Ann Katharina Re
Autorin
- #1
Themenstarter/in
Hallo ihr Hörspiel-Häschen,
gerade werfe ich mal wieder einen Auszug aus meinen Slamtexten auf meine Website (die sich über Besuch freut
und ich dachte, den möchte ich euch nicht vorenthalten. Er erzählt Erinnerungen meiner geliebten Oma, die mittlerweile vom Himmel aus zusieht.
Wenn sich jemand berufen fühlt, diese Worte einzulesen, freue ich mich auf das Ergebnis. Da, der Text natürlich vom Vortragen lebt. Das Wort "sie", "ihr" usw. beziehen sich immer auf Oma.
Doch von Schriftsteller*innen geliebt zu werden, heißt für immer zu leben.
Möge meine Oma in Frieden ruhen und ich bete zu Gott, das sie ist stoz auf mich ist. Das sie sich daran erfreut mir zuzusehen, wie auch ich mein Lebensbuch schreibe, auf der Wolke, auf der sie sicherlich sitzt.
gerade werfe ich mal wieder einen Auszug aus meinen Slamtexten auf meine Website (die sich über Besuch freut
Wenn sich jemand berufen fühlt, diese Worte einzulesen, freue ich mich auf das Ergebnis. Da, der Text natürlich vom Vortragen lebt. Das Wort "sie", "ihr" usw. beziehen sich immer auf Oma.
Wenn niemand versteht
Nach wahren Begebenheiten
1. Vier Jahre
Sie ist vier.
Sie ist vier und sie versteht es nicht.
Und die Bomben, die fallen.
Und die Bomben, die treffen.
Und die Sirenen, die heulen.
Und sie läuft, die Mutter, die sie am Arm zerrt.
Sie und ihre große Schwester.
Und sie laufen. Eine Mutter, sieben Kinder und ein Dorf.
Und da ist ein Bauer mit einem Fuhrwerk und seinem Pferd auf dem Weg.
Und der Bauer, der blickt stur geradeaus.
Und sie laufen weiter.
Und die Tür, die öffnet sich und die Tür, die schließt sich.
Sie ist vier und sie versteht es nicht.
Und sie sind im Luftschutzkeller und es ist dunkel und sie sind still.
Und sie sind hier zusammen, zusammen mit der Angst.
Und ein Pfiff, ein hoher Ton, der die Stille durchbricht und die Gebete in den Köpfen.
Und es kracht und der Raum, der bebt.
Sie ist vier und sie ist neugierig, will wissen, was da los ist.
Und sie schleicht sich davon und die Tür, die Tür die öffnet sich und schließt sich hinter ihr.
Und sie steht da und am Himmel sind Flugzeuge, so weit oben und sie lassen Dinge fallen.
Und die Dinge sie fallen über ihr.
Und es trifft.
Und dann tut es weh.
Die Ohrfeige ihrer Mutter auf der Wange.
Und die Tür, die Tür sie öffnet sich und schließt sich und sie sind wieder im Luftschutzkeller.
Und es kracht.
Und dann ist es vorbei.
Niemand schreit mehr, niemand weint mehr, niemand betet mehr.
Und es ist vorbei.
Ihre Kindheit und der Angriff.
Aber sie leben.
Sie die da in diesem Bunker waren, sie leben.
Und die Tür die öffnet sich und schließt sich und die Menschen gehen nach Hause.
Und da ist ein Bauer mit seinem Fuhrwerk und seinem Pferd auf dem Weg.
Und der Bauer blickt blind geradeaus.
Und das Pferd liegt auf der Straße und das Fuhrwerk blockiert den Weg.
Und die Toten, sie liegen da.
Mahnen.
Und die Bomben, die fallen.
Und die Bomben, die treffen.
Und der Bauer wird beerdigt, verscharrt.
Denn die Bomben, die fallen.
Und die Bomben, die treffen.
Und da sind ein Fuhrwerk und ein Pferd auf der Straße.
Und da sind Menschen, die laufen zwischen dem Luftschutzbunker und der Angst.
Und da sind Menschen, die laufen dem Tod entgegen und dem Tod davon.
Und da sind Menschen.
Und da sind Mütter, die weinen.
Und da sind Väter, die Sterben.
Und sie ist vier.
Und es ist 1944.
Und es ist Krieg.
Und sie versteht es nicht.
2. Hannelore
Hannelore ist ihre Nichte.
Sie ist das jüngste Mädchen der Familie.
Hannelore ist wie ihre kleine Schwester.
Hannelore ist fünf.
Sie hütet das Kind und passt auf es auf und sie liebt es.
Sie liebt Hannelore. Und Hannelore liebt sie.
Und sie spielt mit Hannelore mit den Dingen, die der Krieg ihnen gelassen hat.
Und Hannelore ist ein wunderschönes Kind. Große Augen, langes schwarzes glattes Haar.
Und Hannelore ist fünf. Und glücklich und gesund.
Und dann kommt die Nacht.
Und am Morgen ist Hannelore krank.
Hannelore hat Fieber, atmet schwer.
Hannelore geht es schlecht, aber Hannelore ist tapfer, weint nicht.
Große Augen, blicken. Stumm in der Welt. Lange schwarze Haare liegen wirr auf dem Kissen.
Der Morgen kommt und man holt Hannelore ab.
Man trägt das Kind davon, zum Arzt und so lange sie lebte, sieht sie die langen schwarzen Haare, die im Wind wehen.
Noch atmet Hannelore.
Ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Und die Tränen rinnen ihre Wangen hinab.
Und ich weiß nicht mehr, wer von beiden wusste, dass Hannelore nicht wiederkommen würde.
Und Hannelore war fünf.
Und Hannelore verstand es nicht.
Und Hannelore hat den Krieg überlebt.
Sie starb an Polio.
3. Sieben Kinder
Sieben Kinder.
Eine Mutter.
Drei Töchter.
Vier Söhne.
Sie ist elf.
Der Vater ist tot.
Nicht im Krieg gestorben, doch der Krieg hat ihn umgebracht.
Es gibt nur ein Bild von ihm.
Sieben Kinder.
Eine Mutter.
Acht Teller.
Ein Topf voll Hunger.
Eine Hand voll Essensmarken.
Sie gehen zu den Bauern.
Kartoffeln nachgraben.
Sie gehen zu den Reichen.
Äpfel vom Baum stehlen.
Sie gehen in die Wälder.
Feuerholz finden, dass es nicht gibt.
Äste abbrechen ist verboten.
Sie ist ein kleines Mädchen und trägt einen Korb voller Scheite.
Sie gehen schlafen.
Ein Raum.
Sieben Kinder.
Das Jüngste geboren.
Das Älteste 18.
Sieben Kinder.
Eine Mutter.
Acht Teller.
Ein Topf voll Kartoffeln.
Das verstehen sie.
Sie haben Hunger, weil es nichts zum Essen gibt.
4. Spiegel
Und da ist ein Bild.
Eine Schulklasse.
Schwarz auf weiß und weiß auf schwarz.
41 Kinder.
41 Lächeln
41 Schicksale
Eine Lehrerin
Eine Wiese.
Ein Jahr.
1948.
Und auf dem Bild ist sie und hält sich mit ihren Klassenkameraden an der Hand.
Und ich blicke in die Vergangenheit und die Gegenwart.
Doch die Bomben, die fielen.
Und die Bomben, die fallen.
Und die Bomben, die trafen.
Und die Bomben, die treffen.
Und die Krankheit heißt nicht mehr Polio, sondern Ebola.
Und die Kinder die verstehen es nicht.
Wissen nur dass sie Hunger haben.
Und da sind Mütter, die weinen.
Und da sind Väter, die sterben.
Und ein Land ist glücklich und gesund.
Und dann kommt die Nacht.
Und die Bomben, sie fallen.
Und die Bomben, sie treffen.
Und die Krankheit heißt nicht mehr Polio, sondern AIDS.
Und die Menschen, die laufen dem Tod davon und dem Tod entgegen.
Und da sind Menschen, die fliehen aus ihrer Heimat.
Und die Kinder die verstehen es nicht.
Wissen nur, dass sie Hunger haben.
Und da sind Mütter, die weinen.
Und da sind Väter, die sterben.
Nur eben wo anders.
Und es ist 2019.
Und ich, ich verstehe es nicht.
Denn wir, wir haben es scheinbar immer noch nicht verstanden.
Ich habe diesen Text damals vom beschriebenen Bild ispiriert geschrieben. Meine Hände steckten in Schokokuchenteig, als das Telefon klingelte und meine Mama anrief, sie hätte da im Internet ein altes Klassenfoto von Oma gesehen. Und als ich, mit meinen Schokohänden, meiner unendlich geliebten Oma in ihren Augen auf diesem Bild blickte, wurde mir das Herz so schwer. Dieses kleine Mädchen, dieser Moment, der direkt verknüpft ist mit der alten Dame, die die Mutter meiner Mama und meine Oma ist. Ein unschuldiges Herz und eine reife Frau. Dieses Foto war pure Paradoxie. So viel Leben, dass im Moment der Aufnahme noch vor diesem Menschen lag, dessen Ende schon das Jahr 2017 eingeleited hatte. Und so viele Geschichten, die nun für immer schweigen. Und ich wusste um die Armut, in der sie aufwuchs und um die Geschichten des Kriegs.Nach wahren Begebenheiten
1. Vier Jahre
Sie ist vier.
Sie ist vier und sie versteht es nicht.
Und die Bomben, die fallen.
Und die Bomben, die treffen.
Und die Sirenen, die heulen.
Und sie läuft, die Mutter, die sie am Arm zerrt.
Sie und ihre große Schwester.
Und sie laufen. Eine Mutter, sieben Kinder und ein Dorf.
Und da ist ein Bauer mit einem Fuhrwerk und seinem Pferd auf dem Weg.
Und der Bauer, der blickt stur geradeaus.
Und sie laufen weiter.
Und die Tür, die öffnet sich und die Tür, die schließt sich.
Sie ist vier und sie versteht es nicht.
Und sie sind im Luftschutzkeller und es ist dunkel und sie sind still.
Und sie sind hier zusammen, zusammen mit der Angst.
Und ein Pfiff, ein hoher Ton, der die Stille durchbricht und die Gebete in den Köpfen.
Und es kracht und der Raum, der bebt.
Sie ist vier und sie ist neugierig, will wissen, was da los ist.
Und sie schleicht sich davon und die Tür, die Tür die öffnet sich und schließt sich hinter ihr.
Und sie steht da und am Himmel sind Flugzeuge, so weit oben und sie lassen Dinge fallen.
Und die Dinge sie fallen über ihr.
Und es trifft.
Und dann tut es weh.
Die Ohrfeige ihrer Mutter auf der Wange.
Und die Tür, die Tür sie öffnet sich und schließt sich und sie sind wieder im Luftschutzkeller.
Und es kracht.
Und dann ist es vorbei.
Niemand schreit mehr, niemand weint mehr, niemand betet mehr.
Und es ist vorbei.
Ihre Kindheit und der Angriff.
Aber sie leben.
Sie die da in diesem Bunker waren, sie leben.
Und die Tür die öffnet sich und schließt sich und die Menschen gehen nach Hause.
Und da ist ein Bauer mit seinem Fuhrwerk und seinem Pferd auf dem Weg.
Und der Bauer blickt blind geradeaus.
Und das Pferd liegt auf der Straße und das Fuhrwerk blockiert den Weg.
Und die Toten, sie liegen da.
Mahnen.
Und die Bomben, die fallen.
Und die Bomben, die treffen.
Und der Bauer wird beerdigt, verscharrt.
Denn die Bomben, die fallen.
Und die Bomben, die treffen.
Und da sind ein Fuhrwerk und ein Pferd auf der Straße.
Und da sind Menschen, die laufen zwischen dem Luftschutzbunker und der Angst.
Und da sind Menschen, die laufen dem Tod entgegen und dem Tod davon.
Und da sind Menschen.
Und da sind Mütter, die weinen.
Und da sind Väter, die Sterben.
Und sie ist vier.
Und es ist 1944.
Und es ist Krieg.
Und sie versteht es nicht.
2. Hannelore
Hannelore ist ihre Nichte.
Sie ist das jüngste Mädchen der Familie.
Hannelore ist wie ihre kleine Schwester.
Hannelore ist fünf.
Sie hütet das Kind und passt auf es auf und sie liebt es.
Sie liebt Hannelore. Und Hannelore liebt sie.
Und sie spielt mit Hannelore mit den Dingen, die der Krieg ihnen gelassen hat.
Und Hannelore ist ein wunderschönes Kind. Große Augen, langes schwarzes glattes Haar.
Und Hannelore ist fünf. Und glücklich und gesund.
Und dann kommt die Nacht.
Und am Morgen ist Hannelore krank.
Hannelore hat Fieber, atmet schwer.
Hannelore geht es schlecht, aber Hannelore ist tapfer, weint nicht.
Große Augen, blicken. Stumm in der Welt. Lange schwarze Haare liegen wirr auf dem Kissen.
Der Morgen kommt und man holt Hannelore ab.
Man trägt das Kind davon, zum Arzt und so lange sie lebte, sieht sie die langen schwarzen Haare, die im Wind wehen.
Noch atmet Hannelore.
Ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Und die Tränen rinnen ihre Wangen hinab.
Und ich weiß nicht mehr, wer von beiden wusste, dass Hannelore nicht wiederkommen würde.
Und Hannelore war fünf.
Und Hannelore verstand es nicht.
Und Hannelore hat den Krieg überlebt.
Sie starb an Polio.
3. Sieben Kinder
Sieben Kinder.
Eine Mutter.
Drei Töchter.
Vier Söhne.
Sie ist elf.
Der Vater ist tot.
Nicht im Krieg gestorben, doch der Krieg hat ihn umgebracht.
Es gibt nur ein Bild von ihm.
Sieben Kinder.
Eine Mutter.
Acht Teller.
Ein Topf voll Hunger.
Eine Hand voll Essensmarken.
Sie gehen zu den Bauern.
Kartoffeln nachgraben.
Sie gehen zu den Reichen.
Äpfel vom Baum stehlen.
Sie gehen in die Wälder.
Feuerholz finden, dass es nicht gibt.
Äste abbrechen ist verboten.
Sie ist ein kleines Mädchen und trägt einen Korb voller Scheite.
Sie gehen schlafen.
Ein Raum.
Sieben Kinder.
Das Jüngste geboren.
Das Älteste 18.
Sieben Kinder.
Eine Mutter.
Acht Teller.
Ein Topf voll Kartoffeln.
Das verstehen sie.
Sie haben Hunger, weil es nichts zum Essen gibt.
4. Spiegel
Und da ist ein Bild.
Eine Schulklasse.
Schwarz auf weiß und weiß auf schwarz.
41 Kinder.
41 Lächeln
41 Schicksale
Eine Lehrerin
Eine Wiese.
Ein Jahr.
1948.
Und auf dem Bild ist sie und hält sich mit ihren Klassenkameraden an der Hand.
Und ich blicke in die Vergangenheit und die Gegenwart.
Doch die Bomben, die fielen.
Und die Bomben, die fallen.
Und die Bomben, die trafen.
Und die Bomben, die treffen.
Und die Krankheit heißt nicht mehr Polio, sondern Ebola.
Und die Kinder die verstehen es nicht.
Wissen nur dass sie Hunger haben.
Und da sind Mütter, die weinen.
Und da sind Väter, die sterben.
Und ein Land ist glücklich und gesund.
Und dann kommt die Nacht.
Und die Bomben, sie fallen.
Und die Bomben, sie treffen.
Und die Krankheit heißt nicht mehr Polio, sondern AIDS.
Und die Menschen, die laufen dem Tod davon und dem Tod entgegen.
Und da sind Menschen, die fliehen aus ihrer Heimat.
Und die Kinder die verstehen es nicht.
Wissen nur, dass sie Hunger haben.
Und da sind Mütter, die weinen.
Und da sind Väter, die sterben.
Nur eben wo anders.
Und es ist 2019.
Und ich, ich verstehe es nicht.
Denn wir, wir haben es scheinbar immer noch nicht verstanden.
Doch von Schriftsteller*innen geliebt zu werden, heißt für immer zu leben.
Möge meine Oma in Frieden ruhen und ich bete zu Gott, das sie ist stoz auf mich ist. Das sie sich daran erfreut mir zuzusehen, wie auch ich mein Lebensbuch schreibe, auf der Wolke, auf der sie sicherlich sitzt.