- #1
Themenstarter/in
ANDERS SCHREIBEN
Teil 4
Keine Angst vor der Liebe
Keine Angst vor der Liebe
Ein Liebesroman ist meist ganz einfach gestrickt. Zwei Menschen verlieben sich ineinander, und auf Wolke 7 kommt das Happy End. Aber ist das Liebe? Es ist Verliebtsein mit allem, was dazugehört. Schmetterlinge im Bauch, Herzschmerz, Durcheinander, ein bisschen kitschige Romantik und Co.
Aber was ist Liebe denn eigentlich noch? Liebe ist immer eine wunderbare Motivation und oft Grundlage für Geschichten und Charaktere. Es kann die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind sein. Nehmen wir Harry Potter als Beispiel.
Da gibt es die bedingungslose Liebe von Lilly Potter, die Voldemorts Todesfluch umwandet und so Harry vor dem Tod schützt. Das ist der Grundgedanke, der die Geschichte trägt.
Dann gibt es noch eine Mutter, die ihr Kind vor dem Tod beschützt. Das ist Molly Weasley, die ihre Tochter Ginny vor Bellatrix Lestrange beschützt mit dem Ausruf: „Nicht meine Tochter, du Schlampe!“
Ja, auch das ist Liebe.
Liebe kann manchmal eine Art Anspruch sein. Meine Frau. Meine Familie. Meine Kinder. Mein Geliebter. Meine Heimat. Das hat immer etwas Archaisches, etwas Altes, Bekanntes, tief verwurzelt und irgendwie verständlich, eine Gratwanderung zwischen Zuflucht / Sicherheit und Unterdrückung / Freiheitsberaubung.
Liebe als Grundthema findet man auch beim Helden, dessen Familie ausgelöscht wurde, der in tiefe Depressionen stürzt, nur erhellt durch kurze Rückblicke und Erinnerungen an Kinderlachen, ein liebevolles Streicheln, ein besonderer Blick, den nur dieser eine so intime Mensch deuten konnte. Aus der Trauer wird Verbitterung, und meist mit Unterstützung eines Mentors wird dieser normale trauernde Mensch dann zum Kämpfer, wutentbrannt, rachsüchtig und hasserfüllt. Aber die Grundlage war Liebe.
Oder die fehlende Liebe, die verkorkste Kindheit als Erklärung für den brutalen Täter, den einsamen Wolf, die Naive oder Verbitterte, die strenge Herrscherin.
Die unerwiderte Liebe funktioniert hervorragend mit einem Rivalen, einer Nebenbuhlerin. Einer zieht eben immer den Kürzeren, hier mit einem Stich durchs Herz.
Dann ist da auch die alte Liebe, das alte Paar, das sich anmotzt, aber dann abends händchenhaltend auf dem Sofa sitzt und Tatort guckt. Wie immer seit 50 Jahren.
Oder die Liebe über den Tod hinaus. Der greise Mann, der mit kurzen Trippelschritten seinen Rollator über die Kieswege des Friedhofs schiebt, um am Grab seiner Frau einen Blumenstrauß in eine Vase zu stellen, weil er gerade auf dem Markt einkaufen war, und er immer seiner Frau vom Markt Blumen mitgebracht hat.
Liebe ist die Grundlage vieler Geschichten, nicht nur von Liebesromanen. Denn da geht es meist nur um das Verlieben. Aber auch das kann ein spannender Nebeneffekt in einer Geschichte sein. Wenn sich zwei Menschen ineinander verlieben, passieren die doofsten Dinge. Das kann man super nutzen, um in seiner Geschichte bescheuerte Wendungen oder seltsames Verhalten der Protagonisten zu rechtfertigen, für Plot-Twists und anderes Chaos. Übernehmen die Hormone die Herrschaft über den Grips, kann es unweigerlich zu den drolligsten Situationen führen.
Auch wenn es die Hauptprotagonisten sind, die sich verlieben sollen, muss es nicht die Story kaputtmachen. Autoren sollten beim Schreiben keine Angst davor haben, dass eine kleine beginnende Liebe einen Sci-Fi-Kracher sprengen könnte oder ein Krimidrama zu soft macht. Die Liebe kann als Nebenhandlung in kleinen Sequenzen eingestreut die Story bereichern, sie hier und da verkomplizieren, weil der Hauptcharakter zB keine Zeit und Muße hat sich zu verlieben oder so beschäftigt ist, dass er entsprechende Avancen nicht mitkriegt und erst am Schluss mit einem Betonpfeiler auf den Kopf die Liebe eingeprügelt bekommt. Das hat Potential für viel Humor.
Sola dosis facit venenum. Die Dosis macht das Gift. Liebe in homöopathischen Häppchen kann eine Story aufwerten, sie emotional tiefer machen, denn wenn man liebt, kann man viel verlieren und ein solcher Verlust würde schwerer wiegen.
Also keine Angst vor der Sache mit Herz und Schmerz. Oder doch?
Denn wie kriegt man das in ein Hörspiel verpackt? In einem Roman ist es kein Problem darüber zu schreiben. Den schreibt ein Autor im dunklen Kämmerlein und ein Leser liest es im dunklen Kämmerlein. Da kann sich jeder seinen Kram zwischen den Zeilen denken, sich mit verlieben und emotional mitschwingen, weil sich Leser gern mit den Hauptprotagonisten identifizieren. Das klappt beim Lesen gut.
Aber in einem Hörspiel? Da bilden die Gedanken aus den gelesenen Worten keine eigenen Emotionen, da ist man als Hörer Voyeur anderer, die diese Emotionen spielen. Ist das das Problem, was manche Autoren von der Liebe abhält? Man mag es nicht den Sprechern geben, es könnte peinlich sein? Man muss ja den Hörer als Voyeur bedienen? Aber wie soll man es schreiben, den Sprechern in den Mund legen, ohne dass es kitschig wird, ohne dass es zu erotisch wird, weil ein Kuss auf dem Papier eben nur ein Wort ist, der Kuss im Hörspiel aber ein „Schmatz“ ist, ein Geräusch, das komisch klingt? Welchen Sound wählt man, um eine Umarmung akustisch darzustellen? Sollen die Sprecher Geräusche machen? Wohliges Stöhnen? Nee, eher nicht, das hat gleich etwas Erotisches. Lieber nur ein kleines Seufzen. Soll man Musik einspielen? Geigen? Nein, bloß nicht, das ist zu kitschig. Oder? Gibt man solche Parts dem Erzähler (wenn man einen hat), der dann einen Text hörbuchmäßig vorlesen soll, der vielleicht auch peinlich ist? Von wegen: „… engumschlungen, die Lippen aufeinandergepresst konnten sie die Hände nicht voneinander lassen…“
Vielleicht verpackt man es lieber in Textnachrichten, die die Verliebten sich schreiben, das lesen die dann ein.
Beisiel:
A: War schön heute Abend mit dir. Ich spüre deine Umarmung immer noch. Es hat mir so gut getan.
B: Und meine Lippen kribbeln noch von deinem Kuss.
A: Ich sollte mich das nächste Mal rasieren, bevor ich über dich herfalle.
B: Nööö, lieber nicht. Ich mag das. Liebs.
Nicht jeder ist ein Romantiker, aber jeder kann sich verlieben. Wenn es einem als Autor schwerfällt das Verlieben zu beschreiben, dann sollte man dieses einfach auf die erschaffenen Protagonisten abwälzen (meist zum Amüsement der Hörerschaft).
Beispiel:
Nimm eine selbstständige, toughe Frau, die keinen Kerl braucht und einen nerdigen, schüchternen Mann, dessen Kernkompetenz in anderen Bereichen als in sozialer Kommunikation liegt. Und schon hast du das perfekte unperfekte Paar, das Prinzip Gegensätze ziehen sich an.
A (genervt, aber liebenswürdig): Kannst du bitte einfach nur meine Hand und deine Klappe halten?
B (geht ein Licht auf): Ach, das meinst du. Äh, ja, kriege ich wohl hin.
Kein romantisches Geschwafel, keine Blumen, keine selbstverfassten Gedichte, kein Kuss. Puh, gerade nochmal um die kitschige Romantik drumherum gekommen.
Die Liebe trägt immer das Gesicht des Menschen, der sie erlebt. Ein Psychopath wird behaupten, er hätte die Frau, die er getötet hat, geliebt. Mehr als alles andere. Deshalb musste er sie töten. Ein Familienvater dreht durch, weil sein Kind verschwunden ist, verhält sich völlig irrational und wird zum Berserker, weil er liebt. Eine Frau, die gegen ihre Rivalin einen Mann abtreten muss, wird aus Verbitterung und Gram eine unzufriedene, verschlossene Protagonistin, die selbst als Intrigantin fungiert. Der Detektiv, der sich in die Frau verliebt, die er beschatten soll, ihren Liebhaber eliminiert, gerät selbst ins Kreuzfeuer. Der Typ, der die Welt retten soll, verknallt sich in die Gegenspielerin und rettet aus Versehen etwas ganz anderes als die Welt… usw, usw…
Die Liebe hat viele Gesichter. Und jedes dieser Gesichter ist die Motivation für einen Protagonisten, sich dementsprechend zu verhalten und damit für Irrungen, Wendungen, aber auch für logische Konsequenzen zu sorgen. Somit ist eigentlich die Liebe eine sehr häufig vorkommende Komponente in so vielen Geschichten, auch wenn man sie nicht immer bemerkt. Deshalb ist es überhaupt kein Problem über und mit Liebe zu schreiben.
Liebenswerte Grüße
Eure Tina