Schlittenwolf

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Hallo,

Wie in der Vorstellung schon erwähnt, suche ich ein paar Sprecher, die Lust dazu hätten mal ein paar Teile eines Textes von mir zu sprechen. Noch ist der Text in "Originalfassung". Aber wenn sich genug Leute finden, schreibe ich ihn so um, dass die einzelnen Sprecher ihre Textstellen rascher finden.
Der besagte Text ist ziemlich lang, ich habe jetzt 2 Jahre dran gearbeitet, etwas über 200 Seiten sind's. Davon sind die ersten Kapitel nochmal überarbeitet, die anderen noch in Rohfassung.
Wenn es tatsächlich klappt, etwas davon auf Ton zu haben und es allen Spaß macht, könnte ich mir auch vorstellen, es komplett zu vertonen.

Worum gehts überhaupt?
Also, es handelt sich bei meiner Geschichte um einen Fantasyroman mit einem kleinen Tick Horror und einem großen Tick schwarzen Humor.
Eine Stadt wird dabei in Quarantäne gesetzt und die Bewohner mit Medikamenten versorgt, die ihre Körper verändern und sie mutieren lassen, so dass die uns bekannten Fantasyfiguren entstehen.
Die Hauptfigur ist in dieser Stadt geboren und gehört zur zweiten Generation der Mutierten. Im Laufe der Geschichte macht er es sich zur Aufgabe, die Barriere, die die Stadt umgibt, zu zerstören und alle Gefangenen zu befreien.
Er ist mit einer Reihe chaotischer Typen in der Stadt unterwegs, und grade deshalb finde ich, es wäre schön, das ganze vertont zu haben.

Ich denke, ich zeige euch einfach mal den Anfang. Vielleicht findet ja jemand Interesse daran



Prolog:


Ein Blick in den Spiegel lügt nicht.
Ich starrte mir selbst in die Augen. In ein dunkles, unergründliches Blau oder vielmehr in das finstere Loch darin.
Schwarze Zotteln verbargen meine von Pickeln verseuchte Stirn sorgfältig. Eine meiner Meinung nach viel zu große Nase prangte in der Mitte meines Gesichtes. Die Wangen waren leicht eingefallen und schienen mich förmlich anzubetteln, mir etwas in den Mund zu schieben. Ansonsten sagte mir mein Gesicht nichts, es konnte dementsprechend auch gar nicht lügen.
Leise stahl sich die Frage hinein, was ich da überhaupt tat. Philosophierte ich über mein Spiegelbild? Und dann auch noch bei so einem Spiegel?
Meine rechte Augenbraue hob sich fragend und mit meinem Ärmel wischte ich Staub und Dreck von dem Glas herunter.
Ja, verdammt, was tat ich hier? War ich endlich ganz unten angekommen?
Ein lautes Stöhnen aus dem Nebenzimmer ließ meinen schmalen Mund zucken. Wenn ich mir nur wie jeder normale Jugendliche einfach Kopfhörer in die Ohren schieben könnte… Aber nein. So etwas würde es meinem Leben nicht geben, nicht wenn es weiterhin so verlief wie jetzt. Doch wie sollte es denn sonst verlaufen?
Das laute Knurren meines Magens wies mich noch mal darauf hin, dass ich etwas zu mir nehmen sollte. Widerstrebend erhob ich mich von dem Schreibtischstuhl mit dem müffelnden Sitzpolster, auf dem ich bis eben gesessen hatte und torkelte dank dem fehlenden Schlaf zur Tür.
Immer öfter fragte ich mich, ob es nicht doch etwas Besseres für mich gab. Irgendwas anderes, das nichts mit diesem Dasein hier zu tun hatte.
Mit einem kräftigen Ruck öffnete ich die alte Holztür, da sie manchmal etwas klemmte.
Wie ein Dieb lugte ich um die Ecke. Keiner da, der Weg war frei.
Laute Musik und Lachen dröhnte von unten herauf.
Ich hasste es diesen Weg zu gehen.
Leise stieg ich die Treppe hinunter. Ich versuchte es zumindest, denn jede Stufe knarrte laut auf. Es klang wie eine Reihe tiefer Seufzer, bis ich unten angekommen war, aber solche Geräusche waren hier ja normal.
Das Erdgeschoss des Hauses, das ich mein Heim nennen durfte, bestand aus einem einzigen großen Raum, in dem Stühle, ein paar kleine Tische und Laufstege standen. Stahlstangen führten vom Boden zur Decke und wurden zahlreich von den Stripperinnen genutzt.
Ohrenbetäubende „Musik“ übertönte kaum das hallende Gelächter das im menschenüberfluteten Saal herrschte. Der hier ebenfalls hölzerne Boden war von Bier, Schnaps und Wein durchtränkt. Doch scheinbar war ich der einzige, den das störte. Genauso war es bei den Nebelschwaden aus Rauch - Zigarettenqualm vom feinsten – dank dem es bestialisch stank. Das war jedenfalls meine bescheidene Meinung.
Mit angehaltenem Atem suchte ich mir einen Weg durch die breite Masse Richtung Kellertreppe, wobei mich mein Magen weiter anspornte.
Plötzlich wurde ich an der Schulter gepackt. Blitzartig drehte ich mich um und hätte den Mann fast umgeworfen. Jetzt sah er mich mit rot unterlaufenen Augen an und hauchte mir mit seiner Alkoholfahne ins Gesicht, während er mit seiner anderen Hand seinen entblößten und verschwitzten Rettungsreifen rieb.
Irgendwas fragte er mich und setzte ein Hicksen nach.
Angeekelt befreite ich mich und setzte meinen Weg fort, gut darauf bedacht möglichst unauffällig zu sein. Es kam mir vor, als hätte ich eine Ewigkeit gebraucht, bis ich endlich ankam und die kalten Stufen weiter nach unten huschen konnte.
Dicke, muffige und doch angenehm kühle Luft empfing mich in dem kleinen Zimmerchen, das nur von alten Leuchtröhren belichtet war und dessen einziges Möbelstück, ein großer, fast zerfallener Kühlschrank, einen langen Schatten warf.
Mit einem schnellen Handgriff öffnete ich das vermutlich surrende Gerät - dank des Lärms von oben hatte ich keine Ahnung, ob es heute mal still war oder sein übliches nervtötendes Gebrumme von sich gab - und blickte in den - vermutlich so gut wie leeren - Schrank. Wozu hatten wir gleich noch mal einen so großen Kühlschrank? Es war doch eh fast nichts drinnen.
Da das Licht des Kühlgerätes nicht funktionierte ertastete ich die Nahrung. Zuerst geriet mein Zeigefinger in eine unangenehm matschige Substanz und ich dachte an den Salatkopf von vorletzter Woche zurück. Na lecker…
Ich suchte weiter und fand auch die dazugehörige Tomate wieder. Auch bei ihr entschied ich mich zu verzichten. Dann erfasste ich einen Plastikbecher und zog ihn heraus.
Es sah aus wie Jogurt, allerdings konnte man das bei dieser Belichtung zu fast allem sagen.
Vorsichtig zog ich die Versiegelung ab und schnüffelte. Roch auch noch wie Jogurt. Ich versuchte den Becher wieder so gut wie möglich zu verschließen, legte meine Hand darauf und schüttelte kräftig, anschließend sah ich mir das Ergebnis an.
Sah gut aus- also, immer noch wie Jogurt.
Mein Magen wurde ungeduldig, also suchte ich mir einen Löffel und fing an zu essen. Es schmeckte zu meiner Überraschung richtig gut. Hatte Mutter etwa eingekauft? Wie auch immer.
Achtlos warf ich den leeren Becher in eine Ecke. Anschließend machte ich mich wieder auf den Weg nach oben. Alles verlief ohne weitere Zwischenfälle, bis ich die letzte Treppe betrat.
Laute des Gelüsts drangen an meine Ohren.
‚Gott, bitte erspare es mir’, dachte ich und hoffte inständig, dass es nicht war, was ich vermutete. Aber als ich die letzte Stufe betrat und genervt zur Seite sah, was war da wohl?
Eine entkleidete Blondine, augenscheinlich Ende zwanzig - ich wusste, sie war Anfang dreißig - die an die Wand gepresst wurde von…na? Wer hätte das gedacht? Der fette Klops der mich vorher blöd angemacht hatte. Welch Ironie.
Jedenfalls hatte dieser ebenfalls nichts an.
Die Frau sah zu mir herüber. „Ted, geh in dein Zimmer!“, schrie sie und widmete sich dann wieder dem Mann vor ihr.
Ich verzog keine Miene und ging der Bitte, beziehungsweise dem Befehl meiner Mutter liebend gerne nach.
Da mein zerfressener Schreibtischstuhl grade so einladen zu mir gerichtet stand, ließ ich mich wieder auf ihn fallen. Gähnend betrachtete ich den Spiegel neben mir.
„Na, wie war dein Tag?“, fragte mich mein Spiegelbild stumm.
„Ach, ein Tag wie jeder andere“, murmelte ich lautlos zurück und schloss die Augen.
Ein paar Stunden Schlaf würden nicht schaden.


Kapitel 1Neuanfang

Ich hasste dieses Leben.
Schon seit Jahren steckte ich fest in diesem Loch, diesem Abgrund voll Dreck und Abscheu, doch selbst Mutter hatte die Hoffnung verloren, diesen Ort je zu verlassen. Ihre Schauermärchen hatten ihr letzten Endes selbst zu viel Angst eingejagt.
Ich hatte aufgehört zu reden, Hilfe zu suchen oder überhaupt auf jemanden zu zugehen. Der Glaube auf Rettung war noch da, aber er war klein und schwach, beinahe unsichtbar.
In den letzten Monaten hatte Mutter ihre Alkoholsucht weiter verfestigt. Zurück blieb ein Wrack ihres alten Selbst. Dafür hasste ich sie.
An den Abend, an den ich noch Jahre später zurückdenken würde, war es so voll und laut wie immer. Ich saß an der Theke, beobachtete abwesend das Rein und Raus der Gäste, sowohl an der Tür als auch an den Laufstegen und wartete auf Viper.
Viper…
Ich hatte diese Frau erst einmal in meinem Leben gesehen und hatte keine Ahnung, wer genau sie war. Einmal war sie hier aufgetaucht, hatte mit mir geredet und war wieder gegangen. Sie hatte offen und ehrlich mit mir gesprochen, und hob sich mit ihrer ganzen Art so von den anderen ab, dass sie einen positiven und bleibenden Eindruck bei mit hinterlassen hatte. Und sie hatte versprochen, dass wir uns wieder sehen würden.
Das war jetzt vier Jahre her.
Ein neuer Schub Gäste kam herein, wie immer fast komplett bestehend aus Jugendlichen, nicht selten in meinem Alter. Wie jedes Mal versuchte ich den Platz neben mir frei zu halten und wie fast jedes Mal wurde ich von meinem vertrieben.
„Ey, Teddy!“ Obwohl der Barkeeper schrie, verstand ich ihn erst beim dritten Versuch. „Hilf mal aus!“, befahl er und drückte mir einen Lappen in die Hand. „Abwaschen!“
„Gut, gut…“, nickte ich ab.
Ich hasste ihn. Das Wasser war immer eisig und das Tuch zum abtrocknen spätestens nach einer halben Stunde völlig durchnässt.
Jemand tippte mir bei der Arbeit auf die Schulter. Genervt drehte ich mich um.
„Teddy, richtig?“, fragte der Junge grinsend und rückte näher, damit ich ihn besser verstand.
„Ted“, verbesserte ich und griff nach dem nächsten Glas.
„Also, Folgendes, Teddy“, fuhr er fort, „du scheinst ja recht einflussreich zu sein.“
„Nein.“
„Aber beliebt.“
„Nein.“
„Aber du stehst da hinter der Theke.“
Ich hob eine Braue. „Sieht so aus.“
„Also, was ich eigentlich meine…“, er dachte kurz nach. „Du bist ja recht unauffällig und geschickt und... gutherzig. Du würdest nie einem armen Gossenjungen wie mir einen winzig kleinen Gefallen ausschlagen, stimmt’s? Ich fühle da so eine Verbindung zwischen uns, so einen… Kontakt. Ein magisches Band, das uns verbindet und mir sagt, dass wir mehr als nur Freunde sind. Findest du nicht auch, dass-“
Ich wandte mich ab und wusch weiter das Geschirr ab.
„Ey, Teddy, Mensch, ich rede mit dir!“
Seufzend sah ich hoch. „Was willst du?“
Er machte eine Kopfbewegung zu den Flaschen hinter mir.
Ein Kopfschütteln meinerseits folgte. „Kann ich nicht machen.“
„Aber, hör doch mal, mir, dem großen und weltberühmten Streuner, einen Gefallen zu tun, könnt dir sicher nützlich sein.“
„Warum?“
Er deutete auf seinen Hals, an dem ein Halsband mit stählernen Nieten prangte. „Ich bin einer von denen.“
Neugierig besah ich das schwarze Leder, riss mich dann aber wider zusammen.
„Findest du nicht, ich bin etwas zu alt, für Gute-Nacht-Geschichten?“, fragte ich.
„Gute-Nacht-Geschichten?“ Verwundert sah er mich an. „Ahh… du warst noch nie draußen.“ Er überlegte, dann kam sein Grinsen zurück. „Aber warum nicht? Ich sehe keine Fesseln.“
Unsicher besah ich weiter das Halsband. Die spitzen Nieten starrten mich an.
„Du glaubst doch daran“, hauchte er in mein Ohr. „Und ich kann dir die Wahrheit zeigen.“
Wie groß war die Wahrscheinlichkeit jemanden zu treffen, der mir hier heraus half? Wenn ich mit jemandem unterwegs war, der sich auskannte, würde es wohl relativ sicher sein. Aber wieso sollte er mich dabei haben wollen?
„Es wurde mir verboten“, erklärte ich schlicht.
Der braunblonde Fremde lachte. „Ich pass’ auf dich auf, okay? Wenn du mit mir, dem ausgefuchsten Streuner, zusammen bist, passiert dir nichts. Vertrau mir.“ Er reichte mir seine Hand.
„Also.. na gut.“ Ich ergriff die in den fingerlosen Handschuh gepackte Pranke.
Der Junge setzte wieder sein Grinsen auf. „Dann treffen wir uns morgen Abend. Gib mir mal den Malibu…, nein, beide Flaschen, du Schussel.“ Er packte sie in die Innentaschen der weit ausgefallenen ärmellosen Jeansjacke. „Und jetzt das rote Zeug dort“, er deutete auf ein kleines Gefäß im Regal, dessen Glas schon Staub angesetzt hatte. „Ich bin übrigens Streuner.“
„Ja, hast du schon erwähnt.“
Zufrieden schnüffelte er an der Flüssigkeit. „Pflaume“, schnurrte er und schloss für einen Moment die Augen.
Ich hingegen sah mich vorsichtig um. Zum Glück war es so voll heute, sonst hätte das Ganze sehr schlecht ausgehen können.
Streuner genehmigte sich einen großen Schluck. „Teddy, erzähl mal, warum hängst du hier noch rum?“
„Meine Mum arbeitet hier“, erklärte ich, „und mir fehlte eine Alternative.“
„Oh“, wie erwartet musste er sich ein Lachen verkneifen, wenn auch nicht ganz gelungen. „Welche ist sie denn? Die dort?“ Sein Finger zeigte auf eine Dunkelhaarige Schönheit, die an einer Stange tanzte. „Oder die? Die, die sich grade den BH abstreift? Oh, man, die ist echt gut…“ Er versank ins Schweigen.
Streuner blieb noch bis tief in die Nacht, aber wir redeten nicht weiter miteinander. Nachdem ich abgelöst wurde, zog es mich wieder nach oben in mein Zimmer zurück, wo ich mich ins Bett legte und die Zimmerdecke anstarrte.
Warum konnte sich der Boden nicht unter mir auftun und mich einfach verschlucken? Weshalb war ich gezwungen in dieser Welt zu leben, in der nichts real zu sein schien?
Plötzlich schwang die Tür auf und Mutter, betrunken und nackt, torkelte herein.
„Hallo, Teddybär!“, rief sie laut und sank entkräftet neben dem Bett zu Boden. „Ich hab dich lieb, mein Schatz.“
Ich antwortete nicht. Sie hätte es ohnehin am nächsten Morgen schon nicht mehr gewusst. Doch ich mochte es, wenn sie in mein Zimmer flüchtete. Es war das letzte, das wir noch gemeinsam hatten. Sie sollte sich hier so sicher fühlen wie ich auch. Auch, wenn das hieß, dass ich sie nicht anfassen durfte. Nicht mal in die Augen durfte ich ihr sehen. Wenn ich es tat, bekam sie Angst. Angst vor mir, ihrem eigenen Sohn.
Es tat weh, selbst wenn sie sagte, dass es nicht an mir lag.
Ich hasste dieses Leben.
Ob er wirklich auftauchen würde? Gespannt sah ich in die Dunkelheit.
Eine einsame Straßenlaterne spendete der Straße etwas Licht. Ich hielt mich Abseits des Bordelleingangs, damit ich nicht jedem gleich ins Auge sprang.
Hiervor hatte mich meine Mutter schon sooft gewarnt. Alle erzählten sie von dem Bösen hier draußen. Wie viele schlechte Träume hatten sie mir schon beschert, ohne dass ich etwas gesehen hatte? Schon lange war ich mir unsicher, was diese Schauermärchen betraf. Ob nun Wahrheit oder nicht, ich konnte nicht den Rest meines Lebens in dieser Zelle verbringen.
In den dicken blauen Kapuzenpulli gehüllt wartete ich. Und wartete, wartete…
Noch nie hatte ich das Bordell von außen betrachtet. Es sah tatsächlich noch hässlicher aus als von innen. Schöne Erkenntnis.
Die Minuten zogen sich in die Länge, aber ich wurde nicht enttäuscht. Schon von weitem nahm ich das Rollen der Räder eines Skateboards wahr, das sich mir näherte. Ein munteres Pfeifen, wie eine Kindermelodie aus alten Zeiten erklang aus der Finsternis.
Es verstummte erst, als ein Junge auf seinem Brett angerollt kam und direkt unter der Laterne hielt.
Mit dem Fuß ließ der das Skateboard hoch flippen und hielt es dann locker in der Hand. Dann drehte er den Kopf zu mir. Ich war mir sicher, dass er mich fixierte, auch wenn das von den Lichtverhältnissen schier unmöglich erschien, also trat ich vor. Der Sechszehnjährige vor mir trug ein schwarzes Shirt, darüber eine Jeansjacke mit abgerissenen Ärmeln. Die Beutelchen, die an seiner ebenfalls dunklen Dreiviertelhose hingen, klimperten zusammen mit mehren Schlüsseln.
Er fuhr sich mit einer seiner Spinnenfinger-Hände über die kantige Nase. Aus dieser kleinen Bewegung - und dem folgendem Schniefen - schloss ich eine Erkältung.
„Hast du davon, wenn du immer in dem Zeug nachts durch die Straßen wanderst“, triezte ich.
„Ach, halt doch den Mund“, erwiderte mein Gegenüber und schob sich endlich mit einer seiner von fingerlosen Handschuhen Händen die braunblonden Strähnen aus dem Gesicht, so dass ich ihm in die Augen gucken konnte.
Ich wurde, auch wenn ich es ungern zugab, ungeduldig. „Was ist jetzt?“, wollte ich wissen.
„Erst der Alk“, verlangte der Skateboarder und verschränkte die Arme.
„Betrunken soll man aber nicht fahren“, witzelte ich.
„Sehr lustig, Teddy.“ Die Ironie in seinem Ton war nicht zu überhören, zumal er inzwischen genau wusste, dass ich diesen Namen nicht besonders mochte. „Überhaupt wandere ich nicht, ich fahre“, fügte er kurz darauf hinzu.
Die fast drei Zentimeter langen Nieten an seinem Halsband sahen auch jetzt spitz und gefährlich aus, also zögerte ich nicht weiter und holte eine Schnapsflasche unter meinem Pulli hervor.
„Reicht das?“
Ein prüfender Blick auf die Marke und schon hatte sich der Blonde die Flasche geschnappt. „Du bist der Beste, Teddy“, gratulierte er und drehte den Schnaps in seiner Hand.
„Geht’s jetzt endlich los?“
Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, als ich das fragte, aber ich konnte einfach nicht anders. Schon immer wollte ich zu einer Bande dazugehören…
Hier in Glessnot gab es einige davon. Sie hatten Feindschaft und Bündnisse untereinander geschlossen und kämpften um Stadteile. Sie verteilten Nahrungsmittel in den Gegenden, die unter ihrer Führung waren – wo auch immer sie die her hatten, denn Supermärkte gab es zwar, aber die waren schon seit Jahren dicht. Das Bordell, in dem ich meine Zeit bisher verbracht hatte, lag in einer Art Friedenszone.
Eine der bekanntesten Gruppierungen waren die Black Panthers, zu denen auch Streuner, der Junge mit der blassen, von Kratzern übersäter Haut vor mir. Das Halsband war der beste Beweis dafür. Er ließ das Board auf die Räder fallen und sprang drauf. „Dann mal los!“
Ich folgte ihm so schnell mich meine Füße trugen.
Glessnot war eine große Stadt. Viel zu groß, wie ich mir jetzt dachte. Ich lief jetzt schon eine Ewigkeit hinter meinem Führer her. Dieser grinste mich ab und zu frech an und setzte den Weg ohne ein Wort fort.
Für mich sah jede Straße gleich aus. Zu dieser Tageszeit konnte ich so gut wie nichts sehen, bis auf das bisschen, was die Laternen zeigten. Dazu kam, dass ich ja noch nie unterwegs gewesen war.
Mit leisem Tröpfeln fing es an zu regnen. Das Nass sammelte sich am Boden zu größer werdenden Pfützen, als aus dem angenehmen Nieseln ein kräftiger Schauer entstand. Mit einer Hand versuchte ich die Kapuze noch etwas weiter über mein Gesicht zu ziehen, ohne dabei aufzuhören zu laufen. Vor mir hörte ich die Rollen durch das Wasser fahren, meine Füße trugen mich ihnen nach, immer weiter durch den Regen und die Dunkelheit.
Als Streuner endlich stehen blieb, wäre ich fast mit ihm zusammengestoßen. Er schob seine völlig durchnässten Haare aus seinem Gesicht, wischte sich einmal über die Nase und stieg dann vom Brett.
Ich sah mich um. Wir standen vor einem alten Haus, vermutlich ein halb zerfallenes Lagergebäude. Ich war so in die düstere Umgebung vertieft, dass ich erst gar nicht merkte, wie er mit dem Board in seiner Hand zu einer morschen Tür ging. Eifrig ging ich ihm nach.
Mein Herz schlug so schnell, dass ich befürchtete, es würde mir gleich aus der Brust springen. Wie lange hatte ich von diesem Tag geträumt?
Nachdem Streuner geschlagene fünf Minuten an seinem Hosenbund gefriemelt und sämtliche Taschen seiner Jacke durchsucht hatte, ließ er verärgert sein Skateboard fallen.
Ich zog fragend eine Augenbraue hoch.
Der Sechszehnjährige probierte aus, ob die Tür aufgeschlossen war, dem war aber nicht so.
„Hilf mir hoch“, murmelte er dann, ohne mich anzusehen.
„Hä?“
Ich verstand nur Bahnhof, dann aber zeigte er nach oben. Über der Tür war ein kleines Fenster, das schmutzige Glas eingeschlagen und die Kanten waren trotz der Blässe bestimmt noch nicht stumpf.
„Da passt du doch nie durch“, kritisierte ich ihn.
„Hab ich behauptet, dass ich durch muss?“, erwiderte er deutlich genervt, also machten wir schnell eine Räuberleiter. Ich wusste nicht, was genau er da tat, aber ich hörte, wie er leise vor sich hin fluchte.
„Kannst du dich mal beeilen?“, fragte ich, denn die harten Sohlen seiner Stiefel drückten schwer auf meine Schultern.
„Hab’s gleich“, kam es von oben.
Als er endlich von mir hinab sprang, war ich mehr als erleichtert. Wenn man ihn so sah, würde man nicht denken, dass er so viel wog. Oder lag es daran, dass ich kleiner war als er?
Streuner hatte einen kleinen Schlüssel in der Hand, der hinter dem zerbrochenen Glas gelegen haben musste. Mit ihm schloss er jetzt die Tür auf und trat ein. Neugierig folgte ich ihm. Ich fand mich in einem kleinen Vorraum wieder, der vielleicht zwei mal zwei Meter groß war. Er war vollständig mit Logos einer springenden Raubkatze und Warnschildern tapeziert.
„Achtung Katzen!“, stand in krakeliger Schrift an der nächsten Tür, darunter fauchte mich ein ins Holz geschnitzter Panther an. Was würde mich hinter ihr erwarten?
 

ansuess

Andy Suess
AW: Die Nieten

Ist das jetzt sowas wie ein Casting? ;) Wenn ja, dann sag ich mal: Hier, ich hab Bock. ;)
 

Schlittenwolf

Mitglied
AW: Die Nieten

@Ansuess: Ja, sowas in etwa. Schön, dass sich gleich zwei melden :)

Lordhelm, es klingt einfach großartig!

Meinst du, es wäre umsetzbar, für jede Figur einen Sprecher zu benutzen und das zusammen zu schneiden?
Wenn Interesse besteht kann ich euch auch die nächsten Kapitel schicken und wir können die, für die genug Besetzung da ist vertonen.
Ich kenne auch selber noch 1-2 Leute, die mitmachen wollen, das sind dann aber nicht wirklich Profis und Aufnahmegeräte haben wir auch nicht wirklich.
 

lordhelm11

Böser Diktator
Sprechprobe
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AW: Die Nieten

Danke erstmal für's Kompliment. Naja, mehrere Sprecher für mehrere Personen...das nennt sich dann wohl Hörspiel ;-)

Ne, aber im Ernst. Ich glaube, dann muss man das Ganze auch so als Hörspiel schreiben. So wie es jetzt ist, wäre es dann eher als Lesung von einem, der dann seine Stimme anpasst. Hier ne Probe:

 

Aber ich glaube, dass Du Dir was Anderes vorstellst, oder?
 
Zuletzt bearbeitet:

Schlittenwolf

Mitglied
AW: Die Nieten

Hm, ja. Das klingt zwar schön, aber ich hatte es mir, wie du schon vermutet hast, anders vorgestellt.
Aber selbst, wenn ich es umschreibe, wird natürlich das meiste von der Hauptperson gesprochen werden müssen, da er ja gleichzeitig der Erzähler ist... bei dem Prolog wäre es ja schon fast 1:1 das, was ich schon habe.
Würdest du das übernehmen? Ich mag's, wie du seine Laune rüberbringst
 

Jeln Pueskas

Michael Gerdes
Teammitglied
Sprechprobe
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AW: Die Nieten

Hi Schlittenwolf,

Ich hatte bisher noch keine Zeit, mir Deinen Text durchzulesen. Wenn Du Dich entscheiden solltest aus der Geschichte ein Skript zu machen, solltest Du darauf achten, dass der Erzähler nicht zu sehr dominiert. Viele Dinge, die Erzähler oder Protagonisten erzählen, lässt sich auch in Geräusche oder in der Art des Dialoges anpassen. Es gibt hier im Forum ein schönes Tutorial von Paul und Civok, die beim letzten IHW mal einen Autoren-Workshop gehalten haben. Da gibt es ein paar schöne Beispiele und die sind mitunter auch sehr lustig.

Viele Grüße.
 

lordhelm11

Böser Diktator
Sprechprobe
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AW: Die Nieten

Klar würd ich das gene machen, aber ich gebe Jeln Recht, das erzählte darf nicht zu sehr dominieren. Sonst ist nachher nur eine Lesung mit verteilten Rollen, und ich glaube als "echtes" Hörspiel kommt das Ganze richtig gut!
 

Schlittenwolf

Mitglied
AW: Die Nieten

Ich wollte mich nochmal kurz melden...
Das ganze läuft natürlich noch, ich tue mich nur schwer das Skript zu schreiben, während der Einführungszeit zur Oberstufe...
Das ist jetzt die letzte Schulwoche - ich denke danach sollte ich zügig fertig sein und kann euch das Ergebnis präsentieren.
 

Lupin Wolf

Klaus S. - The Evil Master of Deasaster
Sprechprobe
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AW: Die Nieten

...Es gibt hier im Forum ein schönes Tutorial von Paul und Civok, die beim letzten IHW mal einen Autoren-Workshop gehalten haben. Da gibt es ein paar schöne Beispiele und die sind mitunter auch sehr lustig.

Du meinst nicht zufällig das hier

http://www.hoer-talk.de/showthread.php/13802-FAQ-Das-Skript

Da fehlt leider ein Stück was Paul aktuell wohl nachträglich neu anfügen muß. Aber das was noch da ist hat was.

@Schlittenwolf
Von Wolf zu Wolf ;) - mir gefällt der Anfang udn die Kurzübersicht zu Deiner Storryidee schon recht gut. Wär bestimmt auch interessant das in ein Hörspiel umzusetzen und warte gespannt darauf auf die dinge die da noch von Dir kommen.
 
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