Hallo ihr Hörspiel-Häschen,

dieser Text ist einer der etwas harmloseren aus meinem Reportoir. Er basiert auf einem Traum und befasst sich mit der Verbindung von zwischengenerationalen Verbindungen. Mit dem dem emotionalen Erbe. Mit der Verbindung zu unseren Vorfahren. Die Namen auf dem Grabstein, sind nicht fiktional.

Kind der Ahnen

„Man, man welche von den Straßen nehm‘ ich den jetzt, das gibt es doch nicht! Wo bin ich nur? So besoffen kann ich doch gar nicht sein, oder?“
Nebel senkte sich über diese Halloweennacht.
Ich schaute auf die Uhr. Mitternacht. Verflixt, so schnell war ich noch nie dermaßen beschwipst gewesen.
Ich lief die Straße entlang und plötzlich knirschte Kies unter meinen Schuhen… Sekunde, hier sollte doch Asphalt sein und kein Schotter und noch weniger Tannennadeln. Wie zum Henker kamen hier Tannenbäume in die Stadt?
Also langsam machte mir das hier Angst. Wobei, ich war doch ganz sicher nur betrunken, oder? So ein bisschen überspannte Fantasie. Nichts weiter! Ich meine, meine Fantasie ist schon gut, aber… eingebildete Käuzchenrufe. Donnerwetter! Und auch noch so realistisch? Und dann war es auch noch so ekelhaft kalt und erst jetzt fiel mir auf, dass ich meine Jacke im Pub vergessen hatte. Und was war das für eine Melodie und… Moment? Melodie? Ich war noch nie musikalisch gewesen, also kann meine Fantasie sowas doch gar nicht können und dann… woher kam dieses Licht? Wurde ich verrückt oder was war hier los?
Dort vorne… brannte ein Lagerfeuer und ein sehr alter Mann mit Rauschebart und blauer Arbeitshose stocherte darin herum!
„Na, Kleines? Von dem Met hier kann ich dir nichts mehr geben“, hörte ich ihn mit tiefer Stimme sagen und leise murmelte er noch: „Man hätte mir ruhig mitteilen können, in welchem… Zustand du hierher kommen würdest! Mal sehen, ob sich da nicht was machen lässt…“ Er warf etwas in den Kessel, dann richtete er sich wieder an mich: „Gehe diesen Weg und du wirst nach Hause finden!“
Also jetzt hörte sich aber alles auf. Ein alter Sack, der mir sagte wie ich nach Hause komme?
Bedächtig erhob er sich und ging direkt in die Richtung in die er gedeutet hatte und ward verschluckt vom Nebel. Ich blickte noch ein paar Sekunden dorthin, wo er gesessen hatte, dann begann ich zu lachen. Entweder war er verrückt oder ich war es… na ja okay. Ich wusste, dass ich verrückt war… aber ernsthaft liebes Universum, so verrückt?
„Okay, wenn da in dem Topf wirklich Met ist, dann bilde ich mir das alles nicht ein.“
Ich schnappte mir die zurück gelassene Kelle und trank. Schande, was in allen guten Geistern war das denn für ein Zeug. Also Met war das sicher nicht. Angewidert verkniff ich das Gesicht, öffnete aber schließlich die Augen wieder und blickte mich um. Irgendwie sah die Welt plötzlich anders aus.
Leise flüsterte der Wind mir etwas zu und der Wald und der Feuerschein begannen meine Seele anzurühren. Eigentlich sah hier alles so friedlich aus. Der Wind war nicht mehr kalt und ich fühlte mich plötzlich so frei.
Hier lief nicht mehr das betrunkene Mädchen aus dem Pub. Irgendetwas war geschehen. Ich wusste nicht was all dies zu bedeuten hatte. Nur, dass es irgendwie gut war.
Ich ging aufrecht, meine Hände streiften die Bäume als ich tatsächlich in die Richtung schritt in die der alte Mann gedeutet hatte. Ich hatte das Gefühl ganz bei mir zu sein. Geborgen in dieser weiten Welt.
Ich lief weiter, wusste zwar nicht wohin, doch schien ich einem Ziel zu zu irren und stand plötzlich vor einer Steintafel.

„Rudolf Witzgall
mit Ehefrau Elfriede Elisabeth Witzgall
geb. Braunersreuther!“

Die Namen meiner Großeltern.
Ich stand da und schwieg. Ich fühlte nichts, obwohl ich gerne geweint hätte. Da plötzlich bewegte sich das R im Namen meines Opas und fiel zu Boden. Ich hob es auf und da hörte ich eine Stimme in mir. Rein und klar, die mein ganzes Sein erfüllte.
„Kind der Ahnen, schließ die Augen! Siehst du die gelebten Leben? Siehst du die erzählten Geschichten? Wir, einstmals so jung wie du, lebendig, wild und lebenshungrig. Was nach uns kam, wussten wir nicht. Wir dachten nicht an den Tod, doch nun sind wir hier und du bist dort und selten sind die Grenzen so dünn wie heute. Wer sind wir einst gewesen? Vieles wird niemand je erfahren. Wer erinnert sich uns, die wir gegangen? Tausend Tränen vergossen, tausend Lachen gelacht, tausend Leben gelebt. Das gestern kennst du nicht und das morgen ist noch fern. Dort wo dein Fuß steht, ist das heute. Doch denk‘ daran, an all die Bücher, die die Vergangenheit geschrieben hat! Du kannst niemals sein, wer damals war. Nur erinnere dich, in deinen Adern fließt unser Blut. Das Blut deiner Mutter, deiner Großmutter, deines Vater, deines Großvaters, all deine Urahnen leben in die weiter. Du bist die Quintessenz unseres Seins, das Ergebnis unserer Träume, die Hoffnung unseres Sehnens. Die Weißen und Starken die wir einstmals so klein wie du die Welt bereisten. Bedenke wer sie waren und lass sie leben in dem was du sein kannst. Denn nur du, kannst jetzt Träume leben, die so alt sind, wie die Menschheit selbst. Und nun geh, Tochter der Ahnen, und geh den Weg, der vor dir liegt, geh ihn mit Stolz und mit Stärke. Geh ihn mit dem Wissen, dass wir der Nährboden deiner Wurzeln sind, die zu göttlichem Leben führen werden. Sei begnadet und trage unsere Namen in dir!“
Ich öffnete die Augen und fand mich auf einem kleinen verlassenen und dunklen Feldweg wieder. Wie war ich hier her gekommen?
Plötzlich tauchten zwei Scheinwerfer vor mir auf und mit quietschenden Reifen kam ein Wagen nur Zentimeter vor mir zum Stehen. Ein sehr alter Mann mit Rauschebart und blauen Arbeitshosen stieg aus, der mir irgendwie bekannt vorkam.
„Na Kleines? Noch so spät unterwegs und dann auch noch mitten auf dem Weg? Mensch, jetzt schau mich nicht an, als sei ich nicht von dieser Welt! Geh lieber mal nach Hause… aber hey, warte mal, du hast da was verloren!“
Ich blickte zu Boden um zu sehen, was ich wohl verloren haben könnte während ich noch verzweifelt versuchte herauszufinden, wo ich solche blauen Hosen schon mal gesehen hatte… und wer hatte mich zum letzten Mal ungestraft „Kleines“ nennen dürfen? Dann umspielte mein Mundwinkel ein Lächeln und ich hob auf, was dort silbrig im letzten Mondschein funkelte. Ich erinnerte mich.
„Danke alter Mann!“ sagte ich und sah wie mich zwei Augen anblickten, so alt wie diese Welt.
Mich, ein Kind der Ahnen!
Mich, die einen Buchstaben aus einem Grabstein in den Händen hält.
Mich, die euch in ihrem Namen trägt!

Ich freue mich auf euer Feedback.
 
Zuletzt bearbeitet:
Oben