MaVericK

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Guten Morgen Zusammen,

ich bin Autor und wollte mal in die Runde fragen ob einer Lust hat meine Kurzgeschichte für meinen Youtube Kanal einzulesen? Falls ihr auch einen Kanal habt, könnt ihr gerne die Geschichte ebenfalls hochladen. Nett wäre mit Verlinkung bzw. Nennung meiner Seits- das selbe gilt natürlich für mich :)

Viel Spaß beim Lesen.


Der Stein von Marvin Buchecker

»De Döör dicht, dat Beer is al ieskold«, rief einer der drei greisen Skatspieler, die auf der Eckbank saßen. Eisiger Wind fegte durch die Rekener Gaststätte bis der junge Mann die Tür hinter sich schloss. Die Bedienung holte ein Glas hervor. Noch bevor sich der Fremde einen Barhocker zurecht geschoben hatte, hatte sie es bereits mit Bier gefüllt. Er lächelte, während er mit seinem Zeigefinger über das helle Holz des Tresens strich. Ungefähr so, als würde er sich an einen Scherz erinnern. Dann warf er seinen dunklen Mantel über die Lehne und setzte sich an die Theke.
Die drei Alten klatschten ihre Karten auf den Tisch, dann hoben sie fluchend ihre leeren Gläser. Während die Bedienung eifrig neue Biergläser füllte, musterte sie neugierig den jungen Mann. Er war etwa Ende Zwanzig, von dünner Statur und hatte für diese Jahreszeit eine auffällig braune Hautfarbe. Vermutlich war er gerade erst von einer Urlaubsreise zurückgekehrt.
Sie füllte ein Tablett mit den frisch gefüllten Biergläsern und wollte es gerade vom Schanktisch anheben, als ihr in den blauen Augen des Fremden einen Tränenschleier auffiel. Dieses Blau, es war viel zu alt, für einen so jungen Menschen. Sie löste ihren Blick von dem Fremden und brachte die Getränke zu den Skat spielenden. Als sie wieder hinter die Theke zurückkehrte, lag neben dem Bierglas des Fremden ein runder Stein. Etwa faustgroß, die Oberfläche war glattgeschliffen und er strahlte, trotz der gedimmten Beleuchtung in einem matten Türkis. Der Fremde schien noch nichts von seinem Bier getrunken zu haben. Die Schaumkrone war bereits zusammengesackt, der Rand des Glases unbefleckt. Scheinbar in Gedanken streichelte er noch einmal mit seinem Zeigefinger über das Holz der Theke. Sein alt wirkender Blick ruhte auf dem Stein.
»Das ist aber ein schöner Stein, den Sie die haben«, stellte die Bedienung fest, während sie eines der Gläser mit einem Küchentuch polierte. Der Fremde verharrte in seiner Bewegung, lachte leise und sah sie dann zögerlich an. Erst jetzt bemerkte sie seine dunklen Augenränder. Der schwache Lichtschein der Thekenbeleuchtung ließ seine Gesichtszüge kantig erscheinen. Nun sah er nicht mehr so jung aus. Tiefe Furchen und Falten gruben sich wie Narben des Schmerzes über seine Mimik. Er seufzte schwer, ehe er mit heller Stimme antwortete. »Oh ja, das ist ein sehr schöner Stein.«
»Wo haben Sie den her?«
»Von meinen Vater. Er hat ihn von seinem Vater … Er ist sozusagen ein Familienerbstück.« Die Worte des jungen Mannes gingen beinahe in dem lauten Fluchen der Skatspieler hinter ihm unter. Er nahm den Stein vorsichtig in seine Hand und wog ihn in seiner Handfläche. Dabei grinste er, es wirkte jedoch nicht so, als tat er dies aus Freude, sondern fast schon spöttisch. Als die Stimmen der Greise aus der Ecke etwas leiser wurden, fragte ihn die Bedienung, »Na und? Was macht diesen Stein so besonders? Muss ja schon wichtig für Ihre Familie sein, wenn er so lange schon in Ihrem Besitz ist.« Wortlos legte der Fremde den Stein wieder auf den Tresen zurück. Seine Mundwinkel zuckten und wieder legte sich ein Tränenschleier auf seine alten Augen.
»Ja, das ist er wohl.« Die Bedienung musste sich ein Stück näher an ihn heran beugen, da er nun flüsterte. »Mein Großvater hat ihn stets bei sich getragen, wenn er zum Stephanus Steinigen ging. Irgendwann gab er ihn an meinen Vater weiter, der ihn fortan bei sich trug, wenn er dieser alten Tradition folgte. Das hat ihn vor so mancher Lokalrunde gerettet. Na, und als mein Vater nicht mehr losgehen wollte, gab er ihn mir.«
»Eine schöne Tradition«, seufzte die Bedienung beiläufig. Hatte sie sich doch eine spannendere Geschichte versprochen. Sie bemerkte, wie einer der Skatspieler seine knochigen Finger hob. Sie holte eine Flasche Korn hervor und füllte drei Schnapsgläser mit dem eiskalten Brand. Dann sah sie noch einmal zu dem Bierglas des Fremden. Das Getränk war schal geworden. So trostlos, wie das Gemüt seines Besitzers.
Als sie die Schnäpse zu den Alten gebracht hatte und deren leere Gläser, in die Spülmaschine räumte, begann der Fremde weiterzureden. Sie hatte den Eindruck, als wären seine Worte nicht an sie gerichtet, er schien es einfach sagen zu müssen. »Dieser Stein ist wirklich schön; besonders seine Eigenschaft. Als mein Vater ihn mir vor dreizehn Jahren gab, sagte er ›Junge, gehe niemals Stephanus Steinigen in Reken ohne den Stein in deiner Tasche. Du möchtest dich doch nicht in der Kneipe blamieren? Trage ihn immer bei dir und wenn der Stein anfängt zu drücken, oder du ihn im besoffenen Kopp strahlen siehst, dann ist es gut gewesen. Dann wird es Zeit für dich, nach Haus zu kommen.‹«
»War es denn auch so?«, fragte die Bedienung. Nachdenklich betrachtete sie den Stein.
»Ich weiß es nicht, ich habe es einfach getan. Auch wenn es dann manchmal fünf Uhr morgens war. Meinem Vater hat es gereicht, wenn ich ihm dann erklärte habe, dass der Stein einfach nicht eher zu drücken angefangen hatte. Was haben wir darüber gelacht!«, er schnaufte kurz, bevor er weitersprach. »Alte Zeiten. Papa und ich hatten eigentlich immer ein gutes Verhältnis. Nur als ich ihm vor sechs Jahren sagte, dass ich nicht in Reken bleiben will und in die Welt hinaus gehen möchte. Da wurde es kalt zwischen uns. Nicht, dass er es mir nicht gegönnt hatte. Nein, er hatte nur Angst, dass wir uns aus den Augen verlieren würden.«
»Hatte er recht?«
»Leider ja. Ich arbeite in einer großen Firma. Muss viel Reisen. Vor fünf Tagen war ich noch in Los Angeles. Ach ja, die Arbeit. Karriere. Ist das nicht verrückt? Ich habe Zeit, um mit irgendwelchen Geschäftspartnern essen zu gehen und schaffe es nicht ein Mal, meine Eltern über Weihnachten anzurufen?« Er schnaufte erneut und seine Mundwinkel hoben sich wieder zu einem spöttisch Grinsen. »Die letzten Jahre wusste ich eigentlich so gut wie überhaupt nicht, was mit meinen Eltern los ist. Zu Anfang haben wir noch telefoniert. Mama hat immer gefragt, wann ich denn wieder in Deutschland bin. Ich habe sie stets vertröstet. Dann habe ich es nicht mehr geschafft anzurufen und habe ihr lediglich übers Handy Kurznachrichten geschrieben. Wieder fragte sie, wann ich es denn mal schaffen würde. Damals hatte sie schon angedeutet, dass es Papa nicht so gut gehen würde. Aber, das war vor drei Jahren und ich stand kurz davor, einen guten Posten zu bekommen. Also ignorierte ich ihre Worte. Seit Anfang des Jahres hatte ich dann nichts mehr von ihnen gehört. Keine Kurznachrichten, keine Emails, nicht einmal einen Brief.«
Er schluckte. Die Bedienung öffnete ihren Mund, doch er kam ihr zuvor. »Ich habe es nicht bemerkt. Absolut nichts registriert. Ich wäre noch heute völlig ahnungslos, wenn ich nicht …«, er verstummte und starrte wieder auf den Stein.
Schweigen. Selbst das Gefluche der Skatspieler schien verstummt zu sein. Minuten verstrichen. Erst als eine Träne von seiner Nasenspitze zu Boden tropfte, flüsterte er: »Im Januar hatte Vater einen Schlaganfall. Mama war mit der Situation völlig überfordert. Sie hat einfach nicht daran gedacht, mich darüber zu informieren. Es wäre ja eh verschwendete Zeit gewesen. Ich hätte es nie erfahren, wenn nicht …«, seine Hand zuckte in Richtung seines Gesichtes. Ihr kam es vor, als würde er sich am liebsten selbst Ohrfeigen. »… Wenn ich nicht vor fünf Tagen diesen Stein in einem Seitenfach meines Koffers gefunden hätte. Der Stein, der mich mit seinem türkisen Glanz, aus meinem Alltagstrott zog. Ich hatte ihn nicht da hineingelegt. Vielleicht war es mein Vater? Möglich wäre es. Schließlich habe ich diesen Koffer schon seit damals, als ich Reken verließ. Jedenfalls hat mich dieser Stein an etwas erinnert, an die Worte meines Vaters.« Nun nahm er sein Bierglas und leerte es in einem Zug. Er stieß auf und sagte dann mit bebender Stimme Und wenn der Stein anfängt zu drücken, oder du ihm in besoffenen Kopp strahlen siehst, dann ist es gut gewesen. Dann wird es Zeit für dich, nach Haus zu kommen! Das tat ich dann auch und nun bin ich hier.« Er schwieg wieder und betrachtete den Stein.
»Und, wie geht es Ihrem Vater?«, fragte die Bedienung, dabei konnte sie ihre Neugierde nur schwer verstecken. Bei ihren Worten rannen weitere Tränen an seiner Nasenspitze herab. »Er wird doch nicht … nicht bevor Sie es rechtzeitig geschafft haben?« Sie hielt sich die Hand vor den Mund.
Er sah sie nicht an, als er ihr mit belegter Stimme antwortete.
»Sagen wir es so. Ich bin froh, dass ich diesen Stein habe. Doch bereue ich es, dass ich nicht in der Lage gewesen war ihn und seine Bedeutung eher zu sehen.«
Dann sagte er nichts mehr.
Er sah nur stumm auf den türkis schimmernden Stein, in seiner Hand.
 

Phoe

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Schöne Geschichte, auch wenn sie traurig ist. Erinnerte mich daran auch mal wieder meine Familie zu besuchen.

@Josef
:sweatsmile: alle aus einer Ecke hier
<----Eperaner
 
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Kluki

Kann mich jemand hören? Hallooooo!
Sprechprobe
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Vielen Dank, freut mich, wenn ich den Inhalt richtig rübergebracht habe und es gefällt
 

MaVericK

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Hallo Kluki,
fantastisch! Du hast eine hammer Hart zu lesen! Ich bin total begeistert :) Danke dir!
 
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