Dorsch Nilson

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Beim Aufräumen meiner Festplatte bin ich über ein kleines Kunstwerk von mir gestoplert...

phase 12
[soundcloud]http://soundcloud.com/wolf-nils-bartels/phase-12-wolf-nilson-2000[/soundcloud]

das habe ich im Jahr 2000 während meines Musikstudiums in Amsterdam *räusper* gebastelt. Ich hab damals die Zwölftonreihe mit dem Notendruckprogramm Finale eingegeben und abgespielt, mit meinem MD-Player aufgenommen und sie von dort nach Cool-Edit (!) überspielt, womit ich alles weitere gemacht habe.

in phase 12 werden Steve Reich’sche Phasenverschiebungen auf vier Zwölftonreihen angewandt. Alle vier Zwölftonreihen beschreiben eine chromatisch fallende Linie von F nach Ges. Sie bilden in einer festen Reihenfolge das Thema. Das Thema wird von zwei Stimmen parallel ständig wiederholt wobei sie unterschiedliche Tempi haben und bei Zeiten auch in der Tonhöhe modulieren.
Das Stück hat 7 Phasen

  1. Die Exposition 0:10 – 0:17
  2. Die Phasenverschiebung 0:17 – 3:18 Von hier an spielt die zweite Stimme in einem konstant bleibendem Tempoverhältnis von 96:95 zur ersten Stimme, also etwas schneller, so daß jeder sechsundneunzigste Schlag der zweiten mit jedem fünfundneunzigsten der ersten zusammen fällt. Das heißt wenn die zweite Stimme 8 Zwölftonreihen (= 2x das Thema der schnelleren Stimme = 1 Zyklus) durchlaufen hat, fehlt der ersten Stimme noch genau ein Ton um das selbe zu erreichen. Daraus folgt, daß das F der zweiten Stimme nach einem Zyklus dem Ges begegnet, einen Zyklus später dem G usw. Man hört deutlich in den Phasen wo sich die Stimmen rhythmisch begegnen (am Zykluswechsel) erst parallel fallend kleine Sekunden, dann große, dann kleine Terzen, dann große usw. Am Anfang sind die parallelen Intervalle nur mühsam wahrzunehmen, da der Eindruck eines Echos entsteht. erst wenn die zeitliche Verschiebung groß genug ist, entsteht überhaupt der Eindruck zweier unabhängiger Stimmen. Die Phase 2 durchläuft zwölf Zyklen, so das am Schluß wieder die Prime erreicht wird.
  3. Die Kompensation. 3:18 – 6:19 entspricht Phase 2 vom Aufbau, jedoch wird im laufe eines Zyklus die erste Stimme einen Viertelton nach unten und zweite einen Viertelton nach oben verstimmt. So wird nach jedem Zyklus wieder die Prime erreicht. Dafür ist wahrzunehmen wie der Ambitus eine Oktave zunimmt.
  4. Das Kreuz. 6:19 – 9:23 Auch diese umfaßt 12 Zyklen. Die erste Stimme wird pro Zyklus einen Halbton höher, die Zweite einen Halbton tiefer. Am Ende der Zyklen ergeben sich diesmal nacheinander eine große Sekunde, eine große Terz, ein Tritonus, eine kleine Sexte eine kleine Septime, eine Oktave oder Prime, wieder eine große Sekunde usw. bis zur nächsten Prime. in der Mitte der Phase ist wieder der ursprüngliche Ambitus erreicht, am ende wieder der vergrößerte. Wenn die Mitte des Kreuzes erreicht ist, hat die zweite Stimme die erste auch genau um ein Thema überrundet. Es tritt ein kurzes Unisono (7:44) ein, jedoch relativ überraschend, da durch die kontinuierliche Verstimmung die Echoeffekte während der Annäherung ausbleiben. Zum Zeitpunkt des Unisonos ist auch noch keine Gleichstimmung erreicht, diese folgt erst fünf Sekunden später (7:51). dort ist dann auch kurz der Echoeffekt wahrnehmbar. Diese Phase wirkt extrem melodisch. Dies kommt vermutlich dadurch, daß die Stimmen sich relativ schnell verstimmen und dadurch verstärkt sich ihre Individualität.
  5. Die Rückkehr 9:23 – 12:24 Ausgehend vom Ende der Phase 4 wird der Prozeß aus Phase 3 wiederholt. man hört nach jedem Zyklus eine Prime, der Ambitus verkleinert sich wieder zur Ausgangsgröße. Am Ende dieser Phase hat die Zweite Stimme gegenüber der ersten bereits eine zweite Themenlänge, also einen Zyklus Vorsprung. Leider wird in der Ausführung das Unisono nicht erreicht, es muß sich hier um einen Denkfehler bei den Berechnungen handeln. Der große Kreis wäre hier jedenfalls geschlossen, Zeit für ein Zwischenspiel!
  6. Das Zwischenspiel 12:24 – 12:33 Ein Thema + eine Zwölftonreihe spielt die zweite stimme im selben Tempo wie die erste. die zweite stimme wird jedoch über geblendet in eine Rückwärts abgespielte Version.
  7. Das Finale 12:33 – 15:34 Dieser Phase entspricht Phase 2, nur daß die zweite Stimme Rückwärts läuft. Der Längenunterschied der beiden Stimmen wurde durch das Zwischenspiel kompensiert, so das Die letzte Phase mit einem satten gemeinsamen F endet. Schon vorher ist das tiefe F am Anfang des Themas – bzw. am Ende des rückwärts gespielten – recht gut zu hören. Man hört deutlich wie sie sich in jeder Runde etwas näher kommen. Die letzten drei bis vier Runden berühren sie sich schon. Erst wenn sich die Anschlagsgeräusche genau überschneiden, die beiden F’s also schon fast aneinander vorbei gezogen sind, ist das Ende erreicht.

Die Zwölftonreihen wurden komponiert von Fabio Malaguti, Alles Weitere, Musikalisches Konzept, Ausführung am Computer, Text, Cover, Layout durch Wolf Nils Bartels

Die Noten:
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pio

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AW: Ein kleines Häppchen für die Musikwissenschaftler unte euch

Das Smilie passt zur Musik ;-))))
 

OldNick

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Ja, ganz großartig, Nils, hast Du schön gemacht :D. Hätte ich die Angewohnheit, Drogen zu konsumieren, wüsste ich, was ich mir beim nächsten Trip 'reinziehe. Bedauerlicherweise bin ich schon mit meinem eigenen Schwindel zu sehr ausgelastet.
 

Dorsch Nilson

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Ja, ganz großartig, Nils, hast Du schön gemacht :D. Hätte ich die Angewohnheit, Drogen zu konsumieren, wüsste ich, was ich mir beim nächsten Trip 'reinziehe. Bedauerlicherweise bin ich schon mit meinem eigenen Schwindel zu sehr ausgelastet.


Schön, dass Dich das auch anspricht - Ich dachte dem können nur eingeschworene Leute was abgewinnen die sich gern intellektuel fachsimpelnder Weise mit Musiktheorie befassen. :D Ja, die Umgebung hat das damals vor 12 Jahren natürlich mitgeprägt. Holland ist ja heute leider auch nicht mehr das, was es mal war. :weinen:
 

Herr M

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Mir ist grad irgendwie schwindelig....
 

Dorsch Nilson

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Ich hätte ja mal Lust das Live zu spielen mit jemandem. Mit Klick im Ohr, diesem Pitchpedal (Ich glaube "Whammy" heißt es, was der Gitarrist von Rage against the machine immer benutzt?) sollte das möglich sein.
 

Jamie

Jamie Leaves
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Ich seh die ganze Zeit kleine Trickmännchen wie wild irgendwelche Treppen hoch und runter wuseln! :confused:


Mal ganz ehrlich! Wer von euch hat es geschafft, das bis zu Ende durchzuhören? :D
 

pio

Autor, Audio Engineer (BA), Sprecher und Musiker
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für mich als "Bauch-Musiker" sind so Sachen wie die Zwölftonmusik immer eine Folter ;-))

wie war das noch? Frühestens nach 12 Tönen darf sich einer wiederholen? Oder war das etwas anderes?
 

Nero

Anne
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Ok, eigentlich wollt ichs ja bis zu Ende hören, aber nach 7 Minuten hatte ich nen Knoten im Gehirn ... und in den Ohren oder so ...
Obwohl einige Passagen echt nett sind ^^
 

Dorsch Nilson

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AW: Ein kleines Häppchen für die Musikwissenschaftler unte euch

Naja, wie gesagt, ein Experiment aus Zeiten meines Musikstudiums. Aber ich finde, wenn man den Text dazu liest, versteht und das was da steht beim hören nachvollziehen kann, dann wirkt es echt krass bewustseinserweiternd.

Pio schrieb:
für mich als "Bauch-Musiker" sind so Sachen wie die Zwölftonmusik immer eine Folter ;-))

wie war das noch? Frühestens nach 12 Tönen darf sich einer wiederholen? Oder war das etwas anderes?

Korrekt, aber ich finde im Vergleich zur klassischen Zwölftonmusik ist dashier doch sehr viel bekömmlicher. Besonders angenehm ist es auf Kopfhörern, wenn man in der Sonne auf einer Wiese liegt. THC verstärkt natürlich den Effekt.
 

sil

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AW: Ein kleines Häppchen für die Musikwissenschaftler unte euch

...wenn man den Text dazu liest, versteht und das was da steht beim hören nachvollziehen kann, dann wirkt es echt krass bewustseinserweiternd..

"bewustseinserweiternd" ...:rofl: Da kann ich nur sagen "welchen shit hast du denn geraucht?" ... äh oder so ähnlich :confused:
Könnte natürlich sein, dass demnächst die Geheimdienste bei Dir anfragen. Die können bestimmt solche Stücke gut gebrauchen, um die langen Pausen zu überbrücken, die sie immer zwischen zwei Fragerunden beim Verhör von Terrorverdächtigen machen, damit die sich auch wieder erholen können... ;)
 
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Masterofclay

Marco Rosenberg
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AW: Ein kleines Häppchen für die Musikwissenschaftler unte euch

Ich war in Düsseldorf mal in einer modernen Oper mit Zwölftonmusik. Nach dem ersten Akt verliessen 50% der Zuschauer das Theater, nach dem zweiten Akt nochmal 50% von den Verbliebenen.
Dagegen klingt deine Musik schon fast angenehm. Das plätschert so schön. :D
 

Dorsch Nilson

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AW: Ein kleines Häppchen für die Musikwissenschaftler unte euch

Ich hab oben noch die Noten ergänzt, nur falls hier im Thread doch noch so'n durchgeknallter MuWi wie ich auftaucht :D
 

michelsausb

Laphroaig forever!!!
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Sex and drugs meets Kling-Glõckchen-Klingelingeling.....
 

Pandialo

P. Zweimann / Paul Conrad
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AW: Ein kleines Häppchen für die Musikwissenschaftler unte euch

Da ist mensch ein Mal weg und schon wird's musikwissenschaftlich. :D

Ich werd mir das Ganze wohl ein paar Mal anhören müssen, die einzelnen Stimmen genau zu identifizieren ist gar nicht so einfach. Wo ich bisher aber gut mitgekommen bin, das ist wirklich coole serielle Musik. Ein Kommilitone von mir komponiert seriell, würde aber wahrscheinlich niemals auf die Idee kommen, sowas live spielen zu wollen, schon gar nicht phasenverschobenes. Das wäre echt krass.

Vielen Dank auf jeden Fall für den Happen. Ich bin dann mal verdauen. ;)
 
G

Gelöschtes Mitglied 2384

AW: Ein kleines Häppchen für die Musikwissenschaftler unte euch

Das hört sich an als wäre man mitten im LSD-Trip. Auf Dauer würde ich da zur Lady Gaga. Trotzdem interessant...
 
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