• Blut-Tetralogie   Dark Space

schaldek

Mitglied
Teammitglied
Jack und meine beste Freundin, die Stille - Teil 1

Der Wind verführt meinen Verstand zu einem Tanz.
Die Buche in unserem Vorgarten steht in ihm; locker schwingt sie ihre Arme.
Sie hat entschieden, zu tun, was der Wind von ihr will, denke ich nun.
Licht stichelt mir in den Augen, denn ich schaue schon viel zu lange hinaus.
Ich schließe sie lieber und verschwinde in mir. Was, wenn es keine Zweige sind,
denke ich dann eine Zeit lang. Vielleicht sind es Arme. Klauen von Baumlingen,
Wesen aus Zweigen und Blättern. In ihrer Form ganz ähnlich den Menschen
und ebenso schutzlos.
Ich senke meinen Kopf. Oh Mann!, denke ich. Wenn es doch nur die Zweige
unserer Buche im Wind sind. Wieso seh ich dann Menschen aus Bäumen?!
Woher kommen die?!

Erneut werfe ich mich zur Seite, greife das Walkie Talkie von meinem Kopfkissen
und schüttle es kurz. Wieso meldet Jack sich nicht mehr? Er ist doch zu Hause!
Er darf doch gar nicht raus!
Nur ein Rauschen flackert leise. Die ganze Zeit schon.
"Jack? Bitte kommen! Du kannst mir doch nicht von diesem Monster
in eurem Haus erzählen und dann schweigen. Jack?"
Wieder nichts als das Rauschen und ich werfe besorgter als zuvor das
Walkie Talkie aufs Bett. Was mache ich nur?
Ich bin Maggie. Jacks allerbeste Freundin. Oder sollte ich lieber sagen, seine einzige?
Jack ist seit fast einem Jahr in meiner Klasse. Eigentlich mag ich keine stillen Jungs,
aber Jack - so hat Mum mir gestern erzählt - er ist normalerweise gar nicht still.
Es sind nur die blauen Flecken an seinen Armen, die ihn still machen.

Ja, ein Monster macht so was. Es wohnt also in seinem Haus und es entscheidet selbst,
von wem es gehört und gesehen wird.
Was es will? Jack weiß es nicht. Aber seit heute früh kann er es sehen,
hat er mir vorhin mit zittriger Stimme durchs Walkie Talkie gesagt.
Und dann hat er nichts mehr gesagt.

Ich erhebe mich mit einem Seufzer von meinem Bett und dabei merke ich,
wie schwer meine Gedanken grade sind.
Es ist so vollkommen still. Bei Jack zu Hause wird es ganz anders sein
in diesem Moment.
Diese Stille hier in meinem Zimmer ist ein wundersames Geschenk, denke ich nur.
Ich beschließe, sie mit ihm zu teilen und verlasse das Zimmer.

***

Meine Augen richten sich für einen kurzen Augenblick nach innen, aber das geht nicht.
Bleib cool Maggie, denke ich. Es ist kein guter Augenblick für Sorgen, so auf meinem Rad,
das leise schnurrt und mir Gedanken macht, die ich nicht brauche.
„Das Monster ist riesig, Maggie! Und selbst wenn es nur flüstert, dann wackeln hier
die Wände.“
Jacks Worte lassen mich einfach nicht los. Und weil er nicht weit weg wohnt,
bin ich auf dem Weg. Er hat so eine immense Fantasie, höre ich meine Mum reden.
Sie weiß, welche Zustände bei ihm zu Hause herrschen und, sie meint, dass man
ihm besser gut zuhört, egal, was er erzählt.

Meine Vorderbremse quietscht ganz laut. Ich verziehe meine Mundwinkel, als habe auch ich
nun Angst vor ihm. Dem Monster in Jacks Haus. Ich lege das Fahrrad zur Seite, richte aber
meinen Blick auf die vergilbten Gardine des Wohnzimmerfensters. Gut, sie rührt sich nicht.
Ganz oben unter dem schiefen Dachgiebel hat sich zischender Wind eingenistet.
In der Ecke, wo sich ein kleines, dreieckiges Fensterchen versteckt. Und da ist Jack.
Hinter dieser matten Scheibe. Irgendwo. Er weiß nicht, dass ich nun hier bin, aber meine Stille
habe ich ihm mitgebracht und teile sie gern. Sie ist um mich in diesen Momenten, als ich
die Stufen der Veranda hochsteige. Kein Knarren, so wie sonst. Der Alte muss
die Bodenbretter repariert haben, denke ich, als ich plötzlich vor der Tür stehe.
(Er repariert Dinge. Er kann so schlimm nicht sein!)
Als mir klar wird, dass ich gleich mit ihm werde reden müssen. Mit Jacks ... Dad.
Er lässt immer eine kleine Pause, bevor er es schafft, dieses Wort auszusprechen.
Dad.

Ich klingle und hoffe kurz. Hoffe, dass ich kein Geräusch gemacht habe, dass weitere
Geräusche auslösen würde.
Nichts passiert. Und doch will ich noch nicht ausatmen.
Da. Ein Knarren. Der Wind, oder? Nein, Schritte. Es kommen Schritte näher
und auf die Tür zu. Schnaufen muss ich, da ich mir plötzlich wünsche es sei das Biest
und nicht … Dad. (Er repariert Dinge. Er ist so schlimm gar nicht.)
Ein Türschloss geht und der Rest, der folgt, hat keinen Platz in einem Märchen.

„Was ist!?“ Er schwankt in der Tür. Abscheulich. Alkgetränkter Dunst beißt mich. Wie eklig.
„Guten Tag, Sir. Ich bin Maggie aus Jacks Klasse. Ist-“
„Geh weg!“, unterbricht er mich. Sieht mich an und murmelt dann im Wegdrehen
leise: „Jack is krank und schläft. Muss schlafen!“
Das ansatzlose Schließen der Tür beendet alles und ich atme ganz still aus.

***

Nur zwei Strassen weiter durch die Siedlung hat sie mich getragen, meine beste Freundin.
Die liebe Stille.
Aber das Quietschen der Bremse hat grad verraten, dass ich nicht nur für sie da sein kann.
Ich drehe wieder um und mache jetzt gleich was Verrücktes.
Ich muss einfach zu Jack. Das Rad stelle ich hinter irgendeinem Zierbusch ab und
gehe schnell in den schmalen Seitengang einer Gründstücksnische.
Der Gang führt runter zum See, links und rechts von bravem Klatschen
des Rasensprengerballetts um mich herum begleitet, fällt er vor mir langsam
abwärts in den Wald. Aber zum See will ich heute nicht hin. Ich schlag mich in Büsche,
die weniger gepflegt im Schatten von einem der schwedischen Holzhäuser wuchern.

Ich bleibe stehen und knie mich hin.
„Jack? Hörst Du mich?“ Ich spitze meine Ohren, aber nur ein leises Rauschen
aus dem Walkie Talkie folgt.
„Jack, ich war grad bei dir. Dein Dad ist ja ein Arsch. Und er war breiter als die Mainstreet.“
Dann unterbreche ich mich, weil mir grad was in den Sinn kommt. Hoffentlich
hört sein Dad das nicht!
„Maggie?!“, raunt eine dünne Stimme aus dem Walkie Talkie hervor. „Er ist grad auf
dem Klo. Ich glaub er lässt sich ein Bad ein.“
„Jack!“, rufe ich lauter, als es gut ist. „Wie geht es dir?“
„Es ist etwas passiert. Und du, Maggie. Kannst du zu mir kommen?“
Mein Herz schlägt wieder auf. „Was ist passiert!?“, wagt etwas in mir zu fragen.
„Das Monster!“, raunt Jack. „Es ist gar nicht böse. Es ist nur groß und wild
und unbeholfen. Und es lebt hier in unserem Haus.“
Jacks Worte. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Stattdessen plappert Jack weiter. „Ich hab was rausgefunden. Du musst herkommen!
Aber pass auf, wegen ...“
„Dad?“, flüstere ich.
„Komm durchs Kellerfenster ins Haus. Das ist immer auf. Und hab keine Angst.“
Jack klingt fast fröhlich. Wäre er nicht mein bester Freund, ich hätte das Gefühl, er wolle mich
in eine Falle locken.
„Okay“, sagt etwas plötzlich in mir. „Das mache ich.“

***

Vorsichtig gleite ich die kalte Wand herab und stehe hier unten in Dunkelheit
und feuchtem Staub. Was mache ich hier nur, denke ich. Als Teil einer Fantasie von Jack
hab ich mich hier gesehen. Auge in Auge mit dem … Monster. Und jetzt?
„Da unten kennt es sich gut aus, weißt du?“, hatte Jack mir noch gefunkt.
Und, dass ich nicht erschrecken solle, wenn ich es sehe. Auch wenn es furchbar aussehe.
Und seine Schuppenhaut an Wand und Decke reiben würde, wenn es hier unten sei.
Weil es so groß sei. In dem Moment, da checke ich, dass alles gar nicht wahr sein kann.
Und ich – die jetzt hier ist - auch nicht. Maggie, die hier ist und mit ihrer
besten Freundin – der Stille - auf das Monster wartet.
„Wenn es vor dir steht, Maggie, dann wird es etwas tun, dass eigentlich schlimm ist.
Aber ich sage dir, es ist nicht schlimm. Es wird etwas machen mit dir. Das hat es auch
mit mir gemacht. Aber es geht mir gut. Das Biest ist unser Freund weißt du?“
Jacks Worte.

Ich schließe die Augen und weiß, dass nichts passieren wird. Ich weiß es doch!
„Das Biest wird sein riesiges Maul öffnen, Maggie! Und obwohl du Zähne über Zähne
sehen wirst; es wird dir gar nichts tun.“

Und wenn ich will, dann sehe ich es nun wirklich vor mir und vermag die Rohre in den Wänden knarren zu hören. Die Schuppenhaut an Wand und Decke sich reibend und alles zum Erzittern bringend. Ja: kurz wird der ganze Raum zu einem Biest aus Schuppen und Zähnen.
Ich kann es nicht glauben und weiß nicht, was geschieht … Ich höre nur Jacks Worte.

„Maggie, weißt du was? Hier, wo ich bin, da kann er mich nicht finden. Du weißt ja … Dad.
Ich habe es einfach gemacht und das Biest hat mir diesen Gefallen getan und mich vorhin gefressen.“
Jacks Worte. Wahnsinnige Worte, denke ich noch, als mich tanzende Messer, die Zähne sind, in Staub und Dunkelheit umkreisen.
Mich mit aller Güte hinab in ihren Hexenkreis ziehen.



Fortsetzung folgt
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Wow
Reaktionen: Ani
Oben