Pandialo

P. Zweimann / Paul Conrad
Sprechprobe
Link
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

"Nichts ist wahr, alles ist erlaubt." - Was zählt, ist deine eigene Moral, nicht die der anderen.

Das wurde jetzt hier schon ein paar mal gesagt, ich wollte es aber gern auf diese zwei Sätze herunterbrechen.
Worauf auch schon hingewiesen wurde: Es gibt noch eine handwerkliche Komponente. Wie erzeuge ich Gewalt, wie lasse ich sie den_die Hörer_in erfahren? Im Gegensatz zum Film wirken reißende Ströme von Blut im Hörspiel nicht, seine Eigenart ist, dass mensch das Ganze viel schlauer und subtiler darstellen muss. Das kann einerseits über das Skript geschehen, andererseits über die Sounds. Marco Göllner ist da beispielsweise Meister drin. Und er meinte eben auch: Was in anderen Genres an Darstellung von Gewalt und Sexualität Gang und Gäbe ist, das ist oft noch ein Tabubereich im Hörspiel. Einerseits gehört das aufgebrochen, schließlich würden wir uns alle der Lächerlichkeit preisgeben und der Scheinheiligkeit bezichtigen müssen, täten wir es nicht. Andererseits bedeutet das in diese Richtung, dass es dort noch Potential zur Innovation und effektiveren Provokation gibt. Das kannst du nutzen. Nur macht's im Hörspiel vor allem die Qualität, nicht die Quantität.
 

Frederic Brake

Berufspessimist
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

"Nichts ist wahr, alles ist erlaubt." - Was zählt, ist deine eigene Moral, nicht die der anderen.

Man könnte auch sagen, wie viel Gewalt du glaubst, deinen Zuhörern zumuten zu können, was wiederum impliziert, dass du deine Zuhörer (Zielgruppe!) kennst.
 

Vetter Balin

Martin Beyerling
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Man könnte auch sagen, wie viel Gewalt du glaubst, deinen Zuhörern zumuten zu können, was wiederum impliziert, dass du deine Zuhörer (Zielgruppe!) kennst.

Ganz genau! Treffend ausdrückt. Und daher stellen sich für mich letztlich nur zwei Fragen:

1. Ist die Gewaltszene/-darstellung für die Prämisse meiner Geschichte notwendig? JA/NEIN
2. Würde ich das hören wollen? JA/NEIN

Aber das sind eigentlich ohnehin die zwei Fragen, die man sich bei jeder Szene stellen sollte.
 

Pandialo

P. Zweimann / Paul Conrad
Sprechprobe
Link
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Wenn mensch sich nach den Hörer_innen richten möchte, ist das wieder eine eigene Prämisse. Ich plädiere nur dafür, sich da nicht reinreden zu lassen. Auch einen Hörer_innenwillen zu erforschen ist letztendlich nur ein Stück weit Spekulation.

(Achtung, dieser Beitrag ist böse. Er hat die Zahl des Tieres.;))
 

Fuchs

Achtung: Pelzig!
Sprechprobe
Link
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Ich stimme mit vielen hier überein: Die Tätigkeit, in der sich Gewalt zeigt, und in welchem Maße sie das tut, liegt rein in der Interpretation des Gehörten - weniger im Skript selbst. Zu detailreiche Erzählungen können dieses "Kopfkino" nicht wirken lassen. Besser sind da Eckpunkte und ein paar sehr passende Geräusche. So bekommt man auch mit wenigen Ausführungen ein gruseliges Meisterwerk hin... birgt natürlich die Gefahr dass diejenige Behörde, die diese Gesetze durchsetzen will, auch etwas "zu extremes" da hineininterpretieren könnte.
Ich habe jedenfalls noch nie ein Hörspiel gehört welches mir - obwohl ich doch eher sanft drauf bin - zu gewaltätig war. Meistenteils war ich einfach nur begeistert von der Umsetzung. Ist halt doch was anderes als einen Film zu schauen (obgleich man dies bei manchen Hörspielen scheinbar wirklich tut ^^)
 

aurelin

Where ist online?
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Was in anderen Genres an Darstellung von Gewalt und Sexualität Gang und Gäbe ist, das ist oft noch ein Tabubereich im Hörspiel. Einerseits gehört das aufgebrochen, schließlich würden wir uns alle der Lächerlichkeit preisgeben und der Scheinheiligkeit bezichtigen müssen, täten wir es nicht. Andererseits bedeutet das in diese Richtung, dass es dort noch Potential zur Innovation und effektiveren Provokation gibt. Das kannst du nutzen. Nur macht's im Hörspiel vor allem die Qualität, nicht die Quantität.

Das verstehe ich nicht... Warum geben wir uns der Lächerlichkeit preis, wenn wir Gewalt nicht innovativer und provokanter darstellen?
 

joe adder

Karsten Sommer
Sprechprobe
Link
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Was in anderen Genres an Darstellung von Gewalt und Sexualität Gang und Gäbe ist, das ist oft noch ein Tabubereich im Hörspiel. Einerseits gehört das aufgebrochen, schließlich würden wir uns alle der Lächerlichkeit preisgeben und der Scheinheiligkeit bezichtigen müssen, täten wir es nicht. Andererseits bedeutet das in diese Richtung, dass es dort noch Potential zur Innovation und effektiveren Provokation gibt. Das kannst du nutzen. Nur macht's im Hörspiel vor allem die Qualität, nicht die Quantität.
Das sehe ich persoenlich nicht so. Allerdings gehoere ich hier auch nicht zu der Fraktion, die sich auf Redtube, F&#%book und sonstwas rumtreibt, weil sie zu Hause nur 5 gegen Willi spielen koennen. Ich brauche Sexualitaet weder in Filmen noch in Hoerspielen und ganz ehrlich sind mir die Sexszenen in Filmen meist zu "peinlich", allein vom aesthetischen Anspruch. Und dieses Fremdschaemen wuerde sich nur aendern, wenn es ein unausweichlicher Teil meines eigenen Hoerspiels werden wuerde. Bewusst Sexszenen einzusetzen, nur um zu provozieren, halte ich fuer verfehlt. Dadurch gibt man sich eher der Laecherlichkeit preis.

Edit: Man mag mir verzeihen, dass ich hier bewusst von Sexszenen und nicht von Sexualitaet im allgemeinen spreche.
Einwerfen moechte ich dabei aber, dass ich Erotik dennoch gerne einsetze, wenn es der Stimmung enspricht, weil diese, nuanciert eingesetzt, wunderbar zu gewissen Themen passt.
 

Pandialo

P. Zweimann / Paul Conrad
Sprechprobe
Link
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Neinnein, mein Anspruch ist nicht, Sex und Gewalt überall zu haben. Die Grenze der Empörung ist allerdings beim Hörspiel seltsamerweise viel niedriger als beispielsweise im Film. Dass mittlerweile kein Film mehr auf eine Hetenbettlakensexszene verzichten kann, ist meines Erachtens auch total albern. Aber sobald das im Hörspiel passiert, gibt's da ein großes Hallo. Diese bigotte Empörung stört mich halt. Sie ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

Oder gibt es Menschen, die das Hörspiel quasi als letzten Schutzraum der medialen Gewaltlosigkeit und Entsexualisierung sehen mögen? Das könnte ich natürlich auch verstehen, würde es aber gern diskutieren. ;)
 

Ernszt Dubitzky

alias Maik Alwin
Sprechprobe
Link
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Oder gibt es Menschen, die das Hörspiel quasi als letzten Schutzraum der medialen Gewaltlosigkeit und Entsexualisierung sehen mögen?

Das manche diesen Gedanken hegen, wenn denn auch nur unbewusst, halte ich für gar nicht so abwegig. Ähnlich wie bei Zeichentrickfilmen assoziiert so mancher mit dem Hörspiel Kindheitserinnerungen - und Kindergeschichten. Je älter man wird, umso mehr scheint man darum bemüht zu sein, diese sauber zu halten.

Ein Medium ist nur ein Übermittler. Es kann weder etwas dafür, wofür es benutzt wird noch was man von ihm erwartet.
 

Dion

Autor
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Nach allem, was ich bisher allgemein gelesen und gehört habe über dieses Thema, denke ich, dass die Gewalt zum Menschen gehört wie die Sprache. Die Gewalt ist nicht wegzudenken und fehlt sie im realen Leben des Menschen, dann muss er sie erfinden, sprich sie herbei schreiben und/oder zeigen als ob sie real wäre.

Wenn man in die Geschichte zurückblickt, dann kann man sehen, dass in den Zeiten realer Gewalt (und kurz davor und danach) diese in den Medien nicht oder nur geschönt vorkommt. Umgekehrt scheinen aber wir, die seit 65 Jahren in Frieden, d.h. so gut wie ohne erlebter Gewalt leben, diese umso brutaler haben wollen, je länger dieser friedvoller Zustand andauert. Typischer Beispiel hierfür ist Schweden: Ein seit 200 Jahren in Frieden lebender Staat produziert die gewaltsamsten Krimis Europas.

Und beide, erlebte wie gedachte Gewalt scheinen Menschen nicht zu verändern, d.h. er wird durch Frieden nicht friedvoller und durch Gewalt in den Medien nicht gewalttätiger, denn wenn man sich die Kriege von heute und die zu Zeiten Attilas betrachtet, dann hat sich an unserem Verhalten nichts geändert, damals wie heute werden exakt die gleichen Brutalitäten begangen.

Gewalt fasziniert uns also nach wie vor, nur wir werden jetzt anders Zeuge. Gestern oder vorgestern habe ich gehört, dass Mozart als Kind mindestens 2 öffentlichen Hinrichtungen gesehen hatte, und das hat ihn anscheinend genauso wenig gehindert, wunderschöne Musik zu schreiben, wie 200 Jahre später einen Ennio Morricone die brutalen Szenen im Film Spiel mir das Lied vom Tod, für den er die Musik schrieb.

In Friedenszeiten kamen und kommen Menschen, um hautnah Gewalt zu erleben, nur früher strömten sie zu den öffentlichen Folterungen samt Hinrichtungen, jetzt in die Kinos – geändert hat sich nur die Art der Darstellung, und hier haben wir einen echten Fortschritt zu beobachten, denn anders als früher sterben oder werden gefoltert keine realen Menschen mehr.

Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass wenn wir nicht einen gewissen Quantum fiktiver Gewalt bekommen, wir uns diese Gewalt real verschaffen – siehe Beispiel Drittes Reich, wo durch die Zensur von Gewalt weder in der Literatur noch in den Zeitungen zu lesen war (andres als heute, durfte über Kapitalverbrechen nicht oder nicht in Detail berichtet werden, und wenn überhaupt, dann nur auf lokaler Ebene) und sich anschließend, als jeder ungestraft ran durfte, diese aufgestaute Gier nach Gewalt umso mehr in der Realität entlud.

So wie sich bestimmte Gewalt darstellende Filme nur Menschen anschauen, die sich das zutrauen, so werden eben solche Hörspiele, wenn es sie gäbe, nur von bestimmten Menschen gehört werden. Daher: Keine Angst vor Gewalt in Hörspielen.
 

aurelin

Where ist online?
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

@Pandialo:

Allgemein: Da kann ich jetzt nur von meiner persönlichen Warte drauf argumentieren: Ich habe bei mir selbst gemerkt, dass man sich durchaus wieder sensibilisieren kann, was die Darstellung von Gewalt angeht. Ich kann mir heutzutage einen Film wie "Saw" nicht (mehr) ansehen oder mache bei anderen Filmen zeitweise mal die Augen zu, wenn es mir zu heftig wird. Ich habe einfach keinen Bock mehr auf Scheissbilder im Kopf, die alleinig zu Unterhaltungszwecken produziert wurden (zumindest sehe ich bei manchen z.B. Filmen nicht, dass sie etwas anderen wollen, als nur zu unterhalten und damit Geld zu verdienen). Wenn man wieder ein bisschen sensibler wird, fällt einem auch wieder eher auf, wie viel und wie extrem und wie exzessiv Gewalt dargestellt wird.
Das soll nicht heissen, dass ich ein Problem mit der Gewaltdarstellung an sich habe - aber wenn die Darstellung sich einfach nur noch selbst zelebriert, dann möchte ich nicht zu den Menschen gehören, die das als Kultur konsumieren. Wenn die Darstellung von Gewalt einen bestimmten Zweck erfüllt, z.B. nachdenklich zu machen, dann sehe ich das natürlich anders. Und klar: Das bleibt letztlich eine subjektive Bewertungsangelegenheit.

Hörspiel und Gewalt: im Hörspiel entstehen die Bilder zur Gewalt ja "nur" im Kopf. Ab einer gewissen Quantität/zeitlichen Länge bin ich dem ausgeliefert, bis es dann unfreiwillig voyeuristische Züge annimmt. Also noch mal mein Argument von vorher, dass ich die Qualität der Darstellung entscheidend finde und die mich auch zum Nachdenken anregen kann. Jedoch nicht ein exzessive Länge (also ein Länge, die keine Funktion als die reine Darstellung hat, im Gegensatz zu einer inhaltlichen Funktion).

@dubious: sehr interessanter Gedanke. Den Zusammenhang mit dem Alter sehe ich allerdings nicht. Vielleicht spielt da die Geschichte des Mediums (Radiohörspiele, die einem breiten Publikum zugänglich waren und die Kassettenkinder 80er Jahre) eine große Rolle. In jedem Fall hat das Hörspiel bisher keine nennenswerte subkulturelle Konnotation gehabt. Hätte man früher statt einschlägigen Magazinen entsprechende Hörspiele unter dem Ladentisch gehabt, dann sähe das vielleicht anders aus. Außerdem gibt es bestimmt ein paar Einsichten aus der Wahrnehmungspsychologie, die differenzieren könnten, was jeweils bei der visuellen Wahrnehmung und bei der akustischen passiert? Vielleicht hat das auch etwas damit zu tun?

@Dion: Ich finde Deine Argumentation lückenhaft und ungenau:
- Nur weil in einem Land kein Krieg stattfindet, können daraufhin kaum Aussagen zur Gewalt getroffen werden. Beispiel: Gewalt in Familien, strukturelle Gewalt etc. Einen einfachen kausalen Zusammenhang "Je mehr ein Land in Frieden lebt, desto mehr gewaltsame Krimis werden in ihm geschrieben", den finde ich ohne Belege doch ein bisschen weit hergeholt.

- Die Medienpädagogik kennt heutzutage durchaus Zusammenhänge zwischen Gewalt und Gewaltdarstellung. Allerdings nicht monokausal. Einfach gesagt: Ein Kind, dass nur "brutale" Computerspiele spielt, wird nicht brutal. Aber ein Kind, dass in bestimmten Zusammenhängen lebt, die seine Gewaltbereitschaft begünstigen, wird in dieser durch entsprechende Medien noch bestärkt.

- Kriege und Gewalt sind nicht dasselbe und die sollte man tunlichst nicht zusammenverargumentieren. Und die in einem Krieg ausgetragene Gewalt hängt von vielen Faktoren ab ("The Fog of War"). Breche den Punkt jetzt ab, da das zu weit gehen würde.

- Gewalt fasziniert nicht nur. Sorry, aber ich denke, dass es genügend Menschen gibt, die sie schockiert, verwirrt, whatever.

- Die Darstellung von Gewalt als Ersatzbefriedigung für eine Gesellschaft zu sehen, halte ich auch für ziemlich problematisch. Umso mehr Du es sogar als Fortschritt bezeichnet hast. Denn wie oben angeführt, kann dargestellte Gewalt durchaus in bestimmten Zusammenhängen dazu führen, dass die individuelle Gewaltbereitschaft zunimmt.

- Von welcher Gewalt sprichst Du, die sich im Dritten Reich aufgrund fehlender Gewaltfiktion entladen haben soll?

Wenn Du auf diese Aussagen/ Annahmen Deinen letzten Satz argumentativ aufbaust "Keine Angst vor Gewalt in Hörspielen", dann fehlt mir einfach die argumentative Grundlage. Vielmehr scheint es, dass Du Aussagen konstruiert hast, um damit Deine letzte Aussage zu stützen. Falls das nicht so sein sollte, dann bitte stichhaltiger.
 
Zuletzt bearbeitet:

Watchman

Christian Loges
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Ich finde dieses Thema sehr interessant, gerade, weil die Darstellung von Gewalt in unserer Gesellschaft ein großes Thema ist.

Ich stehe auf dem Standpunkt, dass jeder Autor bzw. Autorin für sich entscheiden muss, wie er/sie eine Szene anlegt und sich nicht von den Vorstellungen anderer beeinflussen lassen sollte. Nur muss man dann auch bereit sein, sich möglicherweise heftig kritisieren zu lassen, wenn manchen Hörern die Gewaltdarstellungen zu drastisch sind, oder sie vielleicht als sinnlose Effekthascherei empfunden werden, obwohl dies vielleicht gar nicht so intendiert war. Wenn man ein breites Kreuz hat und Kritik aushält, dann sollte man sich von seinem Weg nicht abbringen lassen.

Gleichzeitig muss aber auch klar sein, dass man nicht mehr alle Altersgruppen mit einer Produktion ansprechen kann, wenn es heftige Gewaltdarstellungen gibt. Wenn man ein All-Ages Publikum haben will, dann gibt es natürlich enge Grenzen. Wenn man nur Erwachsene als Zielgruppe hat, kann man sich schon andere Freiheiten nehmen.

Insgesamt wäre es fair, wenn man über bestimmte Hinweise wie "Nur für Erwachsene" bereits vorher klar machen würde, was da auf die Hörer zukommt. Jeder kann dann entscheiden, ob er sich das Hörspiel tatsächlich "antun" möchte oder nicht.
 

Dion

Autor
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Ich kann mir heutzutage einen Film wie "Saw" nicht (mehr) ansehen oder mache bei anderen Filmen zeitweise mal die Augen zu, wenn es mir zu heftig wird. Ich habe einfach keinen Bock mehr auf Scheissbilder im Kopf, die alleinig zu Unterhaltungszwecken produziert wurden (zumindest sehe ich bei manchen z.B. Filmen nicht, dass sie etwas anderen wollen, als nur zu unterhalten und damit Geld zu verdienen).
Weil Du „keinen Bock mehr auf Scheißbilder im Kopf“ hast, plädierst du gegen Gewalt in Hörspielen. Das ist legitim, aber ebenso ist es legitim Hörspiele für Leute zu produzieren, die das anders sehen.


Das soll nicht heissen, dass ich ein Problem mit der Gewaltdarstellung an sich habe - aber wenn die Darstellung sich einfach nur noch selbst zelebriert, dann möchte ich nicht zu den Menschen gehören, die das als Kultur konsumieren.
Diese Aussage widerspricht der im ersten Zitat, wonach du die Augen schließt, wenn es zu heftig wird. Das ist generelle Aussage bzgl. Gewaltdarstellung – oder schaust du nur bei Gewaltszenen zu, die künstlerisch begründet sind, bei anderen, die du als nur für Zwecke des Gelderwerbs gemacht ansiehst, aber nicht?


Hörspiel und Gewalt: im Hörspiel entstehen die Bilder zur Gewalt ja "nur" im Kopf. Ab einer gewissen Quantität/zeitlichen Länge bin ich dem ausgeliefert, bis es dann unfreiwillig voyeuristische Züge annimmt.
Anders als im Kino, wo es u.U. etwas Überwindung kostet aufzustehen und hinauszugehen, gibt es beim Hören einen Ausknopf und das Ganze hat in dem Augenblick ein Ende – wenn du das nicht tust, dann willst du ausgeliefert sein, dann bist du freiwillig Voyeur.


Einen einfachen kausalen Zusammenhang "Je mehr ein Land in Frieden lebt, desto mehr gewaltsame Krimis werden in ihm geschrieben", den finde ich ohne Belege doch ein bisschen weit hergeholt.
Das habe ich einem kürzlich in der Süddeutschen erschienenen Artikel entnommen, der online leider nicht verfügbar ist. Aber auch so ist es wohl jedem augenscheinlich: Schwedenkrimis beschreiben bzw. zeigen brutale Gewalt detaillierter als andere (z.B. deutsche) Krimis – siehe beispielsweise Millenium-Trilogie von Stieg Larsson.


Die Medienpädagogik kennt heutzutage durchaus Zusammenhänge zwischen Gewalt und Gewaltdarstellung. Allerdings nicht monokausal. Einfach gesagt: Ein Kind, dass nur "brutale" Computerspiele spielt, wird nicht brutal. Aber ein Kind, dass in bestimmten Zusammenhängen lebt, die seine Gewaltbereitschaft begünstigen, wird in dieser durch entsprechende Medien noch bestärkt.
Wir sollten in dieser Diskussion die Kinder außen vor lassen – oder willst du hier nur noch Hörspiele produzieren, die auch für Kinder annehmbar sind?


Kriege und Gewalt sind nicht dasselbe und die sollte man tunlichst nicht zusammenverargumentieren.
Der Zusammenhang zwischen echt erlebten Gewalt im II. Weltkrieg und der Abwesenheit fiktiver Gewalt in den Medien in den 2 Jahrzehnten danach spricht eine deutliche Sprache: Die Menschen hatten erst mal genug von (echter) Gewalt und wollten dann auch von der fiktiven nichts mehr wissen. Das nicht sehen zu wollen hieße Realität verleugnen.


Gewalt fasziniert nicht nur. Sorry, aber ich denke, dass es genügend Menschen gibt, die sie schockiert, verwirrt, whatever.
Was heißt hier „genügend“? Es ist die Minderheit, die Gewalt nicht sehen will, wäre dem anders, ließe sich mit der Darstellung der Gewalt, wie du selbst gesagt hast, kein Geld verdienen. Und dann stellt sich die Frage, wer bestimmen soll, was hier alle zu hören bekommen dürfen.


Die Darstellung von Gewalt als Ersatzbefriedigung für eine Gesellschaft zu sehen, halte ich auch für ziemlich problematisch. Umso mehr Du es sogar als Fortschritt bezeichnet hast.
Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte der Gewalt – mit meinen Hinweis auf Mozart und öffentliche Hinrichtungen habe ich das darzustellen versucht. Und dass jetzt bei den öffentlichen Vorführungen im Kino keine realen Menschen mehr gefoltert und gemordet werden, bezeichne ich als Fortschritt – ich kann nicht glauben, dass du das anders siehst.


Von welcher Gewalt sprichst Du, die sich im Dritten Reich aufgrund fehlender Gewaltfiktion entladen haben soll?
Muss ich dir das wirklich erklären? Ich glaube nicht, es sei denn, du hast, als in der Schule der Dritte Reich behandelt wurde, nicht aufgepasst. Für diesen Fall empfehle ich dir das Buch „Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust.“ – gibt es jetzt als Taschenbuch für 12,50 €.


Wenn Du auf diese Aussagen/ Annahmen Deinen letzten Satz argumentativ aufbaust "Keine Angst vor Gewalt in Hörspielen", dann fehlt mir einfach die argumentative Grundlage. Vielmehr scheint es, dass Du Aussagen konstruiert hast, um damit Deine letzte Aussage zu stützen. Falls das nicht so sein sollte, dann bitte stichhaltiger.
„Wer hören will, der höre, wer nicht hören will, der lasse es;“ (Ez 3,27)
 

Vetter Balin

Martin Beyerling
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Die Diskussion droht, persönlich zu werden. Und irgendwie kommt es mir vor, als ob es gar nicht mehr um die Ausgangsfrage geht, sondern darum, den anderen jeweils komplett zu widerlegen.

Vielleicht sollten wir zurückblättern und schauen was Hydropalika ursprünglich gefragt hat, da ging es, meines Erachtens, vor allem um die Umsetzung von Gewalt in Hörspielen, d.h. mit welchen Mitteln man Szenen physischer Gewalt oder Tod darstellen kann, ohne dass es albern oder gar nicht wirkt. Aber jetzt ist eine Grundsatzdebatte draus geworden mit drittem Reich, Psychoanalyse, Erziehungsaspekten und so weiter. Schade. Also: zurück zum Thema? :wink:
 

aurelin

Where ist online?
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Hallo Balin!
Da hast Du wohl recht und gerne zurück zum Thema.
Abschließend von meiner Seite und was ich (auch) aus diesem Thread ziehe:

1) Gewalt nimmt jeder anders wahr. Im Hörspiel spielt sie sich zudem getragen von der Akustik in der eigenen Vorstellung ab. Das sollte man sich immer klarmachen, wenn man sie als Macher darstellt. Und auch die Kritik hinnehmen können (-> Haarman), wenn sie vermehrt auf die Darstellung der Gewalt eingeht. In jedem Fall unterliegt sie keiner Konvention, wohl aber gibt es rechtliche Rahmenbedingungen (Rons Post).

2) Gewalt ist im Hörspiel eine Sache, die sich in einem Spannungsfeld aus dem individuell Machbaren (Technik/ Kreativität) und dem individuell Ertragbaren stattfindet. Je mehr ich als Macher die Darstellung zuspitze, desto mehr wird ein Hörspiel evtl. anhand dessen bewertet.

3) Die Darstellung von Gewalt in den Medien ist allgemein ein weites Feld für Diskussionen. Interessant dabei Dubious Gedanke, ob das Hörspiel im Allgemeinen bisher weniger eine Plattform für die Gewaltdarstellung ist. Anscheinend scheint aber die Darstellung von Gewalt auch stärker als in anderen Bereichen, bestimmte Zielgruppen entw. anzusprechen oder zu negativen Reaktionen zu führen.

4) Es wird anscheinend differenziert zwischen der Darstellung von Gewalt im Allgemeinen und/oder ob sie eine inhaltliche Funktion hat.
 
Zuletzt bearbeitet:

Ernszt Dubitzky

alias Maik Alwin
Sprechprobe
Link
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Meinen Gedanken möchte ich noch einmal klarer definieren: ich fragte mich nicht, ob das Hörspiel im Allgemeinen bisher weniger eine Plattform für die Darstellung von Gewalt ist, sondern vielmehr ob es so wahrgenommen wird und wenn ja, wieso - mit der Theorie, das dem Medium in den Augen vieler etwas unschuldiges anhaftet. Das muss nicht unbedingt der Realität entsprechen. Ich bin kein Experte in Sachen Hörspielgeschichte und kann nicht mit Sicherheit sagen, wie es sich früher mit der Gewaltdarstellung in Hörspielen hielt. Da aber z.B. im amerikanischen Raum die Radio Dramas wie The Shadow & Co. aus der doch recht gewalttätigen Pulp-Ecke kamen, dürfte es schon da nicht gerade zimperlich zugegangen sein.

Nun aber zurück zum eigentlichen Thema, von dem wir in der Tat ganz schön abgeschweift sind, wie Balin richtig bemerkt hat.

Hydropalikas Sorge war ja unter anderem, bei der Darstellung von Gewalt und Tod zu übertreiben. Hier möchte ich nochmal den - behaupte ich mal - hier herrschenden Konsens aufgreifen, das es keine Faustregel gibt. Auch die Übertreibung kann funktionieren, manchmal kann sie sogar helfen, Gewalt zu entschärfen. Ich denke jeder hier kennt die gesegneten Fausthiebe von Spencer und Hill, die ja alles andere als realistisch klingen. Oder noch übertriebener - die unverwüstlichen Toons, denen weder der Holzhammer, Bärenfallen oder Klavierniederschlag etwas anhaben können. Auch der Actionheld steckt die Schusswunde lockerer als Fleischwunde weg als der unglückliche Typ im Horrorfilm, den es gleich in alle Bestandteile zerfetzt. Bei der Darstellung solcher physischer Gewalt steht einem also eine Palette an Geräuschen zur Verfügung, die als übertrieben, realistisch oder gemäßigt wahrgenommen werden können.

Das Geräusch der Gewalteinwirkung bzw. des resultierenden Schadens ist natürlich nur die eine Seite der Münze - oft benötigt man eine nähere Beschreibung, sei es durch den nüchternen Erzähler oder - deutlich dramatischer - durch die Charaktere. Erst durch das Zusammenspiel von Geräusch und Information wird dem Hörer vollends klar, was da gerade passiert ist. Behaupte ich jetzt einfach mal.

Mit dem Tod - zu dem wir glaube ich noch gar nicht viel gesagt haben - wird hier eher locker umgegangen, habe ich das Gefühl. Wie eine Sterbeszene wirkt hängt zum einen von der Leistung der Sprecher ab, zum anderen natürlich auch, womit sie arbeiten müssen. Mit welchen letzten Worten verabschiedet sich der Charakter...? Oder kommt er überhaupt dazu, noch etwas zu sagen?

Zu dem Ausmaß wurde ja schon einiges gesagt... nun zu der Frage, in welcher Art und Weise es verarbeitet wird bzw. wie würde man es selbst verarbeiten.

Ein Kampf ist so ziemlich das einzige Szenario, das nicht ohne ein Minimum an Gewalt auskommt. Bei manch anderen Szenarien kann man es auch aussparen. Nehmen wir mal eine Folterszene, vielleicht der Inbegriff von schwer erträglicher Gewaltdarstellung. Der eine Charakter - womöglich sogar der Protagonist - ist dem anderen hilflos ausgeliefert. Geht es nur darum, zu vermitteln, das der Protagonist gefoltert wird/wurde, reicht es schon die Folter anzudrohen bzw. den Knecht hereinzubitten - und dann auszublenden, vielleicht mit einem Schrei um dann später zu dem Gefolterten zurückzukehren. Die Folter kann sich der Hörer auch selbst ausmalen. Wenn es jedoch wichtig ist, wie sich der Protagonist während der Folter verhält, kommt man nicht drumherum.

Vielleicht kann man das sogar allgemeiner festhalten: 1. Androhung von Gewalt, 2. das zeigen von Gewalt (optional) und 3. der Rückblick auf die Gewalt bzw. deren Folgen.

Nur so ein paar Gedanken mehr...
 
Zuletzt bearbeitet:

Hydropalika

Mitglied
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Ja, so ein bisschen zurück zur Anfangsfrage zu kommen wäre ganz gut^^

Dubious, deine Vorschläge sind sehr hilfreich. Vor allem das mit dem ausblenden und später einblenden war mir so gar nicht in den Sinn gekommen! Die Zusammenfassung am Schluss ist auch sehr gut, weil man sich so genau vor Augen halten kann, welche Mittel einem zur Verfügung stehen.
 

Dion

Autor
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Ein Kampf ist so ziemlich das einzige Szenario, das nicht ohne ein Minimum an Gewalt auskommt.
Das kann man, glaube ich, nicht so allgemein sagen. Wenn man die Millenium-Trilogie von Stieg Larsson als Hörspiel brächte, dann müssten einigen Szenen (z.B. die, in denen die Hauptdarstellerin von ihrem Vormund vergewaltigt wird) in aller Drastik geschildert, d.h. gehört werden, weil sonst ihr brutaler und auf totale Vernichtung der Gegner gezielter Rachfeldzug nicht zu verstehen wäre. Ein Erzähler anstelle der gespielten Szene oder ein Ausblenden aus dieser würden das nicht glaubwürdig vermitteln können.

Und Glaubwürdigkeit ist das A und O nicht nur eines Hörspiels, sondern auch der Darstellungen in anderen Medien. Stieg Larsson hat diese Dinge in Detail beschrieben, weil er dem Leser verständlich machen wollte, dass das, was mit der Hauptdarstellerin geschah, nicht im normalen Rahmen lag – schließlich werden nur wenige vergewaltigte Frauen zu brutalen Rachengeln.

Diese Detailtreue, die übrigens auch in der Verfilmung der Trilogie enthalten ist, hat mMn maßgeblich zu dem weltweiten Erfolg des Buches wie auch des Films beigetragen.
 

joe adder

Karsten Sommer
Sprechprobe
Link
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Stieg Larsson ist sicherlich nicht der Einzige auf der Welt, der eine Gewaltdarstellung in seinen Einzelheiten beschrieben hat. Deine Affektion ist zweifelsfrei da. Es geht aber in diesem Thema weiterhin um das "wie" und nicht um das "dass". Darum sind wir auch zu dem "Wie" zurueckgekehrt. :)
 
K

knüxi

AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Wenn man die Millenium-Trilogie von Stieg Larsson als Hörspiel brächte, dann müssten einigen Szenen (z.B. die, in denen die Hauptdarstellerin von ihrem Vormund vergewaltigt wird) in aller Drastik geschildert, d.h. gehört werden

@Dion: Du ziehst ja ganz gerne den Vergleich mit der Millenium-Trilogie heran:
Da gibt es [im Moment zu den ersten beiden Folgen] bereits Hörspiele.
Die entsprechenden Szenen sind für mein Dafürhalten sogar gut gelöst: nicht zu reißerisch oder platt, aber eben doch eindringlich und absolut nachvollziehbar.


Und das trifft dann auch ziemlich meine Einstellung zur Gewaltdarstellung bei Hörspielen.
Ich bin sicher alles andere als extrem zart besaitet oder übermäßig prüde.

Gewalt kann nach meiner Ansicht durchaus in einem Hörspiel eingesetzt werden, solange sie die Geschichte voranbringt und nicht nur als plattes Stilmittel eingesetzt wird, um irgendwelche Tabus zu brechen und damit nach Aufmerksamkeit zu haschen. Denn was wird einzig und allein durch das einfache Brechen eines Tabus erreicht: absolut nichts, v.a. wenn keine Alternative aufgezeigt wird.

Platte Gewalt ist für mich eher lästig. Vor allem, sobald ich den Eindruck gewinne, dass dem Autor [oder auch Regisseur] nichts anderes eingefallen ist, um ins Gespräch zu kommen.
Es kommt mir dann wie ein peinliches Fischen nach ein paar Hörern vor. Für mich ist es in entsprechenden Fällen mehr oder weniger verschwendete Zeit und es kommt vor, dass ich abschalte.

Aber eine maue, nichtssagende Geschichte kann auch durch ein paar übermäßige Gewalt oder Splatter-Effekte NICHT gerettet werden.

Ganz im Gegenteil: oftmals kann sogar eine angedeutete Gewalt viel durchdringender und nachhaltiger dargestellt werden.

Klar, manchmal ist es ein schmaler Grat zwischen aufgebauter Spannung und Peinlichkeit durch unnötige Übertreibung.
In den meisten Fällen gilt da nach meiner Beobachtung und Einschätzung: weniger ist mehr.
 
Oben