• Blut-Tetralogie   Dark Space

schaldek

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Präparat 5 Punkt Alpha

Meine Lage war prekär. Ich brauchte dringend Geld und hatte deswegen bei dieser Studie mitgemacht. Es war eine medizinische. Ein neues Antidepressivum wurde ausprobiert und, obwohl ich keine depressiven Verstimmungen mehr hatte – schon lange nicht mehr, denn ich hatte sie als Jugendlicher gehabt – durfte ich teilnehmen. Ich meldete mich also direkt im Testlabor und bekam sofort nach Aufnahme meiner Daten und einem kurzen medizinischen Test, das Präparat 5 Punkt Alpha. Jeden Tag eine Kapsel war vorgesehen; die erste nahm ich direkt vor Ort ein. Nach einer Stunde - in der mir Blut abgenommen und mein EKG gemessen worden war - stieg ich in den Bus und fuhr nach Hause.
Die ersten zwei Tage nach Einnahme des Testpräparates - ich hatte also zwei weitere Kapseln zu mir genommen - passierte nichts. Alles war gut. Am dritten Tag dann fing es an: Durchschlafstörungen, dann, zwei Tage später dauerhafte Schlaflosigkeit. Ich fühlte mich bald wie ein Zombie, der höchstens aus purer Erschöpfung einnickte; meist sitzend in meinem Sessel, während des Tages, dann einmal auf dem Küchenstuhl, als ich morgens frühstückte. Kurz darauf zwang ich mich, wenn ich längere Zeit saß, in der Gefahr einzudösen; dies lieber in meinem Bett oder auf dem Sofa zu tun. Ich stellte mir nun einen Wecker, damit ich nicht vergaß, das Präparat zu mir zu nehmen.
Ich hatte Gott sei Dank die Zeit für so etwas, denn ich war vor einigen Monaten nach meinem abgeschlossenen Diplom direkt in die Arbeitslosigkeit gerutscht. Ja, da saß ich nun auf meinem Sofa. Arbeitslos und ziemlich neben mir.

Diese plötzlichen Einschlafattacken blieben mir auch die nächsten Tage erhalten; nur, dass ich das Gefühl hatte, dazwischen länger und länger zu schlafen. Zwischendurch schien es mir, als geschähen nur noch Träume, sonst gar nichts mehr. Einmal, als ich wieder das Medikament zu mir nahm, erinnerte mich an die Klarträume, die ich als Kind gehabt hatte. Man weiß, dass man schläft, dass man träumt und man macht genau deswegen, was man will. Erschafft Licht, fasst Menschen an, wo und wie man will, tötet sie. Fliegt in allen Höhen und Tiefen herum!
Dieses Gefühl sei purer Übermut, hatte ich immer gedacht. Das Gegenteil von der Angst, die man in Albträumen verspürt.
Nun, an einem noch frühen, fast dunklen Morgen, als ich aus dem Fenster schaute, fiel mir dies wieder ein: wie sehr hatte ich mir als
Kind immer gewünscht, in meinen Klarträumen, dem Monster zu begegnen, das in meinen Alpträumen immer auf mich lauerte.
Wenn es sich jetzt zeigen würde, dann würde ich nicht zögern, es ein für alle mal zu vernichten.
Ja, ich könnte es jederzeit nur mit einem Gedanken vernichten, denn es war ja mein Traum! Nun, an diesem Morgen -
ich fröstelte, fühlte mich einsam, irgendwie - war es so, dass ich das Gefühl hatte, dieses Wesen oder diese Präsenz, die ich um mich glaubte, wisse genau davon: ich sei durchaus eine reale Gefahr für dieses Wesen! Was, wenn es meinen Übermut spürte und die Gefahr, die dies auch für das Wesen bedeutete, durchaus erkannte?

Einmal – wirklich, ich kann nicht sagen, wann es war – da wachte ich in Panik auf. Eben dieser Gedanke war wieder da gewesen. Ich öffnete die Augen, dabei pochte meine Stirn leicht auf. Ich erwachte auf dem Boden meines Schlafzimmers; direkt vor dem Bett. Ich hatte eine kleine Platzwunde davongetragen. Das Blut, das ich nun neben mir auf dem Laminat fand, verteilte sich in Tropfen auch auf der Diele. Das stellte ich fest, als ich dabei war, ins Bad zu gehen. Und dann später: selbst im Wohnzimmer und im Wintergarten fand ich Spuren meines Blutes, welches ich anscheinend selbst mit schlürfenden Schritten verwischt und verschmiert hatte. Ich war kurz wie vor den Kopf gestoßen. Nicht nur meine Stirn pochte jetzt; mein ganzer Kopf schien es tun. Ich hörte diesem Pochen zu, außerstande, irgendwas zu denken. Ich weiß nicht mehr, wie lange das war. Aber es war real. Nur Fassen konnte ich es einfach nicht!
Ja. Na und?, dachte ich dann.
Diese zwei unvereinbaren Gedanken - Es ist real! Ich kann es nicht verstehen! - hatten plötzlich Platz in mir, ohne, dass es mich
in diesem Moment beschäftigte. Und auch nachfolgend. Da war nichts. Selbst das Pochen hatte aufgehört.
Dann tat ich eben Dinge ohne spätere Erinnerung.
Ja. Na und?

Als ich dies am Nachmittag dem medizinischen Mitarbeiter mitteilte, der alle körperlichen und mentalen Veränderungen dokumentierte, und er daraufhin meine Akte genauer durchlas, entschuldigte er sich plötzlich, um zu telefonieren. Nach etwa zehn Minuten kam er wieder; mit kalter Mine. Er erzählte mir, dass das Experiment für mich sofort beendet sei und überreichte mir einen Barscheck über den vollen Testzeitraum, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal zu einem Drittel um gewesen war.
Was er mir abschließend berichtete, schockierte mich doch. Es gäbe insgesamt 20 Teilnehmer bei dieser Studie. Man hatte sie in zwei Gruppen aufgeteilt. Was mit mir in den letzten Tagen geschehen war, könne keinerlei Reaktion auf das Antidepressivum sein, denn ich bekam gar keines! Ich war Teil der Placebogruppe!
Mein Kopf pochte dann wieder. Ich weiß es noch und es war ein schönes Geräusch, dachte ich dann.
Eine Untersuchung meines aktuellen Zustandes direkt vor Ort lehnte ich ab.

Einen Tag später - ich hatte fast nur noch geschlafen - wollte ich mich doch durchchecken lassen.
Der Doktor in der Notaufnahme des städtischen Hospitals stellte mir viele Fragen und hörte sich meine Geschichte an. Er machte ein paar medizinische Tests, die mich offensichtlich beruhigen sollten. Es sei akut nichts zu finden - berichtete er mir wenig später - und sowohl mein Herzrhythmus, als auch meine Hirnstromaktivität seien vollkommen stabil. Nur die Blutwerte seien leicht abnorm. Ob ich bis vor Kurzem vielleicht Betablocker genommen habe, oder ähnliches, fragte er. Das verneinte ich, behielt aber meine gelegentlichen Jointsessions aus der Prüfungszeit für mich. Was ich ihm auch verschwieg, war, dass ich neuerdings versuchte, in meinen Schlafphasen das Haus zu verlassen. Dies war mir noch nicht gelungen, aber ich hatte Schlagspuren an der Innenseite der Haustür entdeckt, an diesem Morgen. Das war der Moment, an dem ich beschlossen hatte, ins Krankenhaus zu gehen. Warum ich es nicht geschafft hatte, dem Arzt davon zu berichten, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Vielleicht, weil ich ihm dann von dem Hammer berichten musste, mit welchem ich irrsinnigerweise versucht haben musste, die Haustür einzuschlagen.

Nach meinem Krankenhausbesuch stieg ich in den Bus Richtung nach Hause und wusste kurz nicht weiter. Ich beschloss dann, erstmal eine Weile zu Hause bleiben und zwar so lange, bis ich einen Termin im Schlaflabor des Krankenhauses bekommen würde. Gleich zu Hause angekommen, würde ich dort anrufen, um einen Termin zu vereinbaren.
Vielleicht könnte ich auch meine Schwester fragen, ob sie ein paar Tage zu mir käme. Aber wahrscheinlicher, dass sie dies ablehnen würde, war nur, dass ich sie nicht darum bitten würde. All die Fragen, die sie dann hätte und dazu ihr besorgter Blick!
Meine leicht abnormalen Blutwerte fielen mir wieder ein. Hätten die Vorabtests der Mitarbeiter des Testlabors das nicht schon entdecken müssen? Oder spielte das für die Studie gar keine Rolle? Das - und wie ich aus dem Busfenster einen kleinen Hund unter einer Parkbank liegen sah, von dem ich dachte, er könne an so einer stark befahrenen Straße nicht lange überleben - waren meine letzten klaren Gedanken.

Als ich nun aufwachte, war ich weder im Bus, noch zu Hause. Ich lag in einem fremden Krankenhausbett.
Bewegen konnte ich mich nicht. Ich spürte sie aber, die Präsenz. Sie war mit mir in diesem Raum, in dem es nur dieses Bett und ein hohes Fenster gab, durch das ich nicht hindurchblicken konnte.
Angst hatte ich keine. Auch nicht, als es plötzlich vor mir stand. Es sah mich so an, wie ich es ansah.
Wenn ich jetzt nicht schreie, keine Angst habe, einfach verharre, dann tut es mir nichts.
Nur der Gedanke war in mir oder überall um mich. Das Eigenartigste war: ich glaubte zu wissen, dass es genauso dachte. Von mir!
Seine enormen Blutaugen schüttelten isch, vibrierten wie elektrisiert, als es schließlich zu knurren begann.
Aber nicht bedrohlich. Nicht für mich. Dann wollte ich mich bewegen, aber konnte es nicht.
"Jetzt bist du etwas im Dunkeln Lebendes. Ein Schatten, ein Gedanke, den man nicht haben möchte. Du bist die Gefahr, die jemand anders in dir sieht. Der dir somit Schlimmes antun kann. Ein Wesen in Angst ist ein gefährliches Geschöpf. Vollkommen egal, ob Mensch oder Tier! Vollkommen!"

Das schmale Fensterlicht unter der Decke, durch das ich nicht sehen konnte, wurde schwächer. Die Nacht musste hineinschauen in dieses Zimmer. Hineinschauen zu mir. Musste mich still und wissend ansehen.
Der Mitarbeiter lächelte mich an. Er nickte und hielt eine Hand ganz fest. Eine, die ich nicht bewegen konnte. Eine, die mal mir gehört hatte.
„Sie sind nun ein schrecklicher Gedanke!“, sagte der Mitarbeiter sanft. „Träumen Sie jetzt! Träumen Sie davon. Ihrem ganzen Selbst.
Es tut, was niemand sonst tun darf. Ist da, wo es sein will. Angstfrei. Völlig sorglos. Helfen Sie uns dabei, damit es leben kann!“

E N D E
 
Zuletzt bearbeitet:

Mr_Kubi

Der auf den Bus wartet
Teammitglied
Sprechprobe
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Krasse Story...Gregor Samsa hat nen schlechten Trip. :eek:

Verstehe ich es richtig, Der Erzähler ist Angstfrei da man nun die Angst eines anderen ist? :eek:
 
G

Gelöschtes Mitglied 6816

Abend @schaldek ... ich wusste nicht so recht ob man es vertonen darf, wenn es nicht explizit da steht. habe es dann einfach getan 🙈
aktuell habe ich hier und da zeit und ich habe nicht soviel Texte zum vertonen, deshalb suche ich immer nach Texten die ich ganz interessant und ansprechend finde.

hoffe das du mit dem Ergebnis zufrieden bist...


Also, Hoch die Tassen oder besser gesagt Hoch die Eier. Mittlerweile is ja schon ostersonntach... :eek:🤣
 
G

Gelöschtes Mitglied 6816

@Voiceactor AH
Wow, ziemlich geil gesprochen. Als das Monster kam, hab ich mich kurz echt erschrocken. :eek:
Werd ich mal gern was Hörbuch- oder Szenische-lesungsmäßiges machen. :)
:ROFLMAO: yeah... So muss das sein...

War aber auch ein wenig herausfordernd. Vor allem wenn der Schreibstil nicht dem entspricht wie man es von sich selbst gewohnt ist und hier und auch verschachtelte Sätze sind. Hab mich lieber daran getraut als meinen obligatorischen 20.15. Blockbuster zu schauen und den lasse ich in der Regel nicht sausen... Danke für diesen Text 💪🤜🤛
 
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