schaldek

Mitglied
Teammitglied
Die Nachhalloweenstimmung hat mich iwie weiter fest im kalten Knochengriff und ich habe noch was Mildgrusliges geschrieben. :) Viel Spass :)

Martine


Ich hätte es mir nicht so ausgemalt. Meine Augen hatten sich zwar an die Dunkelheit gewöhnt und ich war mir des Weges sicher.
„Und doch bin ich jetzt hier, Martine.“, raunte es wissend. „Und ich weiß, Du wirst mich nicht wegschicken.“
„Ich kann doch gar nicht“, meinte ich, ohne dabei die Stimme zu erheben. Die dumpfe Stille des Forstes hatte eben diese - beachtliche - Wirkung auf mich.

Das Wesen nahm meine Hand. „Du zitterst ja!“, sprach es aufschauend und ich erschrak, wie kalt die drei langen Finger seiner Hand waren, die mir den Unterarm weit hinauf krabbelten.

„Ich hatte das ganz anders in Erinnerung. Wie Du Dich anfühltest damals, als Du mich immer besucht hast“, flüsterte ich; fast entschuldigend.
„Ja. Damals, als Du noch ein Kind warst, Martine!“
Wie eindringlich und tief seine Stimme war; fast wie das melodische Reiben von Felsbrocken aneinander. Ich wusste, es verstand mich nun.

„Erzähl mir doch, was passiert ist, Martine.“
„Also, die Party bei Severine heute Abend war schon fast vorbei, weißt Du? Gegen Mitternacht gab es noch Nusskuchen. Ich beeilte mich dann zwar, aber der letzte Bus, er fuhr mir vor der Nase weg.
Und dann dachte ich, ehe ich umdrehe, um zurückzulaufen. Na ja, mein Fußweg würde etwa eine knappe Stunde dauern, an der Strasse entlang. Und durch den Eschenwald nicht halb so lang.
„Und da dachtest Du an mich.“
„Das … das habe ich tatsächlich.“
„Wieso plötzlich jetzt?! Nach all diesen Jahren, Martine?“
„Hast Du schon mal was von den Gargoliten gehört?“, fragte ich vorsichtig.
Ich bekam nichts zur Antwort.
„Weißt Du, diesen Weg hier kenne ich noch gut, denn als Kind war ich diesen so oft gegangen. Zu Severine. Bis irgendwann …“
Das Wesen schnaubte. „Die Gargoliten! Du bist fast 20 und Du hast immer noch Angst vor so etwas?“
Ich konnte das gar nicht erklären.
„Sie lauerten damals überall hier in diesem Forst. Ein Bekannter meines Vaters hatte mich eines Abends zu Severine mitgenommen. Auf dem Hinweg beschrieb er sie so eindringlich.
Wie sie mannslang in den Eschen dieses Forstes hingen, kopfunter, mit Augen aus gelber Glut. Wie sie die Angst des Menschen spürten und sich davon ernährten, bis nichts davon mehr übrig blieb.
Und in dieser einen Nacht – als ich den Rückweg angetreten hatte – da konnte ich sie in der Dunkelheit hören. Sie knarrten, wie die Bäume über mir. Sie zischten wie die Winde in den Baumkronen.
Sie taumelten als Schatten wie Pendel einer alten Standuhr. Und dann-“
„Und dann sahst Du sie, nicht wahr?“, sagte das Wesen traurig.
Ich blieb stehen. „Tut mir leid.“, sagte ich leise und wollte mich zum Wesen herunterbeugen und ihm die Hand auf die schwarze Fellschulter legen, ehe mir dessen stachliger Buckel im Mondlicht auffiel.
Er senkte sich auf und ab und ich wusste, was das hieß, also wagte ich es nicht.

„Weißt Du. Du hast mich einfach vergessen, Martine!“ schluchzte es schließlich.
„Ich weiß. Mama und Papa haben sich damals große Sorgen gemacht, um mich, weißt Du? All die Nächte, die Du in meinem Zimmer warst. Sie hatten herausgefunden, dass ich mit einem Messer neben dem Bett schlief. Sie begannen danach zu suchen. Und als sie es gefunden hatten, da versteckte ich mich eben vor Dir! Aber welches Versteck ich auch suchte – und später im ganzen Haus - Du fandest mich doch! Es ging nicht mehr so weiter! Und dann auf der Station, da war es dann vorbei.“

Das Wesen wendete sich ab. „Plötzlich hattest Du es in Deinem Zimmer. Nacht für Nacht. Weißt Du? Dieses Licht! Es schien bis in den tiefen Ofenschacht, aus dem ich nicht mehr rauszukommen vermochte.“
„Ja. Die Stationsärztin hatte es mir geschenkt und ich musste keine Angst mehr haben. Vor Dir. Und Du bist nicht mehr durch den Heizungsschacht gekrabbelt und hast Dich am Ofenrohr unter der Zimmerdecke versteckt, um mich beim Einschlafen zu beobachten.“

Das Wesen flüsterte. „Hast Du große Angst, Martine?“
„Du -“ Ich schluckte. „Du warst für mich nie -“
„Verschwunden?“ Das Wesen verharrte plötzlich wie ein Schatten. Fest umklammerte es meine Hand. „Martine, ich -“
Das Wesen lockerte seinen Griff nicht. „Weißt Du, wo wir sind, Martine?“
„Um ehrlich zu sein. Nicht genau.“
Ich lauschte und blickte über mich. Stille. Schwache Mondfadenlichter fielen aus den Bäumen.
„Martine, ich glaube, wir sind hier!“
„Was?“

Dutzendfacher Atem zitterte plötzlich um mich. Die Lichter um mich formten sich zu Kegeln.
Das konnte nicht sein!
„Nein! Bring mich von hier weg!“, stotterte ich fast, aber das Wesen war verstummt, obwohl es meine Hand noch hielt. Und plötzlich nicht mehr.
„Wo... wo bist Du?“
Ich drehte mich um, nach links, nach rechts. Wie schwere Pendel alter Standuhren schienen mir die Schatten nun zu taumeln, hinter denen das Wesen sich versteckte. Wieso tat es das?
Ich erschrak. Diese Pendel … wie damals die Gargoliten in den Bäumen! Ich atmete schneller und schneller. In Panik hob ich meinen Blick. Das Baumschattennetz über mir zog sich zu, mehr und mehr! Dahinter ein zarter rosa Schweif, der meine Schreie nicht vernahm.
Ich stürzte und Eschenblätter tanzten um meinen Kopf.
Ich schloss die Augen, so wie damals als sie mich mich hier fanden und das Wesen
bis zu meiner Rettung mir sanft die Hand gehalten hatte.

ENDE
 

Arthur

Mitglied
Sehr Atmosphärisch geschrieben... ich hatte einen kleinen Gänsehaut-Schauer... :D
Gefällt mir sehr gut...
 
Oben