• Blut-Tetralogie   Dark Space

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Der Protagonist will mit seinem Bericht dem Zuhörer beweisen, dass er zwar reizbare Nerven und durch sein Leiden geschärfte Sinne hat („Ich hörte alles, was im Himmel und auf Erden geschah; auch manches, was in der Hölle vorging.“), dass er aber keinesfalls wahnsinnig ist. Offenbar wirft man ihm das vor; vielleicht in einem Polizeiverhör oder in einer Untersuchung in der Psychiatrie. Denn er hat einen alten Mann getötet, aber nicht etwa aus Hass oder aus Besitzgier. Er sagt, dass er den alten Mann geliebt habe, sein Geld habe er nicht angerührt. Auslöser des Verbrechens sei ausschließlich eine physische Besonderheit des Alten gewesen: Eines seiner Augen, blassblau, sei überzogen von einem dünnen Häutchen und ähnele dem eines Geiers. Er habe es nicht ansehen können, ohne von tödlichem Hass ergriffen zu werden. Im Folgenden schildert er präzise den Ablauf der Tat und entlarvt damit selbst seine Psychose:

Eine Woche schiebt der Ich-Erzähler die Tat vor sich her. In dieser Woche begegnet er dem Alten tagsüber mit besonderer Liebenswürdigkeit. Nachts aber, wenn er schläft, sucht er ihn so leise und umsichtig auf, dass dieser nichts davon merkt. Dann öffnet er eine bis dahin verblendete Laterne einen Spalt breit und leuchtet ihm ins Gesicht. Weil das Auge geschlossen bleibt, kann er ihn jedoch nicht töten.

In der Mordnacht verrät sich der Erzähler durch ein Geräusch. Der Alte schrickt hoch. Der lauernde Täter erstarrt zu völliger Stille in absoluter Dunkelheit. Aber er ahnt, dass der Verängstigte seine Anwesenheit fühlt. So belauern die beiden einander eine Stunde lang. Der Erzähler stellt sich genüsslich die Panik des Opfers vor, die er selbst gut kennt. Schließlich öffnet er seine Blendlaterne einen Spalt breit. Das Licht fällt auf das verhasste Auge. Aber noch immer kann er sich nicht zur Tat aufraffen, bis er hört, wie das Herz des Alten anfängt, immer lauter zu schlagen. Er hat Angst, die Nachbarn könnten das Pochen hören. Mit einem Schrei springt er auf den Alten zu, erstickt ihn unter seinem Bettzeug, hört aber das Herz seines Opfers noch lange schlagen.

Auch die Art und Weise, wie er den Toten versteckt, hält der Erzähler für einen Beweis seines klaren Verstandes. Er zerlegt den Körper, löst Dielen aus dem Boden des Zimmers, stopft die Leichenteile in den Hohlraum darunter und schließt die Lücke wieder handwerklich perfekt. Den Polizisten, die von einem Nachbarn alarmiert wurden, der den Schrei gehört hat, erklärt er ruhig lächelnd, er selbst habe ihn im Traum ausgestoßen. Der Alte sei aufs Land gefahren. Die Ermittler sehen, dass das Geld nicht angerührt ist, und finden keinerlei Spuren einer Gewaltanwendung. Ihr Verdacht ist zerstreut und der Erzähler lädt sie in seinem übermütigen Sicherheitsgefühl zu einer Plauderei am Tatort ein. Aber in seinem Ohr beginnt ein Rauschen, das sich zu einem immer lauteren Pochen steigert, und er ist überzeugt, dass die Besucher die Bedeutung des Geräuschs auch kennen, aber ihren Spott mit ihm treiben, indem sie es heuchlerisch ignorieren. Um sich von seiner unerträglichen Seelenqual zu befreien, gesteht der Erzähler die Tat, indem er schreit, das grauenhafte Klopfen sei das Herz des Getöteten und liege unter den Dielen.


Produziert: Christian Müller
Text: Edgar Allen Poe
Sprecher: Christian Müller

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