treborknarf

~ treborknarf ~
Hier mal eine Kurzgeschichte von mir...
würde mich sehr freuen wenn jemand sie vertonen will. Vielleicht eine weibliche Stimme?
Bin sehr dankbar über jedes feedback!


Das Krankenbett
(von Robert Frank)

Sie saß auf dem Stuhl neben dem Krankenbett und schaute auf die glasigen Augen ihres todkranken Vaters, dessen Gestalt nichts mehr mit der Person zu tun hatte, die früher stets für Angst und Schrecken gesorgt hatte.
Hatte er gerade eben, das war noch keine 5 Minuten her , hatte er da wirklich zu ihr mit brüchiger Stimme gesagt: „Ich hab Dich lieb, mein Töchterchen.“
Ja. Er hatte es gesagt, und in ihr hatte es Tränen der Rührung ausgelöst.
Sie war mittlerweile 37 Jahre alt und hatte ebenso lange auf diesen Satz warten müssen.
Dabei hatte sie sich fest vorgenommen hart zu bleiben, sie wollte sich nicht erweichen lassen, nur weil er jetzt an der Schwelle des Todes stand.
Aber er hatte nach ihr verlangt, nicht nach ihrer Mutter, sondern nach ihr! Warum? Um ihr das zu sagen?
Und machte das eben Gesagte etwa das Geschehene rückgängig?
Veränderte das irgendetwas?
Sie sah ihn an, wie er nun da lag:
Hilflos, mit Schläuchen im Gesicht, an den Armen, schwer atmend und so, ja, so unendlich kraftlos.
Wie sie ihn so betrachtete, konnte sie sich kaum vorstellen, jemals Angst vor ihm gehabt zu haben.
Aber die hatte sie gehabt. Jahrelang. Ein Leben lang. Sie wollte und konnte es nicht vergessen. Und so flüsterte sie, ohne dass sie es bemerkte, vor sich hin: „Warum? Warum? Warum hast Du das getan?“
Sie schreckte aus ihrem schlafähnlichen Trancezustand hoch, als sich plötzlich die Hand ihres Vaters mit einer Kraft und einer Schnelligkeit, die nichts von ihrer früheren Stärke eingebüßt hatte, um ihr Handgelenk schloss.
Er schaute ihr mit glasklarem Blick in die Augen:
„Du bist mein Baby, Du bist immer zu Deinem Daddy gekommen, wenn er Dich brauchte, nicht wahr? Du bist immer zu ihm gekommen, wenn er Dich gerufen hat, stimmts, mein Baby…“
In diesem Augenblick war sie starr vor Schreck – er saß aufgerichtet in seinem Bett und schien stark wie eh und je zu sein. Er schien sie hypnotisieren zu wollen, so tief bohrte sich sein Blick in ihr Innerstes. Sie wollte, sie konnte, nein sie durfte das nicht zulassen! Aber sie saß immer noch reglos auf ihrem Stuhl, ihre Hand fest umschlossen von einer Fessel, einer Handschelle, die in Wahrheit doch nur die Hand ihres Vaters war. Sie saß da wie das Kaninchen vor der Schlange.
TU was! Regte es sich in ihr. Ich kann aber nicht, antwortete es – aber Du mußt was tun! Schnell! Jetzt!
All das geschah natürlich in Bruchteilen von Sekunden. Sie sah - beinahe in Zeitlupe –wie seine andere Hand sich ihrem Nacken näherte um sie dort fest zu packen und nach unten zu drücken!
„Nie wieder!“ hörte sie sich plötzlich schreien und im selben Augenblick riss sie sich mit einer schnellen Bewegung los und sah ihm in die Augen. Sie konnte gerade noch erkennen wie sein Blick brach, überrascht und voller Unverständnis.
Ein letzter, kurzer Seufzer von ihm.
Danach nichts mehr.
Stille.
Es war vorbei.
Für immer.
 
G

Gelöschtes Mitglied 1415

AW: Das Krankenbett

Eine wirklich traurige und schockierende Geschichte zugleich!
Sehr flüssig zu lesen und spannend aufgebaut! Kompliment!:)
 

Tim Gössler

Musiker, Sprecher, Cutter
Sprechprobe
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AW: Das Krankenbett

Echt schade, dass ich erst jetzt auf deine Geschichte aufmerksam geworden bin. Ich finde sie wirklich gut. Deswegen habe ich mich, obwohl ich keine Frau bin, gerade eben hinreißen lassen und deinen Text vertont, mit atmosphärischer Musik im Hintergrund. Ich hoffe trotzdem oder gerade wegen meiner Musik und Interpretation, dass ich damit deinen Wünschen und Vorstellungen gerecht werde.

Ich würde mich über deine / eure Meinungen sehr freuen!

 

Nachtrag vom 08.04.2011:
Hier eine neue Version, in der ich einen Wunsch von Treborknarf umgesetzt + ein kleines "Credits" an den Schluss habe.
 
Zuletzt bearbeitet:

treborknarf

~ treborknarf ~
AW: Das Krankenbett

sorry, dass ich mich erst jetzt melde, aber ich bin grad auf Tour, und hatte jetzt erst die Möglichkeit in Ruhe zu lauschen.

@Mindmaster:
...vielen vielen Dank!

@ Roman:
mir gefällt Deine Interpretation sehr gut, auch die musikalische Untermalung - ich bin ohnehin sehr angetan von Deinen Beiträgen!
Ich freue mich, dass Dir meine Geschichte so gut gefällt und danke Dir fürs Einsprechen!
 

Phollux

Robert Kerick
Sprechprobe
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AW: Das Krankenbett

Whow,
mein Kompliment, die Geschichte fand ich von Anfang an sehr anspruchsvoll und tiefgründig :thumbsup:
@ Roman: Die Vertonung ist Dir echt super gelungen. Schöne Betonung, zu den richtigen Zeitpunkten mal zaghaft, mal aggressiv und die Musik rahmt die Geschichte zu einem melancholisch schwebendem Psychospiegel ;) Gefällt mir wirklich sehr gut :D :thumbsup::thumbsup::thumbsup:
 

aigiko

Aiga Kornemann
Sprechprobe
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AW: Das Krankenbett

 

Für diese Geschichte brauchst Du eigentlich einen Waffenschein. Heftig!

Lieben Gruß,
Aiga
 

Sakura

Kommt an.
AW: Das Krankenbett

Hi Robert, ich finde es super, dass du dich mit deiner Kurzgeschichte an so ein Tabuthema wagst! Man kann sich gut in die Situation hineinversetzen, die wichtigen Infos kommen subtil und peu à peu zum Leser. Schade finde ich aber, dass die Erzählerin trotz des gewählten Endes nicht wirklich als Siegerin aus der Geschichte heraus geht, oder zumindest empfinde ich das so, denn sie nutzt diese letzte Gelegenheit nicht, ihrem Vater etwas entgegenzusetzen, und bleibt in ihrer Opferrolle.

Ich hoffe, du kannst mit dieser späten Kritik trotzdem noch etwas anfangen :)
 

Kolibri

Hannah
Sprechprobe
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AW: Das Krankenbett

Oh ich habe das jetzt gerade erst gelesen und habe hier leider keine Möglichkeit die Interpretationen anzuhören, aber das Thema und die Spannung in der Geschichte gefallen mir richtig gut! :)
 

treborknarf

~ treborknarf ~
AW: Das Krankenbett

Hi Sakura, erstmal vielen Dank für Deine Kritik! Spät oder nicht, spielt doch überhaupt keine Rolle.
Das mit Sieg und Niederlage - besonders im Leben - ist, wie ich finde, nicht immer so leicht zu benennen. Manchmal ist es auch nur die Lesart? Und so vielleicht auch hier:
Denn wenn sie sagt: "Nie wieder!" und sich dabei gleichzeitig losreisst, empfinde ich das eigentlich nicht, als würde sie in ihrer Opferrolle verharren. Es würde mich deshalb schon interessieren was genau Du damit meinst? Vielleicht kannst Du es für mich noch etwas präzisieren?
 

treborknarf

~ treborknarf ~
AW: Das Krankenbett

@Kolibri:
freu mich, dass es Dir gefällt.
Und wenn Du die Möglichkeit hast, musst Du Dir unbedingt mal die unterschiedlichen Interpretationen anhören.
Ich finde diese nämlich total super und es ist spannend, dass es bereits 3 unterschiedliche Versionen gibt:

Janne (Christiane Marx):
http://www.hoer-talk.de/showthread.php/12685-Das-Krankenbett

Tim Gössler:
http://www.hoer-talk.de/showthread.php/15051-Das-Krankenbett-(von-Robert-Frank)

Aigiko (Aiga):
http://www.hoer-talk.de/showthread.php/17352-Das-Krankenbett-(von-Robert-Frank)

ich setze hier nochmal die links, da sich die Sprecher ja auch stets über feedback zu ihrer persönlichen Interpretation freuen!
 
Zuletzt bearbeitet:

mica

Mitglied
AW: Das Krankenbett

Oh wow, diese Geschichte habe ich gerade erst durch Aigikos Sprechprobe entdeckt - großes Kompliment auch von mir, Robert - die Geschichte ist wirklich sehr stark & sehr gut geschrieben.
Genau so was suche ich gerade - ich werde also in den nächsten Wochen auch noch eine Interpretation (zu den bereits sehr gelungenen hier) beisteuern.
 

treborknarf

~ treborknarf ~
AW: Das Krankenbett

Ja, Mica! Freu mich drauf! und bin schon sehr gespannt!
 

Sakura

Kommt an.
AW: Das Krankenbett

Hi Robert (uff, wie die Zeit vergeht)! :wink:


Wahrscheinlich hab ich schon damit angefangen deine Geschichte zu interpretieren, denn klar macht deine Protagonistin am Schluss klar, dass für sie sich nicht mehr missbrauchen lassen wird.

Ich finde aber, dass dieses kurze Aufbäumen ihr nicht reichen wird, um endlich ein normales Leben zu führen. Deine Figur ist schon 37 Jahre alt, das ist verdammt lang, um so ein Trauma mit sich herum zu schleppen. Du hast zwar offen gelassen, was in der Zwischenzeit passiert ist, umso stärker stellt sich bei mir jedoch die Frage, wie es in ihrer Seele aussieht: hat sie eine Therapie gemacht und ist jetzt bereit, ihrem Vater alles zu verzeihen? Wenn dem so ist, warum findet dieses Treffen erst statt, wo es fast zu spät ist?


Das leuchtet mir nicht so richtig ein. Deine Protagonistin bleibt auffallend passiv („in Trance“ und „flüstert vor sich hin“) und ergreift nie die Initiative, dadurch schaffe es ihr Vater beinahe wieder, sie in seine Gewalt zu bringen. Im Gesamtbild hinterlässt sie bei mir den Eindruck, dass sie, mit welchen Mitteln auch immer, bislang nicht in der Lage war, ihr Trauma zu verarbeiten und gestärkt daraus hervorzugehen. Das würde auch erklären, warum sie sich immer noch so sehr die Anerkennung und Liebe ihres Vaters wünscht, dass es ihr Tränen der Rührung in die Augen treibt, als diese ihr scheinbar gewährt werden.


Einerseits ein verständlicher Wunsch, denn elterliche Fürsorge ist von Natur aus für alle Menschen essentiell. In dem Fall deiner Geschichte wirkt die Beziehung von Seiten deiner Protagonistin zu ihrem Vater auf mich aber eher pathologisch. Etwas Schlimmeres kann einem Kind nicht passieren, dass ausgerechnet die Person, die einen beschützen und behüten soll, es auf so grausame Art seelisch verstümmelt. Rein logisch und konsequent ist sie ihm nichts schuldig, und sie hat aus meiner Sicht auch keinen Grund, noch irgendetwas von ihrem Vater zu erwarten. Denn auch er hat ja bis zum allerletzten Moment gewartet, um sich mit seiner Tochter auszusprechen. Die in meinen Augen wirklich wichtigen Worte spricht er kein einziges Mal aus: „Es tut mir leid, was ich dir angetan habe.“ Trotzdem kommt sie an sein Sterbebett.


Abhängig von den Charaktereigenschaften der Figuren, über die man leider nur rätseln kann (was es aber auch spannend und interessant macht), könnte man auch in Betracht ziehen, dass beide zu sehr in ihren Denk- und Handlungsmustern gefangen waren, um dieses Treffen früher anzugehen, wobei in diesem Fall zumindest der Vater einen Schritt weiter ist. Vom Blickwinkel der Tochter aus aber wirkt es auf mich, als habe sie zu ihrem Schutz trotzdem eine Art Liebe für ihren Vater aufrechterhalten, was ja bei solchen Verbrechen tatsächlich häufig passiert. Oder ist mit einem früheren Versuch der Kontaktaufnahme gescheitert? Bestand überhaupt noch Kontakt zu ihm, und wenn ja, warum? Fragen über Fragen ;)


Aus meiner Perspektive steht jedoch fest, dass ein Teil von ihr für immer das Kind bleiben wird, dass so lange Opfer von Grausamkeit und Gewalt war, denn sie konnte in diesen letzten Minuten nichts tun, um ihm zu sagen, wie sie ihren Vater sieht, was in ihr vorgeht, was er ihr angetan hat, und ihm dabei in die Augen zu sehen. Das ist zwar auch wieder Ansichtssache, aber ich finde, es ist sehr schlimm mit Dingen zu leben, die man einem anderen Menschen nie sagen können wird, ob nun gute oder schlechte. Es heißt ja nicht umsonst „sich Sachen von der Seele reden.“


So, das war in Kürze meine Sicht der Dinge, ich hoffe du kannst damit was anfangen und dass ich deine Geschichte nicht überinterpretiert habe.
Schönen 2. Advent! :)
 

treborknarf

~ treborknarf ~
AW: Das Krankenbett

@Sakura:

vielen Dank für Deine Ausführungen! Ich glaube, ich verstehe was Du meinst, und genau das ist aber ja auch Teil der Geschichte. Denn einerseits haben wir, so glaube ich, doch meist die Hoffnung, dass sich irgendetwas verändert oder gar verbessert. Und andrerseits geschieht dies aber nicht immer...
Was den Vater betrifft, und das späte Treffen, so ist und bleibt gerade dort die Hoffnung wohl am größten: nämlich bis zum Tod (die Hoffnung stirbt zuletzt). Jeder hat nur einen Vater und nur eine Mutter. Das macht diese Beziehung Eltern-Kind wohl auch so einzigartig und besonders. Und deshalb gibt es wohl doch so etwas wie Liebe eben auch zu schlechten Eltern. Denn bis man überhaupt realisiert, dass Eltern anders sein können und anders/besser sein sollten, ziehen - mangels Vergleichsmöglichkeit - schon einige Jahre ins Land.
Mit all Deinen anderen Gedanken und auch Fragen, die sich stellen, hast Du sicherlich recht. Aber es gibt ja immer eine Sicht von außen, und aus dieser Perspektive ist meist alles klar und leicht und eindeutig. Jedoch von innen, also emotional in einer Situation steckend, ist diese Perspektive oft nicht so leicht einzunehmen bzw. selbst wenn ein anderer die "richtigen" Ratschläge erteilt, können diese meist nicht (sogleich) umgesetzt werden...
Jedenfalls danke ich Dir für all Deine Fragestellungen und Deine Interpretation sowie auch den Wunsch nach einem anderen Verhalten der Protagonistin!
 

Erdie

Der düstere Herrscher
Sprechprobe
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AW: Das Krankenbett

Hi Robert, ich finde es super, dass du dich mit deiner Kurzgeschichte an so ein Tabuthema wagst! Man kann sich gut in die Situation hineinversetzen, die wichtigen Infos kommen subtil und peu à peu zum Leser. Schade finde ich aber, dass die Erzählerin trotz des gewählten Endes nicht wirklich als Siegerin aus der Geschichte heraus geht, oder zumindest empfinde ich das so, denn sie nutzt diese letzte Gelegenheit nicht, ihrem Vater etwas entgegenzusetzen, und bleibt in ihrer Opferrolle.

Ich hoffe, du kannst mit dieser späten Kritik trotzdem noch etwas anfangen :)

Ich sehe das nicht so, dass es sich um ein Tabuthema handelt. Dafür wird es gerade in den letzten Jahrzehnten sowohl in den Medien als auch in der Literatur doch häufig thematisiert, was auch gut ist.
Ein echtes Tabuthema aber wäre es gewesen, wenn man mal die Geschlechterrollen vertauscht hätte. Da traut sich noch keiner ran, obwohl es ebenfalls eine Berechtigung dafür gäbe.
 

Masterofclay

Marco Rosenberg
Sprechprobe
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AW: Das Krankenbett

Ich sehe das nicht so, dass es sich um ein Tabuthema handelt. Dafür wird es gerade in den letzten Jahrzehnten sowohl in den Medien als auch in der Literatur doch häufig thematisiert, was auch gut ist.
Ein echtes Tabuthema aber wäre es gewesen, wenn man mal die Geschlechterrollen vertauscht hätte. Da traut sich noch keiner ran, obwohl es ebenfalls eine Berechtigung dafür gäbe.

Die Erwähnung in Medien und Literatur bedeutet leider nicht, dass das Thema verschwindet oder die Betroffenen leichter um Hilfe rufen können. Es kommt immer auf das Umfeld an, ob so etwas bemerkt und wie damit umgegangen wird. Es kam und kommt bestimmt oft genug vor, dass Verwandte und Bekannte die Augen verschließen, weil man solche Themen in der Familie lieber unter den Teppich kehrt oder Angst vor Konflikten hat. Deswegen ist es ja um so wichtiger, dass man bei Kindern in seinem Umfeld auf ungewöhnliches Verhalten oder Merkmale wie blaue Flecken und ähnliches achtet.

Ich finde Roberts Geschichte auf jeden Fall sehr bewegend und traurig, auch wenn an ihrem Ende eine Art von Befreiung stattfindet.
 
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