So, jetzt wage ich mal den Schritt und schicke eine meiner Geschichten in die große weite Hörbuch-Welt.
Ich würde mich freuen wenn sich jemand zum Lesen fände, aber ich möchte vorher bitte mal drüberhören. Ich persönlich bevorzuge den Anfang "Titel" von "Schriftsteller" gelesen von "Leser"
Ich bin total gespannt und ein bisschen nervös,
Olympe
[h=1]Der Splitter im Auge des Fremden[/h]
Es ist noch dunkel und verdammt kalt. Der Herbststurm bläst mir die Haare ins Gesicht, als ich langsam die Treppen zum Bahnsteig nehme. Ich seufze, als ich auf der Anzeige lese, dass die Bahn 30 Minuten Verspätung hat. Da hätte ich ja auch gemütlich zu Hause frühstücken können und mir nicht Kaffee und Brötchen vom sündhaft teuren Bahnhofsbäcker holen müssen.
Ich beiße appetitlos in die Semmel die aussieht, als wäre es schon 3 Tage alt und verschlucke mich fast, als ich diese Stimme höre.
„Guten Morgen, hier ist Karl. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich später komme. Deutsche Bahn halt. Tschüss!“
Ich wirbele herum. Kaffeebecher und Brötchen fallen mir fast aus der Hand. Mein Herz trommelt und meine Knie fühlen sich plötzlich so an, als würden sie mich nicht mehr tragen. Wie lange ist das jetzt her? Vier Jahre, denn 2009 haben wir zusammen Abi geschrieben. Der Abiball war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.
Und ich habe ihn so sehr verehrt. Bei seinen Reden über Politik und Gerechtigkeit hing ich ihn an den Lippen. Wenn wir zusammen Kurse hatten, habe ich mich immer extra sexy angezogen und er hat es nicht bemerkt. Auch dass ich seinetwegen das Manifest gelesen und die TAZ abonniert habe, schien ihm entgangen zu sein.
„Karl“, ruft mein voller Mund, bevor mein Gehirn protestieren kann. Er dreht sich zu mir um und braucht eine Weile, bis er schließlich: „Schön dich zu sehen, Maria“ sagt. Ein schmerzhafter Stich durchfährt meinen Bauch, denn mein Name ist Marianna
„Was machst du hier, ich dachte, du studierst in Chemnitz“, sage ich, betont gelassen. „Nein, ich habe in Karl-Marx-Stadt meinen Bachlor of sience in Chemie gemacht. Jetzt studiere ich hier weiter Ökologie“, erklärt er mir. Ich warte eine Weile, da ich davon ausgehe, dass er mich fragt, wie es mit meinem Werdegang aussieht, doch da nichts kommt, frage ich weiter: „Und was willst du damit anfangen?“
Er holt tief Luft, bevor er mit seiner Rede beginnt. Diese Geste habe ich als Mädchen immer geliebt. „Es ist einfach unverantwortlich wie die Menschen mit der Umwelt umgehen.“ Es folgt ein ausufernder Vortrag wie schlecht doch die Menschen sind und wie sehr er sich engagiert. Schon nach zwei Minuten beginne ich weiter an meinen Brötchen zu knappern und auf die Uhr zu gucken.
Er scheint fertig zu sein, denn er redet nicht weiter. Stattdessen fummelt er in seiner Jacke herum und fischt ein Päckchen Marboro aus seiner Jacke. „Ist das ein Coffee-To-Go?“ fragt er anklagend, während er sich die Zigarette anzündet. Ich starre ihn verwundert an und rümpfe die Nase als ich begreife, dass er auf meinem NICHTRAUCHER-Bahnhof tatsächlich paffen wird. Das hat er früher doch nicht gemacht?
„Und?“ macht er, als ich nicht antworte. „Ja“, erwidere ich achselzuckend. „Das ist so umweltschädlich. Die Bilanz für Transport und Produktion liegt bei durchschnittlich 110 Gramm Kohlenstoffdioxid“, erklärt er mir und nimmt einen tiefen Zug, „d.h. wenn du jeden Tag einen Becher kaufst, dann fabrizierst du 40 kg CO[SUB]2[/SUB] zusätzlich!“ Ich runzele die Stirn und sage nichts.
„Für diesen Mist werden pro Jahr 9,4 Millionen Bäume abgeholzt, 2,8 Millionen Tonnen CO[SUB]2[/SUB] ausgestoßen, 5,7 Milliarden Liter Wasser und 293 Millionen kWh Energie verbraucht“, redet er weiter und pafft mir ungeniert ins Gesicht.
„Ganz abgesehen von dem ganzen Müll den du damit produzierst. Ist dir klar, dass der Becher von innen beschichtet und damit nicht recyclebar ist. Außerdem ist Kaffee wenn er nicht fair gehandelt wird, unsozial. Weißt du unter welch widrigen Umständen die Schwarzen den Kaffee anbauen und wie schlecht sie bezahlt werden. Du schluckst gerade Blut.“ Er grinst. Lässt die Kippe fallen und tritt sie aus, während der Zug einfährt.
Ich bin geradezu erleichtert, dass der Zug so voll ist, dass wir nur zwei sehr weit voneinander entfernte Plätze finden.


Quelle zu Coffee-to-go: http://www.klima-sucht-schutz.de/mitmachen/beitrag/article/die-klimabilanz-des-coffee-to-go.html
 
Oben