Dion

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Ein Radio-Hörspiel erzählt eine Kriminalgeschichte in 30 Häppchen – Zitat:

Drei Minuten. In drei Minuten muss so viel passieren, dass die Hörer sich nicht langweilen. Nach drei Minuten muss zudem alles klar sein. Zu Ende erzählt. Das ist gewissermaßen Das Omega-Prinzip des Jugendradios. Am nächsten Tag kann man das Erzählte wieder über den Haufen werfen, in Frage stellen. Hauptsache, es passiert erneut viel, es passiert schnell und es passiert final.


Eines ist klar: Länger als 53 Minuten darf ein Hörspiel nicht sein – zumindest in der ARD gilt diese Grenze. Und nun gibt es die 3 Minuten Häppchen. Gut, die Musikvideos zeigen uns: Man kann eine Geschichte auch in 3 Minuten erzählen. Aber geht das auch im Hörspiel, in dem man keine fertige Bilder liefern, sondern sie erst im Kopf des Hörers entstehen lassen muss?

Mit entsprechenden Effekten und (gezielten) Zuspitzungen in jeder Folge geht wahrscheinlich auch das, aber ist das der Preis, den man zahlen muss, um die anscheinend ungeduldig werdende Zuhörerschaft nicht zu verlieren?

Untersuchungen haben herausgefunden, dass Interviews, als Ganzes im Radio gesendet, Quotenkiller sind. Nun werden sie seit 10 und mehr Jahren in Häppchen gesendet - nach 1 1/2 Minuten Reden kommt jetzt unweigerlich Musik, aber auch die nach Möglichkeit nicht länger als 3 Minuten!

Irgendwo habe ich gelesen, dass 3 Sekunden im Internet eine magische Grenze darstellen – falls das Gewünschte nach dieser Zeit nicht angezeigt wird, wird der Surfer unruhig und versucht was anderes. Das ist schlicht verrückt. Ich meine, was sind schon 3 Sekunden gegen 3 Stunden oder 3 Tagen, die man vor der Erfindung des Internets für die Beschaffung einer Information benötigte – jetzt einmal abgesehen davon, dass man jetzt zu viel von (angeblichen) Informationen bekommt, die man erst mühsam durchforsten muss, um an die eigentliche zu gelangen.

Dem ähnelt der obige Beispiel des Häppchenhörspiels auch irgendwie: Erst nach 6 Wochen und insgesamt 1 ½ Stunden Sendezeit wird die ganze Geschichte wirklich zu Ende erzählt. :D
 

Karpatenhund

Karpatenhund
AW: Hörspiele für unsere ach so schnelllebige Zeit

Als Experiment finde ich das sehr interessant.
Ein Rezept für die Zukunft des Hörspiels wird es mit Sicherheit nicht sein.

Es wird nicht alles so heiß gegessen, wie's gekocht wird. Auch die Jugend von heute geht noch in 120-Minuten-Kinofilme ohne dabei einzuschlafen. Die Filme von heute mögen zwar schneller geschnitten sein als vor 50 Jahren - von den allerschlimmsten Auswüchsen der MTV-Schnittästhetik der 90er, die damals manche als wegweisend empfanden, sind wir aber schon wieder zu einem gemäßigteren Editing zurückgekehrt.

Persönlich halte ich längere und kürzere Aufmerksamkeitsspannen für Gewöhnungs- und Lerneffekte. Man kann lernen und verlernen, sich zu konzentrieren. Wenn natürlich alle in vorauseilendem Gehorsam ihre Beiträge in immer kleinere Häppchen verpacken, weil sie denken, dass die Aufmerksamkeitsspanne heutzutage kürzer ist, gewöhnen sich die Hörer daran und per selbsterfüllender Prophezeihung wird die Aufmerksamkeitsspanne tatsächlich auch kürzer. Bis es dann wieder die nächste Trendwende gibt.
Letztlich ist es bloß eine Mode wie vieles andere auch.

Für uns gilt: Nicht beirren lassen und weiterhin gute Hörspiele machen. Egal ob 3 oder 300 Minuten lang.
;)
 
Zuletzt bearbeitet:

joe adder

Karsten Sommer
Sprechprobe
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AW: Hörspiele für unsere ach so schnelllebige Zeit

Kinofilme oder TV-Serien kann man nicht damit vergleichen und ich weiss auch gar nicht, wieso diese Assoziation immer gezogen wird. Nichtsdestotrotz ist dies ein interessantes Thema.

Diese Ueberbrueckung einer vermeintlich kurzen Zeitspanne, um den Hoerer am Ball zu halten, ist von EUROPA in den klassischen Hoerspielen zur Perfektion gebracht worden. Man muss sich dabei nur die alten Die Drei ??? Folgen anhoeren. Wie oft wird dort in kurzer Zeit Interimsmusik eingespielt oder durch den Erzaehler "unterbrochen". Dabei spielt natuerlich auch eine grosse Rolle, dass EUROPA sehr individuelle Sprecher zur Verfuegung hatte, die auch gut gespielt haben.
 

Phollux

Robert Kerick
Sprechprobe
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AW: Hörspiele für unsere ach so schnelllebige Zeit

Unweigerlich muss ich gerade an "Noob & Nerd" von Einslive denken. Da dauert eine Folge auch nur gerade mal ca 2 Minuten. Oder die Clonewars Zeichentrickserie (nicht die computeranimierte) wurde damals auch in Mini-Episoden à 3 Minuten erzählt. Die fand ich immer sehr schön kurzweilig ;)
Aber für meinen Teil finde ich, dass ein Hörspiel so lange dauern muss, wie die Geschichte eben braucht erzählt zu werden. Da ist es mir und meinem Ipod egal ob sie 45 Minuten, 2 Minuten oder 500 Minuten braucht ;)
 

Dennis Künstner

Administrator
Teammitglied
AW: Hörspiele für unsere ach so schnelllebige Zeit

Weil es gerade so schön zum Thema passt:

Der Hörverlag hat mal eine CD rausgebracht: 99 Mini-Hörspiele auf einer CD

Menschen wollen Geschichten hören, und davon sind die Wurfsendungen bis zum Bersten voll. Und wer mit den Wurfsendungen eintaucht in die Vielzahl von 99 Mini-Hörspielen, wird so schnell nicht wieder an die Oberfläche des Alltags zurückwollen. Was es da zu hören gibt? Von handfesten Krimis über zarte Liebesgeschichten, von witzigen Parodien bis zu surrealen Szenerien - hier ist für jeden etwas dabei.

99 Mini-Hörspiele von jeweils 15 bis 55 Sekunden Länge - geht das? Ja! Bitte mehr davon, liebes Deutschlandradio Kultur!

http://www.randomhouse.de/Hoerbuch/Wurfsendung-99-Mini-Hoerspiele/e386517.rhd


Eine Rezension zu der CD:
http://www.hoerspielhoelle.de/hsps/wurfsendunghv.html
 

Dion

Autor
AW: Hörspiele für unsere ach so schnelllebige Zeit

78 Minuten geteilt durch 99 sind 47 Sekunden pro Stück, das man beim besten Willen nicht als Hörspiel bezeichnen kann. Wenn die einzelnen Stücke zusammen ein Hörspiel ergeben würden, wäre das was anderes, aber das ist hier offenbar nicht der Fall. Das ist in etwa so, als ob man ein Wort zur Kurzgeschichte oder einen Satz zum Roman erklären würde.

Ich finde diese Häppchen nicht für grundsätzlich falsch oder gar verdammungswürdig – sie können eine reizvolle Aufgabe für Macher sein und werden sicher auch ihre Hörer finden. Aber sie eignen sich ebenso sicher nicht für Produktionen, die sich einem bestimmten Thema umfassend widmen wollen, denn die scheitern oft schon an der 53-minütigen Grenze des öffentlich-rechtlichen-Rundfunks, deren Maxime ohnehin zu sein scheint: Wir senden alles, aber dieses Alles darf im Radio – zumindest bei ARD - nicht länger als 53 Minuten dauern.

Und gerade hier liegt der Vorteil des Internets, das keinerlei zeitlichen Restriktionen unterliegt: Der Hörer stellt sich sein Programm selbst zusammen.
 
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