Mr B.

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Lumen et Umbra

Er ging langsam die Steintreppe, die von Schloss herunter führte, herab und folgte dem Kiesweg durch den kleinen Park, bis er den Eingang zum Labyrinth, dessen Wände von unzähligen Blumen bedeckt waren, erreichte. Obwohl er wusste, wo das Zentrum des Labyrinths war, zögerte er einen Moment. Ein ihm unbekanntes Gefühl hielt ihn zurück und sagte ihm, dass er sich umdrehen sollte, dennoch er setzte er seinen Weg fort und betrat den Irrgarten.
Manch einer hätte den Duft der Blüten, die sich dem Mondlicht entgegen reckten, genossen und sich absichtlich verlaufen um mehr von ihrer Pracht zu sehen. Aber für ihn war es einerlei, ob sie erblühten oder verwelkten und mit ruhigen Schritten ging er weiter, bis er das Zentrum erreichte. Der Mond spiegelte sich auf dem Wasser des kleinen Sees, an dessen Ufer kleine Nebelschwaden über die nackten Füße einer ganz in weiß gekleidete Frau krochen, deren langes schwarzes Haar wie dunkler Honig über ihre Schultern floss. Sie beachtete nicht die mystische Schönheit des Augenblickes, denn ihr Blick war auf eine Rose gerichtet, die sie in den Händen hielt.
Ihre Hände schlossen sich fester um den Stiel und sie merkte nicht, wie sich die Dornen in ihr Fleisch gruben, während seine Schritte immer näher kamen. Als die Schritte verstummten, drehte sie sich um, lies sie die Rose achtlos fallen, ging auf ihn zu und schlang die Arme um ihn. Nach einem Moment des Zögerns erwiderte er ihre Umarmung und sie konnte die Tränen, die sich in ihren Augen gesammelt hatten, nicht mehr zurückhalten. Ihr Schluchzen übertönte seine beruhigenden Worte, die er Aussprach, während er mit einer eisig kalten Hand beruhigend über ihr Haar strich.
Es gab nun kein Zurück mehr, das wussten beide, daher löste sie sich wieder aus seiner Umarmung und hob den Kopf um ihn anzusehen. In seinen Augen lag ein Ausdruck der Trauer und sie blinzelte überrascht, denn es war das erste Mal, dass sie überhaupt eine Gefühlsregung in seinem Gesicht vernahm. Das Wissen, dass dies zugleich auch das letzte Mal sein würde, versetzte ihrem Herzen einen schmerzhaften, tiefen Stich und die Tränen kamen wieder. Voller Scham senkte sie ihr Haupt, doch er griff ihr langsam unter das Kinn und drückte ihren Kopf sanft hoch, ehe er sich vorbeugte sich vor und sie zum Abschied küsste. Für diesen einen Augenblick schien die Zeit selbst den Atem anzuhalten.
Ihr Körper sackte wie eine Marionette mit durchtrennten Fäden zusammen, als sich ihre Lippen voneinander lösten. Sanft hob er ihn auf und blickte in ihr Gesicht, auf dessen Lippen immer ein Lächeln lag. Er drehte sich um und ging wieder durch das Labyrinth, beachtete weder das Gras, das unter seinen Schritten verdorrte, noch die Blumen, die verwelkten, sobald er sie passiert hatte. Vor seinem innerem Auge zog ihre gemeinsame Vergangenheit vorbei. Der Unfall, ihr Erwachen aus der Ohnmacht, das Geständnis ihrer Liebe, die Enthüllung seines wahren ich‘s und der Kuss. All diese Momente zogen an ihm vorüber, während er sich seinen Weg durch den sterbenden Park bahnte.
Tief in seinem Innern empfand er Reue, aber er konnte sie nicht rückgängig machen, denn das Schicksal verbot es ihm. Sein Weg führte ihn durch das Schloss, das langsam zerfiel, je weiter er es durchquerte und bald darauf erreichte er den Fluss. Eine einzelne Träne löste sich aus seinem Auge, rollte über seine Wange und fiel auf ihr Gesicht, als er sie langsam ins Wasser gleiten ließ. Sein Blick folgte ihr, bis die Strömung sie außer Sicht trug. Mit einem leise gemurmelten Abschiedswort drehte er sich um und verschmolz mit dem Schatten der Nacht.
 
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jam

Absolut
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AW: Lumen et Umbra

Das finde ich übrigens sehr schön geschrieben! Like!
 

Mr B.

Tassenmörder
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Danke :eek: Wie immer gilt: Jeder der sich daran versuchen will hat freie Hand beim Vertonen/Einsprechen
 
M

Menelaos

AW: Lumen et Umbra

Jep, der Text ist wundervoll, aber das wusstest du ja schon und werd den nachher antesten, ich bin gespannt ;-)
 
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whoami

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AW: Lumen et Umbra

Wie versprochen hier mal eine Fassung des Textes von Julia gesprochen. Wie sagt man so schön "quick and dirty"… Man hört leider noch den Lüfter des Laptops. Dafür aber mit dem neuen NT2-A aufgenommen.

 

Grüße
 

jam

Absolut
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AW: Lumen et Umbra

Habe ihn gerade gehört, bis zum Ende.:) Ich muß sagen, das ist wirklich kein leichter Text für eine Lesung. Cool, daß du das gemacht hast, Julia.:thumbsup:
Was ich eine gute Idee fand, war, einige Passagen zu flüstern. Vom Gefühl her hätte ich vermutlich anderen Stellen ausgewählt, z.B. am Schluß: "er erinnerte sich...". Da hätte ich es genau andersrum gemacht: erst normal gesprochen und dann die Erinnerungen geflüstert, so als Schatten der Vergangenheit - naja, irgendwie so eben.:)

Was, glaube ich, noch besser wirken würde, wäre, wenn du nicht ganz so lange Pausen zwischendurch machen würdest. Das klang ab und zu, als würdest du erstmal kurz lesen und dann sprechen, aber wie gesagt, ist echt kein leichter Text. Und Georgs Texte, zumindest solche, fordern einen Sprecher schon ganz schön.:)
Ich habe jetzt nicht drauf gehört, ob es geschnitten war, aber so oder so bin ich beeindruckt, daß du dich da so gut durchgearbeitet hast. Ich denke auf jeden Fall, daß man auch nach 20 Durchläufen immer noch eine Passage finden kann, an der man feilen kann, und dann muß man sich noch daran erinnern, was beim letzten Durchlauf gut war...

Ach ja, und dieser Lüfter...:mad: Nur Spaß!:D
 

whoami

Mitglied
AW: Lumen et Umbra

Wie gesagt, "quick and dirty". :)
Tatsächlich gab es einen Schnitt in der Mitte. Ansonsten alles am Stück ein gesprochen.

Ja… der Lüfter… :confused:
der dreht halt und dreht und dreht…

Grüße
 
M

Menelaos

AW: Lumen et Umbra

Hey Jam,

Erstmal danke für dein Kompliment, ja der Text ist nicht ganz leicht. Meine Intention war eigentlich, es düster und ein wenig undurchsichtig klingen zu lassen, leider zeigte mir auch meine Stimme da deutlich meinen Grenze, denn viel tiefer komme ich garnicht. Ich glaube auch, die geflüsterten Passagen sind wirklich subjektiv, und sicherlich würde ein dritter sie noch anders verteilen. Ich werde schauen, ob ich den Text nochmal einspreche, erstmal war und bin ich auf die Reaktionen gespannt ^^

Schreib mir gerne, welche Stellen du flüstern würdest, dann kann ich auch das mal ausprobieren ;-)
 

jam

Absolut
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AW: Lumen et Umbra

Hi Julia,

leider zeigte mir auch meine Stimme da deutlich meinen Grenze, denn viel tiefer komme ich garnicht

Also, mein Gefühl sagt mir, daß man Dinge, die einem nicht so liegen (in diesem Fall anatomisch bedingt), nicht als Stilmittel nutzen sollte, sondern die, zu denen man einen Zugang hat. Es gibt auch die Möglichkeit mit einer höheren Stimme eine düstere und undurchsichtige Stimmung zu erzeugen, allein durch die Art, wie du sprichst (Intonation, Akzentsetzung usw.). Ich merke immer, daß mir sowas leichter fällt, wenn ich ein Bild vor dem inneren Auge erzeugen kann, das die Stimmung widerspiegelt, dann muß man "nur noch" reagieren. Ja, klingt ein wenig verworren, gebe ich zu...:)

Schreib mir gerne, welche Stellen du flüstern würdest, dann kann ich auch das mal ausprobieren

Ich sag mal, wenn mir da was ins Auge fällt, kann ich das ja gerne mal äußern. Ich denke aber, daß die Interpretation mit deinem Gefühl übereinstimmen muß, damit sie glaubhaft ist... (manno, klingt das geschwollen...:eek:)
 
M

Menelaos

AW: Lumen et Umbra

Oh nein, ich versteh das sogar ganz gut.;-) In einigen Szenen hatte ich auch ein klares Bild vor Augen, was mein Sprechen natürlich beeinflusst hat. Aber ich will mich da auch garnicht so stark runterwerten, denn ich habe noch nicht viele Rollen und Takes gesprochen, um sagen zu können was mir liegt, und was ich gern spreche. Ich weis nur, dass es Spaß macht, dass ich üben muss um Texte sauber und flüssig zu sprechen und das es, wie Christian Brückner bereist einmal sagte "Man muss einen Text wirklich kennen" um ihn Stimmungsvoll und ohne Selbstinterpretation rüber zu bringen, das zu trasportieren was der Autor dem Leser mitteilen wollte. So genug geschwollen geredet ....*hust* :eek:
 

Chaos

Schneewittchen
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Hachja, Georg und Happy Ends, eine nie endende Feindschaft :p
Schöne Geschichte, ich kannte sie ja schon in verschiedenen Fassungen :D
 

Mr B.

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AW: Lumen et Umbra

Ich habe die Geschichte noch mal überarbeitet und wünsche viel Spaß beim Lesen/Vertonen
 
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