• Blut-Tetralogie   Dark Space

schaldek

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So kleide mich eben der Schattenschleier

Darija

… hatte schon lange aufgehört zu laufen. Obwohl ihre Füße einen Schritt vor den anderen taten, so wusste sie selbst nicht, wo hin sie sie noch tragen wollten. Darija - auf diesem schmalen Grasweg hin und herrutschend – spürte ihre Seele kalt werden in diesem Körper, der nach außen seine Gestalt verloren hatte.
Viel zu schnell war es Nacht geworden. Viel zu eilig hatte Darija der Raureif umhüllt, wie ein garstiges Kleid. Ein richtiges war ihr nicht mehr vergönnt zu tragen. Schwester Hedwigs Urteil erlaubte es nicht. Sie, die Mutter Oberin, hatte ihn um sich gespürt, den wild tobenden Schattenschleier, der noch vor einigen Stunden in den Fluren des Klosters umhergewandert war. Zornig und ohne Kontrolle war die Mutter Oberin in die Kammer gestürzt.
Rieke erschrak, Darija nicht.
Da Du den Schattenschleier zu uns locktest, bist Du nun verbannt aus diesem Orden! Für immer!
Dann - ohne jede Kleidung - war Darija, die nicht wusste, was geschah, den Mauern des Klosters verwiesen worden.
In den kalten Augustinerforst. Wo nichts und niemand sonst war, der ihr hätte helfen können. Hier am Fluss nun blieben ihre unsichtbaren Füße einfach stehen, voller Ohnmacht über alles. So kleidet mich denn nun der Schattenschleier, dachte Darija sich noch. Dann stürzte sie hin. Wie ein alter Baum war sie gefallen, ohne Kontrolle, ohne Schmerz. Ein Atem ging heftig, sicher war es ihrer. Oder nicht? Momente vergingen. Unfassbar und klar. Über Darija zogen die Wolken vorüber und der Mond stand sichtbar da. Weiß wie Schnee und ebenso still. Einen Gedanken wollte sie ihm nun widmen, dem letzten Lichtspender, der je ihre Augen berühren würde. Darija hörte ein Krächzen, das nun in ihrer Kehle wohnte. Dann lächelte sie und wusste nun auch, dass der Schattenschleier, der sie bis hierhin verfolgt hatte, nie da gewesen war.
Nur noch Licht gab es jetzt und es war einfach überall.

° ° °

Rieke
... hatte schon lange aufgehört zu weinen. Sie hatte sich nach dem weißen Licht gesehnt, das aus dem Klostergarten stets in ihre Kammer fiel.
Selbst in der dunkelsten Nacht. Doch bis nach hier unten reichte es nicht.Wenn Du den Schattenschleier nicht siehst, Schwester Rieke, dann zeige ich ihn Dir! Für immer!, hatte Mutter Oberin gesagt. Eilig war sie den ewig langen Treppengang am Ende der Sakristei herab geschlichen und Rieke hatte ihr folgen müssen. Die Nachtkerze vor sich führend, hatte Mutter Oberin eine schwere Tür geöffnet und in den schmalen Gang geleuchtet, der sich dahinter abzeichnete.
Nur zwei Strohballen waren darin. Tür und Licht fielen hinter ihr zu. Rieke ereilte volle Stille und der Schattenschleier war nun hier mit ihr. Seit Stunden schon.
Er ließ es nicht zu, dass sie auch nur ihre Hände sehen konnte und so spürte sie sie erst, als sie diese auf ihre Stirn legte. Zitternd glitten sie die Stirn herauf.
Ihr nackter Kopf war kalt. Noch kälter als ihre Hände. Die salzige Wärme auf ihren Lippen erinnerte sie plötzlich wieder daran, wie Demut schmeckte.
Sie wischte sich die Tränen weg. Es musste so kommen. Schon als sie letzte Nacht ihre sanften Schritte vernommen hatte, obwohl nach dem Abendgebet niemand mehr durch die Flure des Klosters schleichen durfte.
Rieke hörte ihr Kichern nun wieder, so, wie schon lange zuvor. Aber niemals war es ihr so nah gekommen wie in der letzten Nacht. Ja, Darija war ihr eine Freundin geworden.
Sie konnte einfache Dinge in Zauber verwandeln, in pure Freude. Und Rieke war sich letzte Nacht nur mehr als sicher, dass auch sie von Darija verwandelt wurde. In pure Freude.
Als sie sich erneut ihrer Trauer hingeben wollte, da erreichte sie nun ein Zug von Taubheit tief in sich. Ein Gefühl, das eigentlich überhaupt keines war. Alles verschwunden.
Sie lauschte. Das Gefühl, das keines war, ließ sie ihren Atem hören, der eilig angestiegen war. Er zitterte leicht und ließ sanfte Lichtblitze über Rieke entstehen.
Diese Erinnerung war ihr die schönste geblieben und sollte es die beste ihres Lebens sein, sie würde glücklich gehen. Sie war aus letzter Nacht.
Sterne kreisten über ihr; Darija hatte sie gemacht.
So war aus einer sich drehenden Töpferscheibe, einer Kerze und einem Stück Tonpapier mit Löchern versehen, ein Universum von kreisenden Sternen geworden.
Mitten in Riekes Kammer. Und unter diesem Gestirn Darijas funkelnder Blick!
In diesen Kosmos hinein gebar sich ihr schönstes Lachen und ein weiterer verrückter Zauber bewirkte, dass Riekes rotes, langes Haar sich in diesen Kosmos hinein verwob.
Von lieben Händen in das Lichtermeer der Sterne gestreichelt.
Rieke zögerte kurz. Ob ihre Augen nun überhaupt geschlossen waren? Vor sich sah sie nun ein kleines Herz.
Es leuchtete wie gleißendes Kupfer und sie ergriff es einfach so mit beiden Händen. Dann erhob sie sich. Rieke tat einen Schritt vor den anderen. Der Boden schien wie aus Eis. Sie ging schneller, obwohl sie nichts sah. Bis es nicht mehr ging.
Da, wo sie die Tür vermutete, war Stein. Sie atmete tief durch. Direkt daneben – sie tastete sich die Wand entlang – ein schwerer Griff. Und Mutter Oberin war niemals unbarmherzig.
Rieke umschloss fest den Türgriff. Immer gab es Hoffnung ...

° ° °

Hedwig Mutter Oberin
… brauchte nicht in den Spiegel sehen. Sünden gingen selten ohne Reue einher, das allein sprach für Schwester Rieke, die schluchzend vor ihr saß.
Flink bewegte sich das Messer mit der einen Hand, die andere lehnte hohl an Schwester Riekes Stirn. Schaum klatschte auf den feuchten Boden.
Eine Lektion sei eine Lektion. Schwester Rieke würde es verstehen irgendwann.Wie hatte Schwester Rieke gewinselt, wie ertappt hatte sie sich gefühlt! Das dürfe sie nicht, nicht vor Gott, hatte Schwester Rieke ihr gesagt, nachdem Hedwig Mutter Oberin sie eigenhändig an den Haaren aus ihrer Kammer und in die Waschküche gezerrt hatte.
Jetzt, da sie sich auf das Barbieren konzentrierte, kehrte eine göttliche Ruhe in ihr ein, die kurz die Wut über die teuflisch agierenden Zungen in diesen Gemäuern besänftigte.
So, wie die Hände der Mutter Oberin nun taten, war es gut. Als Mutter dieses Ordens lenkte sie ganz allein die Stimme Gottes. Die Wollust aber, das, wovor der Herr uns stets warnte, das Weib in uns, würde hier keine Chance bekommen.
Es würde nicht flüstern und tuscheln mit den teuflischen Zungen, nicht lauter, als es Hedwig Mutter Oberin hören konnte.„Mutter Oberin, bitte! Was ist denn mit ihr?“, schluchzte Schwester Rieke leise. „Was ist mit Schwester Darija?!"
Mit einer festen Handbewegung wischte Hedwig Mutter Oberin die Schaumreste von Riekes Schläfen. „Sie ist an diesem Ort nicht länger willkommen!“
„Das … das geht doch nicht. Vor Gott! Das darf nicht sein!“ Rieke fasste sich an die Schläfen, die nach oben glitten. Dann hielt sie sich die Hände vors Gesicht, kippte nach vorn und schluchzte auf. Nun zu beten und zu knien, war ein wenig zu spät, dachte sich Hedwig Mutter Oberin.„Vor Gott bist Du ein hilfloses Mädchen“, sagte sie kühl, mit einer flinken Handbewegung nach einem Faden greifend, der neben ihr auf dem Hocker lag.
Hedwig Mutter Oberin band ohne hinzublicken einen Schweif langen, roten Haares zusammen, der eben erst frisch abgeschnitten worden war.
Sie steckte ihn in ihren Rock und stellte sich lange schweigend vor Rieke. Sie brauchte jetzt nichts mehr zu sagen, nur warten, bis Rieke sich erhob, um ihre Strafe zu empfangen ...

° ° °

Hedwig
... Stiller als zuvor musste es hier nun sein, nachdem Hedwig ihre Kammer betreten hatte. Sie griff nach der Schachtel, nahm ein Streichholz heraus und zündete es an.
Die Kerze, die vorhin noch jemand anders gehörte, brannte. Mit einem Schritt zur Seite sah sie sich um. Die Kammer leuchtete anders als sonst. Etwas gedimmter, aber im Ton doch viel, viel wärmer.
Als Hedwig sich ans Fenster stellte, den Blick in den Klostergarten gerichtet, sah sie heute kein Licht. Anders als sonst. Der Schattenschleier würde dennoch nicht zu ihr kommen. Wie immer hatte sie es im Griff, ihn gar nicht erst hier hoch kommen zu lassen, obwohl er in der Nähe sein musste.
Hedwig ließ das Licht der Kerzen brennen, obwohl sie längst im Bett lag. Dieses wundervolle Licht!
Es war sicher gut, dass es nun hier war, bei ihr. Der Herr verstand alle Gesten, die Hedwig tat, dachte sie noch.
Und dann dachte sie es wieder und merkte, dass sie fror. Schwester Rieke hatte ein besseres Schicksal verdient. Sie war doch so ein braves Mädchen. Wie konnte sie nur! War es falsch, ihr gesagt zu haben, dass sie für immer dort unten bleiben sollte? War ihrer Todsünde nicht eine Absicht vorausgegangen, die von Liebe geführt war? Die Tür, hinter der Schwester Rieke nun weilte, sie war die Strafe. So musste es sein vor Gott, dachte sich Hedwig; sich frierend zusammenkauernd. Das warme Kerzenlicht betrachtend, das ihr keine Wärme gab und den Schattenschleier doch fernhalten würde.
Sollte er doch über Rieke wachen und richten! Sollten die beiden doch eins werden, dachte sie.
An sich haltend, unter der Bettdecke, fest an der Brust klammernd, einen Schweif roter langer Haare.

ENDE
 
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