.
Es gibt einen Weg, den du dabei zurücklegst, der kein festgefügtes Zeitmaß hat. Lerne Dich selbst kennen und einschätzen, höre dir selbst liebevoll und zugleich kritisch zu und sei ehrlich zu dir, ob du dich einfach gerne reden hörst oder ob du dir selbst auch wirklich gerne zuhörst.......dann kann das ganz fix gehen.
Sei bei Dir und sei lebendig - dann bist Du Du in allem, was Du sagst - egal ob Du stotterst, in Zungen redest oder schweigst - und die Leute hören zu