Ohrwell

Hell-E-Barde
Neben Sprache und Geräuschen gehört (auch) die Musik zu den dramaturgischen Stützpfeilern eines Hörspiels. Entweder wird sie als Untermalung einer Szene benutzt oder trennt zwei Szenen, um Orts- und Zeitwechsel zu präzisieren. Sie kann aber als "Auflockerung" für das Ohr des Hörers dienen, wenn eine längere Textpassage abgeschlossen ist. Ein schönes Beispiel, wie Musik auch etwas selbständiges innerhalb des Hörspiels sein kann, bietet die Van Dusen-Folge "Duell der Giganten" - in einer Schlüsselszene besteigen die Protagonisten ein Unterseeeboot, das ganze bekommt durch eine Variation von "Yellow Submarine" eine interessante Eigendynamik.

Wie seht ihr den Einsatz von Musik im Hörspiel?
 
AW: Musik im Hörspiel

Wie seht ihr den Einsatz von Musik im Hörspiel?

Ich finde sogar, genau auf die Szene komponiert ist sie weit mehr als bloße Untermalung. Ich möchte auch eine Lanze für die kreative Verwendung der Musik / Eigendynamik im Hörspiel brechen. Zum Beispiel braucht es manchmal nur Musik und die Szene kann plötzlich ganz ohne Dialog und Geräusch auskommen, hier wird dann mit dem Gefühl der Musik weiter erzählt. Das sind dann die Momente, wo es nur im Kopf weiter geht und da passieren nun mal die "überzeugendsten" Sachen. Oder aber die starre Trennung der Hörspielkomponenten (Skript/Dialog/Geräusch) verschwimmt mit dem Katalysator Musik, ohne dass es für den "normalen" Hörer zu avantgardistisch rüberkommt (wenn man das so wünscht).

Da gibt es so viele Dinge, die nur mit Musik gehen meine ich :)
 

Marc Schülert

Sprecher & Cutter
Sprechprobe
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AW: Musik im Hörspiel

eigentlich ist dem post von badda aus meiner sich gar nichts mehr hinzuzufügen.
höchstens noch, dass es manchmal sogar die musik ist, die am ende einem hörspiel oder auch einem film die krone aufsetzt. ich denke, jeder kann dutzende von filmen und vielleicht auch ein paar hörspiele aufzählen, bei denen die musik einfach auf ewig hängengeblieben ist und der jeweiligen produktion unauslöschlich ihren stempel aufgedrückt hat.
für mich persönlich war z.b. beim "ersten schnee" von anfang an klar, welche musik ich da haben will...ich hörte sie quasi schon in meinem kopf, noch bevor ich mir über die einzelnen szenenkulissen klar war. da hat die musik also die ganze atmosphäre nicht nur unterstützt, sondern förmlich heraufbeschworen. vielleicht darf man sagen, dass die musik der heimliche zampano ist, der im hintergrund alles zusammen hält.
 

Karpatenhund

Karpatenhund
AW: Musik im Hörspiel

Auch wenn ich von der Praxis keine Ahnung habe, finde ich die Fragestellung nach diegetischer / nichtdiegetischer Musik- und Geräuschuntermalung sehr spannend.

Zur Erklärung:
diegetisch: alles, was aus der erzählten Geschichte selbst herauskommt.
nichtdiegetisch: alles, was von außerhalb der erzählten Geschichte kommt

Also, wenn in der Geschichte beispielsweise sich eine Person ans Klavier setzt und die Mondscheinsonate spielt, dann ist dies diegetische Musik.
Zwischenmusiken oder Musiken, die zum Unterstreichen der Emotionen eingesetzt werden, aber keinen Ursprung in der Szene selbst haben, sind nichtdiegetisch.

In den letzten Jahren hat man im Hörspiel zumindest bei der Geräuschkulisse eine sehr starke Bewegung in Richtung Diegetik gesehen (seit der Edition 2000 von John Sinclair). Den Anspruch, eine Szene so "realistisch" wie möglich umzusetzen (vergleichbar der Soundkulisse eines Films), gab es in dieser Form in den Jahrzehnten vorher nicht. Das wurde auch von den Hörern als neu und qualitativ hochwertig empfunden. Mit dieser Entwicklung hin zu den diegetischen Geräuschen ging es (zumindest für mein Empfinden) eher weg von den nichtdiegetischen Musiken. Ich habe das Gefühl, deutlich seltener Zwischenmusiken und Musikbegleitung gehört zu habe, als etwa in den Hörspielen der 80er Jahren.
Mittlerweile ist nun eine "filmische" Soundkulisse zur Normalität geworden. Sie ist damit für die Hörer kein Novum mehr.

Die Frage ist, ob die zukünftige Entwicklung jetzt eher wieder in Richtung Nichtdiegetik geht und dann auch wieder untermalende Musikstücke prominenter werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Musik im Hörspiel

In den letzten Jahren hat man im Hörspiel zumindest bei der Geräuschkulisse eine sehr starke Bewegung in Richtung Diegetik gesehen (seit der Edition 2000 von John Sinclair). Den Anspruch, eine Szene so "realistisch" wie möglich umzusetzen (vergleichbar der Soundkulisse eines Films)
Ich finde es ist die eine Sackgasse, die auch schon von den Musikfabriken im Lautheitsrennen ausgiebig erkundet wurde. Die Klangästhetik nach einem Hollywood-Film auszurichten à la "bigger than live" und dieses zum Aushängeschild der Label-Philosophie zu machen, kann nur in die Hose gehen. Wenn man ständig ein in die Fresse bekommt, fühlt sich das nun mal irgendwann nur noch taub an... :pfanne:
Das gilt auch für fertige Orchester-Stückchen, die man passend zusammen setzten kann, so zusagen Klassik-LEGO, spart viel Zeit und somit Geld beim Komponieren. Klingt zwar alles gleich aber egal - kommt noch nen tiefer Sinus drunter für das Bauchgefühl und flott noch ein paar Celli drüber für die Gänsehaut... Das hat dazu geführt das heute jede Nichtigkeit mit Pauken und Trompeten übermalt wird...
 

Circuit

Christoph
AW: Musik im Hörspiel

Mit dieser Entwicklung hin zu den diegetischen Geräuschen ging es (zumindest für mein Empfinden) eher weg von den nichtdiegetischen Musiken. Ich habe das Gefühl, deutlich seltener Zwischenmusiken und Musikbegleitung gehört zu habe, als etwa in den Hörspielen der 80er Jahren.

Wobei ich da auch die seitdem veränderten Erzählstrukturen und -tempi einen großen Einfluss haben dürften. Hörspiele neueren Datums haben auf der Ebene der Story meist ein viel höheres Tempo und auch mehr Twists als die Hörspiele älterer Machart, ähnlich wie aktuelle Fernsehserien oder eben aktuellere Filmproduktionen. Dabei ist das ganz unabhängig davon, ob es eine gute Story ist oder nicht. Da bleibt teilweise einfach weniger Platz für Musik bzw. wird zugunsten des Erzähltempos stark reduziert. Ob das jetzt eher ein "künstliches" Mittel ist um Spannung zu erzeugen, sei erstmal dahingestellt.
 

PeBu34

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Hallo Zusammen,
ich schreibe zur Zeit an einem Skript und in dem Zusammenhang habe ich eine Frage: Wie entscheidet ihr, an welchen Stellen Musik zwei Szenen trennen soll oder ein Übergang von einer Szene zur anderen ohne Musik oder sogar ohne weitere Geräusche und statt dessen nur mit einer Pause (Stille) gemacht wird? Ist das "einfach Bauchgefühl" oder gibt es dafür Regeln oder Hinweise?

Ein Beispiel: Gerade ist ein Unfall passiert und eine Person am Unfallort ruft einen Krankenwagen. Da die Szene allgemein bekannt ist (Anruf bei der Notrufzentrale, Krankenwagen fährt vor, der Verletzte wird versorgt und ins Krankenhaus gefahren) und dabei nichts für den Fortgang der Geschichte Wichtiges passiert, wird sie übersprungen. Weiter geht es im Krankenhaus, als ein Verwandter des Verletzten am Empfang des Krankenhauses ankommt.
Hier gäbe es für mich mindestens zwei Möglichkeiten: 1. Am Ende der Unfallszene ein paar Takte traurige oder dramatische Musik, dann ausblenden, Krankenhausatmo und dann die Unterhaltung am Empfang. 2. Die Musik weglassen und aus der Unfallszene direkt in die Krankenhausatmo springen und die Unterhaltung anschließen (oder über die Atmo setzen).
Wie würdet ihr diesen "Sprung" gestalten?

Liebe Grüße von
Peter :)
 

Parzifal

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Einen Tipp kann ich dir nicht wirklich geben, wenn ich ein Skript schreibe sehe ich die Szenen wie einen Film in meinem Kopf, höre ich dabei Musik kommt die rein. ;)
Höre ich keine Musik schreibe ich sie auch nicht rein! Allerdings kommt dann am Ende ja noch der "Schnitter" und entweder lässt Du ihm ein wenig künstlerische Freiheit oder Du schnippselst selber.
BG
Parz

P.S.: Zum Thema Musik, Musik kann tragen muss aber nicht! Ich denke, manchmal lenkt die Soundkulisse/atmosphäre von den eigentlichem Sprechen ab, das finde ich dann eher Kontraproduktiv.
 

PeBu34

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Hallo Parz,
danke für deine Antwort! :)

Stimmt, Sound und Musik können von den Sprechern ablenken - oder sie sogar "ertrinken lassen". Solche Hörspiele habe ich auch schon mitbekommen.
Den "Film im Kopf" habe ich beim Schreiben auch oft, muss aber meistens noch etwas an der geschriebenen Szene korrigieren. Mal sehen, ob ich das hinkriege, auch die Musik dazu zu hören. Das wäre natürlich eine große Hilfe. Bisher war das bei mir aber noch nicht so.

Es gibt also scheinbar keine Regeln, an die sich ein Anfänger halten kann. Gut, dann muss ich rumprobieren und abwarten, was mir der "Schnitter" (schön doppeldeutig... :)) rät - wenn es mal soweit ist.

Liebe Grüße von
Peter :)
 

Volker

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Hallo, einen kleinen Film habe ich beim Schreiben auch im Kopf, um zu prüfen wann und welche Geräusche ich brauche. Das Überblenden von einer Szene in eine andere, kann mit Musik gemacht werden, muss aber nicht. Für deine Szene könnte ich mir Komparsen und Sounds sehr gut vorstellen. Das heißt eine Sirene die leiser wird, weil sich der Krankenwagen entfernt, wobei der Hörer immer noch am Ort des Geschehens ist und Passanten kleine Sätze bekommen um das gerade geschehene zu verdauen. Die Komparsen von der Straße wechseln dann in Komparsen von Ärzten die sich bemühen den Patienten zu behandeln. Aus dem Sound der Sirene des Krankenwagens wird dann das Piepsen eines Monitors oder das Rollen der Krankenliege. Naja, zum Beispiel :)
 

PeBu34

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Hallo Volker,
herzlichen Dank für die Anregung! :)
Mal sehen, wie ich solche Möglichkeiten in meinem Skript umsetzen kann. (Ich prüfe zur Zeit allgemein, in welchen Szenen ich auf Musik verzichten kann und in welchen nicht.)

Liebe Grüße von
Peter :)
 

PeBu34

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Hallo Volker,
ich bin jetzt sozusagen kurz vor Schluss. :) Wenn alles klappt und stimmt kommt demnächst die letzte Prüfung durch das Lektorat - in Person von Marek - und dann hoffentlich die Freigabe für die interne Sprechersuche. Dieses (hoffentlich) letzte Überarbeiten meinerseits, fällt mir unheimlich schwer und ich hab keine Ahnung warum! Ich habe allerdings gelesen, dass das öfter mal vorkommt.

Liebe Grüße von
Peter :)
 

Urs Wild

Musikdose
Meiner Meinung nach sollte Musik in einem Hörspiel nie als alleiniges Element der Unterhaltung verwendet werden (mit Ausnahmen die ich später erläutere), da sie, um diesen Effekt zu erzeugen sehr "Dominant" produziert werden muss und sich negativ auf das Hörspiel auswirken kann. Gezieltes Weglassen von Musik kann sogar durchaus auch ein gestalterisches Element sein um den Zuhörer "hängen" zu lassen.

Beispiel: Eine Szene endet mit dem Erzähler. Dieser beschreibt die Folgen eines Geschehens, wie "Held gewinnt Kampf und alle leben freudig und froh, bis das nächste Übel kommt". Das wäre jetzt ein potenzieller Szenenwechsel wo der Held auf die neue Gefahr aufmerksam wird und seinen nächsten "Heldentrip" vorbereitet.

Wäre die Musik, die diese Szene untermalt zu dominant, sprich komplex, aufwändig und einfach ein Ohrwurm, würde sie ungemein von dem ablenken was hier eigentlich wichtig wäre; die Geschichte, die Charaktere, der Protagonist.

Durchaus könnte Musik die vorangehende Szene dominieren, nämlich der Kampf an sich, wo mit pompöser Musik und Kampfgeräuschen nahezu auf Sprache verzichtet werden könnte um die Grösse und Gewalt dieser Schlacht zum Ausdruck zu bringen. Sollte der Held im Anschluss dieser Schlacht Verluste erlitten haben die er zu betrauern hat, dann ist es womöglich ein wiederum gezielt komponiertes Stück, das den Hörer zum (mit)weinen bringen kann.

Meiner Meinung nach sollte Musik in einem Hörspiel die Gefühle hervorrufen die Du empfunden hast während Du die jeweiligen Szenen geschrieben hast. Denn nur so kann sie Deinen Worten (und letztendlich jenen "Deiner" Sprecher) Ausdruck verleihen.

Als oben erwähnte Ausnahme möchte ich hiermit Intromusik (oder Abspann) erwähnen, die, besonders bei mehrteiligen Hörspielen durchaus ein "Ohrwurm" sein darf, da sie somit der gesamten Produktion ein "Gesicht" verleihen kann. Bei Einteilern darf die Melodie, meiner Meinung nach, auch mehrfach aufgegriffen werden um den selben Effekt zu erzeugen.

Um konkret noch etwas auf Deine Frage einzugehen: Warum nach längeren Textpassagen Musik zum "Auflockern"? Das würde bedeuten dass Die Hörer lange Zeit "nur" Text zu hören bekommen und danach Musik? Lange Textpassagen würde ich unbedingt mit gezielt einfach gehaltener Musik untermalen, sei dies zur Auflockerung oder aber zur Betrübung, sprich sie untermalt nicht nur, sondern bereitet den Hörer auch darauf vor, was kommen mag (oder führt dort hin).

Ich hoffe, ich habe nicht nur viel geschrieben und nichts gesagt, sondern konnte mich den hervorragenden Kommentaren meiner Vorredner anschliessen.

Liebe Grüsse

Urs
 

PeBu34

Mitglied
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Hallo Urs,
herzlichen Dank für deine Antwort! Du hast mir ein ganzes Stück weiter geholfen!

Meiner Meinung nach sollte Musik in einem Hörspiel die Gefühle hervorrufen die Du empfunden hast während Du die jeweiligen Szenen geschrieben hast. Denn nur so kann sie Deinen Worten (und letztendlich jenen "Deiner" Sprecher) Ausdruck verleihen.
Besonders dieses Sätze haben mich auf die eine oder andere Idee gebracht. Danke dafür! Jetzt muss ich rumprobieren und überlegen, wie ich eure Tipps am Besten umsetze.

Liebe Grüße von
Peter :)
 

S.H.K.

Musiker
Hi Leute, tolles Thema. Schade das ich es erst jetzt entdeckt hab. Das liegt daran, dass ich es vielleicht eher in der Rubrik "Musik" oder "Audioproduktion" gesucht hätte. Damit will ich nicht sagen, dass es nicht wichtig ist sich beim Schreiben schon Gedanken zu machen wo man wie was haben möchte. Aber die wirkliche Entscheidung sollte man (finde ich) erst treffen wenn der Cut und die grobe Mischung stehen. Denn oft zeigt sich hier erst was funktioniert und was nicht. Und das im Idealfall dann auch zusammen mit dem Komponisten.

Ich hab hier mal einen kleinen Text den ich für eine Computerspiel-Mod geschrieben hab, als Leitfaden zum Thema wie kommunizier ich richtig mit den Komponisten. Ich hab ein paar Sachen umgestellt weil sie zu Gamespezifisch waren.

Wie erkläre ich Komponisten, was für Musik ich möchte.

Hier sind einige Tipps und Regeln, wie man mit Komponisten kommunizieren sollte, wenn man will dass sie einem genau das komponieren was man sich vorstellt.


Warum?

“Hier, machmal... ...ne, is‘ jetzt nich‘ das was ich wollte.“
Leider kann kein Mensch die Gedanken eines Anderen einfach so lesen.
(...und das ist wahrscheinlich auch besser so - Manche Dinge will man ja gar nicht wissen)
Deshalb sind wir ALLE wohl oder übel dazu gezwungen zu kommunizieren. Wenn ihr also eine Idee habt wie, das von euch geschriebene Hörspiel, das von euch gebaute Compterspiel, die von euch gedrehte Filmsequenz, etc., musikalisch klingen soll, dann müsst ihr das dem Komponisten kommunizieren.
Dafür stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung.
Allerdings sollte man sich dabei nicht nur auf eine der Möglichkeiten beschränken, sonder so viel wie möglich auf unterschiedliche Wegen vermitteln.
Kurzgesagt: Je mehr Infos ihr dem Komponisten geben könnt, umso genauer kann er sich ein Bild von eurer Vorstellung machen.
Das führt zu einer befriedigenden Zusammenarbeit.
Denn nichts ist nerviger (für beide Parteien), als wenn‘s nicht passt.

Hintergrund-Informationen

Zu den Infos gehören natürlich so Dinge wie, Bilder, Storybords, das Skript oder eine Umschreibung der Situation. Wieder gilt: Je mehr Infos - desto besser. Auch persönliche Infos wie, was man sich dabei gedacht hat, woran man sich orientiert hat oder von was/wem man beeinflusst wurde, sind durchaus wichtig und vermitteln ein gesamt Bild.

“Nun ihr Kinder, gebt fein acht,
ich hab euch etwas mitgebracht.“
Am besten stellt man eine Sammlung zusammen. Das ist immer besser als wie den Komponisten im Forum selber suchen zu lassen.

Umschreibung

Um den Charakter einer Musik dem Komponisten zu beschreiben, muss mann natürlich die richtigen Worte finden.


“Voll episch soll‘s klingen!“
Wenn man Komponisten umschreibt wie die Musik an einer bestimmten Stelle klingen soll, sollten immer Wörter mit einer klaren Definition gewählt werden. (Bsp.: “hektisch“ oder “langsam“, “traurig“ oder “heiter“, “leise“ oder “laut“, “hoch“ oder “tief“, usw...) Worte mit einer subjektiven oder ungenauen Definitionen sollten entschieden vermieden werden! (Bsp. “episch“, “cool“, “so klassisch oder so“ oder “wie Filmmusik“)

“Die Streicher tremolieren in es-moll und modulieren dann nach Fis-Dur“
Allerdings kann man es auch mit der Definition übertreiben. Von direkten musikalischen Beschreibungen sollte man Abstand nehmen. Solche Dinge schränken mehr ein, als dass sie helfen würden. Auch die Vorgabe von Musikinstrumenten ist eher hinderlich.

“War das Verständlich?“
Wenn man sich nicht sicher ist, ob man seine Vorstellung klar verdeutlicht hat, einfach nachfragen.

Temp-Tracks

“Was ist ein Temp-Track?“
Der Begriff Temp-Track kommt aus der Filmproduktion. Eigentlich ist damit ein Musikstück gemeint welches der Cutter oder Regisseur vorläufig (also “temporär“ = Temp) einspielt um sich eine Szene mit Musik anzuschauen. Meistens haben die Stücke schon die Stimmung und den Stil den nachher auch die original Filmmusik haben soll. Deshalb gibt man die Temp-Tracks oft an den Komponisten weiter, damit er sich ein Bild von der Vorstellung der Filmschaffenden machen kann.

“Bitte, ein Beispiel?“
Eines der berühmtesten Beispiele ist wahrscheinlich einer der Temp-Track zu “Starwars“.
Der original Komposition von “John Williams
(ab 1,41 min.)
wurde das Konzertstück “die Planeten“
(ab 6,48 min.)
von “Gustav Holst“ als Temp-Track voran gestellt. (Hier sei erwähnt dass es keinen Beleg gibt, dass genau diese Sequenz von Holst als Temp-Track diente. Die enorme Ähnlichkeit lässt den Verdacht zwar nahe liegen, kann ihn jedoch nicht beweisen. Doch sicher ist, dass die Werke von Holst zu den Temp-Tracks gehört haben)

“Das klingt gar nicht wie der Temp-Track!“
Wenn man will, dass die Musik genau so wie der Temp-Track klingt, dann sollte man am besten auch den Temp-Track nehmen.
(so geschehen in “2001 - Odyssee im Weltall“)
Je mehr Einschränkungen man dem Komponisten vorgibt, desto weniger originell wird das Endprodukt. Komponisten mögen ihrer Freiheit beim komponieren und wollen ihrer Musik natürlich (im wahrsten Sinne des Wortes) eine besondere, aber vor allem eigene, Note verleihen.
Das geht sogar soweit, dass viele Komponisten es nicht mögen wenn man ihnen sagt, das Stück klingt ja genau gleich wie ...
Es ist also Vorsicht geboten mit den Temp-Tracks. Am besten immer nachfragen ob sie gewollt sind.

Timing

Neee,... so soll das nicht klingen! Schau mal hier...
All diese Dinge müssen natürlich besprochen werden bevor der Komponist anfängt.
Ich denke es ist jawohl klar, dass danach oder mitten drin nicht ideal für‘s Arbeitsklima ist.

Resümee

Schlussendlich sollte man den Komponisten die Richtung zeigen, aber ihnen nicht den Weg abstecken. Im Gegenteil, meistens ist es ganz nützlich den Komponisten nach seiner eigenen Meinung zu fragen. Er wird sich wohl in den häufigsten Fällen mehr und besser mit Musik auskennen, denn er ist ja immerhin Komponist.
Und dabei dürfen durchaus auch Meinungen aufeinander prallen, so lange man in angemessenem Tonfall diskutiert.
Denn auch die Diskussion ist ja eine Form der Kommunikation.


Liebe Grüße, Steffen
 
Zuletzt bearbeitet:

ROH

Ryan
Eines der berühmtesten Beispiele ist wahrscheinlich einer der Temp-Track zu “Starwars“.

Finde gut was du sagst. Nur eines, weil du es vielleicht interessant findest oder die Sache mit dem Temptracks ein bisschen beleuchtet.
Es gibt nicht viele Belege zu dem StarWars Temptrack und ganz viele Gerüchte (Korngold, Holst etc). Selbst auf der Wookiepedia (StarWars Wiki) steht dazu nichts.
Das sind die von Burtt und Hirsch (Sounddesigner & Editor von StarWars) belegten:

Der SW-Temptrack für den Opener ist Ivenhoe.
Die Musik setzt dann ein sobald der Titelschriftzug kommt und man sieht auch warum der Schriftzug da endet. Weil ein Temptrack nicht eine Kopie sondern dem Timing und der Emotion die transportiert werden soll entspricht. Der Temptrack ist ja kein Spaß, der muss sitzen und skizzieren.
Einfach in zwei Fenstern öffnen und Ton ausstellen beim Opener.

Original Opener von 1977
Ivenhoescore
(starten sobald der Titel kommt)

Der Rosza (Ivenhoe) Score lohnt sich auch mal ganz durchzuhören, weil hier die Struktur gleich ist zu Star Wars (ganz viele Motive und gerade die Kampfthemen wahrscheinlich für den Todessternkampf als Temptrack gedient haben. Ist aber unbelegt.)

Was auch gerne als Holst Planeten erkannt wird – ist Stravinskys le sacre du printemps (Frühlingsopfer), zweiter Akt. Das ist alles Tatooine (Dune Sea, Jawas, Sandleute).

Und dann Dvorak – Aus der neuen Welt – 4 Satz/Allegro con fuoco.
Anfang ist das Finale in der Halle. Die Musik setzt ein – sobald du Luke im Bild vor der Halle steht und einen Schritt nach vorne macht.

Endsequenz
Aus der Neuen Welt
(Musik starten sobald Luke im Bild ist – Abspann natürlich nicht mehr)

Hier sieht man vor allem sehr schön, wie der Temptrack sich dem Schnitt und im Ablauf sowie Emotion dem finalen Stück anpasst – und wie die Struktur dann in den finalen Score rüberwandert, aber gleichzeitig was ganz eigenes schafft.

Bruckner 9-Symphonie ist Lukes Thema, wenn er seine Eltern verliert z.B. Ich kenn mich nur nicht so gut aus mit Bruckner aus – das ist was für Fortgeschrittene.
Das waren sie damit schon.

Weil das ist der Unterschied zum Zitat oder Plagiat. Lucas (Lieblingskomponist ist übrigens Max Steiner) macht den Temptrack. Nicht Williams.

Holst hat diesen Rhythmus da auch nicht erfunden (s.o.). Das ist nur populärer, weil Leute die Scores hören nicht unbedingt auch Klassik hören. Wenn man diese Temptracks kennt – merkt man erst von einem Mann wie Williams was das für eine Größe ist, sich so an diese Vorlage zu halten und etwas neues daraus zu schöpfen. Aber was heißt neu? Es ist z.B. ganz interessant, dass Lukes Thema denselben musikalischen Ablauf hat wie das Siegfriedthema von Wagner.
Er macht dieselben Notensprünge. Das ist handwerkliches Können, basierend auf Wissen.
Hab auch noch nie irgendwo gelesen das jemanden Williams mit Prokofiev verglichen hat, obwohl das Prokofiev von der Komposition her ist, weil sich alle an Prokofiev orientiert haben.
Lohnt sich daher mal reinzuhören, gerade was Struktur der Instrumentierung angeht:
Die Schlacht auf dem Eis.

Ich bin mir nicht sicher ob Holst tatsächlich im Temptrack war. Man weiß, die haben noch mehr benutzt, aber ich meine nicht das Holst belegt ist, es sei denn du weißt da mehr. :)
 

S.H.K.

Musiker
Ok, also ich bezieh mich auf das CD-booklet der Star Wars - A New Hope Special Edition von Michael Matession:
" - he (Williams) read the script, he visited the set, and he listened to a temporary music track comprised of Holst, Dvorák, Walton, Miklos Rosza's score for Ben-Hur (1959) and others."
Das ist die Quelle auf die ich mich beziehe. Und wenn man sich die oben genannten Stellen anhört erkennt man find ich auch ganz deutlich die Ähnlichkeit.
 

ROH

Ryan
Ja, das ist ja cool, obwohl das ca. 20 Jahre später ist.
Das Problem ist ja nicht, wie nah sich was anhört sondern die Frage: War es im Temptrack?
Es gibt ca. 5 Stücke wo eine 1:1 Ähnlichkeit existiert, aber es geht darum wie sie zustande gekommen ist und das ist das Problem. Weil allein BenHur – ohne zu wissen wo – kann das überall sein. z.B. Was ist wenn die Ben Hur – irgendeine Fanfare hinter Ivenhoe legen und von Holst jetzt gar nicht die Planeten hatten? Oder sagen wir mal Mars – und das für die Explosion des Todessterns. Und jetzt sagt Williams (bekennender Holst Fan): Hör mal – wir haben hier doch Krieg der Sterne – wir nehmen den Mars (als Bringer des Krieges) und legen den direkt als musikalischen Anfang nach dem Titelthema, als Überleitung und Abschluss, sobald der Film los geht.
Spielen wir ihn halt zwei Mal. Als Anfang und als Abschluss der Tat (es geht ja die ganze Zeit um die Zerstörung des Todessterns). Ab dem Moment geht der ganze künstlerische Credit an Williams und nicht mehr an Lucas.
Oder noch abstruser: Die haben die Planeten nicht – sondern was anders von Holst – und Williams sagt: Hör mal, ich habe ne Idee, wo wir hier sowieso Holst haben. Siehe oben.

Aber cool, leider wenn es auch wieder dürftig ist (im obigen Zusammenhang) und ganz außen vor gelassen, das man nicht weiß woher Matessino (ist ein bekannter Soundtrack Produzent und Musik Archivar) das hat. Wahrscheinlich von Williams selbst. Aber wahrscheinlich ist wieder nicht definitv.^^

Aber noch mal Danke. :) Ich notier mir das.
 

S.H.K.

Musiker
@ROH : Ich gebe dir durchaus recht. Für einen musikwissenschaftlichen Nachweis ist meine Quelle dürftig. Aber für die oben beabsichtigte Lektion finde ich es ausreichend. Denn das Holst für diese Sequenz Pate stand (in welcher Form auch immer, sei es nun von Lucas, Williams oder jemand Anderem iniziert) kann akustisch einfach schwer von der Hand gewiesen werden. Daher gebe ich zu, dass die klassische Definition eines Temp-Tracks vielleicht nicht gegeben ist, weil es sich nicht zu 100% belegen lässt. Als eine Beispiel wie sich ein Komponist an einem vorgegebenen Konzertstück orientiert, ist es finde ich jedoch vollkommen aussreichend. Aber ich werde oben noch einen Satz einfügen um die Verhältnisse besser zu klären.

Viele Grüße, Steffen
 
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