Hallo ihr Hörspiel-Häschen,

ich hoffe diesen Slamtext gibt es nicht schon irgendwo. Er basiert auf wahren Begebenheiten und für alle die 2018 am Escape Room und an der anschließenden Open Stage auf dem IHW teilgenommen haben, ist er nichts Neues. Wer von alledem nichts mitbekommen hat, der darf diesen Text gerne noch einmal lesen, wenn das Hörspeil, das auf dem Escape Room basiert und aktuell in Entwicklung ist, auf eure Ohren losgelassen wird.

Thematisch geht es um Mobbing. Mein Mobbing. Dieser Text basiert auf sehr wahren Begebenheiten. Namen sind natürlich geändert.

Anders
Von Ann Katharina Re

Cathy sitzt da, blickt in ihr Bier und grübelt über einen Satz den man ihr gesagt hatte: „Sie sei anders, manchmal ein bisschen schwierig. Sie hätte es mit ihren Gefühlen immer so eilig und warum könne sie Freundschaft nicht etwas langsamer angehen. Manchmal sei sie komisch!“
Plötzlich sieht sie sich selbst, als kleines elfjähriges Mädchen, sieht sich wieder in der Klasse sitzen. Neben sich ihre Mitschülerin Anna, die eifrige mit Daisy darüber diskutiert, wie sie ihr, Cathy, am besten Leid zufügen können. Die beiden kichern schadenfroh und versuchen einen bedrohlichen Ton in ihre Stimme zu legen.
„Also, willst du sie festhalten und ich schlage zu oder umgedreht?“
Sie blickt starr nach vorne, wünscht sich, sie wäre nicht da.
Ihre Seele scheint zu erstarren. Das hatte sie nicht gerade wirklich gehört, oder?
Das alles ist so surreal.
Wie aus einem schlechten Film.
Mr. Ephraim hatte das Klassenzimmer verlassen um irgendeinen Kram zu erledigen, den halt ein Lehrer zu erledigen hat und nun sitzt sie hier. Wie ein Schaf inmitten von Wölfen.
Plötzlich hört sie das Aneinanderstoßen von Annas und Daisys Stuhlbeinen und in Cathys Hirn scheint nichts anderes mehr vorhanden zu sein, als der alles überlagernde Zwang zu fliehen.
Eigentlich hat sie keine Angst, aber die ständigen Demütigungen, die Ablehnung, der Hass, der ihr schon so lange entgegenschlug, das Gefühl allein zu sein. Einsam, wertlos, hässlich, übrig, verloren, ekelhaft, idiotisch, falsch, ungeliebt… all das kann sie nicht mehr ertragen.
Doch dann ist da auch noch das Gefühl von sich auflehnendem Stolz, von einem Ich, das nicht gebrochen werden will und kann. All dies lässt sie aufspringen und aus dem Raum laufen. Es ist zu viel. Es ist einfach zu viel. Viel zu viel.
Eigentlich wäre es einfacher gewesen, die Schläge über sich ergehen zu lassen, denn der Heilungsprozess des Körpers ist schneller, als der der Seele.
Doch sie läuft.
Läuft eine Stufe um die nächste hinunter, um ein Stockwerk um das nächste hinter sich zu lassen.
Die Tränen rinnen ihre Wangen hinab. Sie weint nicht nur mit den Augen, sondern ihre Seele scheint aus ihrem Körper heraus zu drängen.
Es tut so weh.
Es tut so unendlich weh.
Da ist niemand.
Cathy dachte an all die Pein.
Wie Elaine ihr auf der Treppe in den Bauch getreten oder man ihr die Nase am Busbahnhof blutig geschlagen hatte.
Das subtile Mobbing oder das ganz offensichtliche. Wie aus Versehen stattgefundene Berührungen von Alissa mit einem angeekelten: „Ihh!“ kommentierte worden waren.
Wie sie selbst Strafarbeiten hatte schreiben müssen, bloß weil sie sich hatte wehren wollen.
Wie in ihren gemalten Bildern rumgeschmiert worden war und egal wie sehr sie sich bemüht hatte, all ihre Versuche eines harmonischen Zusammenlebens in seelischer Qual endeten und mit dem Satz:
„Ist sie doch selbst schuld, was verhält sie sich auch so scheiße!“
Dabei war sie doch einfach nur sie selbst gewesen. War ihr sein, ihre Existenz ohne Wert. Gab es für dieses Ding, für sie irgendwo einen Platz, war sie es wert zu leben?
War alles was sie scheinbar tat und war, das Verabscheuungswürdigste dieser Welt?
Immer wieder hatte sie versucht sich zu verbiegen und war daran so oft schon fast zerbrochen.
Immer wieder hatte sie versucht sich zu zerbrechen, hätte sich manchmal gerne aufgegeben, nur um in Frieden leben zu können. Auch wenn sie dann nur noch existiert hätte.
Aber sie hatte es nicht gekonnt. Sie hatte es nicht geschafft ihrer Seele das Leben zu nehmen und nur noch als Hülle über diese Welt zu laufen.
Cathy steht in einem kleinen Flur hinter einem Schrank versteckt und weint. Weint und die Tränen tropfen sturzbachartig auf ihr T-Shirt. Sie weiß nicht ob sie laut schluchzen sollte oder nur leise weinen.
Will sie gefunden werden oder sich lieber in ihrem Elend ertränken.
Ist sie es wert gefunden zu werden?
Hinter einer nahegelegen Tür hörte sie das Murmeln einer anderen Klasse, die nie erfahren sollten, dass jemand in dieser Sekunde am liebsten die Tür in dieses Zimmer aufreißen will. Mit wild abstehenden Haaren, hochrotem Gesicht und verzerrter Miene.
Jemand der in dieses Klassenzimmer hineinfallen will, schluchzend, darauf hoffend dass diese 9. Klasse, in der die anderen die doch drei Jahre älter sind als Cathy, sie auffangen können.
Sie will sich in dieser Klasse auf den Boden fallen lassen und nur noch weinen, weinen, weinen und von Menschen in den Arm genommen werden, die ihr sagen, dass sie nichts falsch gemacht hat. Das sie liebenswert ist. Das die anderen Idioten sind. Sie will Menschen, die noch oben in den Musiksaal stiefeln und die anderen anschreien, ob sie noch ganz dicht sind und eigentlich wissen was sie anrichten. Das diese bestimmt furchtbar erwachsenen 9. Klässler ihr helfen. Doch Cathy steht nur da und weiß nicht wohin mit sich und ahnt vielleicht unbewusst, dass ihr Martyrium auch dann noch nicht aufgehört haben wird, wenn sie selbst eine bestimmt furchtbar erwachsene 9. Klässlerin sein wird.
Irgendwann beschließt sie zurück in die Klasse zu gehen. Gesenkten Hauptes zurück zu ihrem Platz. Dort setzt sie sich neben Anna und harrt ihrem Schicksal.

Cathy, nun 22 Jahre, blickt in das für Studenten obligatorische Bier und denkt darüber nach, was man zu ihr gesagt hatte.
„Sie sei anders, manchmal ein bisschen anstrengend. Sie hätte es mit ihren Gefühlen immer so eilig und warum könne sie Freundschaft nicht etwas langsamer angehen. Manchmal sei sie komisch!“ und die Schatten liegen in ihrer Vergangenheit. Irgendwie zumindest.
Ja, sie ist immer noch anders. Hängt ihr Herz viel zu schnell und arg eng an Freunde. Und sie redet wie ein Wasserfall und das kann manchmal anstrengend sein.
Man hatte ihre Seele mit Füßen getreten und selbst jetzt noch Jahre später, war die Unsicherheit nicht verschwunden, auch wenn sie gerne so tat, als sei sie stark, selbstbewusst und erwachsen. Nie war sie sich sicher, ob ihre Freunde wirklich zu ihr stehen würden und noch oft hielt sie eine innere Stimme zurück, wenn sie eigentlich Ungerechtigkeit anprangern wollte.
Heute steht Cathy auf Poetry Slam Bühnen und wundert sich immer wieder, dass ein fünf Jahres Martyrium in einen fünf Minuten Text passen kann. Ja, die Vergangenheit ist ein Teil von ihr. Ihre Seele trägt Narben und ihr Herz schlägt noch heute oft zu schnell, wenn ihr mal wieder jemand sagt, sie sei anders. Und ganz, ganz langsam lernt sie, dass es auch ein Kompliment sein kann.

Ich freue mich auf Feedback oder eure Geschichten.
 
Zuletzt bearbeitet:

PeBu34

Mitglied
Sprechprobe
Link
Ich bin sprachlos und traurig. Dein Text ist gleichzeitig unheimlich traurig und unheimlich mutig!
........
Einen kleinen #Perfektionistenalarm hab ich noch für dich: Du schreibst
Cathy dachte an all das Pein.
Meines Wissens müsste es "die Pein" heißen - außer du verfolgst einen bestimmten Zweck mit dieser Wortwahl. :)

Danke fürs Teilen!

Liebe Grüße von
Peter :)
 
Hallo @PeBu34 ,

auch hier vielen Dank für dein Feedback und die Korrektur. Habe ich direkt mal ausgebessert. Habe da auch noch andere Texte in der Gedichtekategrorie hochgeladen. Vielleicht hast du ja Lust da auch mal reinzulinsen.

Ann
 
Oben