• Blut-Tetralogie   Dark Space

Mr B.

Tassenmörder
Sprechprobe
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Das Gespenst

Sanft strich der abendliche Herbstwind durch die Kronen der Bäume, die am Straßenrand standen, und brachte die verfärbten Blätter sanft zum rascheln. Die wenigen abendlichen Spaziergänger hielten kurz inne und lauschten dem Lied des Herbstes aber den Wind zog weiter. Er wehte durch die leeren Straßen der großen Stadt, vorbei an alten und neuen Gebäuden, vorbei an Wohnungen und Geschäften, vorbei an Autos und Straßenbahnen. Manchmal spielte er mit einer liegengebliebenen Plastiktüte, mal nahm er spielerisch einen Hut vom Kopf eines Menschen oder fuhr in eine Wohnung wo er für ein wenig Unordnung sorgte. Sein Weg endete in dem Esszimmer einer gemütlich eingerichteten Wohnung wo er die Flammen zweier Kerzen, die auf einem gedeckten Tisch standen, zum Flackern brachte.
Der Mann, der in der Küche arbeitete, bemerkte nicht den unerwarteten Gast, sondern konzentrierte sich auf seine Arbeit. Sorgfältig richtete er das Essen an und trug ins Esszimmer, wo er es zwischen die beiden gedeckten Plätze stellte. Er kehrte in die Küche zurück, schaltete die Dunstabzugshaube und das Licht aus, kam zurück an den Tisch und setzte sich. Ein Blick glitt über den leeren Stuhl vor ihm und ein Stich ging ihm durchs Herz. Heute wäre ihr beider Tag gewesen. Wenn alles normal wäre, hätte er das Essen vorbereitet und gewartet bis sie von der Arbeit nach Hause kam. An der Tür hätte er sie empfangen und ihr die Augen verbunden ehe er sie ins Esszimmer geführt und die Überraschung offenbart hätte. Aber es war nichts mehr normal. Sie würde heute nicht kommen, ebenso wenig wie sie letztes Jahr gekommen war und das Jahr davor. Auch nächstes Jahr würde sie nicht kommen. Obwohl er all das wusste, vollführte er jedes Jahr das gleiche Ritual. Er holte eine Fernbedienung aus der Hosentasche und drückte einen Knopf. Leichte, klassische Musik erklang aus den Lautsprechern der Anlage im Zimmer und gerade lief ein Stück Bach. Es war ihr Lieblingslied. Mit einem schweren Seufzer füllte er sich etwas von dem Essen auf seinen Teller. Ab und zu nahm er einen Bissen zu sich, aber die meiste Zeit stocherte er lustlos darin herum. Wie jedes Jahr. Plötzlich stand er auf, blies die Kerzen aus, schaltete die Anlage ab und verließ die Wohnung. Er musste raus. Raus aus der Monotonie, der er schon so lange folgte, raus aus den Bildern der Vergangenheit, raus aus dem Kerker den er sich mit seinen eigenen Gedanken geschaffen hatte, vielleicht würde er sie ja draußen finden.
Er ging zu Fuß durch die Stadt, die sich nun langsam zur Ruhe legte. Seine einzigen Begleiter waren die Sterne und der Wind, der ihn ab und zu umwehte und ihn zu necken schien. Sein Weg führte ihn zuerst in einen kleinen Park in dessen Mitte ein See lag. Am Ufer dieses Sees stand eine kleine Bank, der man ansehen konnte, dass sie schon lange Wind und Wetter ausgesetzt war. Der Wind wehte einen kleinen Schwarm Blätter an ihm vorbei und vor seinem Auge veränderte sich das Bild. Arm in Arm saßen sie beide auf der Bank, blickten auf den See und genossen die Nähe des anderen. Langsam drehte er seinen Kopf und vergrub das Gesicht in ihrem Haar, wo ihm ihr Duft in die Nase stieg. Ehe der Schmerz an die Oberfläche seines Bewusstseins treten konnte verwehte ein erneuter Hauch des Windes das Bild und er ging weiter. Mit jedem Schritt, den er tat versank er wieder tiefer in die Bilder der Zeit, die er mit ihr verbrachte, erst die Bremsen einer vorbeifahrenden Straßenbahn holte ihn wieder in die Realität zurück. Für andere war es nur eine Haltestelle, aber für ihn war es
ein besonderer Ort, denn hier hatte das Band, das nun zerschnitten war, langsam gebildet. Er sah sich selbst am Rande des Bordsteins balancieren, während sie versuchte ihn davon abzuhalten irgendwelchen Blödsinn zu machen. Seine Antwort war nur die Frage ob sie ihn fangen würde, wenn er fiele. Sie erwiderte nichts sondern zog ihn zu sich in ihre Arme um mit ihm für einen Moment, der für eine sehr kurze Zeit ewig zu sein schien mit einem Kuss zu verschmelzen. Er spürte noch ihre Lippen auf den seinen, doch wieder wurde er aus der Illusion gerissen, als die Straßenbahn einfuhr. Sein Blick tastete über die Gesichter der
Menschen die die Bahn verließen, aber sie war nicht dabei. Als er merkte, dass sich Tränen in seinen Augen sammelten drehte er sich um und ging seines Weges, denn er wusste, dass er sie heute nicht mehr finden würde. Müde ging er nach Hause, Schlaf war seine einzige Fluchtmöglichkeit aus dieser grausamen Realität.
Der Wind war nun endgültig weiter gezogen und hatte die herbstlichen Straßen, sowie den Mann, der sie durchstreifte, hinter sich gelassen. Das kalte Licht des Mondes füllte nun die Wohnung des Mannes aus, der sich ins Bett verkroch und sein Kissen mit seinen heißen Tränen füllte.
 
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Y

Yüksel

OH mann ... auch leider viel zu spät entdeckt ..... HERRLICH!
 
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