• Blut-Tetralogie   Dark Space
Hallo ihr Hörspiel-Häschen,

auch dieser Text turnte schon auf einer Open Stage vom IHW herum. :relaxed: Ich glaube es war 2019 als Sonni auf die dämliche Idee kam, man könne sie ja draußen veranstalten und ich mir den Arsch abfrieren musste und der arme Robert mir die Lampe gehalten hat, damit ich überhaupt etwas von meinem Textblatt lesen konnte. Ich glaube von meiner crazy Gesichtsakrobatik hat niemand etwas gesehen und am ehesten ist den Menschen im Gedächtnis geblieben, als ich nach dem Auftritt laut nach dem "Mann mit dem Met" rief... ;)Tja, so kanns gehen. Deshalb hier nochmal in voller Pracht. By the way, Sonni mag ich trotzdem noch. ;)

Etwas zum erwachsen werden, etwas biografisches, das absolut ungeschön ehrlich und wahr von meiner Kindheit erzählt. Etwas herziges, aber auch ehrliches. Viel Spaß damit. Vorsicht, da ist Fränkisch mit drin.

Erwachsenes Kind

Stumm lausche ich dem Ticken meiner Wanduhr und verfolge den Sekundenzeiger, der kontinuierlich seine Bahnen dreht und mir sagt, dass es nur noch zehn Sekunden bis Mitternacht sind.

Zehn
Ich führe mit meiner Mama beim Frühstück wieder Mal das Gespräch über Hunde.
„Gell Mama, wenn ich dreizehn bin, dann bin ich groß und dann kann ich einen Hund haben? Sag nicht gleich nein, weil das sind immerhin noch drei Jahre, da kann noch viel passieren!“ Letztendlich wurden es zwölf Jahre in denen noch viel passierte, ich bin unter anderem ausgezogen und auf dem Papier erwachsen geworden und sehe den Hund kaum, aber ja verdammt, wir haben jetzt einen Hund!

Neun
Ich weiß jetzt was eine Aorta ist: Bauchschlagdarmader und was es bedeutet, wenn diese platzt. Wir stehen vor der Tür der Intensivstation, alle weinen um Opa und ich soll ganz tapfer sein. Er lebt zwar, aber wie lange noch, weiß man nicht. Oma bekommt Beruhigungsmittel angeboten und ich nicht, obwohl ich viel mehr weine als sie. Das ist doch gemein. Warum darf sie sich beruhigen und ich mich nicht. Warum darf jeder Opa auf der Intensivstation besuchen bloß weil die alle schon erwachsen sind? Warum laufe ich nicht einfach hinterher, wenn die Ärzte die Tür in diese blöde Station aufmachen? Warum bin ich eigentlich so brav? Und warum wird Opa zwei Jahre später sterben?

Acht
Im Gang der Schule treffe ich zwei Zweitklässler und gerate mit ihnen in ein unschönes Gespräch. Ich hab keine Ahnung wie es sich ergeben hat, aber die beiden stehen mir gegenüber, schauen mich an und meinen dann: „Du bist doch eh nur so eine blöde Brillenschlange!“ Fassungslos starre ich zurück und verstehe die Welt nicht mehr. Was ist denn daran verkehrt, dass ich eine Brille trage? Da kann ich doch nichts dafür. Ich komme mir so hilflos und klein vor, obwohl ich doch ein Jahr älter bin als die beiden. Stumm lasse ich sie stehen, laufe zur Lehrerin und verpetze sie! Ätsch!
Dass ich drei Klassen später in den Genuss von fünf Jahre Mobbing kommen sollte, wusste ich damals noch nicht und auch nicht, dass mir irgendwann kein Lehrer mehr würde helfen können. Unterschätze nie die Macht von Kindern.

Sieben
Manchmal ist alles doof. Meine Eltern sind doof, die Schule ist doof, die Hausaufgaben sind doof, meine Hobbies sind doof… und hab ich erwähnt das meine Eltern doof sind?
Fabian ist mal weggelaufen. Von der Schule, einfach losgerannt. Dabei war er da noch Erstklässler. Die Lehrer haben dann die Viertklässler hinterherlaufen lassen, weil sie schon zu alt waren um ihn einzuholen.
So ein dummer kleiner Junge. Manchmal würde ich auch gerne weglaufen. Aber wohin denn? Das Leben ist doch kein Film. Hinterher finden mich die Erwachsenen doch sowieso und dann krieg ich nur noch mehr Ärger.
Hab ich schon gesagt, dass Erwachsene doof sind?

Sechs
1. Klasse. Ich weiß ganz genau was ich werden will: Tierärztin. Unser Lehrer sagt irgendwann zu mir und den anderen zehn Mädchen mit dem gleichen Berufswunsch, das sei doch eher unwahrscheinlich das jeder von uns in 15 Jahren auch noch so denkt. Da beschließe ich, selbst wenn ich nicht mehr Tierärztin wegen der süßen Kätzchen werden will, dann eben aus Trotz. Damit Erwachsene mal sehen, dass sie nicht immer Recht haben. Fußnote, ich studiere jetzt Pädagogik.

Fünf
Ich laufe auf der Mauer unseres Grundstückes. Der normale Weg ist viel zu langweilig. Den gehen ja die Erwachsenen. Hier oben, so hoch, das ist viel spannender. Und oh da kommt Volker der Postbote. Ja, aber was soll denn das? Der parkt doch mitten im Kies den die Mama grad frisch gerecht hat direkt vor der Mauer, auf der ich stehe. Na warte, wenn der aus seinem Auto aussteigt, dem erzähl ich was! Ich stelle mich breitbeinig hin und stütze die Arme in die Hüften.
„Des gihd fei su ned! Du konnsd doch do ned einfoch neifoahrn. Den Kies hod die Mama fei erschd frisch gerechnd!“
Volker grinst: „Oh, okay. Alles klar. Des nächste Mal park‘ ich wo anders!“
„Ja, weil sonsd sag ich des fei der Mama und die schimpfd dann fei!“
Ja, auf meiner kleinen Mauer fühlte ich mich stark und außerdem habe ich Recht. Wenn ich den Kies nicht durcheinander bringen darf, dann der Volker auch nicht. Völlig egal ob ich klein bin. Recht bleibt Recht!

Vier
Nur Kinderärzte sind noch dämlicher. Vor allen Dingen wenn sie mich schon wieder mit dieser doofen Nadel stechen müssen.
„Kann ich die Nadel mal sehen?“
„Sie ist ganz klein und tut gar nicht weh“
„Ich will sie sehen, dann können Sie mich pieken“
„Hier schau!“
„Das ist zu weit weg, da sehe ich nichts und ich will sie ohne Verpackung sehen!“
„So jetzt sitz still, gleich vorbei!“
„Nein, ich will sie sehen... nein… halt… nein… sehen… SEHEN!“
Fünf Minuten später sitze ich verheult mit einem Kinderpflaster auf dem Arm da und bin sehr, sehr böse auf Papa, den Arzt und die doofe Helferin. Festgehalten haben sie mich. Jahre später sollte ich das Wort Würde kennenlernen und begeisterte Blutspenderin werden. Es kann alles so einfach sein, wenn man nur der Gefahr ins Auge blicken darf.

Drei
Erster Kindergartentag. Mama ist mit dabei und ich soll jetzt mit all diesen Kindern irgendwie spielen. Manche sehen ja ganz hübsch aus, so wie die Saskia, aber andere irgendwie schon ziemlich hässlich, so wie die Anna-Lena. Bestimmt sind die hässlichen nicht so nett, wie die hübschen. Ich geh jetzt mal zu der Saskia, aber sie ignoriert mich. Vielleicht sind die hässlichen Kinder doch netter. Anna-Lena ignoriert mich auch. Mhh… egal ob sie gut aussehen oder nicht, Kinder sind wohl allgemein dämlich. Vielleicht wird man ja erst nett, wenn man groß ist.

Zwei
Mama und ich spielen Verstecken und die doofe Nuss hüpft doch einfach aus ihrem Versteck hinter meiner ehemaligen Zimmertür und erschreckt mich zu Tode. Total gemein. Sie ist viel größer, sie hat schon viel besser Verstecken üben können.

Eins
Ich habe entdeckt, wie das mit dem Sprechen funktioniert. Mühevoll hatte Mama mir beigebracht, dass mein kleiner Mund Wörter ausgespukt hat. Ganz toll, was sie schon kann und ich auch bald.

Null
Nein, es ist nicht Sylvester.
Ich liege in meinem Bett und starre gebannt auf die Uhr, die mir verkündet, dass ich erwachsen bin.
Ich liege in meinem Bett und schließe die Augen, als alle drei Zeiger auf die zwölf zeigen.
„Erwachsen!“ sage ich und warte auf das Gefühl, dass mir jetzt sagen wird, dass nun alles anders ist. Manchmal warte ich noch heute und manchmal ist das vielleicht ganz gut so.

Ich freue mich auf Feedback.
 
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