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Themenstarter/in
Da ich keinen ähnlichen Thread gefunden habe, dachte ich, mache ich einen neuen auf, in dem man (hoffentlich) Gelegenheit dazu findet, über Bücher zu sprechen, die man derzeit liest und sie zu empfehlen oder eben auch nicht.
In diesem Sinne mache ich einfach mal den Anfang mit:
"Die schöne Frau Seidenman" von Andrzej Szczypiorski.
Ich bin nun - wie wahrscheinlich viele - von Buch zu Buch gehoppelt, das sich in irgendeiner Form mit dem 3. Reich, dem Holocaust beschäftigt und habe (womit ich sicherlich auch nicht ganz alleine sein dürfte), irgendwann abgeschaltet, da es insb. bei den frühen Werken der Trümmerliteratur immer um die Aufarbeitung von Schuld ging, die ich selbst in dieser absoluten Form nicht zu tragen imstande war, und deshalb keinen Bezug zu diesem Thema fand. Als ich Grass´ Blechtrommel zum ersten Mal las (einige Jahre bevor er mit seinem SS-Geständnis aus dem Gebüsch kam), erschien er mir unter der Oberfläche viel zu komplexbehaftet, um dieses Thema auf eine Weise aufzuarbeiten, die zumindest mir Zugang erlaubt.
Ganz anders verhält es sich mit dem oben erwähnten Buch. Szczypiorski beschreibt das Warschau des Jahres 1943 in Form von vielen Einzelschicksalen, die teils lose miteinander verwoben sind, und in vielen Fällen grausig ausgehen. Der zu Anfang bereits erwähnte "Glückspilz" unter ihnen kommt mit einem Leben ohne Liebe davon. Das, was ihm erhalten bleibt, sind einzig seine Träume.
Szczypiorski bedient sich einer unwahrscheinlich schönen, prosaischen Sprache, die einmal mehr beweist, dass Literatur zu einem guten Prozentsatz Kunst ist. Er findet sanfte Bilder für grausame Schicksale, die er als absolut allwissender Erzähler reflektiert. In dem offensichtlichen Bestreben, keinen Spannungsroman schreiben zu wollen, in dem der Leser am Ende perfiderweise "mitfiebert", wer stirbt und wer überlebt, klärt er das Schicksal der Protagonisten meist auf den ersten paar vorstellenden Seiten. Er tut dies in einer glatten, sachlichen Manier, dass es bei mir einen betrübten Eindruck hinterlassen hat. Wie ein Gott, der, die Zukunft nicht als Grenze begreifend, vorausschaut, und dem nichts bleibt, als dem unabänderlichen Schicksal zuzusehen. Diese furchtbare "Determination" erzeugte bei mir große Gefühle. Mitgefühl allem voran, aber auch die Frage nach der Rolle des Schicksals heute, in einer ungleich leichteren Zeit, in der aber weiterhin eine Minderheit die Mehrheit zur Erhaltung ihrer materiellen Fülle ausbeutet.
Szczypiorski vermittelt ein Gefühl für das Leben in Zeiten, in denen der Tod hinter jeder Ecke lauert. In der die Flucht vor der Gefahr vielleicht noch die sehr viel schlimmere, einschneidendere Erfahrung darstellt. In der Aussichtslosigkeit mancher Biographien, die er schildert, spiegelt sich die Sinnlosigkeit aller Destruktivität.
In der Schule zeigt man Kindern Fotos und Filmaufnahmen von Leichenbergen, mit denen kaum jemand etwas anzufangen vermag, die man von sich wegschiebt oder sie - als Akt des emotionalen Schutzes - als "harmloser als in Hollywood" deklariert. Zum ersten Mal habe ich bei diesem Buch das Empfinden, ein Gefühl zu bekommen für das Schicksal der Zeitgenossen dieser Jahre.
Das alles ist in ein wunderbares sprachliches Kleid gehüllt, und vermittelt - selbst demjenigen, der sich nicht für das 3. Reich interessiert - eine Ahnung von dem Warschau der 40er Jahre, von den alltäglichen Problemen. Und wer nur ein paar komplexe, interessante Charaktere kennenlernen möchte, dem sei dieses Buch ebenfalls empfohlen, denn die Charakterstudien sind genial.
Es ist lange her, dass mich ein Buch so stark auf eine Reise mitgenommen hat. Manche halten es für ein tolles Attribut, dass sich ein Buch "gut wegliest". Dieses Buch liest sich nicht weg, sondern es bleibt, pflanzt sich in das Herz und schafft neue Einsichten und insbesondere Verständnis für eine (den meisten von uns) fremde Zeit.
In diesem Sinne mache ich einfach mal den Anfang mit:
"Die schöne Frau Seidenman" von Andrzej Szczypiorski.
Ich bin nun - wie wahrscheinlich viele - von Buch zu Buch gehoppelt, das sich in irgendeiner Form mit dem 3. Reich, dem Holocaust beschäftigt und habe (womit ich sicherlich auch nicht ganz alleine sein dürfte), irgendwann abgeschaltet, da es insb. bei den frühen Werken der Trümmerliteratur immer um die Aufarbeitung von Schuld ging, die ich selbst in dieser absoluten Form nicht zu tragen imstande war, und deshalb keinen Bezug zu diesem Thema fand. Als ich Grass´ Blechtrommel zum ersten Mal las (einige Jahre bevor er mit seinem SS-Geständnis aus dem Gebüsch kam), erschien er mir unter der Oberfläche viel zu komplexbehaftet, um dieses Thema auf eine Weise aufzuarbeiten, die zumindest mir Zugang erlaubt.
Ganz anders verhält es sich mit dem oben erwähnten Buch. Szczypiorski beschreibt das Warschau des Jahres 1943 in Form von vielen Einzelschicksalen, die teils lose miteinander verwoben sind, und in vielen Fällen grausig ausgehen. Der zu Anfang bereits erwähnte "Glückspilz" unter ihnen kommt mit einem Leben ohne Liebe davon. Das, was ihm erhalten bleibt, sind einzig seine Träume.
Szczypiorski bedient sich einer unwahrscheinlich schönen, prosaischen Sprache, die einmal mehr beweist, dass Literatur zu einem guten Prozentsatz Kunst ist. Er findet sanfte Bilder für grausame Schicksale, die er als absolut allwissender Erzähler reflektiert. In dem offensichtlichen Bestreben, keinen Spannungsroman schreiben zu wollen, in dem der Leser am Ende perfiderweise "mitfiebert", wer stirbt und wer überlebt, klärt er das Schicksal der Protagonisten meist auf den ersten paar vorstellenden Seiten. Er tut dies in einer glatten, sachlichen Manier, dass es bei mir einen betrübten Eindruck hinterlassen hat. Wie ein Gott, der, die Zukunft nicht als Grenze begreifend, vorausschaut, und dem nichts bleibt, als dem unabänderlichen Schicksal zuzusehen. Diese furchtbare "Determination" erzeugte bei mir große Gefühle. Mitgefühl allem voran, aber auch die Frage nach der Rolle des Schicksals heute, in einer ungleich leichteren Zeit, in der aber weiterhin eine Minderheit die Mehrheit zur Erhaltung ihrer materiellen Fülle ausbeutet.
Szczypiorski vermittelt ein Gefühl für das Leben in Zeiten, in denen der Tod hinter jeder Ecke lauert. In der die Flucht vor der Gefahr vielleicht noch die sehr viel schlimmere, einschneidendere Erfahrung darstellt. In der Aussichtslosigkeit mancher Biographien, die er schildert, spiegelt sich die Sinnlosigkeit aller Destruktivität.
In der Schule zeigt man Kindern Fotos und Filmaufnahmen von Leichenbergen, mit denen kaum jemand etwas anzufangen vermag, die man von sich wegschiebt oder sie - als Akt des emotionalen Schutzes - als "harmloser als in Hollywood" deklariert. Zum ersten Mal habe ich bei diesem Buch das Empfinden, ein Gefühl zu bekommen für das Schicksal der Zeitgenossen dieser Jahre.
Das alles ist in ein wunderbares sprachliches Kleid gehüllt, und vermittelt - selbst demjenigen, der sich nicht für das 3. Reich interessiert - eine Ahnung von dem Warschau der 40er Jahre, von den alltäglichen Problemen. Und wer nur ein paar komplexe, interessante Charaktere kennenlernen möchte, dem sei dieses Buch ebenfalls empfohlen, denn die Charakterstudien sind genial.
Es ist lange her, dass mich ein Buch so stark auf eine Reise mitgenommen hat. Manche halten es für ein tolles Attribut, dass sich ein Buch "gut wegliest". Dieses Buch liest sich nicht weg, sondern es bleibt, pflanzt sich in das Herz und schafft neue Einsichten und insbesondere Verständnis für eine (den meisten von uns) fremde Zeit.