• Blut-Tetralogie   Dark Space

Ohrwell

Hell-E-Barde
Die Möglichkeiten des Hörspiels auszuloten, das ist so meine Zielrichtung, die ich in diesem Metier gerne gehen möchte. Was geht, was geht grade noch, was überhaupt nicht,...

Etwas, worüber ich mir grad den Kopf zerbreche, ist die Frage, wieviel Handlung kann ich in ein Hörspiel packen, ohne dass die HörerInnen am Ende sich überhaupt nicht mehr auskennen. Ist es vereinbar mit dem Medium, dass ich eine Geschichte erzähle, die erst nach einer längeren Zeit und durch mehrere Erzählstränge sich zu einem ganzen zusammenfügt? In geschriebenem Prosa mag das ja noch irgendwie angehen, auch wenn man da auch schon eine gewisse Geduld mitaufbringen muß. Aber im Hörspiel, ist das schon eine akrobatische Meisterleistung, sich nicht im akustischen Gewirr zu verlieren.
 

Vetter Balin

Martin Beyerling
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

Ich sehe das auch als problematisch an: Prosa und Hörspiel unterscheiden sich da kolossal. Ein Hörspiel kann deutlich weniger Komplexität und Parallelität vertragen als ein Roman. Das liegt unter anderem an dem sehr trivialen Fakt, dass ein Buch sich zurückblättern lässt bzw. im eigenen Tempo gelesen werden kann, während der Griff zu "Rewind"-Taste beim Hörspiel schwerer fällt und das Erzähltempo vom Medium vorgegeben wird. Auch die Kanäle sind andere: das Lesen ermöglicht eine höhere Informationsaufnahme, während der Hörkanal schon deutlich limitierter ist (außer bei sehr auditiven Lerntypen). Kurzum: ich selbst traue mir nicht das Wagnis zu, ein Skript mit sehr vielen Handlungssträngen zu konstruieren. Ich würde da stets vereinfachen oder aber die Stränge isoliert voneinander erzählen.

Übrigens funktioniert auch im Roman eine solche Vorgehensweise, mehrere Stränge ergeben später ein Ganzes, eher selten. Bei Stephen Kings "The Stand" muss man zum Beispiel tatsächlich das erste Drittel des Buches "überstehen", damit man in den Genuss des spannenden Plots kommt. Man fragt sich da häufig und zu recht: warum führt er fünf Protagonisten ein? Und noch einen... und noch einen...! Erst später weiß man warum, aber ich kenne einige, die das Buch vorher beiseite gelegt hatten. Könnte beim Hörspiel ähnlich aussehen...
 

Xilef

zerfahrener Verdutzter
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

Ich halte das für eine sehr akademische Frage, die sich in der Praxis eher daran entscheidet, wie Skript, Regie und - vor allem - den Sprechern gelingt, das "Fest des Augenblicks" (Luc Bondy) zu feiern, also dem, was gerade zu hören ist, soviel Hörgenuss einimpfen können, dass die Frage nach dem schlüssigen Plot vielleicht und zugleich auch nur höchstens als Reflex gestellt wird und sich dann wieder hinter das akute Hörerlebnis duckt.
Der zweite Aspekt der Frage impliziert eine Beantwortbarkeit vor dem Hintergrund einer völlig heterogenen Zuhörerschaft, die in der Regel doch völlig inkohärent in eben dieser Existenzform sozialisiert ist - deswegen kann eigentlich keine Antwort möglich sein, ausser ich konzediere, dass sie rhethorisch in dem Masse ist, als dass sie bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussetzt, dass das ernstzunehmende Gros an Zuhörern - ganz den Zuschauern vergleichbar - bereits einer Geschmacksverstümmelung und damit Rezeptionsabstumpfung im Sinne dessen erlegen ist, was wir als Mainstreamkonsumismus bezeichenen ( 96% hören Volksmusik und nur etwa 1% Jazz ).
Ich fände es schade, wenn wir diesem Umstand insofern Rechnung zollen, das wir ihm eine triviale und oportunistische Antwort hinterhertragen.
Natürlich können viele Handlungsstränge auf rationaler Ebene verwirren - im gelungenen Falle heisst das aber nicht, dass kein Konzert stattfinden könnte.
 
Zuletzt bearbeitet:

swissbits

Robert J. H.
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

@xelif
Meine Hochachtung, was für ein „Statement“: 4 Sätze,205 Wörter und ein Achtel davon Fremd- und Kunstwörter.
(akademische Praxis Skript Luc Bondy einimpfen Plot Reflex akute Aspekt impliziert Beantwortbarkeit heterogenen inkohärent Existenzform sozialisiert konzediere rhethorisch Gros Geschmacksverstümmelung Rezeptionsabstumpfung Mainstreamkonsumismus triviale oportunistische rationaler)

Ich vermute mal, dass du gerade deine Doktorarbeit schreibst? Diese Sprache in einem Hörspiel und es würde nicht einmal ein Handlungsstrang funktionieren. Nichts für ungut! :D

Aber Spass beiseite. Freilich sind die Aussagen soweit korrekt. Die Frage an sich ist meiner Meinung nach jedoch nicht rhetorisch (im Sinne von überflüssig), kann man doch Hunderte von Antworten darauf geben.

Apropos Jazz, hier haben wir dieselbe Problematik. Wir haben heute eine komplexe Struktur von Theorien, die zusammen die Harmonielehre des Jazz bilden und erklären wollen, warum welcher Akkord wo und wann funktioniert. Dabei war die Musik zuerst da und jeder Auftritt ist noch heute ein simples „Try-and-failure“. Eben genau das, was Ohrwell wohl mit „Ausloten der Möglichkeiten“ meint.

Ich beschäftige mich viel mit alten Radio-Dramen. Im Thread „Perlen der Hörspiel-Geschichte“ soll genau solchen Fragen nachgegangen werden.Im (geplanten) zweiten Beitrag wird „Sorry, wrong number“ behandelt. In der ersten Fassung (25 Min.) gibt es lediglich einen Hauptstrang. Das Ganze war so erfolgreich, dass Hollywood daraus einen Kinofilm machte, welchen das Radio erneut adaptierte.Die Geschichte wurde von der Originalautorin Lucille Fletcher um etliche Nebenstränge erweitert, um nun 1 ½ Stunden zu füllen (bzw. 1 Stunde in der Lux-Version).
Ich überlasse es euch, zu entscheiden, welche Radiofassung besser funktioniert:
Version 1948
http://www.youtube.com/watch?v=5uPQE3Pykto
Version 1950
http://www.youtube.com/watch?v=B3OUHGpG3g0

Ein simples Rezept von mir ist dieses:
(Hörspiel-Länge, Anzahl der Handlungsstränge)
10 Min --> 1
20 Min --> 2
40 Min --> 3
Das heisst also, für jeden weiteren Strang wird die Spielzeit verdoppelt, so bleibt man garantiert auf der sicheren Seite. Sorry für den langen Beitrag LG
 

Ohrwell

Hell-E-Barde
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

swissbits;206796Ein simples Rezept von mir ist dieses: (Hörspiel-Länge schrieb:
Wie bist du auf das Ergebnis gekommen?
 

Dagmar

I'm not weird, I'm gifted
Sprechprobe
Link
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

Ist es vereinbar mit dem Medium, dass ich eine Geschichte erzähle, die erst nach einer längeren Zeit und durch mehrere Erzählstränge sich zu einem ganzen zusammenfügt?

Ich finde Goldagengaden hat das ganz gut geschafft. Die komplette 1. Folge hab ich nur Bahnhof verstanden, war aber trotzdem gefasselt. Erst nach und nach hat sich dann alles verbunden, aber bis Ende gabs immer noch viele Rätsel.

Darkside-Park ist auch so ein Beispiel (allerdings halt ein Hörbuch)
 

Xilef

zerfahrener Verdutzter
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

Goldagengaden Teil 1 habe ich auch neulich gehört - ich stimme zu, gerade weil ich ja auch das Stichwort Jazz erwähnt habe und der Goellner hat die Szenen und die Abfolge quasi musikalisch arrangiert.
 

Dagmar

I'm not weird, I'm gifted
Sprechprobe
Link
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

Der zweite Aspekt der Frage impliziert eine Beantwortbarkeit vor dem Hintergrund einer völlig heterogenen Zuhörerschaft, die in der Regel doch völlig inkohärent in eben dieser Existenzform sozialisiert ist - deswegen kann eigentlich keine Antwort möglich sein, ausser ich konzediere, dass sie rhethorisch in dem Masse ist, als dass sie bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussetzt, dass das ernstzunehmende Gros an Zuhörern - ganz den Zuschauern vergleichbar - bereits einer Geschmacksverstümmelung und damit Rezeptionsabstumpfung im Sinne dessen erlegen ist, was wir als Mainstreamkonsumismus bezeichenen ( 96% hören Volksmusik und nur etwa 1% Jazz ).
Ich fände es schade, wenn wir diesem Umstand insofern Rechnung zollen, das wir ihm eine triviale und oportunistische Antwort hinterhertragen.

HIhi, und jetzt nochmal auf Deutsch: Die Leut sind eh verschieden udn die meisten sind eh blöd oder abgestumpft.

Cool, auf deutsch passt es in einen Satz :D :D :D
 

Fredericks

paranoid aber schon nett
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

"Otherland" is wahnsinnig schwierig und hat soo viele Handlungsstränge und Geräusche und Eindrücke... Wenn man's aber mal über eine gewisse Schwelle geschafft und sich drauf eingelassen hat, lässt's einen nicht mehr los, find ich... Ich habe es geliebt! ... Achja: dafür dauert es allerdings auch 24(!) Stunden... ;P
 

Xilef

zerfahrener Verdutzter
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

@Dagmar - danke für die Übersetzung: so unmöglich kompliziert wie meiner ist, so brutal ist Deiner - vielleicht muß es irgendwo dazwischen sein, denn "blöd" würde ich nicht behaupten aber sowas wie gleichgeschaltet ohne sich noch die Zeit, und vielleicht Mühe, zu nehmen, den wirklich eigenen Geschmack zu überprüfen. Wir leben ja in unserer Gesellschaft eh dauernd von Stangenware, als wären wir alle VW-Käfer von einem Band.
 

Vetter Balin

Martin Beyerling
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

Für mich geht's gar nicht um mehr oder weniger volkstümlich/mainstreamig. Für mich ist die Frage nach der Umsetzbarkeit von mehreren Handlungsstängen in Hörspielen eine rein technische und hat wenig mit künstlerischem Anspruch zu tun. Meine Antwort darauf ist: "Sometimes the simplest solutions are the best". Nicht mehr, nicht weniger. Dabei ist das Wort "SOMETIMES" wichtig und natürlich "SOLUTION". Damit meine ich, dass es sich nur um praktische Lösungen dreht und nichts mit der Tiefe, Aussagekraft und Inspiration des Hörspiels zu tun hat. Ein sehr geradliniges, simpel strukturiertes Hörspiel kann durchaus ein Meisterwerk werden, kann aber auch wenig inspiriert und blutleer sein. Genauso verhält es sich auch bei komplexen Handlungsverläufen.

Na gut, so hat das hier ja auch keiner behauptet. Allerdings soll es auch gar nicht in diese Richtung gehen, weil wir sonst bei den verhackstümmelten, bededeutungsschwangeren, aber dennoch geistlosen Kunst-Hörspielen einiger Brillenmenschen sind (gerne auf Deutschlandfunk), bei denen sich etwas sofort in Kunst verwandelt, sobald es keiner mehr versteht und/oder niemand hören will. :D
 

Ohrwell

Hell-E-Barde
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

In einer Medienanalyse-Studie habe ich einmal gelesen, dass Hörspiele/Hörbucher meistens von einer Bevölkerungsgruppierung mit Weiterbildungsanspruch konsumiert werden, da sie hauptsächlich auf Bildungs- und Unterhaltungsmedien zurückgreifen, die eine schnelle Inhaltsvermittlung ermöglicht. Wenn dem wirklich so ist, dann fallen solche Langzeit-Projekte wie OTHERLAND sicherlich durch den Rost, zumindestens im ersten Durchgang. Im zweiten werden dann vielleicht doch wieder einige auf das Hörspiel zurückkommen, da es in gewisser Hinsicht "zeitsparend" ist als die Romane zu lesen.
 

Dagmar

I'm not weird, I'm gifted
Sprechprobe
Link
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

@Dagmar - danke für die Übersetzung: so unmöglich kompliziert wie meiner ist, so brutal ist Deiner - vielleicht muß es irgendwo dazwischen sein, denn "blöd" würde ich nicht behaupten aber sowas wie gleichgeschaltet ohne sich noch die Zeit, und vielleicht Mühe, zu nehmen, den wirklich eigenen Geschmack zu überprüfen. Wir leben ja in unserer Gesellschaft eh dauernd von Stangenware, als wären wir alle VW-Käfer von einem Band.
Ohja, da hast du recht, echt traurig so was.
 

swissbits

Robert J. H.
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

@Xelif
Hast mich gerade zu Folgendem inspiriert:
Rex Alni
Wer disloziert sich equestral im ventilatorischen Nocturnus?
Es ist der MASKULINE Partikular-Generator des Infanten.
Er brachial-integriert den Adoleszenten adäquat,
er kaptiviert ihn sekuritiv, kaloriert ihn induktiv .
Mein patronymisches Differenzial, , was implementierst du so traumatisiert deine Visage?
Negierst, Prezessor, du die visuelle Perzeption des Rex Alni?
Rex Alni mit Corona und spinalem Appendix?
Mein Juveniler Deszendent, es ist eine vaporisierende striation
Du affiner Adoleszent, aproximiere mich!
Gar schöne Ludifikation wird dir durch meine Donation
Manch polychrome Magnoliophyten inhabitieren den Hydro-soliden Limes
Mein femininer Partikular-Generator hat eine Pluralität aureater Vesturen...



Wer Lust hat, kanns weiterführen, zuerst muss ich noch 'ne Antwort für Ohrwell schreiben.
 

swissbits

Robert J. H.
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

@Ohrwell
Mein oben erwähntes Rezept ist nur eine Richtschnur, damit ich beim Schreiben einer Kurzgeschichte, eines Romans oder eines Theaterstückes nicht über das Ziel hinausschiesse.
Nehmen wir an, ich schriebe eine Novelle.
Nach Rezept würde sich Folgendes ergeben:
10 Seiten 1 Strang
20 Seiten 2 Stränge
40 Seiten 3 Stränge
80 Seiten 4 Stränge
Der Hauptstrang nähme im letzten Beispiel etwa 30-40 Seiten ein, die anderen drei je nach Gewichtung 10- 20 Seiten.
10 Seiten (oder 10 Minuten) ist in diesem Beispiel ein willkürlicher Wert. Man sollte ihn so wählen, dass man einen Erzählabschnitt flüssig einführen und etablieren und dann wieder wechseln kann. Die Zeit bzw. die Seiten verdoppeln sich deshalb, weil vorangegangene Erzählstränge imm wieder aufgenommen werden müssen, da sie sonst in Vergessenheit geraten. Mit Buchstaben sähe das ganze etwa so aus:
A-B-C-A-D-B-A-D-C-B-A
Bei jeder Geschichte, die man erzählt, gibt es immer nur eine EINZIGE Frage, die zum Schluss beantwortet sein muss. Nehmen wir den Herrn der Ringe. Die Frage würde etwa lauten: Gewinnt das Gute oder das Böse? Der Ringträger ist zugleich der rote Faden (A). Die anderen Gefährten sind Auslöser der Nebenstränge. Als Das Buch verfilmt wurde, mussten Szenen gestrichen werden, was in diesem Fall relativ einfach war:
- Tom Bombadil wurde herausgenommen, weil er isoliert dasteht und er neue Fragestellung aufgeworfen hätte, die im Buch nicht gelöst werden (Wer ist er, woher kommt er, weshalb hält er sich raus?).
- Die Rückkehr ins Auenland ist ebenfalls als solche gestrichen. Sie stellt die Frage: Wer ist stärker, Natur oder die Industrialisierung? Ein Lieblingsthema Tolkiens, dass erst später ins Buch eingegangen ist.
(Fortsetzung folgt, falls ihr wollt.)
 

Fironboy

Mitglied
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

A-B-C-A-D-B-A-D-C-B-A… Blödsinn.
Du ordnest deine Plots doch nicht nach der Gedächtniskapazität des Zuschauers, SONDERN nach dem Hauptplot und dessen Wende, Höhen und Tief Punkten.
Schau dir Herr der Ringe nochmal an und achte drauf, ob die deine A-B-C Folge einhalten, dann wirst du selbst erkennen, dass das Schwachsinn ist. Die Nebenplots sind dem Hauptplot unterzuordnen und sollten so getimet sein, dass ihre jeweiligen Wendepunkte den Hauptplot unterstützen.
Bleiben wir bei Herr der Ringe 3. Teil (die Filme wohlgemerkt).
Hauptplot: Frodo reist zum Schicksalsberg. Kurz vor seinem Ziel wird er von Kankra gebissen.
Nebenplot: Minas Tirith wird angegriffen.
Hauptplot: Orks verschleppen den gelähmten Frodo.
Nebenplot: Aragorn bei den Geistern.
Nebenplot: Eowin verkloppt den Hexenkönig.
Nebenplot: Aragorn besiegt den Geisterkönig.
Hauptplot: Sam befreit Frodo.

Folglich wirken die Plots unterstützend und bereiten mit ihren Höhepunkten auf den Höhepunkt des Hauptplots vor.
 

Alibaba

Erik Albrodt
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

Ein Zitat aus einem anderen Forum, an dem ich mich uneingeschränkt einkuscheln kann:

"Vielleicht sollten sich Hörspielmacher (viele sind ja keine gelernten Regisseure oder Schauspieler), auf die Grundregeln der Hörspieldramaturgie besinnen. Einfach, spannnend und kurz. So haben Hörspiele früher immer funktioniert."

Wenn man es komplex konzipiert hat, braucht es eine lange Laufzeit! Punkt!
Wenn es unterhalten(!!!!) soll, sind - technisch und konzeptionell - 8-12 Sprecher ausreichend. Alles andere ist - meiner Erfahrung nach - overloaded und nur noch dem intellektuellem Wohlsein geschuldet, aber nicht mehr dem Unterhaltungswert.

Howgh - ich habe gesprochen. und nun kommst DU ;)
 

Mr_Kubi

Der auf den Bus wartet
Teammitglied
Sprechprobe
Link
AW: Zu viele (Neben) Erzählstränge verderben das Hörspiel (?)

Wenn es unterhalten(!!!!) soll, sind - technisch und konzeptionell - 8-12 Sprecher ausreichend. Alles andere ist - meiner Erfahrung nach - overloaded und nur noch dem intellektuellem Wohlsein geschuldet, aber nicht mehr dem Unterhaltungswert.

Voll Deiner Meinung, allerdings finde ich 12 schon fast zuviel :)
 

Karpatenhund

Karpatenhund
Dramaturgische Notwendigkeit statt normativem Lehrsatz

Ich würde diese Frage gar nicht "von oben" beantworten, also gerade nicht im Sinne von Lehrsätzen oder Faustregeln wie "Eine Haupthandlung muss 10 Seiten haben".
Funktionieren kann alles. Du kannst, in einem experimentelleren Hörspiel, auch mehrere Handlungen aneinanderreihen wie Perlen auf eine Schnur, die dann in der Gesamtschau ein großes Ganzes ergeben - und ohne dass es intellektuell verschwurbelt wird. Schau dir Arthur Schnitzlers Theaterstück 'Der Reigen' an. Da wird Ähnliches getan, und es ist (behaupte ich) für jedermann verständlich.

Aber ich würde raten, die Frage "von unten" zu lösen, d.h. aus der Geschichte selbst heraus: Du hast vermutlich Charaktere, die einen Konflikt durchleben oder eine Wandlung durchmachen. Und das will auserzählt und dramaturgisch ausgestaltet werden. Wenn du merkst, dass deine Charaktere nur im Kreis herumlaufen, immer dasselbe daherreden und die Geschichte nicht vom Fleck kommt, dann streich ihren Part zusammen. Wenn du merkst, dass deine Charaktere sprunghaft ihre Handlungsmotivation, Stimmung oder innersten Einstellungen ändern, dann weite ihren Part aus, und mach aus dem Sprung einen für den Hörer nachvollziehbaren Verlauf. Wenn du merkst, dass du zwischen zwei Szenen ein- und derselben Figur eine zeitliche Distanz benötigst, aber diese Figur nichts Wesentliches mehr zu sagen oder zu tun hat, dann füg eine Nebenhandlung ein.

Dramaturgie ist die Schnittschnelle zwischen Handlungsgeschehen und emotionalem Hörerlebnis.

Eine Handlung sollte so aufbereitet werden, dass der Hörer gut emotional mitgenommen wird:
Man kann in einer oder in zwanzig Minuten erzählen, wie der Held sich entscheidet, Schokoladeneis statt Erdbeereis zu essen.
Genauso kann man in einer oder in zwanzig Minuten erzählen, wie der Held sich entscheidet, Ehefrau und Kinder zu verlassen und mit der Frau aus dem Tätowierladen durchzubrennen.
Aber beim einen Mal ist die eine Minute dramaturgisch angemessen und die zwanzig Minuten sind eine Unterforderung des Hörers, und beim anderen Mal ist die eine Minute eine Überforderung und die zwanzig Minuten sind dramaturgisch angemessen.

Es ist also sinnvoll, die Länge einer Handlung aus den dramaturgischen Forderungen, die diese Handlung stellt, zu bestimmen - und nicht umgekehrt.

Zwei Beispiele für denkbare 60-Minuten-Hörspiele mit einer komplett unterschiedlichen Handlungsstrang-Anzahl, die trotzdem beide gut funktionieren könnten:
- 5 Personen werden vorgestellt, jede mit ihren eigenen Alltagssorgen. Die Personen werden in jeweils einem eigenen, kleinen Handlungsstrang eingeführt, der gleichwertig zu den anderen Strängen steht. In den ersten vierzig Minuten des Hörspiels laufen diese 5 Handlungsstränge unverbunden nebeneinander her, dann schließlich im letzten Drittel stranden alle 5 Personen auf derselben Party, wo sich ihre Handlungsstränge überkreuzen und es zu einer allgemeinen Auflösung kommt.
- Ein Mann legt eine Zeitbombe im obersten Stock eines Bürogebäudes. Als er das Gebäude verlassen will, bleibt er im Fahrstuhl stecken. Per Notruftaste kann der Bombenleger Kontakt zum Sicherheitsdienst herstellen, erfährt allerdings, dass sich leider erst in 3 Stunden ein Elektriker um den Fall kümmern kann - zu einem Zeitpunkt, wo die Bombe schon hochgegangen sein wird. Kann der Bombenleger den Sicherheitsdienst überzeugen, schneller jemanden zu schicken, ohne das Vorhandensein der Bombe aufzudecken? Eine solche Handlung kann evtl. das gesamte Hörspiel tragen, jede Nebenhandlung könnte hier den Spannungsbogen zerstören.

Wieviel Handlung passt also in ein Hörspiel?
Soviel wie reinpasst.

P.S.:
Beim Wiederlesen der Threadeinträge finde ich übrigens, dass Xilef weiter oben viel Bemerkenswertes geschrieben hat, was leider unterging, weil man sich über seine Wortwahl mokiert hat. Insofern bemerkenswert, als er nämlich die konkrete Ausgestaltung des Hörerlebnisses an oberste Stelle gerückt hat.
Zitat Xilef:
Ich halte das für eine sehr akademische Frage, die sich in der Praxis eher daran entscheidet, wie Skript, Regie und - vor allem - den Sprechern gelingt, das "Fest des Augenblicks" (Luc Bondy) zu feiern, also dem, was gerade zu hören ist, soviel Hörgenuss einimpfen können, dass die Frage nach dem schlüssigen Plot vielleicht und zugleich auch nur höchstens als Reflex gestellt wird und sich dann wieder hinter das akute Hörerlebnis duckt.

Ich vermute, dass Xilef damit nicht exakt das meint, was ich oben schreibe, und dennoch stimme ich zu. Meiner Ansicht nach bedeutet funktionierende Dramaturgie auch nicht zwingend 'logische Stringenz', sondern 'emotionales Mitnehmen des Rezipienten' (= Hörers, Zuschauers, Lesers)
David Lynchs Film 'Mulholland Drive' liefert bis zum Schluss keinen logisch schlüssigen Plot (sondern allenfalls Ahnungen), dennoch ist der Film dramaturgisch vollendet gestaltet, denn der Zuschauer wird von Anfang bis Ende emotional mitgenommen.
 
Zuletzt bearbeitet:

Xilef

zerfahrener Verdutzter
AW: Dramaturgische Notwendigkeit statt normativem Lehrsatz

Diesen nicht uninteressanten Thread habe ich wieder ganz aus dem Auge verloren - danke fürs aufgreifen, Karpatenhund.
Ich freue mich auch, dass Du meinen Beitrag nochmal gelesen hast, obwohl ich einem persönlichen Faible schamlos nachgab damals, eine fast ungeniessbare Wortwahl und Syntax zuzuspitzen, die das "Mokieren" natürlich herausfordert.
 
Hoerspielprojekt.de

Neu

Discord
Oben