AW: Gute Krimiliteratur als Vorlage
ein paar erste Worte zum Genre Krimi:
leider hab ich momentan wieder nur so knapp Zeit, dass ich mich dem von Dir, Kubi, aufgebrachten Thema garnicht so ausführlich widmen kann - obwohl es ungemein interessant ist. Sich gründlicher mit Deinen Fragen zu beschäftigen wäre die sinnvolle Weiterentwicklung dieses Threads:
Nachdem ich nun seit 3 Jahren relativ häufig Krimis lese, will ich hier kurz versuchen zu erläutern, was meiner Meinung nach gerade Krimis in ihrer Strickart ausmacht und warum ich finde, dass sie eine gute Vorlage bilden könnten:
1. Eigentlich ist jedes gut geschriebene Buch eine Art "Krimi", will damit sagen, dass selbst Ulysses oder Prousts Suche nach der verlorenen Zeit ein fabelhafter Spannungskern innewohnt, den man, hat man ihn erst aufgespürt, auf jeden Fall völlig ergründen oder auskosten möchte....
Möchte nur nicht jeder, weils oft doch sehr komplex ist und seitens des Lesers/der Leserin viel Eigeninitiative fordert.....und die will ja keiner immer haben
Was den Krimi ( also das Stück Literatur, dass sich per Bennennung dazu bekennt ) auszeichnet, ist, dass er in meist recht hohem Tempo einen Schock-, Spannungs- oder Überraschungs-, vielleicht auch nur einen Rätseleffekt an den Anfang setzt, der den Lesenden quasi ködert ( the teasing prologue ), weil der nun wissen möchte, was den nun der Hintergrund dieses Effekts ist.
2. Die meisten Krimis arbeiten mit einer überschaubaren Anzahl an Protagonisten, die nach und nach ins Spiel gebracht bzw. im Verlauf der Handlung mit unterschiedlicher Dynamik näher charakterisiert werden.
Wenn man sich das an einem Bild verdeutlichen will, könnte man sich ein mehretagiges Haus vorstellen, dessen Stockwerke transparent sind. Du nimmst nun das Dach ab und guckst von oben rein. Natürlich erkennst Du die Bewohner der obersten Etage als zuerst und am deutlichsten. Je weiter unten die Leute handeln, desto mehr bleiben sie und ihr Handeln Dir verborgen.
die Qualität der Plotentwicklung hängt davon ab, wie geschickt der Autor die "Bewohner" seiner Geschichte einführt, auftauchen und wieder verschwinden lässt, so dass du nur häppchenweise in Richtung Ziel informiert bist, weil gerade in entscheidenden Momenten "die Kamera" den Focus wieder auf einen anderen Umstand lenkt. Dies "Cliffhänger" müssen richtig dosiert sein und können so einen permanenten "Thrill" erzeugen.
3. Wie bei einem guten Drehbuch wird vor allem beim Krimi deutlich, das er im Grunde von hinten nach vorne geschrieben ist, will sagen, um die vorgenannten Punkte elegant bedienen zu können, muss der Autor das Ziel kennen und sich in der Entwicklung seines Plots langsam zum Anfang nach vorne arbeiten. Seine literarische Eleganz macht aus, ob mir sein "Stil" beispielsweise gefällt. Denn allzuoft ( auch in anderen Genres ) werden sog. Randerscheinungen und Nebenumstände behandelt und beschrieben wie aus dem OTTO-Katalog, also maximal trivial und banal, völlig uninteressant. Ein gelungenes Beispiel für Eleganz sind z.B. Krimis von Ake Edwardson, wie etwa "Rotes Meer".
Am schönsten ist es, wenn ähnlich einem gordischen Knoten, den der Autor bereits gelöst in Händen hält, er nun rückwärts Schlingen, Irren und Fallen auslegt, die wir vorwärts genussvoll herausfinden wollen. Es ist ein wenig wie bei dem nach diesem Knoten benannten Spiel, wo sich alle im Kreis stehend durcheinander die Hände geben ( keiner sollte die Hand eines Nachbarn oder zwei Hände einer Person halten ) und dann fasziniert von diesem Chaos, dasselbe zu ordnen versuchen; übereinander und durcheinanderdurchklettern, und dabei lustvolle Begegnungen, unglaubliche Perspektivenwechsel und den Spass ständiger Vorwärtsbewegung erleben, der, und das ist wichtig, unterwegs alles andere als nur verbissen hinter der Lösung des Knotens her ist - die ergibt sich nämlich nach und nach wie von selbst.
3a. Wichtig ist immer, dass der Autor sich nicht allzuheftiger Kunstgriffe bedient, um dem Plot neuen Drive oder einen Schwenk zu geben: ein beispiel ist das Nibelungenlied - eine irre klasse Story aber dann ists plötzlich total schade, als Hagen Siegfried einfach dadurch drankriegt, dass er es schafft, Krimhild den Bären aufzubinden, er bräuchte ein augenähtes Fadenkreuz für Siegfrieds verwundbare Stelle, damit er den Helden genau dort gut vor iregendwelchen bösen Dänenangriffen schützen zu können.
Am schönsten sind diejenigen Ermittlungen, in denen gut dosiert, der Fall als solcher erst in kongenialer Abstimmung mit der Person und den privaten Lebensumständen der Protagonisten eine schlussendliche Lösung ermöglicht, wie Anne Holt das ganz gut kann z.B.
Allzu intuitive Begabungen nerven genauso wie völlig übertriebene Coinzidenzen (wobei gerade zweites originellerweise unser reales Leben eigentlich ausmacht: Ihr kennt das alle, das man mitunter Dinge in Zusammenhängen erlebt, die man unter fiktionalen Bedingungen für eine Zumutung halten würde - also auch hier ist das ganze eine Frage von Mut und richtigem Gespür).
Leider ist es inzwischen meist so, dass ich auch in vielen schön geschriebenen Krimis ungefähr nach dem ersten Drittel fast immer richtig liege, da die meisten Autoren ( auch Simon Beckett leider ) den Verursacher allen Übels oft zu diesem Zeitpunkt bereits mal über die Bühne haben laufen lassen, meist aus dem Hochparterre oder 1. Stock - vielleicht hat er auch oben mal kurz vorbeigeschaut. In der Regel wirken sie zu diesem zeitpunkt extrem unbescholten, also oft freundlich, hilfsbereit, einfühlsam, bescheiden etc. etc.
Ich frage mich oft, wie man diesem Muster entfliehen kann. Manchmal ist es sogar so durchsichtig, dass ich das Buch garnicht fertiglesen mag. Trotzdem verstehe ich das Dilemma, da es hier um das Hauptingredienz der Spannung geht. Und einen Hannibal Lecter gut an der Leine führen, will gekonnt sein, weil man dann wirklich brav mit der Polizei ins falsche Wespennest stechen wollen muss.............aber hier beginnt wohl die Kunst. Oder Zodiac.....
Ist Euch eigentlich klar, dass im Grunde nur das live Erzählen ohne vorherige Zeitankündigungen die Möglichkeit bietet, dem Diktat des "timeframes" zu entrinnen, denn
- wieviele Seiten ein Buch hat, dass kann ich abzählen
- wann ich aus dem Kino wieder raus bin, dass kann ich wissen
- von wann bis wann das Hörbuch oder das Hörspiel geht kann ich bis auf die Sekunde nachgucken und und und
Ich weiss also immer " Aha! in 5 Minuten ist dann also alles klar
Insofern
Konserveneindoser und Einmacheimer aller Länder vereinigt Euch
Es lebe das Sequel
okay, genug geblödelt