Hallo liebste Hoertalker, IHWler, Freunde, Familie! <3

Wenn es euch nicht gäbe, dann wäre ich nie auf eine Bühne gegangen. Nach meinem ersten IHW war ich so erschlagen mit wundervollen Gefühlen, dass ich mich sofort Teil der Hörpiel-Community-Familie gefühlt habe. <3 @Ohrenblicker hat mir damals den nötigen ersten Schubs gegeben.
Wer dabei war erinnert sich sicherlich, der völlig überforderten Ann, die einen Slot vor dem Livehörspiel geklaut hat um ein Quasi-Liebesgedicht den IHWlern vorzulesen. Die dann zitternd wie Espenlaub auf der Bühne stand und die Zeile verlierend ein kleines Gedichtleinchen zum Besten gab. :eek:
Jedes Jahr war die Open Stage ein Ort an dem jeder wertgeschätzt wurde und ich mich so auf die Bühne trauen konnte.
Dann irgendwann kam @Bazille und hat mich liebevoll auf die Slambühne genötigt. :oops:
Wenn ihr wissen wollt wie sehr ich bei meinem ersten Auftritt, fern von der heimatlichen IHW Bühne die Hosen voll hatte, dann fragt @Angelsnature, @Bazille und @Flof, die waren dabei und haben mich Nervenbündel unterstützt.
Und jetzt bin ich zu dem Entschluss gekommen, das ich meine Texte mit euch teilen möchte. <3 Denn warum sie in der Schublade liegen lassen und auf sporadische Auftritte warten? Denn ja, mittlerweile war ich zum 16. Mal auf einer Slambühne. :cool:

So jetzt aber genug der Vorrede.
Slammer sagen immer: "Und wenn nur einer im Publikum sagt, ja dieser Text hat mir etwas gegeben, mich berührt!" dann haben wir unser Ziel erreicht. <3 Deshalb hoffe ich darauf, auch in diesem Rahmen mindestens diesen einen zu finden. Und ich hoffe darauf, dass ihr gerade mit diesem Text wertschätzend umgeht, denn es ist ein seeehr persönlicher. :eek:

Fühlt euch frei meinen Krams zu vertonen, wenn euch danach ist. Ich würde mich darüber freuen, denn so kann ich noch mehr lernen. :) Ich bin ja mehr die Autorin als die Sprecherin.
Wer diesen Text vertont ist übrigens frei, seinen statt meinen Namen einzusetzen und falls er oder sie das Bedürfnis hat können Teile gekürzt werden (das bitte aber nur nach Absprache). :)

Achtung die meisten meiner Texte sind wirklicher hardcore Deep Shit, sie zeigen oft die dunkle Seite des Lebens. Die die oft totgeschwiegen wird. :mad: Die keiner hören will. Die unter den Teppich gekehrt wird. :mad: Aber auch über die sollte, ja muss geredet werden. Und meine geliebte Kunst ist frei in ihrer Form. <3 Der nun folgende Text ist der erste den ich je geschrieben habe, schon damals mit der Intention ihn irgendwann auf die Bühne zu bringen. :eek: Irgendwann konnte ich ihn um den zweiten Teil ergänzen und ja, er war auf der Bühne. Dieser Text ist ein Outing, ein Tabubruch und ein Wunsch, dass er anderen hilft. ;)

TRIGGERWARING: Depression, Selbstverletzendes Verhalten, Suizid

It's okay, not to be okay! oder Pure Seelennacktheit!
Von Ann Katharina Re.​

Teil 1
Als ich damals diese Gefühle zum ersten Mal verspürt habe,
In eben jenen Tagen hat sich viel verändert.
Weil Gefühle einfach Marter sein können. Und „Marter“ ist noch eine Untertreibung.
In eben jenen Tagen ist mir klar geworden, dass Wörter manchmal nicht einmal ansatzweiße ausreichen um etwas wirklich klar zu beschreiben.
Mein ganzes Leben lang waren Wörter eigentlich meine besten Freunde. Ich wohnte zwischen Buchrücken, zwischen Buchstaben, in Geschichten.
Meine einzige Waffe in dieser Welt waren Wörter.
Aber wenn es plötzlich kein Wort, keinen Satz.
Wenn es nichts mehr gibt, mit dem du dein Leid wirklich wahrhaftig erklären kannst.
Wenn es nichts mehr gibt, mit dem du Deine Gefühle benennen, deine Seele beschreiben könntest.
Wenn dein Leid so allumfassend ist und doch kann es niemand sehen und du selbst kannst es nicht benennen, weil Wörter, Gefühlen nicht gerecht werden.
Dann hast du ein Problem.
Und dieses, meinige Problem hieß Depression.
Meine Depression fühlte sich in etwa so an:
Es bedeutet, dass Happiness keine choice mehr ist.
Es bedeutet, dass eine Kleinigkeit tausende Gedanken auslösen kann. Tausende Gedanken, die in tausende zerstörerische Gefühle münden, gegen Dich selbst gerichtet.
Es bedeutet in einem Sandsturm zu stehen, in dem jedes Sandkorn ein Gedanke und doch kein einziger fassbar ist.
Es bedeutet einen Vampir im Kleiderschrank zu haben, der willkürlich zum Leben erwacht um dein Blut zu trinken, deinen Lebenssaft. Und es ist kein glitzernder Vampir, der weder am Tage noch in der Nacht schläft.
Es bedeutet, dass man nicht mehr die einfachsten Entscheidungen treffen kann.
Es bedeutet, dass es einem so schlecht gehen kann, dass es unbegreiflich scheint ob man je wieder etwas Gutes fühlen wird. Das es unbegreiflich erscheint je etwas Gutes gefühlt zu haben.
Es bedeutet, dass es an guten Tagen völlig unbegreiflich erscheint, dass solches Leid überhaupt existent ist.
Es bedeutet, dass man manchmal nichts fühlt, weder das Banalste noch das Großartigste.
Es bedeutet, dass man seiner Mama, seinem Papa, seiner Oma (Gott hab sie selig), seiner Schwester nicht ehrlich sagen kann: Ich liebe dich.
Es bedeutet, dass man die Tage einteilt, in halbwegs gute und absolut beschissene Tage.
Es bedeutet, dass man sein Glück danach misst, ob man öfter oder weniger als siebenmal die letzten sieben Tage geweint hat.
Es bedeutet, ein wandelndes Paradox zu sein.
Es bedeutet, dass man keine Angst mehr vor körperlichen Schmerzen hat, sondern sie freudig einlädt und begrüßt, weil sie nicht ansatzweiße so schlimm sind wie Seelenweh und davon ablenken.
Es bedeutet, dass man unvorsichtig wird, weil man plötzlich nachvollziehen kann, warum Menschen sich das Leben nehmen wollen.
Es bedeutet, dass man über all diese Dinge schweigt, weil man Angst vor dem Stigma und den Vorurteilen der Gesellschaft hat.
Es bedeutet, dass man über all diese Dinge schweigt, weil die Reaktionen anderer oftmals unglaublich schwer zu ertragen sind.
Es bedeutet, ein Leben wie Dr. Jekyll and Mr. Hyde zu führen. Ein Leben zwischen Sein und Schein. Ein Leben zwischen dem was die Gesellschaft sieht und dem wie es einem wirklich geht.

Teil 2
Hey ich heiße Ann und ich hatte Depressionen und hey irgendwann hat sich etwas verändert.
Und irgendwann wurden Gefühle wieder zum wunderbarsten Shit auf dieser Welt. Und das ist noch eine Untertreibung und selbst ich geschichtenaffiner, wortpedantischer Mensch findet kaum eine Möglichkeit, diesen Shit auch nur ansatzweiße in seiner Großartigkeit zu umreißen.
Und ja, ich habe noch tausend verrückte Gedanken, weil wenn diese lockigen Haare hier aus meinem Kopf kommt, du willst nicht wissen, wie es in meinem Kopf aussieht. Aber es ist eine furchtbar herrliche Verrücktheit.
Und in meinem Kleiderschrank lebt kein Vampir mehr, nur noch Unordnung und Kalorien, die mir die Klamotten enger nähen.
Und ich treffe wieder Entscheidungen. Entscheidungen für das Leben.
Und irgendwann kam der Moment, wo ich wieder hätte bersten können vor Freude, Glück, Liebe, Euphorie und Seligkeit und wünschte ich könnte all das teilen mit all den Menschen, die noch struggeln und auch mit den Gesunden, denn wer einmal die Dunkelheit gelebt hat, dessen Licht sieht hinterher ganz anders aus. Und ja, ich kann mich an die Dunkelheit erinnern und dich verstehen.
Und hey, Mama und Papa und hey Omi da oben im Himmel, hey Sonni und alle meine Freunde. Ich liebe euch, was täte ich ohne euch?
Und auf meinem Fahrrad trage ich einen sehr lächerlich aussehenden Helm, aber das Leben ist viel zu grandios, nur um zu sterben, weil man versucht schön zu sein.
Und wenn ich irgendwo eine Verletzung habe, dann nur noch, weil ich zu doof war, den Ofen richtig zu bedienen und mir unfallfrei eine Pizza zu machen.
Und hey ich werde darüber reden und ich werde die Stigmata und Vorurteile ignorieren.
Und ja, ich hatte Depressionen, ich war drei Jahre lang krank, ich bin acht Wochen in der Klinik gewesen, ich hatte einen Therapeuten und mein Abi habe ich völlig neben mir stehend geschrieben und nur dank glücklicher Umstände bestanden. Und ich werde dafür einstehen, denn ich schäme mich nicht für gebrochene Knochen, also schäme ich mich auch nicht für eine gebrochene Seele.
Ich bin gesund und glücklich und ich lebe. Und ich weiß es, aus tiefster, innerster, intuitivster Überzeugung, dass du das auch kannst. Das es gut wird oder zumindest besser! Und auch wenn ich dich nicht sehe und nicht kenne, ich weiß, dass es dich in diesem Publikum gibt, ich weiß das es mindestens zwei Menschen in diesem Publikum gibt. Und sei dir gewiss, du bist nicht alleine und du brauchst dich deiner nicht zu schämen. Es gibt Menschen, die dich lieben, die für dich da sind, die dir helfen wollen, denen du nicht egal bist, die dich retten würden, wenn sie könnten und die vielleicht jetzt neben dir sitzen und die vielleicht noch gar nicht wissen, dass du Seelenweh hast, aber die dir zuhören würden und werden.
Und dann gibt es da noch die Menschen, die mit uns „Verrückten“ noch nie etwas bewusst zu tun hatten, aber das ist auch gar nicht schlimm. Nur eines, eure Stigmata, Vorurteile oder eben die Tatsachen, dass ihr eine verdammt geile Reaktion zeigt, denn die kann unglaublich viel ausmachen. Und wenn ihr jetzt denkt, dass ihr keine Ahnung von diesem dunklen Leben habt, dann sprecht mit uns, sprecht mit mir.
Und ich kann dir, der du in der Dunkelheit dein Licht noch nicht wieder gefunden hast, noch ein was ganz sicher mit auf den Weg geben. It’s okay. It’s okay not to be okay.

Ich danke euch fürs Lesen und würde mich sehr über feedback freuen. <3 Scheut euch nicht, bloß weil das Thema emotional ist. Und natürlich auch über eure Erfahrungen, Unsicherheiten und Fragen.

Diesen Thread als Basis für den Dialog. Das wäre ein Traum.
 
Zuletzt bearbeitet:

7klang

Komponist/ Mixing / Mastering
@Ann Katharina Re
Whow! Sehr beeindruckend. Echt. Jede verletzte Seele versteht, was du geschrieben hast .... ich wünsche dir noch ganz viele Worte ;-)
 

Arthur

Mitglied
Hey,

Einen schönen Zweiteiler hast du da geschrieben... Ich muss sagen ich bin wirklich ein bisschen berührt, weil ich ähnliches durchgemacht hab... und es mir -glücklicherweise- auch gelang wieder heraus zu finden, aus diesem schwarzen Loch. Und ich bin froh über jeden, der dies auch geschafft hat, anderen "Mut zu spricht" und aufzeigt das es möglich ist wieder Halt und Freude zu finden. Von daher danke für diesen Text^^

Am besten hat mir die Formulierung mit dem "Vampir im Schrank" gefallen, weil das einerseits tatsächlich passend, andererseits aber auch sehr humoristisch ist. Zumindest für meinen Humor... :D An dieser Stelle musste ich echt Lachen und ich finde es generell gut wenn das auch bei ernsten Themen möglich ist.
 
@7klang Vielen Dank für die lieben Feedback. Es freut mich sehr. Tatsächlich habe ich hier noch einige Worte rumliegen. :)
@PeBu34 Bitteschön. Ich hoffe du hast wieder zur Sprache gefunden. :)
@Arthur Danke, dass du dich hast berühren lassen. Und ich gebe dir voll und ganz recht! Lachen ist absolut das Ding. Wie bei Irrwichtern á la Harry Potter. Sie mögen deine größte Angst darstellen, aber wenn du sie auslachst hast du schon gewonnen. :)
 
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