• Blut-Tetralogie   Dark Space

schaldek

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Gladis

Tatsächlich.
Ich kann ohne die Schwere von Materie an mir atmen. Völlig körperlos.
Alle Gedanken, die ich habe, kann ich formen, festgestalten wie ich will. So mache ich das.
Ich bin ein Zauberer.

Meiner Suri hatte ich einen Gute-Nacht-Kuss gegeben,
nahm diesen tief in mich auf und stieg nun ein in meinen Gedankenzauberballon.
Atmete alles um mich ein. Sehnsucht. Und die Suche danach.
Der Ballon weitete sich schnell, bis er nicht mehr anzusehen war.
So viel Ferne stand jetzt überall. So viel Wehmut.
Ja. Ich schwebte.

So fand ich mich bei Gladis wieder, meiner lieben Oma, die längst von mir gegangen war und die ich nun so fest umarmte.
Natürlich konnte ich sie sehen, riechen, ihren zitternden Busen spüren, während sie mich an sich drückte.
Hier, das war Wisconsin, meine Kindheit, und ich
hatte entschieden, dass es wieder so sein würde wie damals.

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Ich richtete den alten Gartenstuhl in die Herbstsonne und setzte mich.
Gladis summte in der Küche, und behutsam schubste sie schon bald die Fliegentür auf.
Das klappernde Tablett auf dem kleinen Porzellantisch vor mir abstellend,
legte sie auch ihr Summen zur Seite. Ein sanftes Schweigen war das. Aber nur ganz kurz.
„Kannst Du Dich noch daran erinnern, mein kleiner Goldspatz?“, seufzte
sie. „An das Ballett des Eichenlaubs, das bei Sturm an die Fenster schlug wie ein
Schwarm erstarrter Libellen?"
Ihr Lächeln schaukelte mich. So hatte ich das als Kind immer genannt, wenn ich
in den Ferien bei Gladis übernachtet hatte, meine kleine Schwester im Gepäck.
Viele Stürme zogen hier damals vorüber und Sonne gab es nie.
Und ich bin mir dennoch sicher, dass Gladis nun so aussehen musste, mit all den warmen Farben feixend dort auf ihrer Stirn.
Ich war nun mal ein Zauberer geworden. Eine Kreateur von Gedanken, die zur
Wahrheit wurden. Einer Wahrheit, wie sie mir lag. Einer Wahrheit mit Gladis und zwar nur mit ihr.
„Weißt du, Goldspatz? Dass wir uns nicht verabschiedet haben, das ist gar nicht schlimm. Jetzt haben wir die Ewigkeit für uns.“
Gladis legte ihre raue Hand auf meine Schulter, und ich seufzte, als das Licht der Sonne mir nun die Augen trübte.
So verharrten wir hier auf ihrer Veranda, wo ich einst – die Hände fest auf den Augen – rückwärts zählte,
um dann im Laub vor dem Haus nach meiner Schwester zu sehen. Kommentiert von Gladis wunderschönstem Lachen.

Ein schneller Schmerz überkam mich dann. Ich blickte in das Glas und tief in ihre selbstgemachte Limonade, deren volles Gelb man nicht vergessen konnte.
Das Pochen, dieser Takt darin formte meinen Atem, gab ihm ein Jetzt.
Der Schmerz hielt wohl jetzt an.
„Was ist denn, Liebes?“, fragte Gladis plötzlich nah.
„Also, ich-“ Meine Stimme brach in Teile. „Ich habe-“
„Ja?“
„Deine Limonade. Ich habe … ganz vergessen, wie sie schmeckt.“

Weinen musste ich wohl, obwohl ich gar nicht sagen kann, ob ich es wirklich tat.
Gladis – das weiß ich aber sicher – sah mich traurig an. Und ihre Augen verflossen
aus zwei wunderschönen Spiegeln hinein in volles Wolkensud.
Einem Grau das sie war, seit ich ein Mann geworden war.

9300


Um Gedanken nicht mehr herzugeben, öffnete ich meine Hand, setzte sie in den Himmel und
zog das volle Gelb von Gladis Limonade dort hinein.
So breitete die Ewigkeit sich vor mir aus.
„Ich will diesen Gedanken nicht hergeben, Gladis, weißt du das?!" rief ich noch rau, als ich diesen plötzlich vor mir sah.
Völlig still und ohne sie darin.

E N D E
 
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