Xilef

zerfahrener Verdutzter
AW: Die schwimmenden Felle des Doktors

"Dies ist ein freies Land..." ? ein weiter Begriff, der sich selbst zusehends entleert, glaube ich. Frei wäre ein Land doch erst, wenn sich mensch gesellschaftlich-politisch nicht zwanghaft immer nur weiter in eine Richtung bewegen müsste. Da meine These aber impliziert, dass der Kapitalismus die politische Aufrichtigkeit korrumpiert, weil der Markt quasi über die Werte entscheidet, sind Deine Worte, Dion, eigentlich gefährlich nah am phrasenhaften: z.B. in Deinem letzten Absatz legst Du rethorisch nahe, dass man sich, wolle man etwas verändern eben in den vorgesehenen politischen Bahnen bewegen muss. Ich allerdings glaube, dass allein schon die gesellschaftlichen Umgebungsbedingungen so starken Einfluss haben können auf die jeweils mandatierten Politiker, dass allein das schon ständig einen verändernden Einfluss, auch auf die Verfassung hat, nur quasi nicht nach Massgabe von Ratio, Vorhaben und Zielsetzung - man denke allein an die Karriere der Grünen als sie den aussenpolitischen Sektor verlassen haben.
Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass unser Deutschland bedrohlich weit ins reaktionär Konservative neigt, wenn es nicht von einer, auch noch so rechts gearteten Volkspartei an der demokratischen Leine gehalten würde. Tendenziell ist doch die Zufriedenheit mit dem Seienden bei uns umso ausgeprägter, je weniger uns die Hartz IV Debatte etc. anficht. Die derzeitige Lobbyregierung wurde ja nicht ausversehen gewählt, sondern deswegen, weil alle, die haben auch gern behalten möchten. Ist doch auch wohl ein Grossteil der statistisch ermittelten Guttenberg-Lanzenbrecher sich durchaus im klaren über das Geschehen, legt aber eben auch wert auf die gelungene Erscheinung der Witzfigur. Wenn Politik in Deutschland schon den Geruch einer demokratischen Leiche bekommt, dann solls wenigstens eine schöne sein. Der elder Statesman ist eine historische Variante und nur noch für den Feuilleton. Es werden Leute gesucht, die ein Land so führen können, wie vielleicht Nestle geführt wird. Eiskalt und unbarmherzig aber effektiv und mit einem amüsierten Lächeln - und den eigenen Kindern auf der Waldorfschule.
 

Dion

Autor
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"Dies ist ein freies Land..." ? ein weiter Begriff, der sich selbst zusehends entleert, glaube ich. Frei wäre ein Land doch erst, wenn sich mensch gesellschaftlich-politisch nicht zwanghaft immer nur weiter in eine Richtung bewegen müsste.
Wir haben nach wie vor eine Volldemokratie – und das gibt es auf der ganzen Welt nur in 26 Staaten - viel mehr ist also gar nicht möglich. Ich sehe hier auch keinen Zwang, sich nur in eine Richtung bewegen zu müssen – es steht jedem frei, eine Partei zu gründen, die andere Ziele hat als alle anderen bisher, die einzige Voraussetzung ist lediglich, auf dem Boden der Verfassung zu stehen, d.h. keinen gewaltsamen Umsturz der gegenwärtigen Verhältnisse herbeiführen zu wollen. Aber wenn man mit Worten und Taten für seine Idee genügend große Mehrheiten gewinnt, dann kann man auch die Verfassung ändern – dass das möglich ist, beweist die Tatsache, dass man das in Vergangenheit schon 60 Mal getan hatte.


… in Deinem letzten Absatz legst Du rethorisch nahe, dass man sich, wolle man etwas verändern eben in den vorgesehenen politischen Bahnen bewegen muss.
Ja, das ist Fakt und ich sehe dazu auch keine Alternative – man muss Menschen für seine Idee gewinnen, das ist der einzige Weg.


Die derzeitige Lobbyregierung wurde ja nicht ausversehen gewählt, sondern deswegen, weil alle, die haben auch gern behalten möchten.
Ja, das ist auch Fakt; das tut ein jeder - wenn er was hat.


Ist doch auch wohl ein Grossteil der statistisch ermittelten Guttenberg-Lanzenbrecher sich durchaus im klaren über das Geschehen, legt aber eben auch wert auf die gelungene Erscheinung der Witzfigur.
Da bin ich anderer Meinung, die ich allerdings schon hier dargelegt habe.

Gutenberg wird zurücktreten müssen, denn kein Land kann sich leisten einen Betrüger zum Minister zu haben – siehe auch "Wir fühlen uns getäuscht. Wir sind einem Betrüger aufgesessen."
 

Markus

Befahrener Ernutzer
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Meine Meinung:
Springer und Kerner und die ganze Jubelpresse sind natürlich auch daran interessiert ihren gezüchteten Minister zu behalten. Der Guttenberg ist nichts anderes als ein, von der BLÖD-Zeitung geklonter Superminister. Für mich ist zunächst mal wichtig, dass sein Handeln strafrechtliche Konsequenzen hat. Alles andere wäre ein Freifahrtschein für den Diebstahl von geistigem Eigentum. Wir beschäftigen uns hier ja auch oft mit dem Thema, und wenn der saubere Freiherr da rauskommt, ohne das wenigstens gegen ihn ermittelt wird, dann würde ich persönlich keine Skrupel mehr haben ebenso zu verfahren, und mir geistiges Eigentum anderer widerrechtlich aneignen! Was einem Minister lieb ist, sollte dem Normalbürger nur teuer sein!
 

Xilef

zerfahrener Verdutzter
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@Dion
Aber wenn man mit Worten und Taten für seine Idee genügend große Mehrheiten gewinnt, dann kann man auch die Verfassung ändern – dass das möglich ist, beweist die Tatsache, dass man das in Vergangenheit schon 60 Mal getan hatte.

Interessant ! Du kennst eine menge Querverweise. Wo sind denn diese 60 einzusehen ?
Worin ich Dir zustimme, ist, dass wir, zumindest was uns hier in Deutschland anbelangt, noch relativ gut dastehen mit unserer Demokratie - die ja dann ausserhalb ihrer Grenzen auch flott mal mit anderem Maß mißt.
 

Jeln Pueskas

Michael Gerdes
Teammitglied
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@Xilef, Dion
Naja. Wikipedia schreibt da von rund 60 Änderungen seit 1949. Was ich hier finden konnte: Laut http://grundgesetz.wordpress.com/2008/01/13/die-grundgesetzanderungen-seit-1949/ sind es wohl 52 (Vollständigkeit habe ich jetzt in der Eile nicht geprüft). Letztendlich muss man aber auch sehen, dass nicht jede Änderung gleichzusetzen ist, dass der Bürger grundsätzlich Rechte verliert und der Staat immer mächtiger wird.

Das ist ja auch nicht mehr das Thema. Angefangen hatten wir ja bei einem Plagiator und den Folgen für unsere Gesellschaft. Zweifelsohne wird sie weiterhin in dieser oder einer anderen Form existieren. Ob wir uns da politisch engagieren oder nur interessiert sind. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie damit umgegangen wird. Denn eines hat Markus ja treffend bemerkt: Wenn es hier weiter keine Konsequenzen gibt, ist das dies ein schlechtes Signal. Und mit Konsequenz meine ich nicht den Rücktritt als Verteidigungsminister...


Viele Grüße.
 

Xilef

zerfahrener Verdutzter
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Richtiger Einwand, Jeln, und doch - da allzu harmonische Diskurse die Seele unzulässig paralysieren,
drehen wir den Spiess ein wenig und entfalten das Thema mal so:
Vor dem Hintergrund eines bald zweieinhalb Jahre alten Artikels, habe ich Lust, mal aus der anderen Seite draufzuleuchten.
Ist Guttenberg am Ende ein nun doppelt traumatisiertes Missbrauchsobjekt verfehlten erzieherischen Ehrgeizes. Keiner will mehr wissen, dass der kleine Karl-Theodor eigentlich lieber Gärtner oder Schaffner geworden wäre, denn die gute Familie, aus der er stammt, legte ganz selbstverständlich für ihn eine akademsche Karriere fest und nicht nur nahe. Was nun, wenn dem armen K.T., der eigentlich lieber Motorbau oder Zahnarzt gemacht hätte auch hier wenig Auswahl blieb. Der deutsche Gemüsegarten der Karrieristen steht ja deutlich voller Juristen. Und wenns mit dem akademischen nicht richtig hinhaut, dann doch immer noch mit der Karriere; darin liegt auch die durchsichtige Raffinesse dieser Studienfachwahl manch eines discipulus. Ich habe während meines Studiums in Freiburg eine Weile im Studentenrat gearbeitet und genügend Jungjuristen kennengelernt, die veranschaulicht haben, wie unbedingt sinngebend man hier mittels des Verbindungswesen dann tatsächlich einander ausgiebig verbunden sein kann und so in einer Seilschaft den Gipfel erklimmt. Wenn da der kleine K.T. sein Handycap durch an-der-richtigen-Stelle-mal-laut-und-deutlich-was-sagen wett machen konnte, ist das mit dem akademischen eben schnell auch nur noch eine Fussnote im Leben und wird durch das politische ersetzt. Das aber für eine politische Karriere gerade in Deutschland ein schön klingender Titel unabdingbar ist, dass hat sich im Bundestag ja längst zum Faktum entwickelt. Kann also doch der talentierte Mr. Gutti dafür wirklich nichts. Und wenn die Intelligenz noch dafür reicht, einen Geistschreiber zu engagieren, dann wäre doch alles im grünen Bereich, wenn er nur geschickt genug gecastet hätte, und - jetzt komme ich zu meiner These - die vielen anderen Titelträger im Bundestag müssten jetzt nicht bange werden.
Was glaubt Ihr wohl wieviele jetzt zu Hause doch nochmal gründlich nachblättern in dem, was sie damals selbst geschrieben haben sollen.
Es liegt auf der Hand: der armselige Spruch der Kanzlerin kann kaum das wahre Anliegen des Schulterschlusses mit Guttenberg verdecken: eine noch unbekannte aber nicht geringe Zahl an volkszert...verzeihung...volksvertretenden Titelträgern muss sich dringend wappnen gegen einen Tsunami aus Plagiatsvorwürfen mit allen Konsequenzen - und vielleicht wäre dann der Bundestag auf einmal regierungsunfähig - ergo
Wer das Kind an den Abgrund drängt, der riskiert doch den Absturz des ganzen Bades.
und wer wischt hier dann auf...?
 

Diabsi

Helmut Buschbeck
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Ein Doktor-Titel ist keine unabdingbare Voraussetzung für einen Minister. Gut, gehe ich mit. Unabdingsbare Vorausstzung für einen Minister ist aber eine absolute Ehrlichkeit über sein Tun und Lassen. Wenn er das nicht kann, dann kann er auch kein Minister sein. Das würde ich mal als Masstab für alle Regierungspositionen sehen. Da glaube ich hat die Gesellschaft noch eine Menge zu tun.
Diabsi
 

Xilef

zerfahrener Verdutzter
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Ich spreche hier ja von der sogenannten normativen Kraft des Faktischen. Der Artikel ist immerhin lesbar und war für mich verblüffend, weil er mein Vorurteil quasi überflügelt hat.
 

aurelin

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Nur am Rande: Heute diskutiert der Presseclub auf ARD um 12.00 zu dem Thema.
 

Dion

Autor
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Die Zahl 60 habe ich aus einem Artikel, der 2009 zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes geschrieben wurde - die tatsächliche Anzahl lag Anfang 2010 entweder bei 53 oder (nach dieser Zählung) bei 57.

Weniger bekannt ist vielleicht, dass der Bundestag eine eigene Internetseite unterhält, auf der minutiös alles verzeichnet ist, was dort passierte. Leider sind die Daten für den Zeitraum vor 1990 nur lückenhaft oder gar nicht vorhanden, aber auch da gibt es zumindest summarische Übersichten.

Für die Zeit danach gibt es eine Fülle von Dokumenten – z.B. kann man auch Reden lesen, die im Bundestag (z.B. aus Zeitgründen) nie gehalten, sondern nur „hinterlegt“ wurden. Hier kann man lesen, dass in den letzten 20 Jahren das GG 21 Mal geändert wurde, und dass davon 83 Artikel des GG betroffen worden sind – davon wiederum 6 der Grundrechte betreffend.

Hier gibt es Daten zur Schulbildung der Bundestagsabgeordneten (Spitze dabei sind, wen wundert’s, FDP und die Grünen). Mich überrascht nicht das Übergewicht der höheren Bildung, denn ein Abgeordneter muss zumindest eines können: gut reden. Dieses Können steigt natürlich mit der Grad der Bildung – oder anders gesagt: Was nutzt mir ein ehrlicher Bauer oder Handwerker, wenn er seine Ansichten nicht zu Papier, sprich an den Mann zu bringen versteht – siehe auch hier (in Ermangelung eines deutschen Beispiels (ich wollte nicht wieder Dr. Stoibers viel zitierte Bahnhof=Flughafen-Rede bringen)).
 

Jeln Pueskas

Michael Gerdes
Teammitglied
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Das ist in der Tat schon ein gewaltig hoher Anteil. Aber wenn man auf die Gesellschaft blickt, erkennt man auch einen relativ hohen Anteil an Studenten. Viele wollen sich entweder im ersten oder im zweiten Bildungsweg akademisch oder zumindest einem höheren Grad in ihrer beruflichen Tätigkeit weiterbilden. Gerade auch um sich bessere Gehalts- und Einstellungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Es ist leider die traurige Realität, dass für einen normalen Handwerker mit Gesellenprüfung eher die Gefahr droht Hartz-IV-Empfänger zu werden, als einem Handwerker im gleichen Beruf, der vielleicht auch noch seinen Meister absolviert hat.

In der Informatik wird dies sehr deutlich, da die meisten Informatiker eine Ausbildung eher dann in Betracht ziehen, wenn sie im Studium aus finanziellen oder prüfungstechnischen Gründen nicht mehr weiterkommen. Natürlich nehmen gerade Mittelständische Unternehmen solche Leute mit Kusshand. Dagegen haben Realschulabgänger, deren Bildungsgrad nach Ausbildungsverordnung minimal ausreichen würde, die schlechtesten Chancen.

In der Politik sieht es dort ähnlich aus, zumal gerade in der "Juristerei" immer gerne die Seilschaft aus Studentenverbindungen herangezogen wird. Ich denke, dass dies nur ein Teil der Begünstigung ist. Es gibt jedoch noch viele andere Dinge die einem Juristen oder Lehrer den Schritt in die Politik erleichtern. Der wichtigste Faktor ist die Zeit, die einem normal Angestellten nicht zur Verfügung steht. Ich sehe das schon, wenn man anfängt, sich in der Kommune zu engagieren. Da aber Sitzungen und Tagungen halt zur normalen Arbeitszeit abgehalten werden und das auch mit kurzfristigen Terminen, ist es für jemanden, der eigentlich erst ab 18:00 Feierabend hat, irgendwie schwer sich zu einzubringen. Hinzu kommt die Fähigkeit sich selbst in der Öffentlichkeit gut darzustellen. Das fällt einem Akademiker ebenso schwer, wie einem Handwerker. Aber gerade dem Akademiker traut man es aufgrund seines Bildungsgrades eher zu.

Viele Grüße
 
AW: Die schwimmenden Felle des Doktors

Hier gibt es Daten zur Schulbildung der Bundestagsabgeordneten (Spitze dabei sind, wen wundert’s, FDP und die Grünen). Mich überrascht nicht das Übergewicht der höheren Bildung
Es würde mich mal interessieren wie viele davon auf Privatschulen gingen. Hier wird es in der Zukunft bestimmt noch interessanter, wer wird da wen regieren? Aber hier verlassen ich ja den Bereich von Copy-Karl-Thema...

Weiter machen!
 
Zuletzt bearbeitet:

aurelin

Where ist online?
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Und noch einer obendrauf
[YOUTUBE]6M6hvc5vZOQ[/YOUTUBE]
 

Jeln Pueskas

Michael Gerdes
Teammitglied
Sprechprobe
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AW: Die schwimmenden Felle des Doktors

Oh ja. Den Link habe ich bereits bei Facebook gesehen. Absolut treffendes Kabarett. Volker Pispers hat vielleicht nur nicht so schöne Haare :D

Viele Grüße.
 
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