- #1
Themenstarter/in
Hallo, ihr Lieben. Ich hab mal wieder was kleines feines für euch fabriziert. Danke an Georg und Hannah fürs erste Gegenlesen und besonders an Georg für das Auslösen der Idee 
Der Text heißt Spiegelwelten, den Rest müsst ihr selbst herausfinden.
Vertonung und Feedback wärmstens erwünscht!
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Spiegelwelten
Mit gesenktem Kopf ging er durch die nächtlichen Straßen, blickte sich nicht um, achtete nicht auf die Regentropfen, die seine Kleidung durchnässten. Er ging einfach nur stur gerade aus, sah nicht die warmen Lichter in den Fenstern der Häuser an der Straße, nicht den Mond, der einsam am Himmel stand und die Umgebung in ein diffuses Licht tauchte.
Es schien, als wüsste er, wohin er ging, als hätte er einen Plan, was nun zu tun wäre nach diesem ganz und gar schief gelaufenen Tag.
Wieder kamen die Erinnerungen in ihm hoch, doch er verdrängte sie mit einem raschen Kopfschütteln.
Plötzlich blieb er stehen, völlig unvermittelt und abrupt. Dann hob er den Kopf, um sich zum ersten Mal richtig umzusehen und seine Umgebung wahrzunehmen. Seine Füße hatten ihn zu einem einst prächtigen Anwesen getragen, das nun fast gänzlich von Ranken überdeckt und hinter Gestrüpp und hohen Bäumen verborgen war. Man konnte noch die aufwändigen Verzierungen unter dem Efeu erahnen, an einigen Stellen lagen die handgebrannten Ziegel noch in Reih und Glied nebeneinander, wie sie es schon vor 100 Jahren getan hatten.
Das Haus strahlte eine gewisse Düsternis aus, als würde ein Geheimnis irgendwo hinter gebrochenen Scheiben, zwischen modrigen Dachbalken verborgen liegen. Auf einmal spürte er den unnachgiebigen Reiz, die Villa zu betreten. Ehe er wusste, wie ihm geschah, setzten sich seine Beine wieder in Bewegung und seine Arme kämpften sich durch Dornen und störrische Äste. Schon bald stand er vor dem Eingang und betrat die Vorhalle des alten Gebäudes. Ein Lichtfinger des Mondscheins schlängelte sich durch die zerbrochenen, einst prächtig verzierten Fenster im Dach und ließ die Ranken wilde Muster auf den Marmorboden zeichnen.
Staunend blickte er sich um, während sein Herz aufgeregt in seiner Brust klopfte, ob aus Angst oder aufgrund der plötzlich in ihm aufkommenden Aufregung, konnte er nicht sagen. Sein umherschweifender Blick blieb auf der halbverfallenen Treppe an der rechten Seite der Halle hängen. Vorsichtig erklomm er die Stufen und stieg über Tapetenbahnen, die sich im Laufe der Jahre Stück für Stück von den Wänden gelöst hatten, bis er vor einem Flur stand, an dem sich zu beiden Seiten zahlreiche Zimmer anschlossen. Eine dieser Türen erregte besonders seine Aufmerksamkeit. Sie war zwar aus dem gleichen schweren Eichenholz gefertigt wie die anderen, doch ging von ihr ein diffuser Schein, fast eine Art Aura aus, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Wie schon zuvor spürte er das seltsame Verlangen, zu dieser Tür gehen zu müssen und den Raum dahinter zu erkunden. Wie eine Fliege, die dem Ruf der fleischfressenden Pflanze folgt, kam ihm der unwillkürliche Gedanke, den er aber schnell wieder abschüttelte. Unsinn.
Er musste einfach das Geheimnis finden, das dieses Haus zu einem solch wundersamen Ort mit dieser Ausstrahlung gemacht hatte.
Er fasste sich ein Herz, machte einige Schritte auf die Tür zu und stellte fest, dass sie mit einem besonderen Mechanismus verschlossen war. Es war keine Klinke oder gar ein Schloss in sie eingearbeitet; in der Mitte der Tür befand sich ein kleines gusseisernes Türchen, das nach dem Öffnen eine komplizierte Anordnung kleiner Hebel offenbarte. Zu seiner Überraschung stellte er allerdings fest, dass sich die Tür trotz der Verriegelung problemlos öffnen lies. Kaum hatte er den Raum betreten, schwang sie wie von Geisterhand wieder zu und rastete fest im Schloss ein. Regelrecht überwältigt stellte er fest, dass er sich in einem fensterlosen Raum befand, der gänzlich mit Spiegeln ausgekleidet war. Von den Wänden, vom Boden und von der Decke blitzte ihm sein eigenes Spiegelbild in vielfacher Ausführung entgegen, denn seltsamerweise strahlte das Zimmer ein unwirkliches gedämpftes Licht aus.
Im Gegensatz zu dem, was er ansonsten von der alten Villa gesehen hatte, all diese verfallene Pracht, die kaputten Fenster, der Staub und die Tapetenreste auf dem Boden, war dieser Raum makellos. Kein einziges Staubkörnchen wurde durch seine Schuhe aufgewirbelt, keine Schlieren oder Kratzer waren auf den Spiegelflächen auszumachen.
Ungläubig trat er näher an eine Wand heran und legte ohne weiter darüber nachzudenken die rechte Hand auf die verspiegelte Glasfläche, als könne er nicht glauben, dass diese kühle Barriere tatsächlich existierte.
Sein Spiegelbild hingegen blieb regungslos.
Wie gelähmt starrte er sein Gegenüber an, das aussah wie er, aber nicht tat, was er tat.
Wie war das möglich?
Die Augen seines Spiegelbildes blitzten belustigt auf und ein boshaftes Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus.
Langsam, fast genüsslich hob es ebenfalls die rechte Hand und legte sie ebenso gemächlich auf die Spiegelscheibe vor sich. Ein zuckender Schmerz erfüllte ihn, als die Fingerspitzen des Spiegelbildes die Scheibe berührten. Schlagartig fiel die Lähmung von ihm ab und er versuchte fast panisch, einen Schritt zurückzumachen und die Hand von der Scheibe zu lösen. Es war nicht möglich. Auch unter Aufbietung seiner ganzen Kraft konnte er die Hand nicht lösen.
Ein verzweifelter Schrei bildete sich in seiner Kehle, doch ein Blick auf sein Spiegelbild ließ ihn wieder verstummen. Auch es hatte den Nacken zurückgelegt, nicht aber um vor Verzweiflung zu schreien, sondern weil es schallend lachte.
Im Gegensatz zu seinem stummen Hilferuf klirrte das böse, hässliche Lachen seines Gegenübers schmerzhaft in seinen Ohren.
Dann hörte es auf einmal auf und blickte ihm entschlossen in die Augen.
Mit einem Ruck stemmte es die Hand gegen die Scheibe und er merkte, wie diese sich zu drehen begann. Gleichzeitig erfüllte ihn ein beinahe unerträglicher Schmerz, als würde ihn etwas zerreißen und gleichzeitig ganz klein zusammenpressen. Er konnte regelrecht spüren, wie sich etwas in ihm löste, sodass er in den Spiegel gezogen wurde und sein Spiegelbild aus ebendiesem in den Raum treten und Besitz über seinen Körper ergreifen konnte, den er zurückgelassen hatte. Entgeistert wurde ihm bewusst, was das bedeutete. Er selbst würde nun das Spiegelbild sein, gefangen in einer Welt hinter den Spiegeln, dazu verdammt, immer vor dieser Scheibe zu stehen und das Verhalten seines Gegenübers zu imitieren, ohne Willen, ohne eigenes Schicksal. Auf ewig dazu verdammt, es mit diesem Ich auf der anderen Seite zu teilen.
Stumme Tränen liefen seine Wangen herab, während sein Mund ein Lächeln bildete und seine Hand sich zum Abschiedsgruß hob, bevor sein Gegenüber den Raum verließ, um ihn in der Dunkelheit zurückzulassen. Mit dem Verlassen der anderen Person hatte der Raum seinen eigenen Glanz verloren, als wäre der Zauber, der auf ihm lag, gelöst worden.
Während er in ewiger Dunkelheit weinend zusammenbrach, verließ jemand, der aussah wie er, ebenso zielstrebig, wie er gekommen war, das verfallene Anwesen. Doch er hielt nicht den Kopf gesenkt, während er durch die nächtlichen Straßen schritt. Nein, er nahm jedes einzelne Detail seiner Umgebung in sich auf und ging beschwingten Schrittes seinen Weg, als wäre eine schwere Bürde nach langer Zeit endlich von ihm abgefallen.
Der Text heißt Spiegelwelten, den Rest müsst ihr selbst herausfinden.
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Spiegelwelten
Mit gesenktem Kopf ging er durch die nächtlichen Straßen, blickte sich nicht um, achtete nicht auf die Regentropfen, die seine Kleidung durchnässten. Er ging einfach nur stur gerade aus, sah nicht die warmen Lichter in den Fenstern der Häuser an der Straße, nicht den Mond, der einsam am Himmel stand und die Umgebung in ein diffuses Licht tauchte.
Es schien, als wüsste er, wohin er ging, als hätte er einen Plan, was nun zu tun wäre nach diesem ganz und gar schief gelaufenen Tag.
Wieder kamen die Erinnerungen in ihm hoch, doch er verdrängte sie mit einem raschen Kopfschütteln.
Plötzlich blieb er stehen, völlig unvermittelt und abrupt. Dann hob er den Kopf, um sich zum ersten Mal richtig umzusehen und seine Umgebung wahrzunehmen. Seine Füße hatten ihn zu einem einst prächtigen Anwesen getragen, das nun fast gänzlich von Ranken überdeckt und hinter Gestrüpp und hohen Bäumen verborgen war. Man konnte noch die aufwändigen Verzierungen unter dem Efeu erahnen, an einigen Stellen lagen die handgebrannten Ziegel noch in Reih und Glied nebeneinander, wie sie es schon vor 100 Jahren getan hatten.
Das Haus strahlte eine gewisse Düsternis aus, als würde ein Geheimnis irgendwo hinter gebrochenen Scheiben, zwischen modrigen Dachbalken verborgen liegen. Auf einmal spürte er den unnachgiebigen Reiz, die Villa zu betreten. Ehe er wusste, wie ihm geschah, setzten sich seine Beine wieder in Bewegung und seine Arme kämpften sich durch Dornen und störrische Äste. Schon bald stand er vor dem Eingang und betrat die Vorhalle des alten Gebäudes. Ein Lichtfinger des Mondscheins schlängelte sich durch die zerbrochenen, einst prächtig verzierten Fenster im Dach und ließ die Ranken wilde Muster auf den Marmorboden zeichnen.
Staunend blickte er sich um, während sein Herz aufgeregt in seiner Brust klopfte, ob aus Angst oder aufgrund der plötzlich in ihm aufkommenden Aufregung, konnte er nicht sagen. Sein umherschweifender Blick blieb auf der halbverfallenen Treppe an der rechten Seite der Halle hängen. Vorsichtig erklomm er die Stufen und stieg über Tapetenbahnen, die sich im Laufe der Jahre Stück für Stück von den Wänden gelöst hatten, bis er vor einem Flur stand, an dem sich zu beiden Seiten zahlreiche Zimmer anschlossen. Eine dieser Türen erregte besonders seine Aufmerksamkeit. Sie war zwar aus dem gleichen schweren Eichenholz gefertigt wie die anderen, doch ging von ihr ein diffuser Schein, fast eine Art Aura aus, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Wie schon zuvor spürte er das seltsame Verlangen, zu dieser Tür gehen zu müssen und den Raum dahinter zu erkunden. Wie eine Fliege, die dem Ruf der fleischfressenden Pflanze folgt, kam ihm der unwillkürliche Gedanke, den er aber schnell wieder abschüttelte. Unsinn.
Er musste einfach das Geheimnis finden, das dieses Haus zu einem solch wundersamen Ort mit dieser Ausstrahlung gemacht hatte.
Er fasste sich ein Herz, machte einige Schritte auf die Tür zu und stellte fest, dass sie mit einem besonderen Mechanismus verschlossen war. Es war keine Klinke oder gar ein Schloss in sie eingearbeitet; in der Mitte der Tür befand sich ein kleines gusseisernes Türchen, das nach dem Öffnen eine komplizierte Anordnung kleiner Hebel offenbarte. Zu seiner Überraschung stellte er allerdings fest, dass sich die Tür trotz der Verriegelung problemlos öffnen lies. Kaum hatte er den Raum betreten, schwang sie wie von Geisterhand wieder zu und rastete fest im Schloss ein. Regelrecht überwältigt stellte er fest, dass er sich in einem fensterlosen Raum befand, der gänzlich mit Spiegeln ausgekleidet war. Von den Wänden, vom Boden und von der Decke blitzte ihm sein eigenes Spiegelbild in vielfacher Ausführung entgegen, denn seltsamerweise strahlte das Zimmer ein unwirkliches gedämpftes Licht aus.
Im Gegensatz zu dem, was er ansonsten von der alten Villa gesehen hatte, all diese verfallene Pracht, die kaputten Fenster, der Staub und die Tapetenreste auf dem Boden, war dieser Raum makellos. Kein einziges Staubkörnchen wurde durch seine Schuhe aufgewirbelt, keine Schlieren oder Kratzer waren auf den Spiegelflächen auszumachen.
Ungläubig trat er näher an eine Wand heran und legte ohne weiter darüber nachzudenken die rechte Hand auf die verspiegelte Glasfläche, als könne er nicht glauben, dass diese kühle Barriere tatsächlich existierte.
Sein Spiegelbild hingegen blieb regungslos.
Wie gelähmt starrte er sein Gegenüber an, das aussah wie er, aber nicht tat, was er tat.
Wie war das möglich?
Die Augen seines Spiegelbildes blitzten belustigt auf und ein boshaftes Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus.
Langsam, fast genüsslich hob es ebenfalls die rechte Hand und legte sie ebenso gemächlich auf die Spiegelscheibe vor sich. Ein zuckender Schmerz erfüllte ihn, als die Fingerspitzen des Spiegelbildes die Scheibe berührten. Schlagartig fiel die Lähmung von ihm ab und er versuchte fast panisch, einen Schritt zurückzumachen und die Hand von der Scheibe zu lösen. Es war nicht möglich. Auch unter Aufbietung seiner ganzen Kraft konnte er die Hand nicht lösen.
Ein verzweifelter Schrei bildete sich in seiner Kehle, doch ein Blick auf sein Spiegelbild ließ ihn wieder verstummen. Auch es hatte den Nacken zurückgelegt, nicht aber um vor Verzweiflung zu schreien, sondern weil es schallend lachte.
Im Gegensatz zu seinem stummen Hilferuf klirrte das böse, hässliche Lachen seines Gegenübers schmerzhaft in seinen Ohren.
Dann hörte es auf einmal auf und blickte ihm entschlossen in die Augen.
Mit einem Ruck stemmte es die Hand gegen die Scheibe und er merkte, wie diese sich zu drehen begann. Gleichzeitig erfüllte ihn ein beinahe unerträglicher Schmerz, als würde ihn etwas zerreißen und gleichzeitig ganz klein zusammenpressen. Er konnte regelrecht spüren, wie sich etwas in ihm löste, sodass er in den Spiegel gezogen wurde und sein Spiegelbild aus ebendiesem in den Raum treten und Besitz über seinen Körper ergreifen konnte, den er zurückgelassen hatte. Entgeistert wurde ihm bewusst, was das bedeutete. Er selbst würde nun das Spiegelbild sein, gefangen in einer Welt hinter den Spiegeln, dazu verdammt, immer vor dieser Scheibe zu stehen und das Verhalten seines Gegenübers zu imitieren, ohne Willen, ohne eigenes Schicksal. Auf ewig dazu verdammt, es mit diesem Ich auf der anderen Seite zu teilen.
Stumme Tränen liefen seine Wangen herab, während sein Mund ein Lächeln bildete und seine Hand sich zum Abschiedsgruß hob, bevor sein Gegenüber den Raum verließ, um ihn in der Dunkelheit zurückzulassen. Mit dem Verlassen der anderen Person hatte der Raum seinen eigenen Glanz verloren, als wäre der Zauber, der auf ihm lag, gelöst worden.
Während er in ewiger Dunkelheit weinend zusammenbrach, verließ jemand, der aussah wie er, ebenso zielstrebig, wie er gekommen war, das verfallene Anwesen. Doch er hielt nicht den Kopf gesenkt, während er durch die nächtlichen Straßen schritt. Nein, er nahm jedes einzelne Detail seiner Umgebung in sich auf und ging beschwingten Schrittes seinen Weg, als wäre eine schwere Bürde nach langer Zeit endlich von ihm abgefallen.
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