Nachtschatten

cogito, ergo sum
Hallo,


Ich weiß nicht, ob dieser Text jetzt hier angebracht ist. Ich habe mich entschlossen ihn einzustellen, da er geschlechtsneutral gehalten ist. Ich habe leider keine Erfahrungen mit »Sprechern« und weiß nicht so wirklich, was ihnen hilft ...


So schwarz ist die Welt




Ich stand am Haus. Rauchte meine Zigarette vor dem Zubettgehen. Ich wähnte mich allein zu dieser späten Stunde, bevor das Mädchen in den Lichtkegel der Straßenlaterne trat. Orientierungslos wechselte sie die Straßenseite, verharrte im Schritt, sah zu mir, dann die Straße entlang. Taumelnd lief sie weiter, die Arme vor ihrer Brust verschränkt. Eine Jacke trotz herbstlicher Frische um ihre Hüften gebunden. Ich fragte mich, wer sie war. Was sie wollte. Eine Zigarette? Ich hatte mir soeben die Letzte angebrannt. Sie stellte sich wortlos neben mich. Zu nahe dachte ich mir und wich ein Stück zur Seite. Fast panisch blickten ihre verweinten Augen. In alle Richtungen wandte sie ihren Kopf. Meine Gedanken wirbelten. Was war mit ihr geschehen?
»Was gibt‘s?«, sprach ich sie an - völlig daneben - wurde es mir zu spät bewusst.
»Nichts. So schwarz ist die Welt«, antwortete sie, womit meine Verwunderung wuchs. Unsicherheit erdrückte mich. Meine Zigarette trat ich rasch aus. Ich öffnete die Tür und begab mich in den wähnenden Schutz des Hauses. Gleichwohl sah ich sie durch das Fenster, wie sie über die Straße ging. Verängstigt und mutterseelenallein. Waren es Drogen oder Alkohol, die sie aus dem Gleichgewicht brachten? Sollte ich die Polizei alarmieren? Hemmungen erfassten und bannten mich zur Untätigkeit. Sie war allenfalls sechzehn. Was hielt mich zurück, sie zu fragen, was mit ihr sei. Ihr meine Hilfe anzubieten. Sie verschwand in die Nacht. Erleichterung entfuhr mir, denn sie war meiner Sorge entrückt.


Ich hörte von ihr. Tage später. Sie war fünfzehn und hieß Miriam Kramer. Ihre Eltern flehten öffentlich nach einem Lebenszeichen von ihr.


Ein Erdhügel im Wald. Unweit meines Hauses. Ja, ich kenne diese Stelle, gehe jeden Tag dorthin. Eine Brücke führt über den Bach. Die Ufer eingesäumt von kraftvollen Eichen. Heute zierte den Steg ein rot-weißes Absperrband. Es flatterte im Wind, übertönte das Rauschen der Laubkronen. Mein Hund hatte die zarte Mädchenhand am gestrigen Tag in der Erde entdeckt. Mir fielen Miriams Worte ein, hörte ihre verängstigte Stimme. So schwarz ist die Welt, sagte sie. Wieder und immer wieder in meinem Gewissen.
 
Y

Yüksel

AW: So schwarz ist die Welt

Wow - finster, aber gut! Einfach nur düster, doch das gefällt mir sehr.
 

Jamie

Jamie Leaves
AW: So schwarz ist die Welt

Mir erschließt sich kein zusammenhängendes Bild. Ein Mädchen mit Sorgen, vielleicht depressiv flüchtet in die Nacht......ihre Hand in der Erde? Hat sie sich selbst eingebuddelt?

Oder hab ich was überlesen?
 

Phollux

Robert Kerick
Sprechprobe
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AW: So schwarz ist die Welt

Jep sehr düster die Geschichte, aber mit schönen Worten erzählt.
Ich interpretiere es mal so, dass es egal ist wie sie zu Tode gekommen ist. Fakt ist sie ist tot und was bleibt ist eben seine nagende Frage: Hätte er es verhindern können?
Das setzt in meinen Augen dem Depressionsfaktor nochmal das Hütchen auf ;)
 
Y

Yüksel

AW: So schwarz ist die Welt

Jepp, ich sehe es auch so wie Phollux. Es geht doch darum, daß er/sie abgehauen ist, obwohl mit ihr was nicht in Ordnung war - und mit dieser "Schuld" muß er/sie leben
 

Jamie

Jamie Leaves
AW: So schwarz ist die Welt

Ich fand die Geschichte ebenfalls schön zu lesen. Trotzdem hat sich beim Lesen in mir ein inneres Bild aufgebaut. Und wenn man dann beim Lesen an einen Punkt stößt, der einem im eigenen Bild unlogisch erscheint und Fragen aufwirft, dann ist man in diesem Moment aus der Geschichte herausgerissen. Und das soll ja nicht der Effekt sein. Mir ging es jedenfalls so, dass ich mich durch die Hand in der Erde aus der Geschichte herausgerissen gefühlt habe.
 

Nero

Anne
AW: So schwarz ist die Welt

Ich verstehe, was Jamie meint. Dieses "in der Erde" impliziert, dass das tote Mädchen eingegraben war (aus Krimis kennt man das doch, dass dann nur die Hand rausschaut z.B.). Daher denkt man, dass sie umgebracht wurde. Hätte sie sich umgebracht, hätte sie sich wohl kaum selbst eingebuddelt oder.

"In der Erde" kann aber auch heißen, dass das Mädchen tot auf der Erde liegt, aber eben die Hand ein bisschen mit Sand bedeckt, ohne dass das Mädchen eingegraben war. Versteht ihr, was ich meine? :)
Aber es wird eben nicht so ganz deutlich.

Man denkt eher, dass sie eingegraben wurde und das widerspricht der Geschichte.
Kleine Stolperfalle, aber trotz allem eine "schöne" Geschichte (na ja, zum Nachdenken anregend).

Grüße
 

Thuda Dragon

Admin in Pension
Teammitglied
AW: So schwarz ist die Welt

Der Text hat mir Lust auf eine kleine Umsetzung gemacht. :laechel:

 
 

Noir

Mitglied
AW: So schwarz ist die Welt

Suuuuper, Sven! Hammer Atmosphäre! 1a!
 

Mad

Marcus Micksch
Sprechprobe
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AW: So schwarz ist die Welt

Der Text hat mir Lust auf eine kleine Umsetzung gemacht. :laechel:

 

Untertreib nicht! ;) Also thrillender geht's wohl nicht mehr, oder? Sehr, sehr schaurig schön.
War nur erst irritiert, warum der Typ im Dialog so nen Radiovoice-Effekt hat, das Mädchen aber nicht.

Und hier eine weitere Interpretation zur Hand in der Erde: Die Hand war abgehackt! Und bildete mit
anderen Leichtenteilen nur den Anfang eines Pfades hin zum toten Körper, der aus einer Mülltüte..
naja, ihr wisst schon.. schreckliche Dinge halt. Und der Hund hat's gefunden.
 

Noir

Mitglied
AW: So schwarz ist die Welt

Man könnte da so einiges reininterpretieren. Sogar, dass der rauchende Charakter der Killer ist und das ganze nur verdrängt. Ich find den Text stark. Auch wenn ein Namensvetter von mir draufgeht...
 

Nachtschatten

cogito, ergo sum
AW: So schwarz ist die Welt

Hallo,


ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll. Ich bin einfach ...


Die Atmosphäre ist genial! Hatte bisher noch nie Gänsehaut von meinen Geschichten bekommen ...


Danke Sven Matthias! :)
 
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