bob7
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Themenstarter/in
Finde das interessant. Quelle http://blog.devir.de/?p=137
Clipping, Kompression und die Krux heutiger Musik
Nicht dass das Thema neu für mich wäre. Seit ich mich mit der Produktion von Musik befasse (~1997) ist mir auch das Problem des Clippings bekannt. Mit Kompression habe ich mich zwar weitaus später befasst, aber das war wohl auch gut so (wie in diesem Kontext später klar werden sollte).
Bevor ich näher auf Clipping und Kompression eingehe, sollte man zunächst verstehen, wie digitales Audiomaterial grafisch in Form einer sog. Wellenform repräsentiert wird und wie man diese grafische Repräsentation auf das beziehen kann, was wir aus unseren Lautsprechern hören, wenn wir Musik hören.
Grundlagen
Schall, das was wir hören, ist im Grunde nichts anderes als ein wellenförmiger sich ständig ändernder Luftdruck, welcher über das Ohr, welches empfindlich für diese Druckveränderungen ist, dann als Geräusch wahrgenommen wird. Ein Lautsprecher einer Stereoanlage ist im Prinzip das genaue Gegenstück zum Ohr. Durch elektrische Ströme, welche der Wellenform entsprechen, wird die Membran (sichtbare Oberfläche eines jeden Lautsprechers) vor und zurück bewegt und erzeugt so einen sich ständig wechselnden Luftdruck, welcher sich in Schallgschwindigkeit (ca. 330 Meter pro Sekunde) auf uns zubewegt und vom Ohr in für das Gehirn verwertbare Signale umgesetzt wird.
Die Aufs und Abs einer Wellenform repräsentieren also die Vor- und Zurück-Bewegungen der Lautsprecher-Membran. Dabei gibt es einen positiven (oberhalb der Null-Linie) und einen negativen Bereich (unterhalb der Null-Linie). Sendet der Lautsprecher kein Geräusch aus, so steht die Membran still in einer Mittelposition, was der Null-Linie entspricht. Schall wird erzeugt, indem sie verglichen mit der Mittelposition entweder nach hinten oder nach vorne schwingt. Damit ist die direkte Verbindung zwischen der Wellenform und dem wahrgenommenen Geräusch hergestellt. Dieses Grundverständnis benötigen wir, um anhand der Wellenform Clipping und Kompression beschreiben zu können.
Digitale Speicherung von Wellenformen
Wellenformen unterliegen in digitaler Form bestimmten Einschränkungen. Sie sind sowohl auf die Zeit als auch auf die Amplitude (Ausmaß der Abweichung von der Null-Linie nach “oben†oder “untenâ€) bezogen beschränkt auf eine gewisse Anzahl vordefinierter Werte, wobei es eine feste Grenze gibt, wie weit die Amplitude maximal ausschlagen kann. Man kann sich eine digitale Wellenform also wie ein Raster (z.b. Millimeter-Papier) vorstellen, in das die Wellenform durch Eintragen eines Punkts pro horizontaler Rastereinheit dargestellt wird (ähnlich eines Funktionsgraphs in der Mathematik). Punkte können dabei nur auf den Rasterlinien liegen aber nicht dazwischen. Die horizontale Achse dieses Rasters entspricht dem Zeitverlauf, während die vertikale Achse der Amplitude entspricht.
Clipping
Wenn man ein Geräusch digital aufzeichnen und speichern will, muss man darauf achten, dass das Geräusch in das oben und unten begrenzte Raster passt. Alles was nicht ins Raster passt, wird nicht gespeichert und geht somit verloren. Die Wellenform des Geräusches wird also oben und/oder unten “abgeschnittenâ€. Dies äußert sich hörbar als Verzerrung des Original-Geräuschs, je nach Menge des abgeschnittenen Materials mehr oder weniger stark. Diese Verzerrung lässt sich klanglich aber keinesfalls mit gewollter Verzerrung wie der einer E-Gitarre vergleichen. Digitale Verzerrung durch Clipping ist in jedem Fall ein unerwünschter Effekt, der die Qualität des Audiomaterials stark vermindert.
Hier sieht man, was mit der Wellenform passiert, wenn sie so sehr verstärkt wird, dass sie nicht mehr ins digitale Raster passt. Die feinen Spitzen werden einfach abgeschnitten.
Übrigens: Das Raster einer Audio-CD besitzt 44100 horizontale Rastereinheiten pro Sekunde und 65536 (216) vertikale Rastereinheiten für die Amplitudenhöhen und -tiefen (jeweils die Hälfte für positive und negative Werte).
Kompression
Was macht man nun wenn man die Lautstärke des Original-Geräuschs stark anheben aber die Spitzen dabei nicht abschneiden will? Hier kommt die Kompression ins Spiel (welche nebenbei bemerkt absolut nichts mit Kompression im Sinne von MP3 oder Zip zu tun hat). Dabei werden leise Bereiche (niedrige Amplitude) stärker erhöht als laute Bereiche (hohe Amplitude). Durch Kompression lässt sich also die wahrgenommene Lautstärke einer Wellenform erhöhen, ohne die Spitzen durch Clipping zu verlieren.
Die Wellenform nach der Kompression.
Allerdings ist der Vorgang keineswegs verlustfrei, denn der Schwingbereich der Wellenform wird relativ betrachtet zusammengequetscht. Würde man die Wellenform auf die Original-Lautstärke zurücksetzen, würde man sehen, dass die Wellenform nach der Kompression nur noch einen Teil des vertikalen Rasters in Anspruch nimmt (siehe folgendes Bild).
Die Dynamik (der Bereich, in dem eine Amplitude schwingen kann) wird also durch Kompression verringert. Die hörbare Folge von Kompression ist, dass das Material zwar lauter klingt, aber auch je nach Kompressionsstärke eines Teils seiner Klarheit und Lebhaftigkeit beraubt wird. Der Sound klingt “flacher†und Details lassen sich schwerer heraushören.
Ich spreche jedem ein Lob aus, der es nun bis hierher geschafft hat. Dieses Minimum an Theorie ist leider nötig für das weitere Verständnis. Ich habe auch versucht, es so einfach und anschaulich wie möglich zu halten.
Heutige Musik
Um nun endlich zum Kern des Themas zu kommen, will ich erklären, was das oben Erklärte mit heutiger Musik zu tun hat.
Vielen ist sicherlich aufgefallen, dass die meisten älteren CDs (vor allem aus den 80ern und frühen 90ern) deutlich leiser klingen als neuere Produktionen ab Mitte der 90er. Dabei hat die wahrgenommene Lautstärke von CDs um 2005 ihren Höhepunkt erreicht. Woran liegt das? Ich dachte früher, dass die Produzenten das damals “einfach noch nicht so gut konnten†und dass lauter auch besser sei (ein leider weit verbreiteter Irrtum). Erklärt wird dieses Phänomen durch die immer stärkere Anwendung der oben beschriebenen Kompression. Gegen ein gewisses Maß an Kompression ist nichts einzuwenden und wird sogar benötigt, um das Medium CD mit seinen Begrenzungen (44100 Hz, 16 Bit - horizontales und vertikales Raster) optimal auszunutzen. Das Problem ist jedoch, dass hier ein gesundes Maß bereits um das Jahr 2000 überschritten wurde und viele CDs heute so dermaßen komprimiert (Verb von Kompression/Komprimierung) werden, dass man regelrecht von Klangverstümmelung sprechen kann. Sämtliche Details gehen verloren und der Klang wird extrem flach, kratzig und trocken.
Am besten lässt sich das Problem meist sehr gut betrachten, wenn man die remasterte Version eines Albums mit dem Original von früher vergleicht.
Aber nicht nur Kompression ist das alleinige Problem heutiger Musikproduktionen. Beim Versuch, immer lauterere Alben zu produzieren, schleicht sich an vielen Stellen auch das oben beschriebene Clipping ein. Produzenten, die solch extrem überkomprimierten Alben samt Clipping produzieren, kann ich nur noch als Stümper ihres Fachs bezeichnen.
Das Album St. Anger von Metallica ist ein gutes Beispiel für extreme Kompression samt Clipping. Dort stand der rohe und laute Sound bei der Produktion im Vordergrund. Darunter litt die Qualität entsprechend.
In Fachkreisen spricht man bei dem Phänomen, was Mitte der 90er zu immer lauteren und damit stärker komprimierten Musik-Alben führte, vom sog. “Loudness Warâ€. Der Begriff bezeichnet den “Krieg†zwischen den Plattenfirmen, die immer lauter klingende Alben als die Konkurrenz produzieren wollten, eben weil landläufig der falsche Eindruck verbreitet ist, dass lauter auch besser wäre.
Schallplatte vs. CD
Interessant zu bemerken ist, dass der Loudness War an den Schallplatten praktisch spurlos vorbeigezogen ist. Das liegt vermutlich daran, dass Schallplatten anders gemastert werden und sich (inzwischen) eher an Musikliebhaber richten, die Wert auf eine hohe Klangqualität legen. Hier liegt tatsächlich ein enormer Vorteil der Schallplatte gegenüber der CD (wenn auch kein technischer). Die qualitätsmindernden Knackser einer Schallplatte sind im Vergleich zur extremen Kompression auf CDs absolut nichts. Ich bin auch ziemlich sicher, dass der von Schallplattenliebhabern gelobte angeblich bessere Klang der Schallplatte gegenüber der CD im wesentlichen auf der hohen Kompression bei CD-Alben beruht.
Fazit
Welche Lehre ziehen wir nun aus dieser Erkenntnis? Wir wissen nun um das Problem heutiger Musikproduktionen und warum sie irgendwie unterschwellig (und bisher undefinierbar) agressiver und flacher klingen als frühere Produktionen. Wir wissen auch, dass damit eine klare klangliche Qualitätsminderung aufgrund von Detail- und Dynamikverlust einhergeht. Was können wir also tun, um uns dagegen zu wehren, dass unsere Musik weiterhin so “verhunzt†wird? Was können wir tun, damit der “Loudness War†endlich ein Ende hat?
Wir können als Konsumenten durch Konsum und Verzicht entscheiden, was wir kaufen. Weiterhin kann jeder von uns andere über das Problem aufklären und so den Konsum von Musik bewusster gestalten. Indem wir als Konsumenten zeigen, dass wir hochwertig produzierte Musik wollen, können wir die Plattenfirmen dazu bewegen, den “Loudness War†zu beenden.
Ein entscheidender Durchbruch im Kampf gegen den “Loudness War†ist übrigens das verstärkte Aufkommen von Hard- und Software, die Musik beim Abspielen auf eine gemeinsame wahrgenommene Lautstärke bringt. Das iTunes-Feature namens SoundCheck ist ein solches Verfahren, das vor allem dazu dient, dass mit dem iPod gehörte Musik eine einheitliche wahrgenommene Lautsärke besitzt. Stark komprimierte Musik klingt also nicht mehr lauter als weniger stark komprimierte und der “Loudness War†verliert somit vollkommen seine Daseinsberechtigung.
Man darf also hoffen.