A. Weltenbruch

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Ich arbeite in der Sicherheitsbranche, Wachdienst, Nachtschicht. Ihr wisst schon, wie in den Filmen, die mit den Taschenlampen, die durch die langen Flure von Archiven schlurfen. Nur arbeite ich nicht in einem Archiv, sondern in einem Museum, Kunst um genau zu sein. Ich hatte mir in meinem Leben mich nie wirklich um Kunst geschert, ich fand es nur nicht richtig, dass jemand für ein paar Pinselstriche so viel Geld bekommt. Richtig ärgerten mich die Bilder der abstrakten Malerei, Arbeiten die jeder in wenigen Minuten selbst hätte machen können. Doch wie es das Schicksal so wollte, verschlug mich die Arbeit hierher, da die Firma einen neuen Mann im Kunstmuseum der Stadt brauchte. So kam ich mit der Kunst zwangsläufig in Kontakt.
Manchmal wollte ich die Bilder von den Wänden reißen, aus ihren Vitrinen ziehen und verbrennen, zerstückeln, einfach auf den Müll werfen, da wo sie hingehören. Doch irgendwann kam ich zurecht, akzeptierte Kunst als was sie war. Ich wusste nun, was an Picasso besonders war, was Max Ernst in seinen Bildern versteckte und ich konnte mittlerweile viel mehr über verschiedene Künstler sagen, bekam eine Art Grundgefühl für die Kunst.
Meine neue Arbeit machte mir also mehr und mehr Freude. Ich bekam mit, dass bald wieder eine Sonderausstellung stattfinden würde. Uns wurden ein paar Exponate zugeschickt aus einer privaten Sammlung. In den Zeitungen wurde viel berichtet, da viele Kunstsammler sich die Ausstellung ansehen wollten, da hier ausnahmsweise einige Werke auch verkauft wurden. Es handelte sich um das Werk eines einzigen Künstlers, der, soweit ich mich erinnern kann, gehängt wurde, da er angeblich Kinder getötet hatte.
Bewiesen war nichts und man ging in der Fachwelt, soweit ich das mitbekam, mittlerweile davon aus, dass es falsche Anschuldigungen waren. Sonst war über den Künstler wenig bekannt, im Internet fand man nur wenige Bilder, die sich allesamt als Fälschung herausstellten.
Irgendwie freute ich mich, da ich die Exponate fast als Erstes zu Gesicht bekommen würde, alle anderen müssten warten, ausgenommen natürlich dem Sammler, dem Besitzer des Museums. Das machte mich glücklich als einer der ersten diese ganz besondere Sammlung zu sehen. Ich muss zugeben, ich fühlte mich dadurch selbst so ein wenig besonders.
Der Tag kam endlich und die Bilder wurden nacheinander aufgehängt, verhüllt allerdings, niemand sollte sie bis zum nächsten Tag sehen, selbst der Besitzer des Museum wollte laut einem Kollegen, mit dem ich Schichtwechsel hatte, das Bild vor dem nächsten Tag nicht ansehen.
Der Sammler, der dem Museum die Exponate gegeben hatte, soll ein kleiner Mann gewesen sein, der immer zu zittern schien, außerdem fehlte ihm seine linke Hand. Mein Kollege, sagte, dass er hörte, wie der Sammler von einem Autounfall erzählte, bei dem der untere Teil seines Armes zerfetzt wurde.
Ich begann sehr früh damit meine Runde zu drehen. Normalerweise wartete ich noch, trank noch einen Kaffee, rauchte ein paar Zigaretten, doch diesmal ging ich sofort los. Ich hatte davor die Kameras und den Alarm neugestartet, wie ich es jeden Abend musste. Ich hätte rund dreißig Minuten Zeit mir alles anzusehen, bevor sich das System wieder einschaltete.
Diesen Moment wollte ich für mich, ich wollte etwas vor allen anderen gesehen haben, wollte vielleicht schon vor der Eröffnung meinen Freunden davon erzählen, einfach nur um auch einmal dieses Gefühl zu haben. Besonders zu sein.
Ich ging zuerst zu den kleineren Nebenbildern, ich wusste, dass die besonderen Stücke in der großen Halle gezeigt werden würden. Diese wollte ich mir aufsparen.
Vorsichtig lugte ich unter dem ersten Vorhang auf das Bild. Ich ließ den Lichtstrahl meiner Taschenlampe über das Bild streichen und konnte im Kegel des Scheins Teile des Bildes erkennen.
Ich zuckte zusammen; es war eine detailgetreue Darstellung eines abgetrennten Fingers. Es war so real, dass ich meine Finger ausstrecken wollte, um die Leinwand anzufassen, einfach nur, um zu
sehen, ob der Finger wirklich real war.
Kurz bevor meine Finger das schützende Glas berührten zog ich sie zurück. Ich wollte keine Flecken hinterlassen. Es war gleichzeitig abscheulich und faszinierend. Ich ging zum nächsten Bild herüber und zum übernächsten. Gliedmaßen, teilweise halbe Körper von Menschen, sogar zwei Bilder von fast kompletten Tieren.
Eine verstörende Faszination durchzog meinen Körper und je mehr Bilder ich mir ansah, desto mehr legte sich ein schwaches, aber wohliges Kribbeln auf die Haut und hatte das Gefühl irgendwo ein leises Geräusch zu hören. Ich schob es auf meine Begeisterung und ich wollte immer mehr Bilder sehen. Nach vielen weiteren Bildern, kam ich zum Kern der Sammlung.
Der Stoff mit dem die Bilder bedeckt waren, war sehr viel teurer, als der sonstige Stoff. Ich überlegte schon, mir den Kern der Sammlung nicht anzusehen, es kam mir aus irgendeinem Grunde falsch vor.
Vor mir bauten sich drei Gemälde auf, zwei kleinere und in der Mitte ein sehr großes. Gegenüber den drei Gemälden befand sich ein weiteres Bild, welches allerdings nicht verhangen war. Ich leuchtete es mit der Taschenlampe an und war schon gespannt, was ich sehen würde. Leicht erschrak ich, nicht weil das Bild besonders verstörend war, sondern weil überhaupt nichts zu sehen war.
Ich war aus irgendeinem Grund vollkommen baff, ich hatte so viel filigrane Arbeit erlebt und nun stand ich vor dem nichts. Wieder ein leises Geräusch. Seltsam.
Ich wollte nicht riskieren, dass eines der Bilder herunterfallen könnte. Ich wendete meine Augen und meinen Kopf von der Leinwand ab und ging zurück um eine Leiter zu suchen, denn ich würde sie brauchen, um die Bilder korrekt abhängen zu können.
Ich stellte die Leiter auf und hängte langsam die drei großen Stofftücher ab. Es war zu dunkel, um etwas Konkretes auf den Bildern zu erkennen und ich wollte erst meine Taschenlampe einschalten, wenn ich alle drei Gemälde direkt vor mir hätte.
Ich traute mich kaum den Lichtkegel auf über die Farbe wandern zu lassen. Was würde es wohl sein? Eine weitere fotorealistische Abbildung eines Körperteils?
Ich zuckte zusammen, wieder ein Geräusch. Es war als hätte jemand zu mir gesprochen, weit entfernt und viel zu leise, um es zu verstehen. Je näher ich zu den Kunstwerken kam, desto stärker wurde das Flüstern.
Es war die Stimme oder nein die Stimmen mehrerer Mädchen, die fast gleich klangen. „Es ist die Kunst. Die Kunst in der alles endet.“. Ich ließ den Lichtkegel auf die Werke laufen und sah drei Mädchen mit völlig missgestalteten Gesichtern. Einer fehlte ein Arm, mehreren andere Körperteile.
„Auch du kannst Teil von uns sein… Komm näher“, drang es direkt aus meinem Kopf an mein Gehör.
Ich stolperte zurück und fiel gegen die leere Leinwand, besser gesagt in die Leinwand. Mein Arm hatte die Leinwand durchtrennt... doch die Leinwand war ganz; ich dachte es wäre eine optische Täuschung, traute mich aber nicht meinen Kopf ebenfalls hineinzustecken.
Es war wohlig warm und die Stimmen, die abwechselnd: „So ist es gut“ oder einfach nur „Ein Teil von uns“ flüsterten, waren nun angenehm. Von meinem rechten Arm aus, zog sich das warme und zufriedenstellende Gefühl durch meinen ganzen Körper, bis es schließlich nach kurzer Zeit jeden Winkel meines Körpers erreicht hatte. Ich weiß nicht wie lange ich mit meinem Arm in der Leinwand verharrte, aber ich glaube es müssten mindestens 10 Minuten gewesen sein, begleitet von den Worten der Mädchen.
Irgendwann stand ich jedoch auf, ich wollte nicht, musste aber. Ich verhing die Bilder und setzte alles wieder in Betrieb. Mein rechter Arm fühlte sich etwas taub an, aber ich glaubte, das läge an der unnatürlichen Position in der ich so lange gewesen war. Ich vermisste das warme Gefühl und wollte morgen direkt wieder zurückkehren.
Ich konnte erst spät einschlafen, das Gefühl ließ mich nicht los, ich wollte es wiederholen, wieder spüren. Irgendwann glitt ich glücklicherweise doch endlich in das Land der Träume.
Wilde Fantasien, Gedankensprünge und eine pulsierende Wärme durchdrang meine Träume, die immer unangenehmer wurde, sodass ich ganz froh war, als ich endlich wieder aufwachte. Als ich meine Augen öffnete, erstarrte ich. Die Angst hatte plötzlich von mir Besitz ergriffen, als ich sah, dass mein rechter Arm verschwunden war.
Nur ein Stumpf war übrig geblieben, wie nach einem operativen Eingriff. Mein Herz pochte laut und schmerzhaft. Ich konnte mir nicht erklären was geschehen war, aber ich wusste tief im Innern, dass es an dem Bild gelegen haben musste. Ich meldete mich für den Abend krank, starrte die ganze Zeit nur noch auf meinen Namen. Alles andere erübrigte sich, ich war zu nichts mehr fähig, sah nur noch meinen Arm. Irgendwann schlief ich ein, wie kann ich mir immer noch nicht erklären.

Wenige Tage später holte ich die alten Zeitungen aus dem Briefkasten und las einen Artikel über die Ausstellung; ein Bild meines Armes wurde gezeigt und es wurde als unglaublicher Glücksfund betitelt, eine Meisterleistung der Kunst. Gegen dieses besondere Bild würde der Rest der Sammlung alt aussehen, es wäre so real und wirkte wie viele schreiben geradezu „frisch“.
Ich lachte verzweifelt. Ich kündigte bald und zog mich zurück. Der Schock verschwand nicht. Nie wieder könnte ich an diesen Ort zurückkehren. Ein paar Wochen las ich von dem Umzug der Ausstellung, außerdem sei, so stand es zumindest im Artikel, ein weiteres Bild aufgetaucht, diesmal ein Bein, welches in der Frische sogar noch den hochgelobten Arm übertreffen sollte.
 

MonacoSteve

Dipl.-Lachfalter - und nicht ganz Dichter
Teammitglied
Interessante Idee für eine Story - körperverschlingende Bilder. Danke für's Teilen. Im Übrigen...:
....ich fand es nur nicht richtig, dass jemand für ein paar Pinselstriche so viel Geld bekommt. Richtig ärgerten mich die Bilder der abstrakten Malerei, Arbeiten die jeder in wenigen Minuten selbst hätte machen können...
Das hier unterschreibe ich auch im realen Dasein ohne Zögern :) .
 
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