• Blut-Tetralogie   Dark Space

Mr B.

Tassenmörder
Sprechprobe
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Entstanden ist die Geschichte durch die Rekapitulation eines Albtraumes und eines längeren Nachtmarsches. Viel Spaß beim Einsprechen und/oder vertonen, falls jemand fragen hat, gerne stellen ich stehe da gerne Rede und Antwort

Gesang der Kröten

Georg Britzkow

Rungholtersiel. Dieser kleine Ort, der an der deutschen Nordseeküste lag, glich einer Geisterstadt. Es gab hier kaum Laternen, kein Netz für Mobiltelefone und Menschen sah man hier sehr selten. Selbst der kleine Kiosk, der an der Bundesstraße stand, hielt seine Türen stets verschlossen, obwohl das verblasste Plastikschild mit den Öffnungszeiten etwas anderes behauptete. Doch trotz allem schien es Leben in diesem Ort zu geben. Man sah es nicht sofort, aber manchmal nahm man eine Bewegung hinter den Fenstern der geduckten, mit Reetdach bedeckten Häuser wahr, doch sah man genauer hin, schien es so, als hätten sich die Vorhänge nur in einem Windhauch bewegt. Wagte sich einer der Einheimischen in eins der Nachbardörfer, so mied man ihn. Die Norddeutschen gelten zwar als ruhig, rau und distanziert, aber die Bewohner dieses Dorfes strahlten etwas aus, das die meisten Menschen nervös machte. Ortsfremde blieben nicht lange, denn eine instinktive Angst, die ihren Ursprung in der Zeit hat, als die Menschen noch als Jäger und Sammler durch das Land zogen, trieb sie dazu den diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Selbst das Bahnpersonal stieg nicht aus um zu überprüfen ob die Weiterfahrt behindert wurde, es war eh ein Wunder, dass der Zug lange genug hielt um Fahrgäste ein- und aussteigen zu lassen.

Und da stand ich nun auf einem verlassenen Bahnsteig und blickte den roten Lichtern, die am hinteren Ende der Bahn leuchteten, hinterher wie sie immer kleiner wurden und letztendlich in der Dunkelheit einer Herbstnacht verschwanden. Das hatte ich nun davon mit der letzten Bahn nach Hause zu fahren, meine Station zu verpassen und dann instinktiv an der nächsten Haltestelle auszusteigen. Ein Taxi zu finden oder sich eins zu rufen waren unrealistische Vorstellungen, ich hatte also die Wahl zwischen einem nächtlichen Marsch entlang der Straße nach Hause oder einer Übernachtung am Bahnhof, bis die erste Bahn wieder fahren würde. Ich blickte mich auf dem Bahnhof um. Drei Laternen, von der eine rhythmisch flackerte, hüllten den kleinen Betonbahnstieg und das Haltestellenschild in orangenes Licht. Es gab weder eine Bank, auf die ich mich setzen konnte, noch einen Fahrkartenautomaten, der etwas mehr Licht spenden konnte. Da der Marsch durch die Nacht angenehmer war, als die Zeit bis zur Ankunft des nächsten Zuges hier zu verbringen, setzte ich mich in Bewegung. Das fahle Licht des Mondes erhellte den Weg, der vor mir lag, während die Sterne am Himmel herab funkelten, als würde sie meine Situation amüsieren. Während ich durch das verlassene Dorf ging, fühlte ich mich zusehends unwohler. Beobachtete mich nicht jemand? Starrte mich da drüben nicht ein bleiches Gesicht durch ein Fenster an nur um dann hinter den Vorhängen zu verschwinden, sobald sich mein Blick darauf richtete? Ich blieb plötzlich stehen und sah mich um. War da nicht eine Bewegung in den Schatten zwischen den Häusern? Mit angehaltenem Atem lauschte ich in die Nacht. Nichts. Nicht mal eine nachtaktive Katze schlich durch die Gärten und die Fenster der Häuser waren leer. Kopfschüttelnd ging ich weiter und lächelte über mich selbst, doch dann hörte ich sie. Anfangs hielt ich es für eine Einbildung, aber je weiter ich ging, desto lauter wurden sie. Kröten.

Ich wusste nicht wie viele es waren, aber bei dieser Lautstärke mussten es hunderte, wenn nicht gar tausende sein, die alle gleichzeitig quakten. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken, mein Herz schlug schneller und ich beschleunigte meine Schritte. Entgegen meiner Erwartungen war der Dorfplatz verlassen, aber dennoch mussten sie ganz in der Nähe sein. Für einen kurzen Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte, zeichnete mir mein Verstand ein grausames Bild. Ich sah mich selbst auf dem Dorfplatz stehen, während eine Armee schleimiger Leiber von allen Seiten herbeiströmte und mit gutturalen Lauten einen triumphierenden Gesang anstimmte. Mit geschlossenen Augen zählte ich langsam bis Zehn und vertrieb das Bild aus meinem Kopf, aber das Quaken war noch da. Es pulsierte in meinen Ohren wie das Schlagen eines großen, abnormen, schleimigen Herzens. Angewidert schüttelte ich meinen Kopf und überquerte den Platz, es musste hier doch ein Verkehrsschild geben, an dem ich mich orientieren konnte. Als ich die Hälfte des Platzes überquert hatte, sah ich wie sich eine Gestalt aus dem Schatten einer Seitengasse löste und mir entgegen kam. Bei der Gestalt handelte es sich um einen groß gewachsenen Mann mit breiter Statur. Er schien mich nicht zu bemerken als er die Stufen zum Kellereingang des alten Rathauses hinab ging um kurz darauf in der Dunkelheit des Gewölbes, das hinter einer Tür aus schwerem Eichenholz lag, zu verschwinden. Kaum war diese ins Schloss gefallen verstummten auch die Kröten. Ungläubig starrte ich auf die Tür und strengte mich an irgendetwas zu hören, aber das einzige Geräusch auf diesem Platz war das Pochen meines eigenen Herzens, das in meinen Ohren wie das Schlagen einer großen Trommel dröhnte.

Ich weiß nicht warum, aber anstatt weiter zu gehen und diesen Ort hinter mir zu lassen, folgte ich dem Mann. Obwohl mein Herz mir bis zum Hals schlug und die Stimme der Vernunft mich anschrie, streckte ich die Hand nach der Klinke aus und drückte sie herunter. Ein Schwall feuchter, modriger und übel riechender Luft schlug mir aus der Dunkelheit, die das Gewölbe ausfüllte, entgegen, und raubte mir den Atem. Es war als hätte ein riesiges Ungeheuer seinen Rachen geöffnet das nur darauf wartete, mich endlich zu verschlingen. Der Drang mich umzudrehen und wegzulaufen hatte fast die Oberhand gewonnen, als ich einen flackernden Lichtschein in der Dunkelheit erblickte und meine Neugier siegte. Ich trat ein, schloss die Tür leise hinter mir und ging auf den Lichtschein zu. Meine Schritte hallten dumpf von den Wänden wider und der Gestank, der immer intensiver wurde, ließ mich würgen. Die Stimme der Vernunft hatte aufgehört zu schreien und bettelte nun ganz leise um Gehör, aber ich ignorierte sie.
Am Ende des Ganges befand sich eine große steinerne Halle, in deren Mitte sich eine Art Brunnenschacht befand, der in die stygischen Abgründe der Erde hinab führte. Das Licht der Fackeln, die in den Halterungen an den Wänden hingen, spiegelte sich auf den schleimigen Leibern und den großen Augen der Horde von Kröten, die sich um den Brunnenschacht versammelt hatte und jeden freien Zentimeter des Bodens bedeckte. Inmitten dieser Szenerie standen sich zwei Gestalten gegenüber, zwischen denen der Schacht lag. Ich erkannte den Mann von der Straße wieder, der mit leerem Blick auf eine andere Gestalt blickte. Sie hob ihre Arme und stimmte mit tiefer Stimme einen fremden Gesang an, in den die Kröten mit ihrem Quaken einfielen, als sich die guttural ausgestoßenen Silben wiederholten. Die Hände des Hohepriesters vollführten komplizierte, beschwörend wirkende Gesten, während die Litanei an- und abschwoll und ich fühlte wie die Energie, die von diesem unheiligen Ritual ausging, durch meinen Körper pulsierte. Der Hohepriester hatte die Hände wieder gesenkt und holte aus dem Inneren seiner Robe einen Dolch hervor, dessen schwarze Klinge bedrohlich im Fackelschein glänzte. Der Mann, der sich bisher nicht geregt hatte, streckte seine Hand aus und der Hohepriester setzte den Dolch auf seiner Handfläche an. Mit einer schnellen Bewegung teilte er das Fleisch des Mannes und das Blut tropfte langsam in den Brunnenschacht hinab. Plötzlich zuckte ein starker Schmerz durch meinen Kopf und meine Beine drohten nachzugeben. Mit zitternder Hand tastete ich nach der Wand und zog mich in den Gang zurück, wo ich mich anlehnte und die Augen in der Hoffnung schloss, dass der Schmerz bald vorbei sein würde.

Ein unbeschreibliches Geräusch, das selbst den Gesang aus der Halle übertönte, ließ mich hochschrecken. Aus dem Schacht schien etwas empor zu klettern. Etwas großes, dessen Körper an den Wänden des Schachts entlang schliff. Ich wagte mich wieder an den Rand des Kreises aus tanzenden Schatten und blickte gebannt auf die Öffnung im Erdreich.
Mein Herz blieb stehen, als sich ein abnormer, aufgedunsener Leib aus der Erdöffnung presste und sich vor dem Mann, den ich auf der Straße gesehen hatte, aufbaute. Der Gesang und das Quaken hatten eine groteske Feierlichkeit erreicht und ich danke dem Schicksal, dass meine Erinnerung aussetzt als das Ding anfing sich schmatzend vorbeugte.
Das nächste, dessen ich mich entsann, war meine Flucht durch die mit zornigem Quaken erfüllte Nacht. Meine Füße berührten kaum den Boden, als meine Urinstinkte die Kontrolle übernahmen. Regelmäßig stolperte ich, fiel hin, schürfte mir die Haut von Händen und Knien, rappelte mich auf und lief weiter, während ich meine Neugier verfluchte und hoffte diesen unheiligen Ort verlassen zu können. Innehalten war nicht möglich, denn sobald mich die Legion der schleimigen Götzendiener aus der Halle eingeholt hätte, wäre es um mich geschehen. Als ich das Dorf hinter mir gelassen hatte, atmete ich erleichtert auf, doch ich hatte mich zu früh gefreut.
Dort auf der Brücke, die über den kleinen Bach führte, der diesen Hort des Bösen vom Rest der Welt trennte, warteten sie auf mich. Mein Blick fiel auf den Bach, aber ich verwarf die Idee darin ein Bad zu nehmen, als sie ans Ufer kamen und mir damit den Weg endgültig abschnitten. Panisch drehte ich mich um! Es musste doch verdammt nochmal einen anderen Weg geben, aber ich war umzingelt. Entschlossen trat ich einen Schritt vor, hob die Arme und stieß einen Schrei aus, aber sie ließen sich davon nicht vertreiben. Für einen kurzen Augenblick kam mir der Gedanke einfach loszurennen und jede Kröte, die sich mir in den Weg stellte einfach zu zertreten, aber ich war mir sicher irgendwann auf ihnen ausrutschen und Gott allein weiß, was dann mit mir geschehen würde. Ich trat zurück und drehte mich um. Es kam Bewegung in das schleimige Heer und die Reihen teilten sich. Die Gasse, die sie bildeten war nicht für mich bestimmt, denn die Gestalt mit der blauen Robe aus der Halle kam mir entgegen. Sie blieb vor mir stehen und hob die dürren Hände. Ich würgte als die Kapuze zurückgeschlagen wurde und das kalte Mondlicht auf das widerwärtige Antlitz fiel. Es beleuchtete den bleichen, kahlen Schädel mit dem viel zu breiten Mund und in den feucht glänzenden Glubschaugen spiegelte sich der Nachthimmel. Die schmalen Lippen teilten sich und entblößten einen Zahnlosen Mund, einer großen Wunde gleich, das Gesicht zerteilte. Diese Verspottung menschlichen Lebens kam auf mich zu und hob eine Hand. Ich wollte rennen, flüchten, aber meine Füße bewegten sich nicht mehr, denn ich hatte die Kontrolle über meinen Körper verloren. Er kam näher und als sich ein kalter, schleimiger, dürrer Finger meinem Gesicht näherte fiel ich in Ohnmacht.

Als ich die Augen öffnete saß ich wieder im Zug. Verwirrt sah ich mich um. Hatte ich nur schlecht geträumt? Alles schien so zu sein wie vorher. Hinter mir saß ein Jugendlicher, der seinen Kopf zum Rhythmus der Musik, die aus seinen Kopfhörern drang, wackelte. Weiter vorne saß eine schlafende Frau und am Ende des Wagons war auch der Trunkenbold, der mich beim Einsteigen erst anrempelte und dann anpöbelte, zusammengesunken und wurde langsam wieder nüchtern. Ich warf einen Blick auf die Anzeige um ganz sicher zu sein.
Das Datum war gleich geblieben aber ich würde in wenigen Minuten meine Station
erreichen. Als der Zug hielt, sprang ich auf, schubste den Schaffner beiseite, ignorierte sein empörtes Rufen und rannte los. Ich warf noch einen letzten Blick zurück. Mir fiel erst jetzt auf, dass die Augen des Schaffners etwas weiter als normal auseinander standen und sehr weit hervortraten, fast könnte man meinen, er hätte Glubschaugen. Ich wusste nicht, was der Blick, den er mir zuwarf bedeuten sollte, aber er war Ansporn genug noch schneller zu laufen. Verschwitzt und völlig außer Atem erreichte ich meine Wohnung, wo ich mit letzter Kraft die Tür ins Schloss warf, sie verriegelte und den Küchentisch davor zerrte. Anschließend verbarrikadierte ich mich in meinem Schlafzimmer, wo ich, in einer Ecke zusammengekauert, auf den Morgen wartete.

Inzwischen sind vier Wochen seit jenen Ereignissen vergangen und ich habe noch niemandem etwas davon erzählt. Nachts liege ich, aus Angst vor bösen Träumen, wach in meinem Bett, und verschlafe dafür den Großteil des Tages, aber es ist nutzlos. In meinen Träumen begegne ich wieder und wieder dem Hohepriester, der mir Nacht für Nacht Geheimnisse offenbart, die den menschlichen Verstand aus den Angeln heben und zerschmettern. Ich kenne das Geheimnis des unterirdischen Tempels und ich weiß auch warum Rungholt, jene verfluchte Stadt die im Mittelalter vom Meer verschlungen wurde, wirklich unterging. Jeden Abend, wenn die Sonne untergeht, verschließe ich Fenster und Türen, ehe ich mit einem Küchenmesser bewaffnet auf dem Sofa hocke, und warte, dass die Sonne wieder aufgeht.
Vor ein paar Tagen sah ich eine Kröte über die Straße hüpfen. Ich habe sie überfahren. Ich weiß immer noch nicht, ob das Erlebte wahr ist oder nicht, aber ich weiß, dass sie mich holen werden, denn letzte Nacht hörte ich ihren Gesang unter meinem Fenster. Den Gesang der Kröten.
 
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vonNorden

Nordlicht
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AW: Gesang der Kröten

Mal wieder eine typische ``Mr.B`` Geschichte und Sie gefällt mir wieder sehr gut. Gerade dieses Psycho Ende mag ich.
Ich bin schon sehr gespannt auf neue Hörspiel Projekte von Dir und auf die Vertonungen hier.

Viele Grüße
 

Chaos

Schneewittchen
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AW: Gesang der Kröten

oh, das ist ja jetzt tatsächlich ein Schwank aus deinem Leben, witzig, ich erinnere mich an gewisse Passagen ^^
Sehr coole Idee :)
Es sind noch einige Fehler drin und ein paar Formulierungen gefallen mir noch nicht so, wenn ich mehr Zeit hab, können wir das ja mal gemeinsam überarbeiten - hat ja bisher auch immer ganz gut geklappt :D
 

psart

Autor/Sprecher/Cutter
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AW: Gesang der Kröten

Hallo Georg,

gefällt mir sehr gut und wie ich Dir schon geschrieben habe, würde es selbst mir Spaß bereiten (bezogen auf das Genre)dieses zu vertonen.
Und während Du Dich heute am Strand lümmelst, habe ich das Regenwetter genutzt und Dir diverse Anmerkungen in die Box gelegt. :D
 

Mr B.

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AW: Gesang der Kröten

@Alex: Danke wie versprochen werde ich auch nie wieder lachen wenn dir so was passiert und wir können uns ja mal zusammensetzen, wenn du Luft hast.

@Peter: Der Tag am Strand war verdient :D Die Anmerkungen und Fragen wurden geklärt und eingebaut, viel Spaß weiterhin
 
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Mr B.

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AW: Gesang der Kröten

Moinsen,

ich habe die Geschichte noch mal überarbeitet und den Ausgangspost editiert. Viel Spaß beim Lesen
 

gluehfrosch

Mitglied
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Hej,
Danke für diese spannende Geschichte! Habe mir direkt den Anfang für meine Sprechprobe "gemopst", hoffe das war in Ordnung!

LG!

P.S.
Ich sehe grade, dass ich da anscheinend ein kleines Relikt (letzter Edit 08/2014) ausgegraben habe. Old but gold ;)
 
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