• Blut-Tetralogie   Dark Space
Eine weitere meiner Geschichten, die ich in den 90er Jahren geschrieben habe. Ich habe sie leicht verändert, weil meiner Meinung nach nicht alles stimmig gewesen war. Wer möchte, kann sie gerne einsprechen.

Böse Gedanken von Frank Hammerschmidt

Beth konnte schon immer Gedanken lesen. Bereits als kleines Mädchen bemerkte sie ihre außergewöhnliche Fähigkeit. Aber für sie war es etwas ganz natürliches, die Gedanken ihrer Spielkameraden lesen zu können. Mit der Zeit jedoch fand sie heraus, daß alle anderen sie nicht mochten, daß sie sie für merkwürdig hielten und vor ihr Angst hatten.
Beth entwickelte sich schnell zur Außenseiterin. Auch in ihrem Elternhaus bekam sie zusehends Probleme. Die meiste Zeit ihrer Jugend verbrachte sie deshalb auch in einem Heim für schwer erziehbare Kinder. Ihre Eltern sah sie fortan gar nicht mehr. Kurz, Beth erinnerte sich nicht sehr gerne an ihre Kindheit.
Doch das war Vergangenheit. Inzwischen war aus Beth eine wunderschöne junge Frau geworden. Sie hatte einen guten Job als Sekretärin in einem grossen Handelsunternehmen. Im allgemeinen kam sie mit ihren Kollegen gut zurecht und hatte Spaß an ihrer Arbeit. Und sie war frisch verliebt.
Vor drei Wochen hatte sie David kennengelernt, an einem Hot-Dog-Stand. Es hatte sofort gefunkt zwischen den beiden. Doch Beth war mit den Jahren vorsichtig geworden. Zu viele Männer hatten sie enttäuscht, deshalb wollte sie diese Beziehung langsam angehen. Trotzdem spürte sie, daß David wohl der richtige war.
Die Sterne funkelten am Nachthimmel. Beth schloß die Augen. Sie hörte das leise Plätschern des Wassers um sie herum. David hatte ein kleines Ruderboot gemietet, und nun trieben sie mitten in der Nacht auf diesem kleinen See. Es war so romantisch. Sie waren ganz alleine hier, nur sie und David.
Doch irgend etwas störte die Idylle. Es war erst nur ein Gefühl. Sie konnte es sich nicht erklären. Schreckliche Bilder manifestierten sich in ihrem Inneren. Bilder von gequälten Menschen und von Mord. Schnell begriff sie, daß es nicht ihre Gedanken waren, sondern die von David. Sie las Davids Gedanken!
Erschrocken fuhr sie zusammen.
David saß am anderen Ende des Bootes.
"Was ist denn los, Liebes? Ist dir kalt?"
Er hörte auf zu rudern. Sie befanden sich auf der Mitte des Sees. Beth wurde bewußt, daß es keine Fluchtmöglichkeiten gab.
Die Morde, das viele Blut. Und immer waren die Opfer junge Frauen gewesen. David war ein Mörder! Ein wahnsinniger Mörder! Und sie war hier ganz alleine mit ihm, war ihm hilflos ausgeliefert.
"Warte, ich werde dich wärmen." David kam auf sie zu.
Beth wartete nicht lange. Sie ergriff ein Ruder und schlug auf David ein.
Den ersten Schlag konnte er noch abwehren, doch der zweite traf ihn am Kopf. David verlor das Gleichgewicht. Er fiel über Bord. Prustend tauchte er wieder auf.
"Beth!" schrie er.
Er versuchte sich am Bootsrand festzuhalten.
Beth trat mit den Füßen nach ihm. Sie durfte nicht zulassen, das er wieder ins Boot kletterte. Sie traf seine Hand. David ließ los und versank wieder unter Wasser.
Diesmal tauchte er an der anderen Seite des Bootes wieder auf. Er griff nach ihr. Wild schlug sie um sich,verlor das Gleichgewicht und stürzte aus dem Boot. Beth schluckte Wasser. Sie war von panischer Angst erfüllt.
David schwamm auf sie zu. Beth packte mit einer Hand das Ruder, während sie sich mit der anderen am Boot festhielt. Sie stieß mit dem Ruder in Davids Richtung und es gelang ihr, wieder in das Boot zu klettern. Fest umklammerte sie mit beiden Händen das Ruder und ließ es auf David herabsausen. Er schrie. Sie hatte ihn abermals getroffen.
Und diesmal tauchte David nicht wieder auf. Atemlos blickte Beth auf die Stelle, an der er untergegangen war. Das Wasser blieb ruhig. Beth konnte nichts erkennen.
Langsam beruhigte sie sich wieder. Sie ergriff beide Ruder und begann zu paddeln, nicht ohne sich noch einige Male umzublicken.
Erst jetzt wurde ihr richtig bewußt, daß sie wahrscheinlich einen Menschen umgebracht hatte. Was sollte sie nur tun? Sie mußte die Polizei benachrichtigen.
Nach einigen Metern erreichte sie Davids Wagen. Natürlich war er abgeschlossen. Was hatte sie auch erwartet? Das der Schlüssel stecken würde?
Beth wurde schwindelig. Sie erbrach sich. Sie spürte den feuchten Boden unter sich, als ihre Knie zusammensackten und sie mit dem Kopf aufschlug.

*

Benommen fand Beth in die Wirklichkeit zurück. Sie lag auf einem grossen weißen Bett. Was war geschehen?
Sie hatte geschlafen. Doch das hier war nicht ihre Wohnung, nicht ihr Bett.
Sie versuchte sich zu erinnern. Es gelang ihr nur dunkel. David, ja sie hatte David umgebracht. Oder sollte sie all' das nur geträumt haben?
Sie blickte auf ihren Arm. Einstiche. Sie hatte Einstiche an ihrem Arm. Jemand mußte ihr etwas verabreicht haben.
Beth richtete sich auf. Dann fiel ihr auf, daß sie beobachtet wurde.
Der Raum, in dem sie sich befand, wurde von einem grossen Spiegel dominiert. Nur für Sekunden hatte ein Lichtschimmer den dahinter befindlichen Raum erhellt. Es mußte sich also um einen Einwegspiegel handeln.
Sie hatte auch ganz kurz die Schatten einiger Personen erkennen können. Und nicht nur das.
Die kurze Zeit hatte ausgereicht, um ihre Gedanken lesen zu können. Und das, was sie sah, waren wirklich böse Gedanken!

*

Kopfschüttelnd sahen alle Anwesenden zu Dr. Lewis hinüber. Fast hätte er sich am Rauch seiner Zigarette verschluckt. Er hatte nicht daran gedacht, daß der Schein seines Feuerzeuges die Patientin auf sie aufmerksam machen konnte.
Diese Frau war aber auch ein seltsamer Fall. Dr. Lewis hatte sich vorhin ihre Akte angesehen. Beth Simmons Kindheit war eine Fundgrube für jeden Psychiater. Ihr halbes Leben war sie in Erziehungsheimen gewesen und schließlich in der Nervenheilanstalt.
Bereits als Kind hatte sie ihre Eltern umgebracht, mit der Begründung, daß sie angeblich schlecht über sie gedacht hätten. Immer wieder griff sie Mitinsassen an und verletzte sie. Jahre später, nach ihrer Entlassung aus der Anstalt, stach sie auf einen jungen Mann ein, mit dem sie einige Zeit befreundet gewesen war. Zum Glück überlebte er diesen Angriff und Beth saß weitere Jahre ein. Nun hatte sie die letzten Monate in Freiheit verbracht und war nicht weiter auffällig geworden, bis man schließlich vor drei Tagen die Leiche eines gewissen David Cole fand.
Es war schon seltsam, daß ein so hübsches Mädchen solche wirklich bösen Gedanken haben konnte...
 
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