Matze

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„Ein Schriftsteller, nach meinem Geschmack, muß ein Fremder sein“, hat der alte George Tabori vor seinem Tod gesagt. In diesem Sinn funkeln die Helden in Francisca Ricinski Buch »Zug ohne Räder« wie Splitter eines Spiegels vom schreibenden Ich. Ihre Figuren sind Erzählende, die in ihren Wirklichkeitsbezügen fremdeln, gerade so, als müssten sie sich auf nichts einlassen, als seien sie sich selbst schon Sprache genug, Anrufung eines Daseins, das nirgends ankommen will. „Dichter sind Heimatlose und suchen ein Leben lang nach Wohnung und Nest, in dem sie sich, stundenweise wenigstens, zuhause fühlen dürfen, und auch ich frage mich, ob Ulysses je sein Ithaka verließ oder alles nur Einbildung war. Denn die echten Landschaften sind diejenigen, die wir selber erschaffen.“, schrieb der Kollege Theo Breuer im Nachwort. Und schon ist man mitten drin in den Wahlverwandschaften. Das lyrische und das reflektierende Ich sind bei Francisca Ricinski eins. Sie haben sich gemeinsam aus dem Korsett der Konvention gelöst. Anders als diese möchte, widersprechen sie einander nicht. Sie bestärken einander. Wo Heidegger noch fragen konnte, warum denn überhaupt etwas sei und nicht vielmehr Nichts, lernt die Gegenwart dieses Nichts noch einmal ganz anders zu buchstabieren, indem sie sich mit der Frage konfrontiert sieht: Wieso sollte da nichts (oder, was es nicht besser macht: fast nichts) mehr sein, wo eben gerade noch etwas war?

Wozu sollte die Literatur gut sein? Einzig vielleicht dazu, daß wir uns erinnern und daß wir begreifen lernen, daß es sonderbare, von keiner Kausallogik zu ergründende Zusammenhänge gibt. Es sind die Details, an die man sich zuerst erinnert. Das ist ein Zeichen dafür, daß es geglückt ist, beim Lesen jene willfull dispension of disbelief herzustellen. Ein Roman, hat Georg Lukács behauptet, ist "die Epopöe der gottverlassenen Welt ". In der Sprache müssen die Widerstände, Unsicherheiten und Vorläufigkeiten sichtbar bleiben – und das unterscheidet sie von der mathematischen oder chemischen Formel, in der es genau diese Attribute nicht gibt. Wie die Sprache eines von Illusionen abrückenden wissenschaftlichen Denkens aussieht, kann man überprüfen: in der Prosa Charles Darwins, der keinem Problem, das sich seiner Theorie stellt, ausweicht, sondern es behutsam formuliert und jeder übereilten Kompromisslösung widersteht. Oder eben bei Freud, der sich durch die fragmentarische Empirie seiner Patienten immer wieder in seiner wissenschaftlichen Einbildungskraft bremsen lässt.

Töricht, sagt Hebbel, wer vom Dichter Versöhnung der Dissonanzen verlangt. »Aber allerdings kann man fordern, daß er die Dissonanzen selbst gebe.« Sprachdichte hat noch eine andere Dimension, eine tiefer gehende Eindrücklichkeit, kann durch scheinbar unlogisches Ineinanderschieben von Erlebnis–, Gedanken– und Klage–Ebenen das Lot tiefer senken. Da erreicht es uns, „magisches Spiel in einem magischen Raum“ – uns, die wir trotz aller Warnungen des Romanciers eben doch annehmen, Literatur sei wichtiger als eine Aktie. Francisca Ricinskis Blütenpapierprosa kennt wohl die Frage, aber nicht die Antwort, es sei denn Hölderlins „Was bleibet aber, stiften die Dichter“. Manches mag dann weniger werden und vieles uns abhandenkommen, die Dichtung aber bewahrt es, indem das Verlorene zur Kunst wird. Verklärung ist nicht die Sache von Francisca Ricinski, jedoch die Entdeckung von Schönheit noch in den winzigsten Gegenständen und Gesten.

»Zug ohne Räder / Trenul fara roti«, lyrische Prosa, rumänisch und deutsch von Francisca Ricinski
Editura Fundatiei Culturale Poezia
Iasi/Rumänien 2008
ISBN 978-973-881139-5-3
 
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