AlexS

Mitglied
Nachdem mir "Die zweite Schlacht um Breturan" von Frank Hammerschmidt ausgesprochen gut gefallen hat und ich das Thema PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) bedrückend interessant finde, kam mir die Idee, dieses Thema auf verschiedene Arten und Weisen anzugehen.

"Die zweite Schlacht um ..." ist so in Absprache mit Frank zu einer Art "Sammeltitel" geworden, unter dem sich Geschichten vereinen, die eines gemeinsam haben, eine ganz bestimmte Art Hauptfigur...

"Die zweite Schlacht um Rotten Creek" ist nun die erste Geschichte dieser Art, die im Westen der USA, irgendwann zwischen 1875 und 1885 handelt.

Wer möchte, sollte sie ruhig einlesen und vielleicht findet sich jemand, der ein paar "Westerngeräusche" auf Lager hat...

Danke, Frank!


Die zweite Schlacht um Rotten Creek
von Alex Streb


Ein Siedlertreck rumpelte Staubfahnen aufwirbelnd nach Westen. Ein gutes Dutzend Wagen und ebenso viele Reiter bahnten sich ihren Weg durch hüfthohe Dornenbüsche. Hinzu kamen dreißig magere Rinder und halb so viele Maultiere, die müde und durstig hinter den Wagen her trotteten.
Erbarmungslos brannte die Sonne aus einem wolkenlosen, blauen Himmel auf sie herab. Stunde um Stunde schoben sie sich ihrem Ziel im Norden Kaliforniens entgegen.
Zwei Tagesstrecken lag die letzte Wasserstelle hinter ihnen und ihr Scout hatte die nächste drei Tagesstrecken voraus ausgekundschaftet. Und trotz der Hitze und des allgegenwärtigen Staubs waren sie alle guter Dinge.
-
Bald erreichten sie ein trockenes Flussbett und wagten es, ihren Weg in ihm fortzusetzen. Die Dornenbüsche standen hier ohnehin dichter als zuvor und wurden immer höher. Die Wahl fiel also nicht schwer und so kamen sie nun deutlich schneller voran, nachdem sie die Wagen an einem flachen Uferabschnitt hinein gebracht hatten und würden bis zum Abend einige Meilen gut machen können.
Ein schriller Pfiff ertönte nach einiger Zeit und die Wagen wurden langsamer, bis sie schließlich stehen blieben. Es war Zeit zu rasten. Die Reiter füllten an den Wagen ihre Flaschen und schlugen die staubigen Halstücher aus.
Drei der Frauen kochten einige Kannen Kaffee, Trockenfleisch und krümeliges Brot wurden verteilt. Die Jungen und Mädchen schwärmten flink aus, um den Pferden, Maultieren und Rindern Futtersäcke mit einer Handvoll Hafer vor die Mäuler zu binden. Den Kindern schien die Hitze wenig auszumachen, da sie meist in den Planwagen saßen und nur darauf warteten, endlich hinaus zu dürfen. Die Reiter und Kutscher hingegen saßen schweigend im Schatten der Planwagen und streckten ihre verschwitzten, schmutzigen und vor allem schmerzenden Körper.
-
Gestärkt und zumindest ein wenig erholt war es für sie keine halbe Stunde später wieder an der Zeit aufzubrechen. Die Kinder hatten die Futtersäcke wieder eingesammelt, Tassen und Kaffeekannen waren wieder verstaut. Nach nur wenigen Minuten saßen sie alle wieder auf ihren Plätzen und die Wagen rumpelten weiter.
Plötzlich hallten kurz nacheinander zwei Schüsse durch das Flussbett. Ein Reiter fiel getroffen aus dem Sattel und blieb regungslos liegen.
Pfiffe und Rufe trieben die Gespanne an, um schnell aus dem Gefahrenbereich zu entkommen. Ein Teil der Reiter blieb bei den Wagen, während die anderen ihre Colts zogen und versuchten herauszufinden, mit wie vielen Angreifern sie es zu tun hatten.
Waren es Banditen? Oder Indianer? Und warum waren bisher nur zwei Schüsse gefallen?
-
Die Wagen rumpelten weiter, Frauen und Kinder verkrochen sich tief in ihrem Inneren. Und als die Reiter von ihren Pferden sprangen, stoben mehlige Staubwolken von ihren Hosen und Jacken. Farben gab es schon seit Tagen nicht mehr, nur noch grauen Staub.
Den toten Reiter zogen sie in den Schutz der ehemaligen Uferböschung. Irgendwo oberhalb der Stelle, an der sie nun kauerten, mussten sich der oder die Schützen befinden. So viel war ihnen klar.
Sie waren zu sechst und fassten einen Plan, um den oder die Mörder zu stellen. Zweimal zwei von ihnen rannten durch das Flussbett, um die Pferde fort zu bringen und gleichzeitig für ein wenig Ablenkung zu sorgen.
Die beiden anderen würden über die Böschung klettern und versuchen, den oder die Schützen zu stellen. Bei zwei abgegebenen Schüssen hofften sie, dass es sich nicht um mehr als zwei Mann handelte.
-
Vorsichtig krochen sie durch das dornige Gestrüpp. Sie suchten nach Spuren im sandigen Boden und wurden rasch fündig. Es war ein Mann, der auf sie geschossen hatte!
Die Spuren waren eindeutig. Er hatte hier gewartet und sich nach den Schüssen zurückgezogen. Vorsichtig folgten sie seinen Spuren, kriechend und stets darauf bedacht, leiser zu sein als ihre Begleiter, die im Flussbett für Ablenkung sorgten.
„Keine Bewegung und weg mit den Waffen!“ ertönte es plötzlich von schräg hinter ihnen.
Es war die Stimme eines älteren Mannes.
„Ich verfolge euch seit einer Woche!“ sagte er mürrisch und bedeutete ihnen unmissverständlich mit dem Lauf seines Gewehrs, wohin sie sich zu bewegen hatten. Fort vom Flussbett, tiefer hinein in das Dickicht.
„Ich dachte, ich sei hier sicher vor euch! Hat denn etwa die Konföderation gesiegt und ihr seid schon bis hierher vorgedrungen?“
Er verstand es nicht sofort, als sie ihm erklärten, dass die Union den Krieg gewonnen hatte. Es gab keine Konföderation mehr. Schon seit mehr als zehn Jahren...
-
„Der Krieg ist vorüber?“ fragte er schließlich mit brüchiger Stimme und sank in sich zusammen, doch sein Gewehr hatte er noch immer auf die beiden Männer gerichtet.
Vorsichtig klopften sie sich den Staub von ihren Jacken und Hosen. Beige und Grau wichen Blau und Rot, Schwarz und Grün. Und vor allem gab es keine Abzeichen, keinen Uniformschnitt.
„Aber...“
Und längst vergessen geglaubte Erinnerungen brandeten über seinen Verstand. Rotten Creek, ein von unzähligen Mücken verseuchter Morast am Ufer eines unbedeutenden Zuflusses des Mississippi. Dorthin hatte man ihn geschickt und schnell waren überall um ihn herum die grauen Uniformen der Konföderierten zu sehen gewesen. Er schaffte es, sich vor ihnen zu verbergen, doch er verzweifelte, als alle anderen, die mit ihm zum Rotten Creek gekommen waren, starben.
In diesen Augenblicken endete der Krieg für ihn. Und er war geflohen. Vor seinen Feinden, vor seinen Freunden, vor allen! Immer weiter war er geritten, nach Nordwesten! Fort vom Krieg und weg von den Menschen. In der Wüste im Grenzgebiet zwischen Nevada und Kalifornien hatte er schließlich eine neue Heimat gefunden!
Schließlich waren sie aufgetaucht! Graue Reiter! Südstaatenkavallerie und Versorgungswagen! Und der Krieg brach für ihn wieder aus. Er war wieder in Rotten Creek und dieses Mal würde er nicht fliehen!
-
Gefangen in seinen wirren Gedanken, geboren aus Angst, folgte er ihnen. Denn er musste sie beobachten, damit sie ihn nicht überraschen konnten. Doch es waren zu viele, um sie angreifen zu können. Er hatte einfach nicht mehr genügend Munition für sie alle! Also musste er einen anderen Weg finden und nachts, während sie lagerten, suchte er diesen Weg. So war er ihnen voraus marschiert und legte sich auf die Lauer, erwartete sie. Denn er wusste, welchen Weg sie nehmen würden.
Und dann war es endlich soweit! Er sah sie kommen und sie rasteten dort, wo er es erwartet hatte. Seine Sehkraft hatte ihn während der letzten Jahre mehr und mehr verlassen. Sie reichte für einen Treffer, doch dann bewegten sie sich zu schnell für ihn. Er zog sich zurück und überraschte wenig später zwei von ihnen.
Und sie nahmen ihm seine größte Angst. Keine Konföderierten mehr. Nie mehr Rotten Creek!
Eine einzige Träne rann ihm über die von Wind und Wetter gegerbte Wange.
„Geht!“ sagte er nur und ließ das Gewehr sinken.
Die beiden Männer gingen einige Schritte rückwärts, um ihn im Auge zu behalten. Doch schon nach wenigen Augenblicken hatten sie zwischen sich und ihn einige Sträucher gebracht. Dann rannten sie los und erreichten kurz darauf wieder das Flussbett. Die anderen warteten auf sie und es reichten wenige Gesten, um ihnen klar zu machen, dass es nun besser war, schnell weiter zu reiten.
Die Planwagen und Reiter setzten ihren Weg unbeirrt fort. Es dauerte nicht lange, bis sie einen Schuss hörten. Und zwei der Reiter wussten, dass der Sezessionskrieg endlich sein Ende gefunden hatte...

Ende
 
Oben