Hallo ihr Hörspiel-Häschen,

und noch ein bissl mehr Mental Health. Als Slammerin hatte ich irgendwann das Glück, dass meine Slam-Mami mich zu Themenslams gestupst hatte und siehe da: "Barrierefreiheit" darüber sollte ich schreiben. Haha, dachte ich. Guter Witz. Ich bin gesund, priviligiert, what the f**k. Mit welchem Recht soll ich denn über dieses Thema reden. Doch dann hatte ich eine Idee und es entstand dies hier.

F32.2

Ich wusste eines Tages würde ich reden. Ich wusste eines Tages würde mich nichts mehr fesseln, nichts mehr zurückhalten, während ich völlig apathisch Buchstaben, Wörter ja meine Seele dem Papier überantwortete. Meine Miene war ausdruckslos und leer. In mir tobte ein Sturm aus eisigster Kälte. All meine Aufmerksamkeit legte ich auf diesen Text, denn ich wusste, wenn ich aufhören würde zu tippen würde mich der Ozean des Wahnsinns wieder einfangen. Fast schon stand ich außerhalb meines Körpers. Doch ich wusste in diesem Moment so klar, dass ich diesen Text eines Tages vorlesen würde. Auf einer Bühne. Öffentlich. Vor vielen mir fremden Menschen. Mich bekennen würde zu meinem Schicksal. Das Schweigen brechen. Und dann würde mich nichts mehr zurückhalten. Ich wusste es so sehr, dass die Tage gehen und neue kommen würden und ich mich den Stigmata der Gesellschaft nicht mehr beugen und die Mauern einreißen würde.
Doch in diesem Moment lastete so viel Leid auf mir, dass ich mich nicht gewachsen sah, meinen Kampf sowohl gegen den Wahn meines Inneren zu führen und gleichzeitig gegen die Missstände in unserer Gesellschaft, die all mein Empfinden noch verschlimmerten.
Ich war damals 20 Jahre alt, in vielen Ländern noch nicht einmal volljährig und lange hatte ich mich nicht mehr so klein und verletzlich gefühlt.
Es sollte zwei Jahre dauern, ehe ich mich zu meinem Leben, ja mir selbst bekennen konnte.
Bis dahin reichte ich den Text weiter an meine Freunde, an meine Familie. Die Worte sollten den Menschen, die ich liebte, erklären, zeigen wie sich die Welt für mich damals drehte. Ihn vorzulesen dauert fast sieben Minuten. Sieben Minuten voller Schmerz und Verzweiflung und der flehentlichen Bitte, dass es da jemanden gibt der mich versteht.
Doch nach diesen zwei Jahren kam der Tag, da ich mich an dieses Mädchen in ihrem Klinikzimmer erinnerte wie sie völlig neben sich stehend diese Worte getippt hatte.
Es fühlte sich wie Seelenstriptease an, wie sich auf offener Bühne vor allen nackt und verletzlich machen an.
Wie Fesseln lagen das Wissen um Vorteile und Stigmata um meine Brust. Ich war nicht frei zu reden, obwohl es mir keiner verboten hatte. Denn ich war doch nur krank gewesen. Man sah mich schief an, weil ich krank war. Meine Seele war vergewaltigt worden und ich, das Opfer, war scheinbar selbst schuld daran.
Denn über diese manchmal tödliche, schleichende und doch allgegenwärtige Krankheit sprach man ja nicht.
Doch ich tat es.
Zwei Jahre später stand ich auf der Bühne, noch immer nicht wieder vollständig gesund und ich sagte das, wovor mich jeder gewarnt hatte und wovor ich eine Heidenangst hatte. Hallo, mein Name ist Ann und ich habe Depressionen.
Seitdem ist ein weiteres Jahr vergangen. Ein weiteres Jahr, in dem ich wütend werden konnte.
Denn es betraf ja nicht nur mich. Circa jeder 6. Studierende ist psychisch krank. Das sind 470000 Betroffene.
Und ich stehe jetzt vor euch, um euch zu sagen, diese Gesellschaft kranke Menschen noch kränker macht.
Ich kann nicht über das Wort Barrierefreiheit im klassischen Sinn reden. Denn ich bin kein Rollifahrer und wie könnte ich mir anmaßen nachzuvollziehen wie man sich so fühlt.
Aber ich war (ich hoffe ich war und bin nicht mehr) psychisch krank.
Und es macht mich so wütend das Bild, dass heutzutage vermittelt wird.
Stigmata sind genau wie Fesseln.
Ich hatte Angst davor, mich schwach zu fühlen. Weil es doch immer heißt, nur schwache Menschen werden depressiv. Das alles sind Mimosen. Und ich habe keine Lust mehr auf diese Mauern. Diese Menschen sind nicht schwach. Du, der du jetzt vielleicht im Publikum sitzt, du bist nicht schwach. Mutter oder Vater eines kranken Kindes, euer Sohn oder eure Tochter sind nicht schwach. Und wenn dich das nächste Mal dein Arbeitskollege fragt, wo du die letzten sechs Wochen warst, dann sag ihm die bittere Wahrheit. Denn verdammte Axt, du hast den Kampf gegen eine Krankheit aufgenommen, die oft tödlich endet.
Und ich hatte auch Angst davor zu sagen, dass es mir nicht gut geht, weil niemand in meine Seele hineinsehen kann und bloß, weil ich gerade lächle, heißt es nicht, dass meine Seele das auch tut.
Um es mal ganz anschaulich und einfach zu machen stellt euch mal vor Depression wäre wie Bauchweh. Wenn ich mir vorstelle, dass das Kind, dass ich noch nicht habe, nachts bei mir am Bett steht und jammert, dann ist es mir egal, ob ich dem kleinen Wesen eine Krankheit ansehen kann oder nicht. Und ich glaube, dem Kind auch noch, wenn es kurzzeitig beim Fernsehen vergisst, dass es eigentlich gerade Bauchweh hat. Und ich glaube den Menschen in meiner Umgebung auch, dass sie krank sind, auch wenn ich sie bei einer amüsanten Begegnung kurz lachen sehe. Und du, der du hier vielleicht krank bist. Du weißt, dass einer Krankheit, dein hoher Kontostand, dein schöner Vorgarten oder der wundervolle Mensch an deiner Seite egal ist. Du bist dennoch krank. Wer würde schon folgendes sagen:
„Komm schon. Du hast Knochenkrebs, aber es könnte schlimmer sein. Ich meine, schau dir mal dein schönes Haus an.“
Und ich hatte Angst davor, über mein Leid zu reden, weil die Gesellschaft teilweise noch nicht einmal verstanden hat, dass es sich dabei um eine Krankheit handelt.
Ich war krank. Punkt. Ich hatte eine Krankheit, gegen die manche Menschen den Kampf verlieren. Da hilft es auch kein lustiges Katzenvideo anzusehen, rauszugehen, Sport zu machen, in den Urlaub zu fahren oder mal mit der besten Freundin sich zu betrinken. Das sind nämlich die Ratschläge, die verteilt werden. Ich frage mich nur wer würde das sagen, wenn ich Krebs hätte.
Und jetzt fühle ich mich gesund, rede offen. Man sagt mir ich sei mutig gewesen, doch ich finde, darüber zu reden, dass ich krank war, ist kein bisschen mutig. Ich finde es sollte normal sein, so normal, dass sich weder Betroffene noch Angehörige ihr Leid verschweigen müssen. Und ich möchte diesen Text nicht mit einer schönen Anekdote beenden, denn dieser Abend ist noch lange, sondern viel mehr mit Gesprächen neben der Bühne oder vor der Tür. Mit Fragen, Ängsten und Unverständnis, über das wir uns ganz normal unterhalten, fast wie über Männerschnupfen eine ganz normale Erkältung. Man kann mich ansprechen. Denn ich werde nicht schweigen, weil es auch in unseren Köpfen keine Barrieren geben sollte.

Ich freue mich über Feedback und Austausch.
 
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Chaos

Schneewittchen
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Liebe @Ann Katharina Re, ich dachte mir, einen Text schaff ich heut noch :)
Ersteinmal danke für deinen Mut, über Depressionen zu sprechen. Ja, Mut, auch, wenn du im Text sagst, du findest das nicht mutig ("dass ich krank war, ist kein bisschen mutig"). Ich finde das sehr wohl. Es ist mutig von dir, dass du einen Kampf gegen dich selbst ausgefochten hast und es ist stark, dass du danach noch die Kraft hattest, es in die Welt hinauszuschreien, damit alle es hören können, auch wenn sie bis über beide Ohren in Stigmagedanken und eigenen Sorgen versunken sind.

Sieben Minuten voller Schmerz und Verzweiflung und der flehentlichen Bitte, dass es da jemanden gibt der mich versteht.
Ja, es gibt jemanden, der dich versteht, es wird sogar eine ganze Menge Menschen geben, die verstehen, wie sich das anfühlt.

Dennoch möchte ich sehr gerne auf einige stilistische Dinge eingehen, die mir beim Lesen aufgefallen sind :)
In mir tobte ein Sturm aus eisigster Kälte
Dieses Bild finde ich sehr sehr treffendes und eindringlich. Ich hätte mich gefreut, hättest du es noch ein wenig mehr ausgespielt. Denn sieben Minuten sind wirklich verdammt wenig Zeit für ein Thema, das ein Fünftel (16-20% 1 Grundlagen — ÄZQ) der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens beschäftigen wird. Das ist eine ganze Menge und ich finde es genau richtig, dass du da mit den Zahlen jonglierst - sie sind erschreckend und das zurecht.
Denn verdammte Axt, du hast den Kampf gegen eine Krankheit aufgenommen, die oft tödlich endet.
Ja, verdammte Axt und auch diese Zahl ist verdammt hoch - "Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nehmen sich in Deutschland insgesamt pro Jahr mehr als 10.000 Menschen das Leben" (selbige Quelle wie oben). Ich glaube, ich hätte es sogar gut gefunden, wenn du noch ein wenig konsequenter mit diesen Zahlen gearbeitet hättest. Ja, sie sind verstörend, aber sie sind auch ziemlich real. Diese Krankheit ist ziemlich real und ziemlich tödlich.
Ich habe beim Lesen dieser Stelle gedacht - wieso ist der Text in der Vergangenheitsform? Als wäre das alles abgeschlossen und läge hinter dir. Aber - du redest doch dadrüber. Du redest heute darüber, genauso wie du es gestern getan hast, genauso wie du es morgen tun würdest. Warum nicht dann den Text mehr in die Gegenwart transportieren?

Manche Bilder, die du verwendest, finde ich ein wenig schwierig. Dieses hier zum Beispiel
Meine Seele war vergewaltigt worden und ich, das Opfer, war scheinbar selbst schuld daran.
erscheint mir zu harsch, bzw. fehlleitend. Der Vergleich mit einer Vergewaltigung hinkt irgendwie, weil das so ein gewaltsamer Akt ist, der plötzlich und unvorbereitet aus dem Nichts kommt. Depressionen sind MMn kein gewaltsamer Akt, sie sind vielleicht vielmehr der Temperatursturz, der deine Seele mit einer Eisschicht überzieht, bis du und deine Gedanken sich vor innerer Kälte kaum mehr bewegen können. Sie mit einer Vergewaltigung zu vergleichen, finde ich unpassend. Die Aussage, die du treffen willst, dass das eben keine Schuldfrage ist, finde ich aber sehr sehr wichtig und richtig!
Auch dieses Bild hier
Stigmata sind genau wie Fesseln.
fand ich vielleicht nicht "ausgespielt" genug. Da hätte ich mir noch mehr Details gewünscht, was genau die Fesseln ausmacht, wo schränken sie ein, woran hindern sie, wo schmerzen sie am meisten?
Im folgenden Satz machst du einen sehr sehr wichtigen Punkt, den ich an dieser Stelle auch völlig richtig finde.
Und ich hatte auch Angst davor zu sagen, dass es mir nicht gut geht, weil niemand in meine Seele hineinsehen kann und bloß, weil ich gerade lächle, heißt es nicht, dass meine Seele das auch tut.
Allerdings frage ich mich, ob das Bild der Seele generell so glücklich gewählt ist. Also, ich kann die Wort/Bildwahl durchaus verstehen, aber eigentlich ist es ja doch so wichtig, diesen dualistischen Blickwinkel der Gesellschaft bezüglich "Körperkrankheiten sind anders zu bewerten als Seelenkrankheiten" auszuräumen. Wie du in deinem Text ja total gut herausstellst - krank ist krank und dabei ist es dann auch egal, ob du dir das Bein gebrochen hast oder deine Nase läuft oder ob du seit Tagen nicht aus dem Bett kommst, weil alles sich plötzlich so schwer und unmöglich schaffbar anfühlt. Wenn es einem Menschen scheiße geht, ist es egal, ob es nun äußerlich sichtbar ist oder eben nicht, was ja auch genau das ist, was du ausdrücken willst. Insofern weiß ich nicht, ob es gut ist, weiter auf der Körper-Seele-Unterteilung herumzureiten.

Deinen Schluss finde ich toll, du brichst dein eigenes Schweigen und bietest anderen an, das auch zu tun. Du bietest ein offenes Ohr und eine helfende Hand und das ist manchmal schon alles, was jemand zu hören braucht. :)
Den Männerschnupfen würde ich dann aber trotzdem in einen einfachen Schnupfen ändern, denn auch Männer dürfen jammern und krank sein und das Wort des Männerschnupfens hat so etwas belächelndes und herabschauendes an sich - und genau das brauchen wir ja nicht.

Alles in allem, danke für deine Offenheit, danke für deine Worte und ich hoffe, mein Kommentar zu deinem Text kann dir ein paar Impulse liefern :)
 
Soo, jetzt vllt noch hier ausführlich. Bitte, ich bin gerne "mutig". @Chaos

Mittlerweile weiß ich, dass es Menschen gibt, die auch durch solche Höllen müssen. Doch wenn man gerade brennt, dann ist es schwer zu glauben, dass es auch andere tun und selbst wenn, dann ist trotz allem irgendwie irrelevant, denn holy man brennt.

Um auf die Zahlen einzugehen. So große Zahlen, kriege ich immer gar nicht nachvollzogen. Deswegen scheue ich mich immer ein bissl. Denn mein Hirn kann es nicht so recht umsetzen.
Im oben verlinkten Text Pure Seelennacktheit, kriegst du alles was ich an Metaphorik zu bieten habe.
Das war auch der erste Text, denn ich über das Thema Depri auf die Bühne gebracht habe. Dieser sieben Minuten Text wurde von mir rumgereicht und den ich schließlich auch fremden vorlas.

Ah, ich verstehe, das Problem mit der Vergewaltigung. Vllt schreibe ich meinen Slamtext tatsächlich nochmal um. Selbiges gilt für die Männergrippe. Du hast absolut recht. Und sowas wie ich schimpft sich Feministin.

Ich habe über dieses Körper und Seelen ding nachgedacht. Ich glaube, unsere Gesellschaft hat einfach die Wörter falsch besetzt, denn per se ist an den Begriffen ja nix verkehrt. Denn ich denke, wenn ich beim Hausarzt sitze weil es mir schlecht geht, muss ich ja irgendwie sagen können, wo das Übel steckt und der Hausarzt muss dann entscheiden, ist es Bauchweh, wegen zu viel Eis, Herzschmerz, weil der Hamster das Zeitliche gesegnet hat, Herzweh, weil ich alt bin und schlaganfallgefährdet bin oder eben Seelenweh, weil ich irgendwas nicht verarbeitet habe.
Und vielleicht ist es ja grade gut, dass man primär darauf aufmerksam macht, dass es eben AUCH eine Seele gibt. Denn manchmal wissen Leute gar nicht, dass ihre Bauchweh, gar nicht vom Eis sind, sonder psychossomatisch.
 

Chaos

Schneewittchen
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Hey @Ann Katharina Re, freut mich, dass ich ein paar Denkanstöße liefern konnte! :)

Ja, das mit der Seele...wie gesagt, ich kann die Bildwahl auch ziemlich verstehen, rein körperlicher Schmerz fühlt sich auch irgendwie oft eher zu bewältigen an und nicht so tiefbohrend und beständig nagend. Ich hatte dennoch darüber nachgedacht, ob und inwiefern man dieses Bild hier ausspielt, es war auch eher als Denkanstoß gedacht und nicht als "puh, finde das geht gar nicht" :D Denn ja, du hast schon recht, zum Beschreiben eignet sich das Bild sehr gut.
 

PeBu34

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Hallo @Ann Katharina Re!

Ich sitze hier mit einem Kloß im Hals und einer Träne im Auge! Dein Text hat mich - wie man so sagt - voll erwischt! Danke dafür! (Mehr kann ich grade nicht dazu sagen. - System Overload!)

Weil es mir grade noch aufgefallen ist:
Den Männerschnupfen würde ich dann aber trotzdem in einen einfachen Schnupfen ändern,
Über den "Männerschnupfen" bin ich gedanklich auch "gestolpert", weil ich nicht verstanden habe, was diese (von Frauen oft belächelte) "besondere" Krankheit hier sollte. :) Ging es vielleicht darum, die eigene Krankheit nicht immer so ernst zu nehmen?

Liebe Grüße von
Peter :)
 
Hallo Peter,
danke dir. Sooo lieb, dass du dir immer alle meine Beiträge durchliest und kommentierst. Ich habe den Männerschnupfen geändert.
Ich hoffe, dein System ist wieder ansprechbar.
Ann
 
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