schaldek

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Balkonblume

Balkonblume nannten die beiden sie, diese leicht schiefe Stielpflanze im Terrakottatopf, mit lila Glöckchen als Blüten, die - wenn Farbe tönen würde - klingelten wie Engelchen.
Eine Topfpflanze war sie, nichts weiter in den Augen ihrer beider Besitzer. Und doch: so, wie einst die unscheinbare Yukka Palme aus der bösen Kindergruselstory - einer Geschichte, die man nie vergisst, wenn man sie auch nur einmal hört, denn ihre Moral brütet wie die Eier der Spinne in unseren Köpfen weiter - trug diese Pflanze ein Geheimnis in sich. Keine Hundertschaften von Spinneneiern aber, nein, etwas viel Schlimmeres, dessen sich Gerd und wohl auch Ida für keinen einzigen Moment im großen Meer der Zeit bewußt waren, als sie an diesem lichten Frühlingstag - in Gegenwart der Pflanze, deren Herkunft durch das pure Böse in Sonjas Blumenladen an der Ecke getragen wurde, wie immer nachmittags um 3, wenn die Eistorte im Kühlschrank, halb getaut und der schwarze Tee duftend aus der Kanne atmete, ja, wenn es also wieder Zeit war für Gerds und Idas schweigendes Halbstündchen auf ihrem Balkon mit den Vögeln in den Linden und dem eignen Tod vor Augen, vor dem sie sich jeden Tag aufs Neu verschlossen, so gut es eben ging in ihrem Alter.
Nochmals durchblätterte Gerd - wie ein Aristokrat, der darin sein Silber annonciert hatte - prüfend die Zeitung, in welcher - folgend aller Logik - noch das Selbe wie am Morgen stand. Das war recht so, dachte er und konnte doch wieder ein neues Gefühl in sich wachrufen wenngleich auch nur ganz schrecklich kurz.
Aktienkurse, Wetter, Inzidenzquote, blanke, gut geölte Tagestitten, und das Kreuzworträtsel war auch schon längst gemacht. Wie schade, dachte Gerd sich dabei, als er seine Morgenhandschrift sah, als Ida noch geschlafen hatte, aber die feuchte Tapeten Mandy, deren Latzhose leider zu groß geraten war, viel größer jedenfalls als Mandys Ärger über diesen Fauxpas, dass ihr Oberteil nach links und rechts herrausschwang, gab Gerd - wie schon erwähnt - einen Blinzmoment lang Hoffnung; und nicht nur seine Stirn erheiterte dabei. So also bemerkte er nicht, dass die Pflanze im Topf soeben nun begann zu zittern, so wie Mandys Körbchengröße C, als diese mit ihrem schlichten Gemüt für den Fotografen die Trittleiter erklomm.

Ida, die eben festgestellt hatte, dass auf dem Parkplatz vor dem Haus im Gegensatz zu heute Morgen nicht mehr 4, sondern jetzt 6 Autos parkten, war derweil in ihrer eigenen Stille gefangen. Alle Wagen - wie sie Autos immer nannte, was Gerd störte, aber er es nie erwähnte, denn wozu sollte das denn gut sein - richtig in der Richtung wie es sein sollte, nebeneinander und ohne ihre eigenen unerkannten Wahrheiten von brachliegenden Leasingraten der Schröders und Marderbiss an Rofl-Rolfs Kia mit Happy end. (Das nicht kam, denn Bremsflüssigkeit ist das Wasser des bremsenden Mannes, der ohne es verdurstet und am nächsten Zubringer vergeht wie alles irgendwann, nur schneller.)
Ansgar und Brigitte waren also schon zurück von ihrem Ausflug zu Bruno Kleine; von diesem Vorhaben hatte Biggi ja erzählt. Wahrscheinlich hatten sie die Sofakissen, die zur neu gepatchworkten Sofadecke passen sollten, nein mussten, nicht gefunden oder vielleicht auch erstmal nur sondiert, um weiterzuschauen, denn Poco hatte so was ja jetzt auch. Das würde Ida noch alles erfahren, dachte sie, sich sanft zurücklehnend und dabei ihr Alter spürend, als der Wind für einen kurzen Stoß um die Ecke dieses Hauses kam und sie fröstelte, wie sie es jüngst seit den letzten Wintertagen merkte. Er trägt einen Hauch Ewigkeit in sich, das dachte sie zuletzt, und nun jetzt wieder, wie schon heute Morgen um halb 3 in ihrem Bett, als sie nicht schlafen konnte.
Das Böse aber, das Pure - nun mal wirklich - damit konnte Ida gar nichts machen, auch nicht Gerd und so - und das schon bald - kam dann ihr beider Untergang.

Sonja hatte sich - der Leere des Verkaufsraumes müde - in den Wintergarten hinten durch zurückgezogen. Ja, es war ein Wagnis neue Pflanzen anzubieten, aber die Leute und das Internet, was sollte man da tun?
Und eine Pflanze wie jene, die sie Gerd und Ida verkauft hatte, sie hatte auch Sonja wieder erweckt. Dort drüben, oben am Balkon, da gedieh dieser lila Spross so prächitg!
Nicht umsonst hatte Ida diesen dort platziert - mit Sicherheit, so finsterte Sonja privat vor sich hin - in jenem unschmucken Terrakottatopf, der längst gebraucht und hässlich war, nach so vielen Wintern da oben. Doch die Pflanze! Ja, Ida sprach aus ihr!
Nur sie, nicht Sonja konnte Grün.

Einen Schrei vernahm sie aber nun, als sie - die Rosenschere in der Hand - Idas grünen Daumen grad erneut verfluchte und ebenso genau zu wissen glaubte - und damit auch richtig lag - dass Ida die Pflanze eben dort platziert hatte, wo Sonja sie nur zu gut sehen und wiederkehrend wie sie wollte, nun verfluchen konnte, mußte. Doch jetzt: sie merkte, dass es nur der Schrei von Ida sein konnte, der da vom Balkon hinunter kam. Hatte Sonja dies etwa selbst herbeigeführt mit ihren bösen bösen Wünschen?
Ein Nachtkraut wie jenes war vorzüglich für den Frühling, dachte sie. Das hatte ihr der hagere Mann im schwarzen Anzug und mit den gelben, breiten Zähnen im Gesicht doch selbst gesagt, als der wie ein vor Regen ängstlicher Pudel in ihrem Laden stand, ganz plötzlich, letzten Freitag; der Himmel war schon fliederfarben und wollte nachtlings gehen.
Wenn man der Blume Wasser gibt und fest an jemand denkt, von dem man wünscht er sei nie da gewesen, dann passiere es. Genau, ja! Es!
Sonja hatte die Schere in der Hand, als sie nun in ihrem eignen, leeren Laden stand, mitten in der offenen Tür, die erstmals heute durch sie geöffnet war. Eine lila Wolke schwebte da, inmitten des kleinen Balkons; ein purpurner Arm ragte von dessen Boden aus falsch und zuckend in den Hof. Es war Sonja auch, als fiele dort von dieser menschgewesenen Hand ein Finger still ins Rhododendron unter dem Balkon ganz still hinein um nicht mehr wahr zu sein. Doch konnte das passieren, so, wie irgendwas, das nur Sonja sah und in voller Stille nun passierte? Möglich schien das nicht.

Die Wolke stand noch immer da, in sich starr und doch rumorend, ging nicht weg, auch, als bald Sirenen kamen.
Sonja hatte die Schere losgelassen und war längst - lila wolkengleich - erstarrt. Sie hatte es gesehen und es war geschehen, denn auch andere nahmen längst an diesem Ungeschehen teil.

Der hagre Mann im schwarzen Anzug und mit den breiten gelben Zähnen im Gesicht - er hatte also recht behalten.
Niemand anders als der Teufel selbst war er gewesen - hätte sie es nur geglaubt - und Sonja blieb allein mit ihrem Schmerz. Der Hölle selbst, welche sie ebenso für ein Gerücht gehalten hatte
bis zu diesem einen Moment im Meer der Zeit, in welchem sie alsbald versank für eine volle Ewigkeit.

ENDE
 
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