Dion

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AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

@Dion: Du ziehst ja ganz gerne den Vergleich mit der Millenium-Trilogie heran:
Da gibt es [im Moment zu den ersten beiden Folgen] bereits Hörspiele.
Danke für den Hinweis.


Gewalt kann nach meiner Ansicht durchaus in einem Hörspiel eingesetzt werden, solange sie die Geschichte voranbringt und nicht nur als plattes Stilmittel eingesetzt wird, um irgendwelche Tabus zu brechen und damit nach Aufmerksamkeit zu haschen.
Das ist auch meine Meinung: Wenn Gewalt für die Geschichte wichtig ist, dann sollte man sie einsetzen in der Weite und Eindringlichkeit, die man selbst für richtig hält. Dabei auf Befindlichkeiten der Hörer Rücksicht zu nehmen ist der falsche Weg.
 
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Fazit: Gewaltpornos sind blöd! Das gilt besonders für die, die aus der "Das-find-ich-geil-Perspektive" gemacht sind.
Ansonsten dürfen Zombies usw gerne in allen Varianten zerspritzen!
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Edit: Meine Meinung

Gruß,

der Schizo Badda
 

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OldNick

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AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Auch wenn es ein recht altes Thema ist, würde ich dazu gerne noch etwas sagen.
Zu der grundsätzlichen Fragestellung: Ich mag kein Zielgruppendenken. Überhaupt nicht. Weil das
Zielgruppendenken häufig nur ein Vorurteil ist, das man einem bestimmten Publikum gegenüber
hegt und man in seiner künstlerischen Arbeit versucht, für eine virtuelle Zielgruppe zu produzieren,
die es in diesem Maße nicht gibt. Gleichsam „führt“ man das Zielpublikum in seine Richtung, und
versucht, die Erwartungen zu erfüllen, von denen man selbst glaubt, daß sie gehegt werden. Das
tatsächliche Resultat dieses Denkvorganges können wir in den zeitgenössischen Medien beobachten
– eine Blödheit jagt die nächste, meistens mit der Begründung, daß das Publikum ja Dinge nicht
verstehen würde, wenn man sie ihm nicht erkläre. Um nicht am Splatter hängenzubleiben, nehmen
wir mal Serdar Somuncu als Beispiel – sein Programm „Haßprediger“ kommt nur in wohl sortierten
Auszügen im Fernsehen vor, und häufig wird ihm die Frage gestellt, ob er denn nicht Angst hätte,
daß man ihn nicht „verstünde“. Jene für dumm und unreflektiert gehaltene Zielgruppe wird,
abgefüttert mit in jeder Weise zensierter Kost, irgendwann genau das sein: dumm und unreflektiert,
weil es nur noch das immergleiche, durch Zensur und Selbstzensur entstandene Schema kennt.
Anders gesagt: Ich finde diese Diskussionen heuchlerisch. Die Gewalt, die man beispielsweise in
Splatterfilmen sieht, ist in extremen Maße verzerrt. (Die wenigsten Splatterfilme gefallen mir
persönlich, weil die Handlung oftmals recht dünn ist, deswegen kann ich hier nur mit wenigen
Beispielen dienen). Splatterfilme funktionieren wie eine Geisterbahn – ein nichtalltägliches
Erlebnis, die Begegnung mit einer Grenze, die die meisten Leute niemals machen werden und
oftmals eine Identifikation mit dem Opfer der Gewalt. Diese Form der Gewalt ist eine
nichtalltägliche Ausnahmeerscheinung, in die sich niemand wirklich zu versetzen imstande ist –
man wird allerdings als Zuschauer in eine Perspektive katapultiert, sich genau damit
auseinanderzusetzen. Wie würde ich darauf reagieren, würde man an mir so etwas vornehmen?
Oder aber, auf der Metaebene, einfach nur „mein Gott, ist das grausam“ – in jedem Falle bleibt es
für die meisten nicht alltäglich.

Bis vor zwei, drei Jahren habe ich mich exzessiv mit diesem Thema auseinandersetzen müssen
(Studium), und habe allerhand Studien zur Hand gehabt (insbesondere in bezug auf
Computerspiele), die sich anschickten, die Konditionierungstheorie zu untermauern (allesamt mit
zweifelhaften Ergebnissen oder sehr fragwürdiger Anzahl an Probanden).
Leider gibt es zu weitaus naheliegenderen Schlußfolgerungen kaum Studien – es gab Vorstöße in
den Staaten, die Verherrlichung der Gangkultur durch entsprechende stark auftretende Vorbilder zu
untersuchen, bedauerlicherweise steckt das noch in den Kinderschuhen. Besteht ein reales Vorbild,
so die Vermutung, das Dir positive Resultate durch Gewalteinsatz in Deinem realistischen sozialen
Umfeld suggeriert, so kann die Identifikation mit diesem Vorbild dazu führen, daß Du solche
Verhaltensweisen billigst oder sie sogar zu Deinen eigenen machst. (Einen solchen Effekt hat man
vor einigen Jahren im Zusammenhang mit den Gangsterrappern und dem Konflikt zwischen Westund
Ostküste aufgrund einer Befragung einiger hundert Jugendlicher erahnen können – was da
wirklich dran ist, ist allerdings bis heute nicht ganz klar).

Geht es ernsthaft um ein Horrorhörspiel, dann halte ich eine Gewaltdiskussion für nicht zielführend.
Es ist im Sinne des Genres, Grenzerfahrungen herzustellen – sicherlich will wohl kaum einer hier
ein reines Splatterhörspiel haben, aber solche Effekte gehören zu diesem Genre (es sei denn, man
möchte ausschließlich ein „Gothic“-Hörspiel haben). Aber in diesem Genre gibt es nun mal
Figuren, die u.a. auch dadurch charakterisiert werden, daß sie Folterer sind – auch diese
Komponente ist Teil des Genres. Wem das nicht gefällt, der sollte keine Horrorhörspiele hören.
Grundsätzlich empfinde ich den Zensierungswahn als genauso beliebig wie heuchlerisch. Der für
mich immer noch groteskeste Moment im deutschen Krimifilm war der, als die Rolle „Derrick“ in
der letzten Folge der Sendereihe eine moralische Rede darüber vortrug, wie fragwürdig es ja sei,
daß der Mord zu einem Unterhaltungsobjekt geworden sei.

Morde sind in der Tat so vollkommen belanglos geworden, daß man Krimis zur Mittagszeit senden
kann – aber wehe, es fließt ein Tropfen Blut! Daß Morde etwas „schmutziges“, gewaltsames,
ekelerregendes sind, wird in diesen Fiktionen ausgeblendet – belaste mich ja nicht damit!
(Verherrlichung?)

Gewalt ist immer ein heikles Thema, zumal „sinnlose“ Gewalt. Damit fängt's schon an. Es gibt
keine „sinnvolle“ Gewalt – es mag fiktionale Gewalt geben, die zu einem Plot paßt, aber die
Unterteilung in „sinnvolle“ und „sinnlose“ Gewalt ist genauso idiotisch wie beliebig. (Wenn's zum
Plot paßt, dann ist der Förster im Krimi wenigstens nicht umsonst verblutet... Verherrlichung?)
Was ist Gewalt? Macht, Herrschaft und im diskutierten destruktiven Sinne Ausdruck einer
Zerstörungsmotivation. Der Folterer im Splatterfilm zersägt sein Opfer – warum tut er dies? Er will
das Opfer zerstören. Vielleicht nur um etwas, „jemanden“ zu zerstören, vielleicht hat er ein anderes,
„persönlicheres“ Motiv – aber der Ausdruck und das Resultat seiner Handlung ist: Du, das Opfer,
bist zerstörungswürdig.

Und in dieser Hinsicht sind unsere Medien voll von „Gewalt“ -
autorisierter, unterstützter Gewalt. Gewalt gegen jene, die nicht existieren dürfen – es gibt einen
Haufen an Serien, in denen bezahlte Statisten „unrechtmäßige“ Hartz-IV-Empfänger (gerne auch als
„Sozialschmarotzer“ oder 2005 vom Ministerium für Propaganda und Agit... Verzeihung,
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in einer Broschüre mit dem Titel „Vorrang für die
Anständigen – Gegen Missbrauch, Abzocke und Selbstbedienung im Sozialstaat“ als „Parasiten“
bezeichnet) so spielen, wie sich die Allgemeinheit den „unrechtmäßig Bedürftigen“ gerne vorstellt –
dreckig, dumm, häßlich (allein schon durch seine Art) in einer heruntergekommenen Behausung
wohnend.

Auch Gewalt gegen Einzelne ist cool – das befreite Lachen Stefan Raabs, weil jemand „Lisa Loch“
heißt – und eine ganze Nation macht über Jahre hinweg eine Person fertig. Aber ist doch alles nur
„Comedy“, cool down! Aber das ist autorisierte, unterstützte und teils auch staatliche Gewalt.
Aber wehe einer der so Behandelten reagiert im Extremen auf diese Gewalt – zum Beispiel in dem
er jene Leute, die ihm mit Beleidigung und Humor (die schlimmste Waffe überhaupt) suggeriert
haben, daß er nicht dazugehöre, daß man einen Zerstörungswillen gegen ihn hat (wer mag schon
Parasiten?) mit dem Gewehr aufsucht und sie reihenweise abknallt … Wehe, unser gewalttätiges
Verhalten fällt auf uns selbst zurück... Dann reagieren wir natürlich mit Abwehr. Schuld sind nur die
Computerspiele!

Gewaltphantasien, Machtphantasien (aus einem Machtvakuum entstanden) kann kein Medium
erschaffen – Medien können inspirieren, ausdrücken, sicherlich (und hinterher war Gutenberg für
„Mein Kampf“ verantwortlich), aber kein Medium dieser Welt erschafft einen Killer. Nicht einmal
einen Schläger.

Die Gewalt, die legitimiert ist, der Haß, der legitimiert ist, und die Atmosphäre in der wir uns seit
gut 10 Jahren bewegen – das ist bedrängend und fürchterlich. Nicht der Splatterfilm, nicht
irgendwelche übertriebenen Gewaltdarstellungen. Die schlimmste Gewaltdarstellung ist jene, die
kompatible zu dem Alltagserleben eines jeden ist – und die so opportunistisch dargestellt wird, daß
sich ihr jeder anschließen möchte, nur um „dazuzugehören“ (wie es damals ja auch bei Lisa Loch
der Fall war).
Vielleicht wäre es anzuraten, darüber einmal nachzudenken und nicht über ein fiktives Medium, das
zum Transport eines Unwohlgefühls auf exzessive Stilmittel zurückgreift.
 
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Brandywine

Falko Diekmann
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Ich finde schon das man eine Unterscheidung zwischen sinnloser und "sinnvoller" Gewalt machen kann.
Zumindest auf dramaturgischer Ebene, wenn´s um´s Geschichten erzählen geht, wohl gemerkt. Was in der nicht-geskripteten Welt vor sich geht steht auf einem anderen Blatt.

Das Medium an sich ist dabei fast egal, ich finde man merkt doch einfach ob etwas nun reiner Selbstzweck ist oder absichtlich gesetzter Akzent. Ganz oft wird exzessive Gewaltdarstellung benutzt um interessant oder möglichst hart zu wirken; sich von anderen Produkten abzusetzen. Ohne dabei aber irgendetwas mit zu teilen. Oder besonders lustig, geschweige denn Einfallsreich zu sein.

Ich muß auch ganz ehrlich sagen das mich im Hörspielbereich explizite Beschreibungen eher nerven als das sie mich aus der Fassung zu bringen. Gegen fiese Geräusche und hörbar platzende Köpfe habe ich überhaupt nichts wenn sie Sinn machen, da hin passen und sich ins Ganze fügen.

Wenn mir der Erzähler aber minutenlang in den Ohren liegt und mir erzählt wo jetzt XY überall mit dem Skalpell hin säbelt, wo die Stückchen hinfliegen und in was für Mustern das Blut irgendwo hinspritzt...ja sorry...dann find ich das doof. Das ist stupide und man sollte sich dann schon mal die Frage stellen was der Autor sich dabei gedacht hat oder was für Bedürfnisse er beim Hörer (oder sich selbst) eigentlich befriedigen möchte.

Aber nicht falsch verstehen; ich bin Pro Gewaltdarstellung.
Sie sollte nur einen Zweck erfüllen und nicht Selbstzweck oder Verkaufsargument sein.

Den Slapstick eines Splatterfilms in ein Hörspiel zu übertragen ist, glaube ich, unmöglich.
Torture Porn in Hörspielform hört sich nervtötend an.

Ich glaub gerade das Hörspiel bietet sich für wesentlich subtilere, ausgefeiltere Formen von Gewalt oder Grausamkeit an die einen wirklich um den Schlaf bringen, zumindest aber beschäftigen. Ganz ohne das irgendwelche Köpfe platzen oder 5 Minuten lang Zähne gezogen werden. Wenn natürlich mal ein platzender Kopf reingehört ist das auch OK (wenn er denn ordentlich PLATSCH macht); aber nicht bis ins letzte Detail vom Erzähler durchgekaut.

Aber wie gesagt; ich kucke selber auch Splatterfilme oder allgemein Filme die nicht unbedingt im nächsten Multiplex laufen.
Gewaltdarstellung hat trotzdem entweder einen Sinn, oder eben keinen. Wenn sie keinen Sinn hat, aber lustig inszeniert ist (mit einem offensichtlichen Augenzwinkern) hab ich meinen Spaß.
Gewaltpornos kotzen mich an. Nicht wegen der Gewalt sondern wegen der unaussprechlichen Einfallslosigkeit.
 

OldNick

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Sprechprobe
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AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Ich finde schon das man eine Unterscheidung zwischen sinnloser und "sinnvoller" Gewalt machen kann.
Zumindest auf dramaturgischer Ebene, wenn´s um´s Geschichten erzählen geht, wohl gemerkt.

Volle Zustimmung. Meine Einlassung war auch eher auf "moralische" Bewertungen bezogen, denn auf dramaturgische Ebenen. Ich sagte ja bereits vorher selbst, daß bei mir die wenigsten Splatterfilme "funktionieren", weil sie kaum Geschichten transportieren. Selbst ein Film wie "Martyrs", der eine hochphilosophische Auflösung hatte, die im Grunde genommen eine wunderbare Parabel auf religiöse Verbrechen ist (indem sie den Zuschauer in die Position desjenigen versetzt, der passiv zum Täter wird, da er sich fragt, welche spirituelle Information die Täter durch ihre Tat erlangt haben), hatte mir persönlich viel zu viele Längen. Diese Folterszenen kommen bei mir überhaupt nicht an - ich finde sie auch nicht abstoßend. Weshalb? Weil ich "weiß", daß es sich um Schauspieler handelt, die mit Tricktechnik agieren. Gewaltdarstellungen haben für mich keinen "Geisterbahneffekt", weil ich mir bei diesen Szenen immer wieder Gedanken darüber mache, wie lange die am Set wohl dafür gebraucht haben und wie viele Donuts in der Zwischenzeit verdrückt wurden.

Zu den weiteren Ausführungen kann ich Dir nur beipflichten. Es gibt in der Tat schon lange "Splatterhörspiele", die indiziert sind - oftmals auch mit richtig schön langem Erzählpart. Ein langweiliger Unfug. Und es überfrachtet sich selbst. Aber wenn Du in einem Horrorhörspiel 3-4 solcher Szenen mit entsprechenden Effekten gut platzierst, dann hat es seine Wirkung,- und diese Wirkung zur Unterstützung des "Unwohlseins", das ja im Wesen des Horrorgenres liegt, halte ich für vollkommen legitim.

Und der Vorteil, den das HÖRspiel ja gegenüber dem Film hat, ist, daß es mit inneren Bildern arbeitet. Eine solche Szene kann von sich allein den Effekt des Unwohlseins erhalten, indem man sie nicht "erzählt", sondern nur mit Dialog und Soundeffekten arbeitet.
 

Brandywine

Falko Diekmann
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Ja wie gesagt, bei dem Großteil den du geschrieben hast bin ich voll auf deiner Seite.

Gerade bei dem Punkt wo Gewalt anfängt, oder was genau ne Gewaltdarstellung ist.

Ich mein ja bloß das kann so viel mehr, und so viel beunruhigender sein wenn´s gut geschrieben und möglicherweise nur angedeutet ist. Von mir aus auch hörbar. Aber halt nicht mit der Brechstange über die volle Laufzeit. Oder mit dem Erzähler bis ins Letzte erklärt.

Glücklicherweise müssen wir uns hier ja auch nicht mit Zensur auseinandersetzen.
Jede/r Autor/in muß halt selber kucken was er sich und anderen zumuten will. Solange es irgendwie Sinn macht meckert ja keiner.

Und: Gar keine Frage; der hörbare Effekt hat mehr Wirkung als der Erzähler und lässt vor allem mehr Raum für beunruhigende Spekulationen :)

Es gibt aber echt Dinger im kommerziellen Bereich die auf den Torture Porn-Zug (man sollte ja meinen der wär mal abgefahren oder vorbei) aufgesprungen sind und es eben so unschön, durchsichtig, durchziehen.

Mit dem Gros das du schrubst gehe ich ja konform; ich wollt bloß bei dieser sinnvoll/sinnlos-Sache einhaken :)
 
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OldNick

Mitglied
Sprechprobe
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AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Das große Problem - im gesellschaftlichen Kontext - ist, daß immer nur "Extreme" wahrgenommen werden. Dinge funktionieren aber selten in "Extremen" - Kommunikation (und damit auch Gewalt) funktioniert nicht allein in Extremen. Wenn vermeintlich harmlose Aktionen extreme Reaktionen hervorrufen, dann ist der automatische Reflex, nach Schlüsselreizen für diese extreme Reaktion zu suchen, die ebenfalls in Extremen begriffen ist. Aber so funktioniert die menschliche Psyche nicht. Das Jahre lange Empfinden von starker psychischer und physischer Ablehnung kann sich bahnbrechen in Gedanken der eigenen Vernichtung und der Vernichtung anderer - aber der Schlüssel zu dieser Entwicklung ist nie ein extremer, überbordender Schlüsselreiz, sondern in den meisten Fällen schlimmster Gewalttaten das Resultat einer Jahre andauernden schleichenden Entwicklung.

Es ist nie die graphische oder visuelle fiktive "Darstellung", die uns einen Schlüssel zur emotionalen Beteiligung verschafft - sondern es ist die Sensibilisierung für eine emotionale Beteiligung. Wenn der Zuschauer eines Horrorfilms meint, den Folterer zu verstehen, da er sich mit der Tat identifiziert, dann ist dies ein Resultat seiner Wahrnehmung, die er auf den Film projeziert. Wenn eine solche Identifikation stattfindet, dann ist man heutzutage geneigt zu sagen: Der Film ist daran schuld, daß der Typ irgendwann jemanden umgebracht hat. Aber das stimmt nicht. Wäre er nicht durch Jahre lange Mißhandlung - in welchem Bereich auch immer - für einen solchen Reiz sensibilisiert worden, dann wäre auch eine vermeintliche Identifikation im Film nicht möglich. Zumal diese Identifikation keinerlei Auswirkung hat - sie stellt nur eine Facette, eine Identifikationsmöglichkeit eines psychopathologisch Erkrankten dar; dieser Mensch wird sich mit vielen Taten und Tätern (auch realen) identifizieren können. Dies liegt aber nicht in der Verantwortung derjenigen, mit denen er sich identifiziert.

So lange Gewalt nur in ihren "extremen" und "unrealistischen" (da seltenen und "nicht alltäglichen") Facetten wahrgenommen wird, bleibt diese Gesellschaft blind für die Gewalt, die u.a. auch solche Biographien wie die der sog. "Schulamokläufer" (technisch betrachtet eine falsche Bezeichnung, aber egal) überhaupt erst möglich gemacht hat. Diese Diskussion wird immer nur auf diese absolut unwichtigen Nebengleise geleitet.

Aber um wieder zum technischen Thema zu kommen: Ich habe irgendwie immer Probleme mit dem Erzähler, (okay, ich hab' auch wenig Ahnung und alles, was ich bisher geschrieben habe, ist grottenschlecht - das sollte man bei dieser Äußerung berücksichtigen). Der Erzähler nimmt der Geschichte ihre "Natürlichkeit" - wobei ich mich immer auch frage, ob ein Hörspiel im Extremfall so "organisch" sein muß, daß es auch ohne einen Erzähler auskommt. Ich selbst habe dieses Hörspiel bisher noch nicht geschrieben, und je komplexer ein Szenario ist, desto wichtiger ist leider ein Erzähler. Aber wenn ich mir diese wunderbaren alten Horror- und Gruselhörspiele aus den 30ern anhöre (bsplw. "Lights out"), dann merke ich, daß hier Effekte ganz ohne Erzähler erzielt werden können.
Im Idealfall gibt es wohl keine langen Erzählparts - nur, daß ich den Idealfall nicht schreiben kann;).
 

Brandywine

Falko Diekmann
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Alter Schwede, das macht Spaß mit dir :)

Du bist jetzt aber ein büschen von der Gewaltdarstellung an sich und wie sie aussehen (oder klingen) sollte weg zu "Was für Auswirkungen hat sie möglicherweise".

Wenn du Amokläufer ins Rennen schickst muß man natürlich kucken das sehr viele Leute brütale Spiele spielen, ich bin da keine Ausnahme, trotzdem aber selber nicht brütal werden. Sozialisation und Umfeld sind da eher die "Schuldigen".

Gewalt ist vor allen Dingen, was du zuvor schrubst, nicht immer die bei lebendigem Leibe abgezogene Haut oder der Zahn der ohne Betäubung gezogen wird, sondern Jahrelange (möglicherweise nur verbale) Misshandlung und Erniedrigung.

Das einzufangen oder irgendwie zu transportieren fänd ich ein gutes Vorhaben.
Gewaltdarstellung ohne Statement ist...jo...braucht man nicht.

Es sei denn sie ist Humorig ;)
 
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N

Niles

AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Jene für dumm und unreflektiert gehaltene Zielgruppe wird,
abgefüttert mit in jeder Weise zensierter Kost, irgendwann genau das sein: dumm und unreflektiert,
weil es nur noch das immergleiche, durch Zensur und Selbstzensur entstandene Schema kennt.
Splatterfilme funktionieren wie eine Geisterbahn – ein nichtalltägliches
Erlebnis, die Begegnung mit einer Grenze, die die meisten Leute niemals machen werden und
oftmals eine Identifikation mit dem Opfer der Gewalt. Diese Form der Gewalt ist eine
nichtalltägliche Ausnahmeerscheinung, in die sich niemand wirklich zu versetzen imstande ist –

Widerspricht sich das nicht? Zuerst sagst du, dass Medien jemanden "konditionieren" können, dann sagst du, dass genau dieser Effekt nicht eintreten kann, weil man ja sowieso nicht in der Lage ist, die Erlebnisse der Protagonisten nachzuvollziehen.

Grundsätzlich empfinde ich den Zensierungswahn als genauso beliebig wie heuchlerisch.

Auch Gewalt gegen Einzelne ist cool – das befreite Lachen Stefan Raabs, weil jemand „Lisa Loch“
heißt – und eine ganze Nation macht über Jahre hinweg eine Person fertig. Aber ist doch alles nur
„Comedy“, cool down! Aber das ist autorisierte, unterstützte und teils auch staatliche Gewalt.

Wenn man Herrn Raab nun verbieten würde, Witze auf Kosten von Frau Loch zu reißen... wäre das nicht grade die Zensur, die du hier anprangerst? Oder wäre das dann eine andere, "bessere" Art von Zensur?

Aber wehe einer der so Behandelten reagiert im Extremen auf diese Gewalt – zum Beispiel in dem
er jene Leute, die ihm mit Beleidigung und Humor (die schlimmste Waffe überhaupt) suggeriert
haben, daß er nicht dazugehöre, daß man einen Zerstörungswillen gegen ihn hat (wer mag schon
Parasiten?) mit dem Gewehr aufsucht und sie reihenweise abknallt … Wehe, unser gewalttätiges
Verhalten fällt auf uns selbst zurück... Dann reagieren wir natürlich mit Abwehr. Schuld sind nur die
Computerspiele!

Das heißt jetzt, Amokläufe sind gerechtfertigt, wenn du beleidigt oder ausgelacht wirst? Na, danke... Die Leute müssen lernen, mit Problemen klarzukommen, ohne gewaltätig zu werden. Legitimierungen für Amokläufe sind IMHO falsch.
 

Brandywine

Falko Diekmann
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Niles?

Ein büschen weniger Polemik wär echt nett ;)
 

OldNick

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AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Widerspricht sich das nicht? Zuerst sagst du, dass Medien jemanden "konditionieren" können, dann sagst du, dass genau dieser Effekt nicht eintreten kann, weil man ja sowieso nicht in der Lage ist, die Erlebnisse der Protagonisten nachzuvollziehen.

Wie ich schon dargelegt habe, gibt es Anzeichen (auch wenn es bis dato leider keine flächendeckende Untersuchung gab - im Gegensatz zu extremeren Gewaltdarstellungen, wo man es seit Jahren in schöner Regelmäßigkeit immer wieder versucht), daß eine "Konditionierung" effektiver ist, desto mehr sie Teil der erlebten Wirklichkeit des Adressaten ist. Je mehr sich eine Darstellung in das realistische soziale Gefüge einbinden läßt (dazu evtl. noch etwas Mustererkennung - jeder kennt seinen "Sozialschmarotzer", um bei diesem Beispiel zu bleiben), desto eher fühlt man sich geneigt, sich durch diese Darstellung beeinflussen zu lassen und unter Umständen - gerade dieser Punkt ist ja leider nicht abschließend geklärt - die realistisch erscheinenden Lösungsansätze anzunehmen.
Je unrealistischer die Darstellung, desto seltener ist ein solcher Effekt zu beobachten - aus den Studien bzgl. Computerspiele geht das sehr deutlich hervor. (Man hängt sich hier häufig an einer angeblichen positiven Korrelation zwischen kleineren Strafdelikten und Computerspielen auf, was sich nicht nur in unterschiedlichen Studien sehr differenziert darstellt, sondern obendrein noch der direkte Kausalzusammenhang nicht besteht - man kann nicht sagen, daß ich bsplw. Morgen einen Lebensmittelladen beklaue, weil ich gestern Counterstrike gespielt habe).

Wenn man Herrn Raab nun verbieten würde, Witze auf Kosten von Frau Loch zu reißen... wäre das nicht grade die Zensur, die du hier anprangerst? Oder wäre das dann eine andere, "bessere" Art von Zensur?

Nein, eine Verhaltensänderung kann nur Teil einer gesellschaftlichen Reflektion sein. Die Medien können einen solchen Prozeß m.E. auch nur bis zu einem gewissen Grad beeinflussen - zumindest innerhalb eines kurzfristigen Zeitraums. Wohin Zensur jedweder Art führt, ist weithin bekannt. Verbote machen den Verbotsgegenstand gerade interessanter. Außerdem ist eine Zensur von Kunst m.E. indiskutabel - aus rein ideologischen Gründen.
Der Umgang mit Haß und Frust und die Kanalisierung dieser Emotionen kann nur reflektiert aufgearbeitet werden. Aber dazu wird es noch einige Jahre brauchen. Insbesondere - ich habe es mehrfach erwähnt, weil ich es immer noch furchtbar finde,- was in den letzten Jahren an Anti-Sozialhilfeempfängerhetze betrieben wurde, ist noch weitgehend unaufgearbeitet von den Mainstreammedien. Aber man wird irgendwann nicht umhin kommen, solche Verhaltensmuster auch Gegenstand diverser öffentlich-rechtlicher Diskussionsrunden zu machen.
Die Zensur des Einzelnen (in diesem Falle Raabs) ist - neben den ideologischen Dingen - auch deshalb unsinnig, weil sie den Mechanismus der Reaktion nicht abstellt. Das Problem ist im Zweifelsfalle nicht der Einzelne, der einen solchen Witz macht, weil es ihm opportun und publikumswirksam erscheint, sondern die Reaktion eines Teils des Publikums darauf, der es zum Anlaß nimmt, sich an einer Hetze gegen die geschädigte Person zu beteiligen. Diese Reaktion wäre nicht dadurch gestoppt, daß man Einzelnen verbietet, auf diesen Mechanismus einzugehen.

Das heißt jetzt, Amokläufe sind gerechtfertigt, wenn du beleidigt oder ausgelacht wirst?

Selbstverständlich. Und Jürgen Bartschs Taten sind gerechtfertigt, weil er als Kind durch einen Priester mißbraucht wurde.


Dito;).
 
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Karpatenhund

Karpatenhund
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Da wir hier in diesem Forum mit unseren Hörspielen keinen finanziellen Interessen folgen, haben wir die große Freiheit, uns über Zielgruppen und Vergleichbares keine Gedanken machen zu müssen. Niemand zwingt uns, irgendein Marktsegment anzusprechen.
Anscheinend zwingen wir uns dennoch manchmal selber dazu: Erinnere ich mich nämlich an die Diskussion mit den Downloadzahlen, haben anscheinend doch einige hier den Ehrgeiz, ein möglichst großes Publikum zu erreichen.

Ich persönlich finde weder das eine noch das andere "richtig" oder "falsch". Ich denke auch, dass da jeder selbst wissen sollte, was er mit seinem Hörspiel erreichen will.

Traditionellerweise ist das Horrorgenre ein eher "jugendliches" Genre. Richtig erfolgreich wurde es erst Mitte der 50er Jahre, ausgehend von den USA, als sich eine echte Jugendkultur herauszubilden begann. Die Jugendlichen versuchten sich von ihren Eltern abzuheben, durch Musik, durch Kleidung, aber auch durch die Filme, die sie sich ansahen. Der Erfolg der damaligen SciFi- und Horror-Doublefeatures lässt sich auch dadurch erklären, dass diese Doppelvorstellungen den Jugendlichen einen gesellschaftlich tolerierten Vorwand gaben, den Abend außer Haus zu verbringen und erst spät nachts wieder nach Hause zurückzukommen.
Grundsätzlich hat sich daran bis heute nichts geändert. Das Horrorgenre hat immer noch ein Publikum, das vorwiegend jugendlich oder jung erwachsen ist. Mit harten Filmen wollen Teenager ja auch manchmal ein wenig ihre Eltern vor den Kopf stoßen. Die Filme sollen ja "evil" sein. Oder eine ganz andere Motivation: Teenie-Horrorstreifen, ob nun eher harmlos wie die "Scream"-Reihe oder eher hart wie "Hostel", dienen ja auch beispielsweise als Date Movies.

Natürlich ist einiges an harten Darstellungen auch in andere Genres übergeschwappt: Was sich meine Mutter heutzutage um 20:15 in "C.S.I" anschaut, ist teilweise viel grauslicher und widerwärtiger als das, was ich in einigen 80er-Jahre-Horrorfilmen gesehen habe. Früher wären solche Darstellungen im Fernsehen undenkbar gewesen, heute sind sie normal.

Ich denke trotzdem, dass man - neben vielen anderen Überlegungen - sich darüber Gedanken machen darf, wen man mit einem Hörspiel ansprechen will. Kinder? Jugendliche? Junge Erwachsene? Ältere Menschen?
Darf man. Muss man nicht.

Manchmal geht es auch gar nicht so sehr darum, wie viel Gewalt es gibt oder wie hart die Gewalt ist. Manchmal geht es auch darum, welche Haltung sich hinter der Gewaltdarstellung zeigt. Ich selbst hatte eine Folge von CAINE gehört (nicht die erste) und diese Reihe danach nicht mehr angefasst. Mein Problem war nicht, dass da zu viel Gewalt drin war. Aber ich fand die Gewaltdarstellung (und eigentlich das gesamte Hörspiel) gehässig und niederträchtig. Diese Art der Darstellung hat mir einfach keinerlei Freude oder Hörspaß bereitet.
 
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OldNick

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Sprechprobe
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AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Hallo Karpatenhund,

was die Bemerkung mit den Downloadzahlen angeht; ist das nicht auch irgendwo verständlich? So ziemlich jeder will Anerkennung und Applaus für etwas, das er produziert oder an dem er mitwirkt. Wäre dem nicht so, dann würden wir hier doch alle für die Tonne schreiben oder daheim alleine Hörbücher einlesen und inszenieren, die wir niemandem zum Hören geben. Klar ist es immer populär, sich demgegenüber als "überlegen" zu geben, oder anderen Leuten Eskapismus vorzuwerfen, aber schlußendlich möchte doch jeder gerne hören, was für einen tollen Job er gemacht hat oder aber konstruktive Kritik ernten, mit der er sich weiterentwickeln kann - niemand will ignoriert oder gar beschimpft werden.

Ich denke auch nicht, daß das Schauen auf Downloadzahlen unbedingt Ausdruck eines primären Ziels ist - genausowenig wie (was ja einige Seiten zuvor indirekt unterstellt wurde) derjenige, der die Hauptrolle in seinem eigenen Skript übernimmt, diese als Idealisierung seiner Person benutzen möchte, (oftmals kennt man die Figur so gut, daß man sich selbst der Herausforderung stellen möchte, dieser Figur eine Stimme zu geben - ich kann das sehr gut nachvollziehen). Es ist halt so, daß man doch Leute erreichen möchte mit dem was man tut - und die Anerkennung dafür ist motivierendes Beiwerk, aber nicht das "Ziel" einer ganzen Arbeit - das wäre wohl auch viel zu dünn.

Was das Horrorgenre betrifft - Du vergisst, das Goldene Zeitalter des Gothic-Horror-Genres zu erwähnen; 1931 wurden Dracula (mit Bela Lugosi in der Hauptrolle) und Frankenstein (mit Boris Karloff in der Hauptrolle) verfilmt und sorgten für einen recht lang andauernden Horrorfilmboom, der sich bis in die Mitte der 40er Jahre zog (daraus gingen weitere Filme wie "Das Phantom der Oper", "The invisible man" oder "Wolfman" hervor). Interessanterweise gab's diesen Boom mitten in einer Zeit vieler unterschiedlicher Krisen.

Ursprünglich wollte ich etwas zum Horrorgenre schreiben - aber ich lasse es sein. Das wäre zu sehr eine Grundsatzdiskussion, die evtl. endlos werden würde. Deine Bewertung des Genres ist eine andere als meine.
 
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Karpatenhund

Karpatenhund
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Hallo Karpatenhund,

was die Bemerkung mit den Downloadzahlen angeht; ist das nicht auch irgendwo verständlich?

Auf jeden Fall ist das verständlich! Ich will bloß sagen: Je stärker ich ein Publikum ansprechen will, desto stärker sollte ich mir Gedanken darüber machen: Wer ist dieses Publikum? Mit welchen gestalterischen Mitteln kann ich es ansprechen? Mit welchem Grad an Gewaltdarstellung stoße ich es vor den Kopf oder überfordere ich es? Welchen Grad an Gewaltdarstellung erwartet es von mir?
Wenn ich ein Kinderhörspiel mache, hat der platzende Zombiekopf nichts darin verloren. Wenn ich junge Erwachsene ansprechen will, wollen die vielleicht besondere krasse und harte Effekte haben. Wenn ich ältere Erwachsene ansprechen möchte, erwartet mein Publikum eventuell, dass ich halbwegs reflektiert mit Themen wie Tod oder Gewalt umgehe.

Aber natürlich unterliegt auch das angemessene Maß bestimmten Moden: Siehe das obengenannte "C.S.I"-Beispiel. Eine solche Darstellungsweise, die vor zwanzig Jahren noch dem Horrorfilm vorbehalten war, ist heute einem Mainstream-Fernsehpublikum angemessen.

Was das Horrorgenre betrifft - Du vergisst, das Goldene Zeitalter des Gothic-Horror-Genres zu erwähnen; 1931 wurden Dracula (mit Bela Lugosi in der Hauptrolle) und Frankenstein (mit Boris Karloff in der Hauptrolle) verfilmt und sorgten für einen recht lang andauernden Horrorfilmboom, der sich bis in die Mitte der 40er Jahre zog (daraus gingen weitere Filme wie "Das Phantom der Oper", "The invisible man" oder "Wolfman" hervor). Interessanterweise gab's diesen Boom mitten in einer Zeit vieler unterschiedlicher Krisen.

Nein, das habe ich nicht vergessen. Aber mein Schwerpunkt liegt auf etwas anderem. Filme wie "Saw" oder "Hostel" sehen so aus, wie sie aussehen, weil sie vor allem Teenager und junge (männliche) Erwachsene ansprechen wollen. Da ist ganz klar eine Entscheidung auf Produzentenseite.

Deine Bewertung des Genres ist eine andere als meine.

Auch das glaube ich nicht. Du kennst meine Bewertung des Genres ja überhaupt nicht, denn ich habe in meinem Post überhaupt nichts dazu gesagt. (Mit Ausnahme des Einlasses am Schluss zu Caine - aber das ist nur eine Bewertung zu einem Spezialfall.) Ich glaube eher, hier werden zwei Sichtweisen auf das Genre miteinander verwechselt. Mein vorheriger Thread versucht eine Annäherung an die Produzentensicht. Denn das sind wir hier im Forum: Hörspielproduzenten. Diese Perspektive hatte mir in den vorhergegangenen Posts ein wenig gefehlt, denn da wurde vor allem aus Rezipientensicht argumentiert.
 
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Dion

Autor
AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Morde sind in der Tat so vollkommen belanglos geworden, daß man Krimis zur Mittagszeit senden kann – aber wehe, es fließt ein Tropfen Blut! Daß Morde etwas „schmutziges“, gewaltsames, ekelerregendes sind, wird in diesen Fiktionen ausgeblendet – belaste mich ja nicht damit!
(Verherrlichung?)
Nein, ganz im Gegenteil: Das ist Verharmlosung. Indem Morde nicht so gezeigt werden, wie sie geschehen, werden sie verharmlost. Alles halb so schlimm, denkt sich der Zuschauer.


Aber wehe einer der so Behandelten reagiert im Extremen auf diese Gewalt – zum Beispiel in dem er jene Leute, die ihm mit Beleidigung und Humor (die schlimmste Waffe überhaupt) suggeriert haben, daß er nicht dazugehöre, daß man einen Zerstörungswillen gegen ihn hat (wer mag schon Parasiten?) mit dem Gewehr aufsucht und sie reihenweise abknallt … Wehe, unser gewalttätiges Verhalten fällt auf uns selbst zurück... Dann reagieren wir natürlich mit Abwehr. Schuld sind nur die Computerspiele!
Klar, Computerspiele sind schuld, das ist die einfachste Erklärung.


Es gibt weit verbreitetes Denken: Gäbe es keine Waffen, würde nicht getötet; gäbe es keine Pornos, würden sich unbescholtene Männer keine Anregungen durch diese Art von Bildern holen und ehrbare Frauen und Mädchen oder gar Ehefrauen mit perversen Sexualpraktiken belästigen, einfach, weil sie gar nicht wüssten, dass es sie gibt, etc.

Aber so einfach ist die Welt nicht, Mord und Totschlag gab es schon immer, auch Pornographie ist fester Bestandteil aller führenden Kulturen, ebenso wie Drogen oder die Spielleidenschaft.

Und Amokläufer hat es schon zu Zeiten gegeben, wo weder das Fernsehen noch Computer eine Rolle spielte. Als Beweis sollen folgenden 2 Fälle dienen:

Ernst August Wagner, der 1913 Amok lief, war ein Lehrer – ich zitiere Wikipedia:

Am Abend des 4. September 1913 ermordete der Hauptlehrer Ernst August Wagner in Degerloch seine Frau und seine vier Kinder. Danach fuhr er nach Stuttgart und von dort mit der Bahn weiter nach Mühlhausen bei Vaihingen an der Enz. Nachts zündete er die Ortschaft an verschiedenen Stellen an und wartete, bis die Menschen vor den Flammen flüchteten. Er erschoss dann wahllos zwölf Menschen, acht weitere wurden schwer verletzt.
[…]
Hermann Hesse ließ die Figur des Amokläufers Ernst Wagner in seine 1919 erschienene Erzählung Klein und Wagner einfließen.


Oder der Fall Walter Seiferts, eines 42-jährigen Kölner Frührentners, der sich von Behörden ungerecht behandelt fühlte - Zitat:

Er tauchte mit einem selbstgebauten Flammenwerfer und einer Lanze am 11. Juni 1964 im Kölner Stadtteil Volkhoven in seiner alten Schule auf und überfiel eine Klasse im Unterricht. Bei dem Anschlag tötete er zwei Lehrerinnen, darunter seine ehemalige Klassenlehrerin. Von den 28 durch Brandwunden zum Teil schwer verletzten Kindern starben acht.

Es gab noch andere Fälle, in denen zwar Schulen, aber keine Computerspiele eine Rolle spielten – einfach, weil es sie zu der Zeit gar nicht gab. Dies alles wird nicht publiziert, ja in den Medien nicht einmal erwähnt. Warum? Weil die durch nichts bewiesene Theorien von Killerspielen und Horrorvideos als Ursache für Amokläufe zu schön sind.

Menschen neigen nun mal zu einfachen Kausalzusammenhängen, deswegen haben Populisten auch so leichtes Spiel: Sie bieten einfache (angeblich offenkundige) Ursachen mit ebenso einfachen (angeblich logischen) Lösungen an.
 

OldNick

Mitglied
Sprechprobe
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AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Nein, ganz im Gegenteil: Das ist Verharmlosung. Indem Morde nicht so gezeigt werden, wie sie geschehen, werden sie verharmlost. Alles halb so schlimm, denkt sich der Zuschauer.

Das Gegenteil von Verherrlichung ist Verharmlosung? Meines Erachtens ist Verherrlichung gerade in diesem Kontext vor allem Verharmlosung. Aber ich will mich nicht um irgendwelche Begriffe streiten; Du hast vollkommen Recht und genau das was Du hier erfreulicherweise präzisierst, wollte ich mit der Klammer zum Ausdruck bringen.

Zu den beiden erwähnten Taten (es gibt noch weitere ähnlich gestrikte); sie haben ein anderes Tatmuster und auch einen anderen Tätertypus (älter, viel älter). Aber im Grundsatz stimme ich Dir zu; nur, daß die Häufung solcher Taten seit den 50er Jahren sehr auffällig ist. Die Schule hat einen stetig wachsenden Einfluß auf die Sozialisierung bekommen; das könnte nicht zuletzt auch daran liegen, daß der Umgang in großen Ballungszentren immer anonymer geworden ist. Aber das ist nur eine Theorie. Fest steht, daß medialer Einfluß keine Täterbiographien "ersetzt" - das ist selbst bei jenen Wissenschaftlern angekommen, die immer noch versuchen, einen (je nach Vertreter unterschiedlich ausdifferenzierten) "Abstumpfungseffekt" in medialen Konsum hinein zu interpretieren. Gegensätzlich postuliert wird das im Grunde nur noch in den Medien und durch den Kriminologen Pfeiffer, der allerdings an diese Thematik nur mit ausgeprägten Vorurteilen herangeht.
 

Dion

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AW: In welchem Ausmaß ist Gewalt in einem Hörspiel in Ordnung?

Zu den beiden erwähnten Taten (es gibt noch weitere ähnlich gestrikte); sie haben ein anderes Tatmuster und auch einen anderen Tätertypus (älter, viel älter).
Ja, das stimmt, aber auch sie kehrten an die Orte ihrer (erster?) Demütigungen zurück – Schule/Geburtsort. Und wie die heutigen Amokläufer, planten auch diese ihre Tat lange im Voraus.

Die Schule hat einen stetig wachsenden Einfluß auf die Sozialisierung bekommen
So ist das. Die richtige Schule zu besuchen - und dort nicht zu versagen – ist heute wichtiger denn je. Der psychische Druck ist enorm, so dass schon Grundschüler mit Psychopharmaka behandelt werden. Das erklärt möglicherweise auch das jugendliche Alter der heutigen Täter. Es gibt fast keine Kindheit mehr, der Kampf um die besten Plätze in der Gesellschaft beginnt ja schon mit dem Auswahl des richtigen Kindergartens.

Fest steht, daß medialer Einfluß keine Täterbiographien "ersetzt" - das ist selbst bei jenen Wissenschaftlern angekommen, die immer noch versuchen, einen (je nach Vertreter unterschiedlich ausdifferenzierten) "Abstumpfungseffekt" in medialen Konsum hinein zu interpretieren.
Eben. Endlich beginnt man zu begreifen, dass exzessives Computerspielen eine Folge von psychischen Störungen ist, nicht deren Ursache. Mit anderen Worten: Würde man brutale Computerspiele abschaffen, dann würden gefährdete Personen halt etwas anderes wählen, um sich aus dieser Welt innerlich zu verabschieden.

Das gleiche gilt für alle Medien und auch für Waffen: Wer sich und andere umbringen will, der schafft das ohne weiteres – siehe das Beispiel mit dem selbstgebauten Flammenwerfer. Und ein Mann kann auch mit einem Beil eine ganze Klasse abschlachten und sich hinterher vom Dach stürzen oder von der Polizei erschießen lassen – sollen nun alle Beile verboten werden?
 
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